Kieselerde kennzeichnet heute in der Regel Silicea terra aus versteinerten Kieselalgen. Die Hüllen dieser Algen enthalten Silizium und deshalb bleiben sie nach dem Tod der Pflanze erhalten. Die Bezeichnung ist jedoch nicht klar abgegrenzt: Ursprünglich war Kieselerde ein Sammelbegriff für Mineralien, die viel Silizium enthalten.
Inhaltsverzeichnis
Kieselerde – Kurzübersicht
Was ist Kieselerde? Als Kieselerde (Silicea terra) werden Mineralien oder Meeresablagerungen bezeichnet, die viel Silizium enthalten. Erhältlich ist sie als Nahrungsergänzungsmittel oder traditionelle Arznei in Form von Pulver, Kapseln oder Tabletten. Wogegen soll Kieselerde helfen?
Kieselerde als Wellness-Produkt
Heute dient Kieselerde vor allem als Wellness-Produkt. Die Anbieter preisen es als „Allheilmittel“ gegen brüchige Nägel, splissige Haare und um das Bindegewebe zu straffen.
Warum soll Kieselerde auf Nägel, Haare oder Bindegewebe einwirken? Die plausible Idee: Unser Körper enthält Silizium – vor allem in Knorpeln, Knochen und Bindegewebe, in der Haut und in den Zähnen.
Außerdem stellt der Körper Silizium nicht selbst her. Es ist also unabdingbar, den Stoff von außen zuzuführen, um den Aufbau der Knochen zu stärken, und das Bindegewebe zu straffen.
Dies erfolgt über Nahrungsmittel: Gerste, Hafer, Kartoffeln, Steckrüben, Karotten oder Bier enthalten zum Beispiel Silizium.
Ist zusätzliches Silizium als Kieselerde-Präparat sinnvoll? Ist es notwendig? Oder schädigt es sogar den Organismus?
Wie kommt der Körper an Silizium?
Wir können Silizium in niedrigen Dosen gut verarbeiten und führen uns die notwendigen Mengen durch „normale“ Lebensmittel zu. Die Food and Drug Adminstration (FDA) in den USA fand heraus, dass Amerikaner 55 % ihres zugeführten Siliziums über Getränke wie Kaffee, Tee und Bier einnehmen, 14 % über Getreideprodukte und 8 % über Gemüse. In tierischen Produkten ist der Stoff hingegen kaum enthalten.
Englische Wissenschaftler fanden die höchsten Konzentrationen von Silizium in wenig verarbeitetem Getreide und Produkten auf Hafer-Basis. Bohnen, Spinat, getrocknete Datteln, Bananen, Ananas und Mango enthalten ebenfalls viel Silizium, und Leitungswasser (in GB) immerhin noch zweieinhalb Milligramm pro Liter. Auch rote Beete, Kartoffeln und Zwiebeln liefern Silizium.
Bei Lebensmitteln mit Siliziumanteil git: Je näher sie am Rohzustand sind, umso besser. Je mehr sie nämlich verarbeitet werden, umso weniger Silizium bleibt. Unser Körper enthält gewöhnlich um die 20 Milligramm Silizium pro Kilogramm Körpergewicht.
Wie viel Silizium verträgt der Körper?
Bisherige Studien sind unzureichend, um die tolerable Menge von Silizium zu bestimmen, die gesunde Menschen dem Körper zuführen können, ohne ihn zu schädigen, so die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).
Durch die Nahrung aufgenommenes Silizium führt offensichtlich nicht zu Problemen. Anders sieht es beim Einatmen aus: Hoch konzentrierte Siliziumverbindungen in der Atemluft über einen langen Zeitraum können eine Silikose auslösen – gemeinhin als Staublunge bekannt.
Siliziumpräparate
Kieselerde, also Präparate, die Silizium enthalten, sind in diversen Varianten auf dem Markt. Sie sollen das Haar in vollem Glanz erstrahlen lassen, die Nägel stärken und die Knochen härten.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hält diese Wirkungen jedoch für „nicht hinreichend gesichert“. Wer Kieselerde als Nahrungsmittelergänzung verkauft, darf deshalb nicht mit den medizinischen Versprechen werben.
