Mütterlicher Drogenkonsum: Immer mehr Neugeborene durch Crystal Meth geschädigt
Die Zahl der Neugeborenen, die Schäden durch die illegale Droge Crystal Meth haben, ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, in Teilen von Sachsen sogar um bis zu 1.000 Prozent. Ärzte berichten, dass manche Mütter sogar bei der Geburt berauscht sind.
Manche Mütter sind sogar bei der Geburt high
Vor wenigen Monaten zeigte eine Umfrage, dass viel zu viele Deutsche Alkohol in der Schwangerschaft vertretbar finden. Und das obwohl die potentiellen Risiken für Mutter und Kind bekannt sein dürften. Bekannt ist natürlich auch, dass werdenden Mütter keine Drogen konsumieren sollten. Trotzdem ist die Zahl der geborenen Babys, die Schäden durch Crystal Meth haben, in den letzten Jahren drastisch gestiegen. Bei manchen Geburten sind die Mütter sogar noch high, wie Ärzte berichten.
Gesundheitsgefahren halten Konsumenten nicht von Drogen ab
„In der heutigen Leistungsgesellschaft scheint der Gebrauch von Methamphetamin – aufgrund des kristallinen Aussehens „Crystal Meth“ genannt – zuzunehmen“, schreibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) auf ihrer Webseite. „Es verspricht, Stress und Druck mit Leichtigkeit bewältigen und darüber hinaus mehr Leistung in kürzerer Zeit vollbringen zu können.“ Im Zusammenhang mit dem Drogenfund bei dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck wurde verstärkt darüber aufgeklärt, wie gesundheitsgefährdend Crystal Meth in Wirklichkeit ist. Doch selbst die Gefahren halten Konsumenten und Konsumentinnen nicht von der Droge ab. Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet, steigt in dem Maß, in dem die Droge Crystal aus Tschechien nach Sachsen kommt, auch die Zahl der abhängigen Frauen, die im Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden Kinder zur Welt bringen. Häufig sogar noch auf Droge.
Auffälligkeiten bei Neugeborenen
„Zu kurz, zu leicht, einen zu kleinen Kopf oder zu früh.“ Kinderarzt und Neonatologe Jürgen Dinger sieht solche Auffälligkeiten bei Neugeborenen daher immer häufiger. Der Agentur zufolge ist Methamphetamin – so die korrekte Bezeichnung des synthetisch relativ leicht und billig herzustellenden Stoffes – wegen der Nähe zu den Drogenküchen im Nachbarland bislang vor allem noch ein sächsisches Problem. Nach Angaben der Landesstelle gegen die Suchtgefahren war die Zahl der Konsumenten, die sich wegen Crystal hilfesuchend an Beratungsstellen in Sachsen wenden, im vergangenen Jahr mit knapp 5.000 vier Mal höher als im Bundesdurchschnitt. Auch die BZgA hatte vor einigen Jahren eine Online-Hilfe für Crystal Meth-Konsumenten gestartet.
Steigerungen um bis zu 1000 Prozent
Laut Dinger ist die Zahl der von Crystal geschädigten Föten und Neugeborenen in Sachsen seit 2007 drastisch gestiegen – im Regierungsbezirk Chemnitz um fast 400 Prozent. „Der Regierungsbezirk Leipzig liegt bei 800 Prozent und der Regierungsbezirk Dresden schießt mit 1000 Prozent den Vogel ab.“ Den Angaben zufolge habe es in den vergangenen drei Jahren landesweit bei ungefähr 35.000 Geburten pro Jahr jeweils zwischen 160 und 180 betroffene Kinder gegeben. Dies seien jedoch nur die nachgewiesenen Fälle, die Dunkelziffer liege hoch. „Ich denke, 50 Prozent müssen wir da mindestens noch einmal draufschlagen“, so Dinger. „Es gibt nur relativ wenige Frauen, die ihre Sucht vorher zugeben“, erklärte die Frauenärztin Katharina Nitzsche, die am Uniklinikum zusammen mit Dinger die Crystal-kranken Frauen und ihre Kinder vor und nach der Geburt behandelt.
