Ein Viertel der über 70- jährigen leidet an fünf oder mehr Krankheiten gleichzeitig
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat am Mittwoch ihren ersten “Weltbericht über Altwerden und Gesundheit” veröffentlicht. Demnach hätten die meisten Menschen heute erstmals eine Lebenserwartung von über sechzig Jahren. Doch oft bedeutet ein langes Leben auch erhebliche Einschränkungen durch Krankheiten, häufig leiden ältere Menschen sogar an mehreren Erkrankungen zugleich. Dementsprechend müsse die Betreuung und Pflege laut der WHO dringend umstrukturiert werden.
Geschenktes Jahrzehnt durch Fortschritte in Ernährung, Medizin und Technik
Laut dem “Weltbericht über Altwerden und Gesundheit” werden die Menschen heutzutage älter als je zuvor. „Zum ersten Mal in der Geschichte können die meisten Menschen erwarten, weit in die Sechziger und darüber hinaus zu leben”, so die WHO-Generaldirektorin Dr. Margaret Chan im Vorwort des am Mittwoch vorgestellten Berichts.
Verantwortlich dafür seien den Experten nach eine bessere Ernährung, medizinische Entwicklungen von Insulinlösungen und Antibiotika und technische Fortschritte, durch welche weniger körperlich schwere Arbeit verrichtet werden müsse. Doch das „geschenkte Jahrzehnt“ bedeute nicht nur Positives, denn Körper und Geist müssen weiterhin gegen das Altern ankämpfen. „Leider scheint 70 noch nicht das neue 60 zu sein”, sagte Dr. John Beard laut einer Pressemitteilung der Weltgesundheitsorganisation. „Aber es könnte sein. Und es sollte“, ergänzt der Direktor der Abteilung für Altern und Lebensverläufe bei der WHO.
Durch Multimorbidität ist 70 noch nicht das neue 60
Klar ist jedoch, dass ein längeres Leben in vielen Fällen mit unheilbaren Krankheiten, massiven Einschränkungen und der notwendigen Unterstützung von außen einhergeht. Erst vor wenigen Wochen hatte die „Global Burden of Disease Study 2013“ gezeigt, dass die zusätzlichen Lebensjahre oft mehr als Belastung statt als „Gewinn“ betrachtet werden. Allein in Deutschland würden laut der WHO knapp ein Viertel aller 70- bis 85-Jährigen an fünf oder mehr Krankheiten gleichzeitig leiden (Multimorbidität). Älter werden bedeute demnach nicht automatisch eine bessere Gesundheit. „Schon jetzt macht allein der Anteil der über 60-jährigen Krankenhauspatienten 50 Prozent aus – obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung nur 27 Prozent beträgt”, sagt Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz gegenüber der Nachrichtenagentur „dpa“.
WHO empfiehlt „integrierte Fürsorge“ statt Fokussierung auf einzelne Krankheiten
In der Folge würde statt teurer Hightech-Medizin eher begleitende und lindernde Behandlung und Pflege notwendig. „Doch nur für die Spitzenmedizin steigen die Ausgaben. Diese Fehlentwicklung muss die Politik korrigieren“, so der Experte weiter. Auch die WHO kritisiert in ihrem aktuellen Bericht unter anderem die unzureichende Pflege und Betreuung älterer Menschen. Statt sich gesundheitspolitisch auf die Therapie einzelner Erkrankungen zu fokussieren, sollte eine „integrierte Fürsorge“ geleistet werden, durch welche die physische und geistige Gesundheit der Menschen so gut und so lange wie möglich erhalten werden könne. Erst dann könne laut der WHO möglicherweise von einem „neuen 60“ gesprochen werden.
„Wir müssen sicherstellen, dass diese zusätzlichen Jahre gesund, sinnvoll und würdevoll gelebt werden können. Dies zu erreichen wird nicht nur gut für ältere Menschen sein, es wird gut für die Gesellschaft als Ganzes sein“, so Dr. Margaret Chan.
Investitionen in die Gesundheit könnte sich auch wirtschaftlich lohnen
Doch ist eine Umstrukturierung der Pflege finanzierbar? Wie die WHO erklärt, seien für die Maßnahmen zwar mehr finanzielle Mittel als bislang nötig – was sich jedoch nicht negativ auf die Wirtschaft auswirken müsse. Dies habe eine Studie aus Großbritannien ergeben, für welche die Gesamtkosten für Pensionen und die Betreuung alter Menschen mit der Summe der erbrachten Einnahmen durch die Senioren (Steuern, Konsum etc.) verrechnet wurden. Dadurch habe sich ein geschätzter Netto-Beitrag in Höhe von 40 Milliarden Pfund (54 Milliarden Euro) ergeben, „welcher erwartungsgemäß bis 2030 auf 77 Milliarden Pfund“ anwachsen könne, so der Bericht der WHO. Dies könnte also ein Hinweis darauf sein, dass sich eine Erhöhung der Ausgaben zur Gesunderhaltung der Alten auch aus wirtschaftlicher Sicht lohnen könnten. (nr)
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