Die Gesichtsdiagnose sieht das Gesicht eines Menschen als Spiegel seiner Gesundheit. Damit soll es möglich sein, anhand von Färbung und Beschaffenheit der Haut, der Lage und Tiefe von Falten, Schwellungen und anderen Auffälligkeiten Hinweise auf bereits bestehende oder drohende gesundheitliche Probleme zu erhalten. Die Gesichtsdiagnose wird auch als Antlitzdiagnose / Antlitzdiagnostik oder Pathophysiognomie / Pathophysiognomik (von griechisch „pathos“ = Leiden, „physis“ = Körper, Natur und „gnoma“ = Kennzeichen, Wissen) sowie als Physiognomie / Physiognomik bezeichnet. Besonders stark verbreitet ist diese Diagnoseform in China, wo sie als „Siang Mien“ („Gesichterlesen“) bekannt ist. Auch hierzulande nutzen viele Naturheilkundige das Verfahren.
Inhaltsverzeichnis
Ist die Gesichtsdiagnose wissenschaftlich anerkannt?
Die Gesichtsdiagnose ist aus Sicht der Schulmedizin (evidenzbasierte Medizin) bisher nicht wissenschaftlich anerkannt. Daher sollten Hinweise auf mögliche Krankheiten mit Hilfe weiterer Diagnoseformen gegebenenfalls auch schulmedizinisch abgesichert werden.
Geschichte der Gesichtsdiagnose
Die Gesichtsdiagnose hat eine lange Tradition. Erste Hinweise auf ihren Einsatz finden sich in China. In Europa beschäftigten sich ebenfalls lange vor Christi Geburt bereits Gelehrte wie Sokrates (470-399 vor Christus), Aristoteles (384-322 vor Christus) und Hippokrates (5. Jahrhundert vor Christus) damit, aus den Gesichtern zu lesen. Die Blütezeit der Gesichtsdiagnose in Europa begann jedoch erst vor ungefähr zweihundertfünfzig Jahren.
Carl Huter (1861-1912), von Beruf Maler, war der bekannteste Begründer der neuzeitlichen Gesichtsdiagnose. Seine Veröffentlichungen waren äußerst umstritten, vor allem aufgrund seines fehlenden akademischen Werdeganges. Er entwickelte sein eigenes Psycho-Physiognomie-System, das aus drei verschiedenen Grundnaturellen, dem „Empfindungs-Naturell“, dem „Bewegungs-Naturell“ und dem „Ernährungs-Naturell“ besteht. Die Psycho-Physiognomie verbindet den Körper mit der Seele. Das bedeutet, dass es mit Hilfe seines Systems möglich sein soll, auch Seelenzustände aus dem Gesicht abzulesen. Die drei Naturelle kommen nicht oder zumindest nur sehr selten in reiner Form vor, sondern treten in vielfältigen Mischformen auf.
Bekannt für seine Gesichtsdiagnose ist auch der Arzt Dr. Wilhelm Heinrich Schüßler, der Begründer der Schüßler-Salz-Therapie. Er beschreibt die Anwendung der einzelnen Schüßler-Salze nach bestimmten Zeichen, Farbveränderungen und Formen des Gesichtes.
In der Neuzeit wurde Natale Ferronato mit der Physiognomie sehr berühmt. Natale Ferronato wurde 1925 in Italien geboren. Da seine Mutter Krankenschwester war, wurde er schon in frühester Kindheit mit kranken Menschen konfrontiert. Er bemerkte bereits als kleiner Junge die Zusammenhänge zwischen Krankheiten und bestimmten Verfärbungen der Gesichtshaut der betroffenen Patienten. In seinem Leben beschäftigte er sich immer wieder intensiv mit der Naturheilkunde und betrieb Forschungen in Bezug auf die Gesichtsdiagnose. Er stellte ein System auf, das das Gesicht in verschiedene Zonen aufteilt, in denen sich zum Beispiel Stoffwechselstörungen oder Organprobleme zeigen. Natale Ferronato gründete 1993 eine Heilpraktikerschule, in der er vor allem die Physiognomie lehrte. An seinen Seminaren nahmen nicht nur Naturheilkundige, sondern auch Hunderte von Ärztinnen und Ärzten teil.
Ablauf einer Gesichtsdiagnose
Die Gesichtsdiagnose erfordert gründliche Kenntnisse der Anatomie und Pathophysiologie. Ohne ein zusätzliches Hilfsmittel wird das Gesicht des Patienten genau betrachtet. Eventuell werden die Beobachtungen auf ein spezielles Diagnoseblatt übertragen, das die verschiedenen Gesichtszonen abbildet.
Das Gesicht ist in verschiedene Reflexzonen eingeteilt, was hauptsächlich auf die Theorie von Natale Ferronato zurückgeht. Das bedeutet, dass jeder Teil des Gesichts ihm zufolge über Nervenbahnen einem bestimmten Organ oder einem Organsystem zugeordnet ist. So wird das Gesicht genau betrachtet. Dabei werden auffällige Färbungen, Schwellungen, Flecken, Falten, Muttermale oder Unreinheiten der Haut in den verschiedenen Zonen detailliert aufgenommen. Daraus ergibt sich dann ein Gesamtbild.
