Kinder und Jugendtherapeuten schätzen, dass rund zehn Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland an dem Fingernägelkauen Syndrom leiden. Oft verbieten Eltern unter Androhung von Sanktionen ihren Kindern das Kauen der Fingernägel und verschlimmern so unter Umständen das Problem.
Besser ist, wenn Eltern und Erzieher nach den Ursachen forschen und konstruktive Bewältigungsstrategien dem Kind aufzeigen. Denn das Kauen der Finger ist vielmals ein emotionales Ventil.
Inhaltsverzeichnis
Onychophagie: Die wichtigsten Fakten
Fingernägel kauen ist eine verbreitete Verhaltensstörung, die oft stressbedingt ist und körperliche sowie psychische Folgen haben kann. Hier ein kurzer Überblick zum Beschwerdebild:
- Verbreitung: Onychophagie ist besonders häufig unter Kindern und Jugendlichen verbreitet.
- Psychologische Aspekte: Es handelt sich um ein emotionales Ventil und kann mit innerer Unruhe oder Anspannung verbunden sein.
- Begleitbeschwerden: Zu den körperlichen Folgen gehören unter anderem Schäden an Fingern, Nägeln, Nagelhaut, Mundverletzungen und Zahnprobleme.
- Ursprung: Das Kauen kann bereits im Kleinkindalter beginnen.
- Auslöser: Stress, Ärger und soziale Faktoren können das Kauen auslösen.
- Behandlungsansätze: Einbeziehung von Eltern, Schulen und Fachkräften sowie Stressabbau und Entspannungstechniken.
- Präventive Maßnahmen: Beobachtung und konstruktive Strategien anstatt Bestrafung.
- Therapiemöglichkeiten: In schweren Fällen kann eine Verhaltenstherapie erforderlich sein.
- Hilfsmittel: Bitterer Nagellack, Stressbälle oder andere Tätigkeiten zur Ablenkung.
- Langfristige Effekte: Chronisches Nägelkauen kann langfristige Schäden verursachen.
Nicht nur Kinder und Jugendliche kauen an ihren Fingernägeln. Auch bei Erwachsenen kann das Phänomen häufig beobachtet werden. Meist kauen die Betroffenen aufgrund einer inneren Unruhe oder Anspannung an den Nägeln und stehen unter einem permanenten Stress. Manchmal sind es aber auch banale Ursachen wie „Langweile“.
Eltern sollten aber auf das Herumkauen der Nägel nicht mit Strafen und Sanktionen reagieren. Vielmehr ist es wichtig nach den Ursachen zu forschen und den Kindern Verständnis entgegen zubringen. Strafen hingegen sind vollkommen kontraindiziert, sie können unter Umständen noch mehr Stress für den Betroffenen erzeugen und damit das Fingernägel-kauen verstärken.
Begleitbeschwerden
Das Fingernägelkauen gehört zu den körperbezogenen Verhaltensstörungen. Nicht selten gesellen sich zu dem Kauen der Nägel auch andere Verhaltensauffälligkeiten wie Haareziehen oder Skin Picking. Die Symptome sind sowohl psychologischer als auch physischer Natur.
Personen, die chronisch an den Nägel kauen leiden häufig auch unter:
- belastenden Gefühlen von Unbehagen oder Spannung,
- Erleichterung oder Vergnügen nach dem Fingernägelkauen,
- Gefühlen von Scham, Verlegenheit oder Schuld,
- Gewebeschäden an Fingern, Nägeln und Nagelhaut,
- Mundverletzungen,
- Zahnproblemen,
- Abszessen,
- Infektionen.
Fingernägelkauen entsteht in früher Kindheit
Der Grundstein für die Störung wird meistens im Kleinkindalter gelegt. In den ersten Lebensjahren ist die orale Fixierung (Orale Phase) noch sehr ausgeprägt. In Stresssituationen neigen manche Kinder dazu, an ihren Nägeln zu kauen, um einen Ausgleich zu finden.