Probleme bei der Geburt
Mit Crystal-Kranken komme es bei der Geburt immer wieder zu Problemen, insbesondere dann, wenn die Mutter und damit dann auch das Kind unter Drogen stehen. „Wenn die richtig auf Droge sind, ist die Kooperation null. Die Frauen sind ja auch total durch den Wind“, erläuterte Dinger. Die Babys seien dann „unruhig und zappelig“ und es käme zu Krampfzuständen. Wenn die Mutter nichts konsumiert hat, seien die Neugeborenen hingegen vom Verhalten her eher symptomlos. „Das Gleiche gilt für die Mütter: nichts genommen – ruhige Frau, entspannt. Was genommen – richtig aggressiv und absolut schwierig“, sagte Nitzsche. Unter Drogen hätten die Frauen eine niedrigere Schmerz- und Frustrationstoleranz, was zu Aggressivität führe. Im Extremfall müsse dann sogar unter Vollnarkose mit Kaiserschnitt entbunden werden.
Crystal-Kranke nicht unbedingt am Aussehen zu erkennen
Die Frauen werden nur auf Drogen getestet, wenn sie ihr Einverständnis geben. „Anders ist das, wenn ich ein Kind habe, das nervös oder übererregt erscheint oder krampft. Dann muss ich die Ursache für den Krampf sofort aufklären und kann nicht fragen, ob die Mutter damit einverstanden ist“, erklärte Dinger. „Dass man Crystal-Kranke gleich am Äußeren erkennt, wie es in der Öffentlichkeit häufig geglaubt wird, stimmt so nicht“, erläuterte Nitzsche. Laut dpa habe sie das nur in einem Fall erlebt. „Die meisten sehen doch relativ normal aus – wie du und ich.“ In den USA wird unter anderem im Rahmen der Kampagne „Faces of Meth“ mit Vorher/Nachher-Bildern auf den körperlichen Verfall durch die Droge hingewiesen. Hierzulande seien so krasse Gesichtsalterungen aufgrund der guten gesundheitlichen Versorgung seltener.
Drogenabhängigkeit des Nachwuchses vorprogrammiert
Auch eine spätere Drogenabhängigkeit des Nachwuchses sei mehr oder weniger programmiert. „Crystal Meth beeinflusst die Rezeptoren im zentralen Nervensystem und löst die Sucht aus“, so Dinger. Man wisse von den Erwachsenen, dass dieser Prozess unumkehrbar ist. Darum hätten auch die Kinder ein höheres Risiko, später selbst süchtig zu werden. „Der Körper verlangt einfach danach, weil die Rezeptoren bereits im Mutterleib entsprechend eingestellt wurden.“ Allerdings will Dinger bei Crystal nicht von einem Entzugssyndrom, mit dem Kinder heroinabhängiger Frauen zur Welt kämen, sprechen. „Die Auffälligkeiten sind mehr oder weniger Ausdruck einer Vergiftung“, erläuterte der Experte. Diese klinge ab. Bislang fehlten aber Erfahrungen, wie die Kinder dann ein paar Jahre später – beispielsweise bei der Einschulung – seien. Sie würden mit Sicherheit auffällig. „Und da ist das, was wir früher bei Wilhelm Busch „Zappelphilipp“ genannt haben, vielleicht harmlos.“ Laut dpa plädierte Dinger dafür, die Mütter nicht zu stigmatisieren und ihnen Hilfsangebote zu geben. Bei vielen bestehe die Hoffnung, dass nach der Geburt für sie ein neues Leben beginne. Die Schwangerschaft sei deshalb ein Ansatzpunkt. „Weil dies eine einzigartige und sensible Phase ist, in der man die Sucht zwar nicht immer durchbrechen, aber wenigstens Mechanismen aufbauen kann, die die Mütter befähigen, mit der Sucht besser – kontrolliert – umzugehen, vor allem dem Kinde zuliebe.“ (ad)
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