Verbraucherzentralen: Kritik an Geldanreizen für Herz-OPs
22.07.2014
Nach Einschätzung der Verbraucherzentralen werden Herz-Patienten in Deutschland möglicherweise zu oft operiert. Dabei bleibe unklar, ob Therapie-Alternativen nicht manchmal besser wären. Umsatz-Anreize, die es für Klinken bei Operationen gibt, könnten dabei eine Rolle spielen.
„Finanzielle Interessen der Krankenhäuser“
Nach Einschätzung der Verbraucherzentralen werden Patienten in Deutschland möglicherweise zu oft Herz-Operationen und anderen Klinik-Eingriffen unterzogen. „Es gibt finanzielle Interessen der Krankenhäuser, die für planbare, große Eingriffe wirken“, erklärte die Gesundheitsexpertin des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Ilona Köster-Steinebach, gegenüber der Nachrichtenagentur dpa in Berlin. Dies gelte auch für die steigende Zahl von Herz-OPs. „Es stellt sich daher die Frage, ob mit einer Operation immer die beste Behandlungsoption gewählt wird“, so Köster-Steinebach. Im Fall der Herz-Eingriffe könnten beispielsweise Medikamente Alternativen sein oder auch mehr Bewegung, Gewichtsverminderung und Physiotherapie.
Zahl der Herzklappen-OPs stark gestiegen
Die Krankenkasse Barmer GEK stellt an diesem Dienstag in Berlin eine Studie zu den Krankenhausbehandlungen in Deutschland vor. Die jährlich mehreren hunderttausend Herz-OPs gegen Verstopfung von Herzkranzgefäßen stehen im Mittelpunkt des Krankenhausreports 2014. Beim Großteil dieser Eingriffe werden über Katheter Ballons in die verengten Gefäße eingeführt und dort ausgedehnt. Außerdem gibt es jedes Jahr zehntausende Bypass-Operationen. Als Beispiel für stark steigende Operationszahlen führte Köster-Steinebach zudem die Herzklappenchirurgie an. 11.700 solcher Eingriffe habe es 2008 gegeben, von denen 11.200 klassische Operationen mit Öffnung des Brustkorbs gewesen seien. Doch bis 2012 sei die Zahl der Herzklappen-OPs auf 19.200 stark gestiegen, wobei die Zahl der klassischen Eingriffe um 1.200 gesunken sei. Dafür habe es aber mehr als 9.000 solcher Eingriffe nach einer neueren Methode gegeben, nach der eine Ersatzklappe zusammengefaltet per Katheter eingeführt wird.
Patienten sollten Zweitmeinung einholen
Auch wenn diese neuere Variante weniger belastend sei, – beispielsweise für ältere Patienten – so berge sie doch das Risiko schwerer Nebenwirkungen, wie Köster-Steinebach mitteilte. Daher seien Zweifel angebracht, ob der Anstieg medizinisch wirklich gerechtfertigt sei. Die Gesundheitsexpertin wies zudem darauf hin, dass Patienten darauf achten sollten, dass ihnen Behandlungsalternativen erläutert werden, wenn ihnen Ärzte zu einem planbaren, großen Eingriff raten. So sollten sie die Frage klären, was der Verzicht auf eine Operation bedeuten würde, und eine zweite Arzt-Meinung einholen. Auch die Gesundheitsexpertin von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, Regina Behrendt, hatte erst kürzlich in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa dazu geraten, sich bei Unsicherheiten eine Zweitmeinung einzuholen. „Fragen Sie, welche Chancen und welche Risiken damit einhergehen“, so ihre Empfehlung. Der Arzt sei gesetzlich verpflichtet, seiner Aufklärungs- und Informationspflicht gegenüber seinem Patienten nachzukommen. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hatte sich vor kurzem dafür ausgesprochen, dass die Zweitmeinung von den Kassen gezahlt werden solle.
Appell an die Gesundheitspolitik
Von Frau Köster-Steinebach wurde auch das Beispiel bestimmter Stents angeführt, die verstärkt gegen Gefäßverengung am Herzen zum Einsatz kämen. Sie erklärte, dass viele dieser Eingriffe nicht zur Senkung der Sterblichkeit, sondern für mehr Lebensqualität gemacht würden. „Das Problem ist nun aber, dass niemand die erzielte Lebensqualität beziehungsweise deren Verbesserung nach den Eingriffen untersucht.“ Die Expertin appellierte an die Gesundheitspolitik, die finanziellen Anreize für Kliniken weg von großen, planbaren Operationen hin zu Notfall- und Grundversorgung zu verschieben. Aufgrund ihrer Ergebnisse nimmt die Barmer GEK für sich in Anspruch, auch Hinweise für die geplante Krankenhausreform geben zu können. Dieses Projekt wird derzeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit von den Bundes- und Landesregierungen sowie Vertretern der Koalitionsfraktionen in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe ausgehandelt.
Behandlungen bei schlechten Leistungen rasch verbessern
Frau Köster-Steinebach wandte sich dagegen, die von der schwarz-roten Koalition erwogenen Abschläge für Kliniken bei vergleichsweise schlechteren Leistungen umzusetzen. Sie erklärte: „Das bringt betroffenen Patienten im Nachhinein nicht viel.“ Vielmehr sollten Kliniken bei schlechten Leistungen die entsprechenden Behandlungen rasch verbessern oder gar nicht mehr anbieten. Jährlich steigt die Zahl der vollstationären Behandlungen in deutschen Kliniken um rund 220.000 bis 340.000, wie Hamburger und Berliner Forscher im Rahmen eines im gesetzlichen Auftrag erstellten Gutachtens herausfanden. Und das bei nahezu gleicher Bevölkerungsgröße. Deutschland belegt hinter dem Spitzenreiter Österreich im internationalen Vergleich bei den Behandlungen pro Einwohner in der OECD Platz zwei. (ad)
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