US-Forscher erläutert, wieso wir Tagträume haben
16.01.2012
Auch Tagträume haben offenbar einen tieferen Sinn. Sie fördern laut Aussage von Professor Jonathan Schooler vom Department of Psychological & Brain Sciences an der University of California in Santa Barbara die Kreativität und das vorausschauende Denken.
Der Psychologieprofessor erklärte gegenüber „Welt Online“, dass Tagträume anders als bisher angenommen nicht Zeichen mentaler Defizite sind, sondern als Ausdruck von Kreativität gewertet werden können und das vorausschauende Denken fördern. Allerdings ist die Situation entscheiden. Benötigen die Träumer ihre volle Konzentration, um eine Aufgabe zu bewältigen, können die Tagträume dem Experten zufolge durchaus auch hinderlich sein.
Tagträume kein Ausdruck mangelnder geistiger Disziplin
Bisher galten Tagträume, bei denen die Betroffenen ihre Gedanken ziellos schweifen lassen, oftmals als Ausdruck mangelnder geistiger Disziplin und standen im Verdacht die Entwicklung neurotischer Beschwerden zu begünstigen. Schon Sigmund Freud warnte davor, dass „Tagträume die nächsten Vorstufen hysterischer Symptome“ seien, berichtet „Welt Online“. Professor Jonathan Schooler, hat im Gespräch mit „Welt“ nun jedoch auf den Sinn der Tagträume verwiesen. Laut Aussage des Experten nutzt das Gehirn bei den Tagträumen freie Kapazitäten für Gedanken, die uns Menschen innerlich beschäftigen. Wir klinken uns sozusagen aus der Realität aus. Die Gedanken springen zwischen internen und externen Angelegenheit hin und her, wobei sie um unsere Aufmerksamkeit konkurrieren, erläuterte Schooler. Dabei stehen den Dingen, mit denen wir uns aktuelle beschäftigen, wie zum Beispiel dem Abrufen und der Beantwortung von Emails, die Ziele gegenüber, die wir langfristig erreichen möchten. Hierfür müssen Pläne geschmiedet werden, die einiges an Denkvermögen binden. Ist das Gehirn mit der Bewältigung der aktuellen Aufgaben nicht ausgelastet, werden daher die freien Kapazitäten dafür genutzt, in Gedanken die Ziele und möglichen Herangehensweisen durchzugehen. Auch könne das Tagträumen dem Geist als Pause und eine gute Möglichkeit zur Erholung dienen, betonte Schooler.
Tagträume können auch Nachteile mit sich bringen
Allerdings wollte Schooler nicht soweit gehen, Tagträume generell als effizient zu bezeichnen, da die Ausführung der aktuellen Tätigkeit durchaus unter den abschweifenden Gedanken leiden kann. Doch mache es Sinn, dass zum Beispiel beim Spazierengehen mit dem Hund oder unter der Dusche, das Gehirn die freien Kapazitäten zum Tagträumen nutze. Insgesamt bleiben Tagträume laut Aussage des Experten eine „zwiespältige Angelegenheit“, da sie neben der Vorteile erhebliche Beeinträchtigungen mit sich bringen könne. So seien Tagträume zum Beispiel „der Hauptgrund für Verständnisschwierigkeiten beim Lesen“, erläuterte Professor Schooler in dem aktuellen Interview. Auch würden Menschen oftmals in Situationen tagträumen, die eigentlich ihre volle Aufmerksamkeit erfordern. Zum Beispiel ereilen die Tagträume viele Personen während wichtiger Prüfungen, wobei sogar das Testergebnis anhand der Anzahl von Tagtraumepisoden vorhergesagt werden könne. Der Psychologe hält aus diesem Grund zum Beispiel auch Vorträge bei der Nasa, um den Einfluss der Tagträume auf den Erfolg einer Mission zu thematisieren und die Bedeutung voller Achtsamkeit bei Luftfahrt hervorzuheben. Denn natürlich sei „ein träumender Pilot eine große Gefahr.“
Bedeutung der Tagträume für die Evolution?