Eine Ausnahme sind lediglich Kieselerden, die als traditionelle Arzneimittel in den Handel kommen. Die erhalten die Aufschrift: „Traditionell angewendet zur Vorbeugung von brüchigen Fingernägeln und Haaren, zur Kräftigung des Bindegewebes. Diese Angaben beruhen ausschließlich auf Überlieferung und langjähriger Erfahrung.“
2007 fand die Bundesanstalt für Materialforschung heraus, dass neun von zehn untersuchten Nahrungsergänzungsmitteln mit „Kieselerde“ kristalline Siliciumoxide enthielten, also Quarz und Cristobalit. Die zählen als Feinstoffe in der Industrie zu den gefährlichen Substanzen.
Wenn wir Quartz als Nahrungsergänzung schlucken, könnten wir auch Sand essen. Quartzsand besteht nämlich vor allem aus Quartz.
Der Arzt und Herausgeber der Fachzeitschrift “arznei-telegramm”, Wolfgang Becker-Brüser, sieht die Präparate kritisch. Er kritisiert, dass Kieselerde mit vielen Versprechungen auf den Markt gebracht werde, die nicht gehalten werden können.
Zudem wirke es bei langer Anwendung potenziell nierenschädigend und es gebe daher in der Regel keine Veranlassung, Kieselsäure zu schlucken und dafür auch noch viel Geld auszugeben. Den Kritikern stehen die Befürworter gegenüber.
Ihnen zufolge ist Silizium nicht schädlich, weil es im Körper vorkommt. Belegt ist heute, dass zu viel Silizium in Nahrungsergänzungsmitteln auf lange Sicht zu Harn- und Nierensteinen führen kann.
Verbrauchertäuschung?
Öko-Test prüfte 18 Nahrungsergänzungsmittel und zwei traditionelle Medikamente mit Kieselerde. Das Versprechen war immer das Gleiche: Straffe Haut und glänzende Haare, schöne Nägel und festes Bindegewebe.
Das Ergebnis war ernüchternd: Alle geprüften Präparate erhielten ein mangelhaft oder ungenügend. Die Medikamente werteten die Prüfer gleich um vier Noten ab, weil sie keine therapeutisch belegte Wirkung hatten und deshalb keine Arzneimittel sind. Ist Silizium notwendig?
Essentielle Stoffe sind chemische Elemente und Verbindungen, die unser Körper zum Leben braucht und nicht selbst produzieren kann. Dazu gehören neben Amino- wie Fettsäuren, Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente.
Die essentiellen Mineralstoffe sind Calcium, Chlor, Kalium, Magnesium, Natrium, Phosphor und Schwefel, die unabdingbaren Spurenelemente Cobalt, Eisen, Jod, Kupfer, Mangan, Molybdän, Selen und Zink. Ob Silizium zu den essentiellen Spurenelementen ist umstritten.
Silizium kommt in allen Bindegeweben vor, in den Blutgefäßen, der Haut und den Haaren ebenso wie in den Knochen. Tierexperimente deuten darauf hin, dass zugeführtes Silizium sich positiv auf den tierlichen Knochenaufbau auswirkt.
Eine amerikanische Studie mit 2847 Probanden lässt vermuten, dass sich eine tägliche Einnahme von mehr als 40 mg Silizium auch positiv auf die menschliche Knochendichte auswirkt und möglicherweise vor Osteoporose schützt. In weiteren Studien wurde die Bedeutung des Siliziums für Knochenaufbau und Knochendichte bestäigt.
Ebenso deutet eine Studie an Alzheimer-Patienten darauf hin, dass Mineralwasser mit einem hohen Anteil an Silizium den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen könnte. Drei von 15 Probanden verbesserten ihre kognitiven Leistungen. Zudem wird vermutet, dass Silizium die Wirkung von Aluminium im Gehirn und damit auch das Alzheimer-Risiko reduziert.
Wohlgemerkt: Es geht, ganz vorsichtig, um Vermutungen und Möglichkeiten, die sich erst durch weitere Studien verifizieren lassen.
Bei diesen Studien spielten aber Nahrungsergänzungsmittel mit Kieselsäure keine Rolle. Im Klartext heißt das: Es gibt Hinweise darauf, dass eine verstärkte Einnahme von Silizium positive Auswirkungen haben könnte.
