Zuviel Antibiotika: Humanmediziner und Veterinäre kritisieren sich gegenseitig
08.10.2014
Wie gestern bereits von uns berichtet, bereitet der Einsatz von Reserveantibiotika dem Zentralinstitut (Zi) der Kassenärztlichen Versorgung (KV) trotz rückläufiger Trends bei der Verschreibungspraxis in der Humanmedizin große Sorgen, da diese Präparate für die Bildung multiresistenter Bakterienstämme verantwortlich gemacht werden. In Norwegen, Schweden, Dänemark und Holland würden diese Wirkstoffe dagegen ambulant kaum eingesetzt. "Wenn dies dort klappt, sollte das auch bei uns funktionieren", sagte Studienleiter Jörg Bätzing-Feigenbaum gegenüber "Welt". Die Reserveantibiotika sollten "die Ultima Ratio für schwere bakterielle Infektionen" sein.
Vergabe in der Tiermast soll überprüft werden
Im Zusammenhang mit der Bildung resistenter Bakterienstämme wird allerdings auch die Vergabepraxis von Antibiotika in der Tiermast seitens der Humanmedizin in der Studie des Zi der KV heftig kritisiert.
Tatsächlich sind in der Veterinärmedizin nach Angaben des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit 2013 gegenüber 2011 ca. 15% weniger Antibiotika abgegeben worden.
Gleichzeitig ist der von der Humanmedizin wegen der Bildung multiresistenter Keime kritisierte Verbrauch der sogenannten Reserveantibiotika jedoch gestiegen.
Deshalb will das Bundeslandwirtschaftsministerium laut „agrarheute.com“ das Exklusivrecht der Veterinärmediziner, Antibiotika am Apothekenmonopol vorbei direkt an Landwirte vertreiben zu dürfen überprüfen lassen. Dem Gutachten des Ministeriums nach würden durch eine Aufhebung der bisherigen Praxis die finanziellen Anreize Antibiotika zu verkaufen wegfallen. Allerdings könnte das durch die verlängerten Vertriebswege zulasten der Tiergesundheit gehen.
Veterinärmediziner kritisiert Verschreibungsverhalten der Humanmedizin
Der Präsident des Bundesverbandes Praktizierender Tierärzte (bpt), Dr. Hans-Joachim Götz hingegen kritisiert die Humanmediziner, die Verantwortung für Antibiotikaresistenzen "mit zunehmender Tendenz allein dem Antibiotikaeinsatz in der Tiermast" zuzuschieben. "Der durch das eigene Verschreibungsverhalten und die mangelnden Hygienemaßnahmen in deutschen Krankenhäusern verursachte Selektionsdruck und die Verbreitung von resistenten Bakterien dagegen wird jedoch mit keinem Wort erwähnt", kritisiert Götz gegenüber „agrarheute.com“. Ferner kritisiert Götz den Vorwurf des deutschen Ärztetages, die Tiermedizin verbrauche doppelt so viele Antibiotika wie die Humanmedizin, da der tatsächliche Antibiotikaverbrauch der Humanmedizin statistisch gar nicht erfasst und somit auch nicht bekannt sei (die Studie der Zi der KV basiert ausschließlich auf den Arzneiverordnungen der niedergelassenen Ärzte, der stationäre Verbrauch ist darin nicht erfasst, Anm. d. Redakteurs). "Eine derart einseitige Darstellung, die notwendige Maßnahmen im eigenen Bereich vermissen und gleichzeitig den aktuellen Stand der Wissenschaft außer Acht lässt, kann nicht länger hingenommen und von der Politik ignoriert werden", so Götz in seinem Schreiben. Dass der Verbrauch in der Tiermedizin gedrosselt werden muss, sieht jedoch auch er so.
Runder Tisch
Götz fordert daher "Endlich miteinander anstatt übereinander reden" und schlägt sowohl Landwirtschaftsminister Schmidt als auch Gesundheitsminister Gröhe vor, die Interessengruppen an einen „Runden Tisch“ zu rufen. Dies will das Bundeslandwirtschaftsministerium nun am 4. Dezember umsetzen. Ziel soll laut Götz sein, "das sich Tierärzte und Ärzte gemeinsam für einen restriktiven Einsatz von Antibiotika einsetzen und effektive Lösungen entwickeln". (jp)
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Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.