Als Hinweisdiagnose soll die Gesichtsdiagnose dem Therapeuten oder der Therapeutin einen Hinweis auf chronische oder akute Erkrankungen geben. Auch die Vorboten bestimmter Krankheiten können sich laut Vertreterinnen und Vertreter dieser Diagnosetechnik im Gesicht ankündigen. Je nachdem, welcher Therapieansatz genutzt wird, können aus dem Gesicht zudem Rückschlüsse auf die psychische Verfassung gezogen werden. Zur Ergänzung beziehungsweise Absicherung der durch eine Gesichtsdiagnose gewonnenen Hinweise dienen Laboruntersuchungen, körperliche Untersuchungen und eine ausführliche Anamnese.
Gesichtszonen in der Gesichtsdiagnose
Natale Ferronato und andere haben ein Modell entwickelt, nach dem das Gesicht in verschiedene Zonen eingeteilt wird. Treten Auffälligkeiten in einer bestimmten Zone auf, kann dies laut Theorie der Gesichtsdiagnose Hinweise auf akute oder chronische Krankheiten geben sowie Vorboten gesundheitlicher Probleme aufzeigen.
Bei der Nase werden Größe, Form und Farbe beurteilt. Die Falten neben der Nase, die sogenannten Nasolabialfalten, wenn beidseitig ausgeprägt, sprechen anhand dieser Theorie für eine Neigung zu Magenproblemen.
Unter den Augen soll sich die Nierenzone befinden. Schwellungen an dieser Stelle sprechen laut Ferronato für eine Nierenbelastung.
Die oberen Augenlider hingegen sollen zum Beispiel ein ausgeprägtes Schlafbedürfnis oder einfach generelle Nervenbelastung anzeigen.
Die Augenbrauen befinden sich nach Ferronato in der Bezugszone der Hormone. So sollen zum Beispiel buschige Augenbrauen für einen guten Hormonhaushalt sprechen.
Die Wangenpartie stellt laut Ferronato die Herzzone dar. Eingefallene Wangen können jedoch auch ein Zeichen für Probleme von Magen und Bauchspeicheldrüse sein. Aufgedunsene Wangen sind ein möglicher Hinweis darauf, dass die Nahrung zu viel Eiweiß oder Fett enthält.
Bei der Stirn unterscheidet man nach Ferronato die Verschiedenartigkeit der Faltenanordnungen. So sollen senkrechte und waagrechte Falten, wenn sie zusammen vorkommen, zum Beispiel auf eine geschwächte Leber hindeuten.
Die Schläfen sollen darüber Auskunft geben, wie belastbar die Person momentan ist, ob sie eventuell sehr erschöpft ist, sich gut erholen kann oder einen massiven Substanzverlust in sich trägt.
Beim Mund wird auch die Größe ins Kalkül gezogen, ebenso die Farbe und Form der Lippen, die beispielsweise auf eine Darmerkrankung hinweisen kann. Verfärbungen um den Mund herum, beispielsweise in der Farbe Gelb, lassen nach Ferronato an Erkrankungen der Leber und Galle denken. Direkt neben den Mundwinkeln liegen Reflexzonen, die den Zustand des Magens anzeigen sollen.
Rosafarbene oder rote Färbungen im Kinnbereich können nach Ferronato Hinweise auf Toxinablagerungen im Knochenmark sein.
Zu den einzelnen Merkmalen des Gesichts muss noch die Haut als Ganzes betrachtet werden. Blässe, Gelbfärbung, Röte, seidenartige Haut, kühle oder heiße Haut, ebenso wie Verfärbungen an bestimmten Stellen, schuppige, fettige oder trockene Haut sowie Unreinheiten sind nur einige der vielen Merkmale, die bei einer Gesichtsdiagnose berücksichtigt werden.
Hinweis
Um die im Rahmen einer Gesichtsdiagnose erhaltenen Hinweise auf den gesundheitlichen Zustand richtig einordnen zu können, bedarf es neben einer soliden Kenntnis der verschiedenen gesichtsdiagnostischen Theorien einer medizinischen Ausbildung. Neben Medizinerinnen und Medizinern haben auch staatlich geprüfte Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker in Deutschland ein umfassendes Wissen über den menschlichen Körper sowie über Krankheiten. Dennoch sollten Sie die gestellten Diagnosen gegebenenfalls durch Blutanalysen und weitere zur Abklärung nötige Untersuchungen absichern lassen. (sw, kh)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Bierbach, Elvira (Hrsg.): Naturheilpraxis heute. Lehrbuch und Atlas. Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, München, 4. Auflage 2009.
- Bergquist, Elisa (2019): Applied Chinese facial diagnosis: Three case studies; in Journal of Chinese Medicine. 33-46, ResearchGate
- Bridges, Lillian Pearl. (2012). The clinical application of facial diagnosis. 15-20, ResearchGate
Wichtiger Hinweis:
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