Nahrungsergänzungsmittel wurden nicht getestet, und um sich beispielsweise 40 mg Silizium zuzuführen, bedarf es keiner Präparate: Hafer und Hirse enthalten jeweils mehr als 400 mg des Stoffes pro Kilo. Zwei Teller Haferflocken und dazu einige Gläser siliziumreiches Mineralwasser überschreiten locker die Menge von 40 mg.
Bei Mischkost nehmen wir circa 20 bis 50mg Silizium pro Tag auf, bei vegetarischer Vollwertkost bis zu 150 mg. Wer Kartoffeln, Hirse und Weizen als Basis nimmt, dazu Petersilie als Gewürzkraut, Blumenkohl hinzu gibt oder Spinat und sich zwischendurch einen Teller Erdbeeren, Weintrauben und Birnen gönnt, ist mit Silizium gut bedient.
Ist Silizium ungefährlich?
Silizium ist weit verbreitet, 25 % der Erdkruste besteht daraus, häufiger ist lediglich Sauerstoff. Silizium ist in Quarz, Sand, Steinen oder Kieselsäure.
Silikate sind Silizium-Sauerstoffverbindungen, diese finden sich in Keramik, Beton oder Glas. Siliziumverbindungen sind nicht immer ohne Gefahr: Zum Beispiel ist Asbest ein Silikat in sehr feinen Fasern.
Diese isolieren ausgezeichnet und halten Feuer stand, haben aber den unangenehmen Nebeneffekt, dass sie eingeatmet Lungenkrankheiten und sogar Lungenkrebs verursachen. Ebenso kann Feinstaub aus Silikaten zur „Staublunge“ führen.
Was tun?
Wenn Sie brüchige Haare oder trockene Haut haben, klären Sie mit Ihrer Ärztin bzw. Ihrem Arzt die Ursachen. Wollen Sie ihre Ernährung so einstellen, dass diese spröden Haaren und rissigen Nägeln entgegen wirkt, sollten Sie nicht auf Silizium achten, sondern auf Biotin, Folsäure und Zink.
Ein Mangel an diesen drei Substanzen führt nachgewiesen dazu, dass Haare, Haut und Nägel leiden. Diese Elemente sind verstärkt vorhanden in Vollkornkost, Hülsenfrüchten, Eiern und Nüssen.
Ein Präszendenzfall
Das österreichische Verwaltungsgericht entschied am 4. 9. 1995, folgende Aufschrift sei nicht als gesundheitsbezogene Angabe im Sinne des § 9 LMG 1975 zu bewerten: „Silicium, enthalten in Kieselsäure und Calcium sind essentielle Bestandteile von Haaren, Zähnen, Nägeln, Knochen, Haut- und Bindegewerbe”.
Die Beschwerdeführerin hatte ein Produkt namens „Kieselerde Forte-Kapseln“ auf den Markt gebracht.
Das Gericht ließ außerdem folgende Aussage nicht zu: „Die Kieselerde ist ein reines Naturprodukt (Panzer von Kieselalgen = Diatomeen) das vor Urzeiten entstanden ist. Sie besteht im wesentlichen aus Kieselsäure und enthält Silicium. Silicium ist ein essentieller Bestandteil von Haaren, Zähnen, Nägeln, Knochen, Haut- und Bindegewebe.“
Der Amtssachverständige erklärte, ein Element sei essentiell, wenn eine Mangelversorgung im Organismus eine Mangelerscheinung hervorrufe, und diese Mangelerscheinung durch Zufuhr physiologischer Konzentrationen des Elements rückgängig gemacht werden könne. Damit sei Silizium für den menschlichen Organismus nicht essentiell, denn es gäbe keine nachgewiesenen Mangelerscheinungen.
„Silicium ist ein essentieller Bestandteil von Haaren, Zähnen, Nägeln, Knochen, Haut- und Bindegewebe“ sei als Aussage mit dem Verbraucherschutz vor Täuschung nicht vereinbar.
Nierenschäden?
Der Pharmakologe Gerd Glaeske sieht in solchen Präparaten sogar eine Gefahr, denn wer dauerhaft Quarz in hohen Dosen zu sich nähme, könnte Nierenschäden erleiden. Glaeske hält Kieselerde generell für ein Placebo, die Präparate für Verbrauchertäuschung und fordert, sie vom Markt zu nehmen.
Siliziummangel?
