Management von Diabetes: Faktor „Geschlecht“ wird bislang nicht berücksichtigt
Über sechs Millionen Menschen in Deutschland leiden an Diabetes, die meisten davon am Typ 2. Beim Management der Erkrankung werden verschiedene Faktoren wie das Alter oder begleitende gesundheitliche Beschwerden beachtet, das Geschlecht allerdings nicht. Experten meinen jedoch, die Behandlung von Diabetes sollte geschlechtsspezifisch sein.
Millionen Menschen leiden an Diabetes
Angaben der Deutschen Diabetes Gesellschaft zufolge leiden über sechs Millionen Menschen hierzulande an Diabetes. Auch in anderen Ländern ist die Stoffwechselstörung längst zur Volkskrankheit geworden. Diabetes wird in Typ 1 und Typ 2 unterschieden. Bei Typ 1 produziert der Körper quasi null Insulin. Auslöser der Krankheit ist eine Störung des körpereigenen Immunsystems. Bei Typ 2 tragen Übergewicht beziehungsweise Adipositas und Bewegungsmangel dazu bei, dass das Insulin in den Zellmembranen nicht voll zur Wirkung kommt. Stress gilt ebenfalls als Risikofaktor für Typ-2-Diabetes. Die meisten Patienten mit Diabetes leiden am Typ 2.
Personalisierte Behandlung der Stoffwechselstörung
Laut dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) besteht die primäre Therapie des Typ-2-Diabetes in Ernährungsumstellung und Bewegung. Zumindest zu Beginn des Diabetes werde durch die ergänzende Therapie mit oralen Antidiabetika die noch vorhandene körpereigene Insulinproduktion und das vorhandene Insulin genutzt. Erst im weiteren Verlauf könne eine Insulintherapie nötig werden. Welche Therapie im Einzelfall die passende ist, muss aber individuell entschieden werden, schreiben die Experten. Dem dürften auch Fachleute der MedUni Wien zustimmen. Ihrer Meinung nach sollte die Behandlung von Diabetes personalisiert sein.
Männer und Frauen tragen ein unterschiedliches Risiko
Wie es in einer Mitteilung der Hochschule heißt, geben die internationalen Richtlinien für das Management von Diabetes mellitus (Typ 2) vor, Faktoren wie das Alter, das soziale Umfeld, die Dauer der Erkrankung oder begleitende gesundheitliche Beschwerden zu beachten. Das Geschlecht ist jedoch nicht beinhaltet. Doch genau das wird laut den österreichischen Experten von immer größerer Bedeutung – denn Männer und Frauen tragen ein unterschiedliches Risiko und erkranken und leiden unterschiedlich an Diabetes. Daher sollte auch die Behandlung zunehmend geschlechtsspezifisch und damit personalisiert sein.
Frauen sind lange vor Diabetes „geschützt“
Dies sei die wichtigste Erkenntnis eines weltweit erstmals in diesem ganzheitlichen Umfang verfassten Reviews zum Stand der geschlechtsspezifischen Unterschiede, zu dem die MedUni Wien-ForscherInnen Alexandra Kautzky-Willer und Jürgen Harreiter nun eingeladen wurden. Das Review ist in dem Fachjournal „Endocrine Reviews“ erschienen. Laut den Forschenden sprechen die Fakten klar für eine geschlechtsspezifische Betrachtung und Behandlung von Diabetes mellitus. So haben Männer biologisch ein grundsätzlich höheres Risiko, an Diabetes mellitus zu erkranken, Frauen sind unter anderem durch die erhöhte Ausschüttung des Hormons Östrogen lange „geschützt“ – bis es in der Menopause zu einer hormonellen Umstellung kommt und dieser Schutz abflaut. Wie es weiter heißt, ist das Risiko für Männer zumeist auch erhöht, weil sie mehr Bauchfett und mehr Leberfett haben und eine niedrigere Insulinempfindlichkeit aufweisen, selbst wenn sie nicht übergewichtig sind. Bei ihnen ist ein Testosteronmangel ein Risikofaktor, während bei Frauen höhere männliche Sexualhormone mit einem größeren Risiko einhergehen.
Oberschenkelfett kann schützend wirken
„Dagegen wurde gezeigt, dass das Fett an den Oberschenkeln, das bei den Frauen genetisch und Östrogen-bedingt häufiger ist, sogar schützend wirken kann. Andererseits hat bei ihnen der Bauchumfang eine bessere Diabetes-Voraussagekraft als bei Männern“, erklärte Kautzky-Willer, Diabetes-Expertin und Österreichs erste Professorin für Gender Medicine. „Bei Frauen führen außerdem psychosozialer Stress und Stress im Job sowie mangelnde Entscheidungskompetenz bei großem Arbeitsdruck oder Schlafmangel häufiger zu Diabetes als bei Männern. Oft auch verstärkt durch Gewichtszunahme.“ Männer sind jedoch mehr gefährdet, später Diabetes zu entwickeln, wenn ihre Mütter in der Schwangerschaft unter Mangelernährung gelitten haben.
Geschlechtsspezifische Faktoren sollen in die Praxis einfließen
Laut den WissenschaftlerInnen gibt es auch bei den Biomarkern, die helfen können, frühzeitig das Diabetes-Risiko zu erkennen, geschlechtsspezifische Unterschiede. So sind das von der Leber gebildete Protein Fetuin-A sowie Copeptin vielversprechende Biomarker bei Frauen, jedoch nicht bei Männern. Hier gilt demnach das Hormon Leptin, das chemische Botschaften aussendet, das Essen einzustellen und Energie aus den Speichern, etwa Fettdepots, zu gewinnen, als starker Biomarker. „Immer bedeutsamer werden auch endokrine Disruptoren, also hormonaktive Stoffe“, sagte Jürgen Harreiter. So konnte in wissenschaftlichen Untersuchungen gezeigt werden, dass etwa synthetisch hergestellte Substanzen wie Bisphenol A oder Phatalate (Weichmacher), die in vielen Kunststoffartikeln enthalten sind, als Risikofaktoren für Diabetes gelten. Auch hier gibt es altersabhängig bei Männern und Frauen unterschiedliche Effekte. Des Weiteren wurde auf regionale Unterschiede verwiesen: Demnach erkranken immer mehr Frauen in Ozeanien, Süd- und Zentralasien sowie im Mittleren Osten an Diabetes, wogegen die Erkrankung immer mehr Männer in reicheren Gegenden der Asien-Pazifik-Region betrifft, aber auch in Mitteleuropa. Die geschlechtsspezifischen Faktoren bei Diabetes sollen laut der Uni in Zukunft noch mehr als bisher in die Praxis einfließen. (ad)
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