Ein besonders Forschungsinteresse hat der US-Wissenschaftler nach eigenen Angaben an einer speziellen Form des Tagträumens, bei der die Betroffenen selber bemerken, dass sie gerade mit den Gedanken nicht bei der Sache sind. Dies werde von den Experten als Meta-Bewusstsein bezeichnet, erläuterte Professor Schooler. Dem Psychologen zufolge sind Tagträume dabei als sämtliche Gedanken zu verstehen, „die sich nicht mit der unmittelbaren Umgebung, der Gegenwart beschäftigen.“ Die zugrundeliegenden Prozesse im Gehirn erklärte Schooler über das sogenannte „Default Network“ – ein Netzwerk von Gehirnarealen, das gerade dann aktiv wird, wenn Menschen keiner Tätigkeit nachgehen. Dies habe Neurowissenschaftler schon vor Jahren verblüfft, denn „warum sollte das Gehirn aktiv sein, wenn es nichts zu tun hat?“, betonte der Psychologieprofessor. Die Erklärung des US-Forschers: „Wahrscheinlich ist, dass der Mensch im Lauf der Evolution gelernt hat, dieses Default Network sinnvoll einzusetzen.“ So haben wir die Möglichkeit über unsere Zukunft in einer Weise nachzudenken wie keine andere Spezies, was eine der wichtigen Funktionen des Tagträumens zu sein scheint, betonte Prof. Schooler.
Tagträumen fördert die Kreativität
Darüber hinaus haben laut dem US-Psychologen bisherige Studien gezeigt, dass Menschen mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS), die erwiesener Maßen besonders viel tagträumen, „außerordentlich kreative Lösungen für bestimmte Aufgaben finden.“ So hätten die Probanden in einem Versuch die Aufgabe erhalten, möglichst viele Nutzungsweisen für einen Ziegelstein zu finden. Wurde den Studienteilnehmern zwischendurch eine einfache Aufgabe gestellt, die zum Tagträumen anregte, „kamen sie auf mehr Lösungen als eine Vergleichsgruppe, die ohne Unterbrechung nachdachte“, erläuterte Professor Schooler. Um das Tagträumen sinnvoll zu nutzen, sollten sich die Betroffene jedoch idealerweise ihrer Tagträume bewusst sein, betonte der US-Psychologe. Bei Tätigkeiten, die die volle Konzentration verlangen, rät Schooler die Tagträume möglichst vermeiden. Dabei könne es helfen, sich immer wieder selbst zu fragen, „ob Sie gerade aufpassen, was Sie tun“, erklärte Schooler. Allerdings sollte den Tagträumen auch genügend Zeit eingeräumt werden. Dem US-Forscher zufolge gilt es zu prüfen, „welche Gelegenheiten sich für einen Tagtraum anbieten.“ Ob Spazierengehen oder Stricken – Hauptsache die Betroffenen nutzen diese Möglichkeiten, „um neue Gedanken einfach auf Sie zukommen zu lassen“, so das Fazit von Jonathan Schooler.
Fähigkeit zum Tagträumen nimmt mit dem Alter ab
Der US-Forscher ergänzte, dass außerdem auffällig sei, wie wenig ältere Menschen im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen tagträumen. Dies sei besonders „interessant, weil Tagträumen oft als eine geistige Ausfallerscheinung angesehen wird – und die nehmen ja im Alter gemeinhin zu“, betonte Professor Schooler. Offenbar geht diese Einstufung der Tagträume als geistige Ausfallerscheinung an der Realität vorbei. Vielmehr sei bei älteren Menschen festzustellen, dass sie „im Allgemeinen weniger kognitive Kapazitäten übrig haben, um sie für Tagträumereien zu verschwenden“, erläuterte der Psychologe. Daher falle alten Menschen das Tagträumen oftmals deutlich schwerer als jungen, was auch mit Beeinträchtigungen des vorausschauenden Denkens und der Kreativität einher gehen könne, betonte der Experte vom Department of Psychological & Brain Sciences an der University of California.
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