Ein Mangel an einem Stoff kann es im Körper nur dann geben, wenn dieser im Organismus eine Rolle spielt. In der medizinischen Fachliteratur gibt es das Phänomen Siliziummangel nicht.
Ob Silizium im Körper eine Funktion hat oder es nutzlos ist, bleibt in der Medizin bisher unbekannt. Deswegen gibt es auch keine wissenschaftlichen Empfehlungen für eine Mindestmenge.
Dass Silizium sich in Haaren, Nägeln und Haut findet, bedeutet nicht im Umkehrschluss, dass wir dieses Spurenelement zu uns nehmen müssen. Theoretisch wäre es zwar denkbar, dass der Stoff eine Aufgabe hat.
Logischer ist es aber, dass wir Silizium ohne Zweck im Körper sammeln, weil wir es mit der Nahrung aufnehmen: Silizium löst sich leicht im Wasser und ist in unseren Grundnahrungsmitteln reichlich enthalten.
Übrigens: Selbst wenn es eine biologische Funktion hätte, bräuchten wir keine Nahrungsergänzung, sondern müssten nur viel Wasser trinken und Brot essen.
Keine validen Studien
Bisher liegen nur sehr wenige klinische Studien zur Wirkung von Silizium auf die Knochen vor, und diese lassen im Dunkeln, ob Silizium sich überhaupt auf die Knochendichte, Haarstruktur oder Fingernägel auswirkt. Zwei randomisierte Studien sollten zeigen, ob Kieselsäure die Knochendichte alter Frauen verbessert.
Die Wissenschaftler untersuchten dazu 184 Frauen nach den Wechseljahren mit niedriger Knochendichte. Drei von vier nahmen ein Jahr Präparate mit cholin-stabilisierter Kieselsäure ein, jede vierte bekam ein Pseudopräparat. Das Ergebnis: Es gab keinen Unterschied in der Knochendichte zwischen Versuchs- und Vergleichsgruppe.
Die zweite Studie umfasste lediglich 17 Teilnehmerinnen, die drei Monate Mineralwasser mit viel bzw. wenig Kieselsäure tranken. Die Studie war zu kurz und umfasste zu wenig Probandinnen, um eine Aussage über die Veränderung der Knochendichte zu treffen. Man hätte sie auch bleiben lassen können.
Schlussbemerkungen
Ob und wie viel Silizium sich Menschen zuführen sollten, ist ungeklärt. Um die Körperfunktionen aufrecht zu erhalten, ist die Substanz nicht notwendig. Wie sich Silizium genau auf die Knochenbildung und das Bindegewebe auswirkt, ist unklar.
Es gibt ebenso wenig einen Hinweis, dass Silizium in der Nahrung und in Getränken der Gesundheit schadet, wie eine seriöse Vermutung, dass sich Kieselerde als Nahrungsergänzung positiv auf den Körper auswirkt. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Bellés M.; Sánchez D. J.; Gómez, M.; Corbella, J.; Domingo, J. L.: Silicon reduces aluminum accumulation in rats: relevance to the aluminum hypothesis of Alzheimer disease.; in: Alzheimer Disease & Associated Disorders, Volume 12, Issue 2, Juni 1998, PubMed
- Gillette Guyonnet, S.; Andrieu, S.; Vellas, B.: The potential influence of silica present in drinking water on Alzheimer`s disease and associated disorders; in: Journal of Nutrition, Health & Aging, 2007, PubMed
- Lidiane Advincula de Araújo, Flavia Addor, Patrícia Maria Berardo Gonçalves Maia Campos: Use of silicon for skin and hair care: an approach of chemical forms available and efficacy; in: Anais Brasileiros de Dermatologia, Volume 91, No. 3, 2016, scielo.br
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- J. Naumann: Prävention mit Silizium aus Nahrung, Wasser und Supplementen: ein kritischer Review der Literatur; in: Aktuelle Ernährungsmedizin, Volume 40, Issue 05, Seite 330-334; Georg Thieme Verlag, 2015, thieme-connect.com
- Gerold Holzer, Lukas A. Holzer:Silizium und seine Bedeutung für den Knochenstoffwechsel; in: Schweizerische Zeitschrift für Ernährungsmedizin (veröffentlicht 08.01.2011), rosenfluh.ch
Wichtiger Hinweis:
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