Forscher des RUB-Klinikum Bergmannsheil vermuten, dass der Schmerzmittel -Wirkstoff Ziconotid Selbstmordgedanken bei vorbelasteten Patienten verstärkt. In zwei konkreten Fällen konnte ein kausaler Zusammenhang entdeckt werden.
23.11.2010
Der Schmerzmittel Wirkstoff Ziconotid steht bei Wissenschaftlern unter dem Verdacht, Selbstmordgedanken von Patienten zu verstärken. Ziconotid wird synthetisch hergestellt und ähnelt der Struktur des Giftes der Meeresschnecke „Conus magus“. Das Schmerzmittel wurde vor sechs Jahren auf dem Arzneimittelmarkt eingeführt und sollte ein wirksamer Alternativstoff zum Morphin sein. Wissenschaftler der Schmerzambulanz „RUB-Klinikum Bergmannsheil“ in Bochum stellen die Vermutung an, dass der benannte Wirkstoff nicht nur Schmerzen lindert, sondern bei Patienten zu psychischen Nebenwirkungen führen kann. So konnte beobachtet werden, dass bei einigen Patienten anscheinend Selbstmordgedanken verstärkt werden. Die Bochumer Forscher vermuten, dass als unerwünschte Wirkung die Stimmung des Betroffenen verschlechtert wird und gleichzeitig das emotionale Gefühl „Angst“ gesenkt sowie die Impulskontrolle reduziert wird. Sind Patienten von Suizidalen Gedanken bereits im Vorfeld betroffen, so können bestimmte Mechanismen Auslöser für einen Selbstmord (Suizid) verstärken. Die Bochumer Forscher raten im Wissenschaftsmagazin „PAIN“ deshalb dazu, bei der Einnahme des Wirkstoffes den Patienten auf seinen psychischen Zustand genau zu beobachten. Ärzte sollten eine sorgfältige Diagnostik vornehmen und die psychische Situation des Patienten genau überwachen.
Unwidersprochen bietet der Wirkstoff zahlreiche Vorteile gegenüber anderen starken Schmerzmitteln. Es verursacht keine opioid-typischen Nebenwirkungen wie bei Antidepressiva und führt nicht zur Toleranzentwicklung. Das Mittel wird seit 2004 in Europa und dem Amerikanischen Arzneimittelmarkt vertrieben. Es bietet eine Alternative bei Patienten, bei denen Opioide-Mittel nicht ausreichen oder zu unerwünschten Nebenwirkungen führten. Doch seit einiger Zeit mehren sich die Verdachtsmomente, dass der Wirkstoff Ziconotid über Nebenwirkungen verfügt, die unerwünschte Folgen für Patienten nach sich ziehen können.
Auswertung von Studien brachten erste Hinweise
In einigen Studien konnte beobachtet werden, dass in mehreren Fällen unter Einnahme des Arzneimittels Patienten Selbstmordversuche unternahmen. Die damaligen Autoren der Studien konnten im Verlauf allerdings keinen Zusammenhang zu dem Stoff Ziconotid erkennen. In dem Fachmagazin „Pain“ stellten die Wissenschaftler allerdings zwei neue Fälle vor, die den Verdacht erhärten, dass der Wirkstoff Selbstmordgedanken verstärke. So erläuterte Prof. Dr. Christoph Maier gegenüber dem Fachmagazin „Pain“: „Der erste Fall ist besonders tragisch, weil ein Patient, der seit Jahren Schmerzen in den Füßen und zahlreiche erfolglose Behandlungsversuche hinter sich hatte, durch Ziconotid erstmals eine deutliche Besserung seiner Schmerzen erlebt hatte". Zunächst traten keine erkennbaren Nebenwirkungen auf. Während der Therapie wurden einzelne Untersuchungen unternommen. Ein anfänglicher leichter Hang zur Depression sank sogar beim Behandlungsbeginn. Nach rund drei Wochen der Arzneimittel-Einnahme machte der Patient auf die Mediziner noch einen ausgeglichenen und unauffälligen Eindruck. Nach acht Wochen der Therapie beging der Patient für alle überraschend einen Selbstmord.
Kausaler Zusammenhang entdeckt
In einem zweiten Fall wurde eine 39-Jährige Patientin mit dem Wirkstoff therapiert, die seit gut 14 Jahren unter starken Rückenschmerzen leidet. Vor rund 20 Jahren erkrankte die Frau nach einer Schwangerschaft an einer depressiven Episode und unternahm damals einen Selbstmordversuch. Nach zwei Monaten der Ziconotid-Behandlung berichtete die Patientin über verstärkt auftretende Selbstmordgedanken. Zudem berichtete die Betroffene über weitere psychische Nebenwirkungen wie Halluzinationen und Verwirrtheitszustände sowie über einen teilweise auftretenden Gedächtnisverlust. Diese Zustände hätten auch zu zwei schweren Autounfällen geführt, wie die Patientin weiter berichtete. Die Forscher vermuten, dass die Unfälle einen suizidalen Charakter gehabt hätten. Daraufhin wurde das Medikament von den Ärzten abgesetzt. Nach nur zwei Wochen waren die Gedanken an einen Selbstmord nicht mehr vorhanden. Auch die weiteren psychischen Nebenwirkungen ließen nach dem Absetzen nach. „Beide Fälle stützen die Vermutung, dass es zwischen Ziconotid und Suizidneigung einen kausalen Zusammenhang gibt", erklärte Professor Maier. Der Leiter des Schmerzzentrums fordert im Zuge der Beobachtungen die Arzneimittelzulassungsbehörden und den Pharmahersteller dazu auf, die benannten unerwünschten Wirkungen zu überprüfen. „Hersteller und Zulassungsbehörden sollten das dringend noch einmal überprüfen", so die Forderung des Experten.
Seinen Ärzte-Kollegen rät der Mediziner, bei Therapiebeginn Patienten sorgfältig auf ihren psychischen Zustand hin zu untersuchen und diesen während der Behandlung nachhaltig und engmaschig zu kontrollieren. Die Nachuntersuchungen sollten zudem unabhängig von der schmerzlindernden Wirkung des Präparates durchgeführt werden. „Diese Fälle unterstreichen außerdem, dass eine Steigerung der Schmerztherapie bei Versagen üblicher Mittel nicht immer der richtige Weg ist", erklärte Dr. Maier. „Oft ist sie sogar ein Irrweg, auf den auch auf dem diesjährigen Kongress der deutschen Schmerztherapeuten vor wenigen Wochen bereits hingewiesen wurde." Patienten sollten das Arzneimittel allerdings nicht selbstständig absetzen, sondern zuvor mit dem behandelnden Arzt über den weiteren Therapieverlauf sprechen. (sb)
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