Was zunächst als harmloses Kauen beginnt, kann später zu einer ritualisierten Handlung in stressige Momenten werden. In der konventionellen Medizin wird das Nägel-kauen auch “Onychophagie” genannt.
“In vielen Fällen ist das Nagelkauen eine harmlose und zeit-begrenzte Angewohnheit, die sich von alleine wieder legt”, erklärte unlängst Ulrich Gerth, Vorsitzender der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (Bke) in Mainz.
“Wichtig ist, dass Eltern nicht gleich unruhig werden, wenn die Kinder Nägel kauen.” Bevor bei ersten Anzeichen zu Gegenstrategien gegriffen wird, sollten Eltern und Erzieher zunächst das Verhalten der Kinder beobachten. Dabei sollten sich die Beobachter folgende Fragen stellen: Wann kaut das Kind an den Nägeln, in welchen Zeiträumen und in welchen konkreten Situationen?
Nägel-Kauen ist eine Ausgleichsstrategie für Stress und Ärger
Die tatsächlichen Ursachen für das Nägelkauen können sehr vielfältig sein. Vielmals liegt eine innere Anspannung vor. Manchmal steckt hinter dem Kauen auch ein mangelndes Selbstbewusstsein. Andere Gründe sind eher akut und sind meist im sozialen Umfeld des Kindes zu finden.
Neuere Studien belegen, dass beinahe jedes zweite Kind in Deutschland unter Schulstress leidet. Schulprobleme, Notenstress und Mobbing durch Mitschüler könnten ebenfalls eine Hauptursache darstellen. Kinder kauen an den Fingern und lenken sich so vom Ärger und Stress ab. Sie bringen sich auf andere Gedanken. Zudem bewirkt das Kauen eine Entlastung und baut die innere Unruhe ab.
Nägelkauen gemeinsam abstellen
Hält das Kauen eine längere Zeit an, sollten Eltern mit der Schule und den Sozialarbeitern in Kontakt treten. Wenn deutlich wird, dass das Kind akute seelische Probleme hat, sollten Eltern das Gespräch mit ihrem Kind suchen.
In dem Gespräch sollte es nicht um das Kauen als solches gehen, sondern über die ursächliche Probleme des Kindes. Am Besten ist es, wenn Eltern gemeinsam mit dem Kind versuchen, eine geeignete Lösungsstrategie zu entwickeln.
Lassen die Probleme nach, fällt es den Kindern auch leichter mit dem Nägelkauen aufzuhören. Auf keinen Fall sollten Kinder dabei unter Druck gesetzt werden. Hausarrest oder Fernsehverbot sind völlig falsche Ansätze und versetzen Kinder wieder in weitere Stresssituationen. Besser ist ein Belohnungssystem.
Für jede Woche ohne Fingernagelkauen kann es zum Beispiel eine kleine Aufmerksamkeit geben. Das kann ein Eis oder ein gemeinsamer Kinobesuch sein. Auch ein spielerischer Umgang ist empfehlenswert. Pflegen Sie die Nägel Ihres Kindes mit einem Bad oder einer tollen Creme”, empfiehlt Gerth.
Wenn wieder ein Millimeter Fingernagel dazu gekommen ist, sollte das Kind Lob und Anerkennung erfahren. In besonderes schweren Fällen kauen Kinder allerdings die Fingernägel bis aufs eigene Fleisch herunter. Spätestens dann ist eine ambulante Therapie bei einem niedergelassenen Kinder- und Jugendtherapeuten erforderlich.
Maßnahmen gegen chronisches Nägelkauen
In manchen Fällen kann eine Verhaltenstherapie erforderlich sein. Maßnahmen, die helfen können, sind zum Beispiel
- Stressabbau durch Entspannungsmethoden,
- Angstbewältigung,
- Nägel sauber und kurz halten,
- Hände und Mund beschäftigen (z.B. Kaugummi kauen oder Musikinstrument spielen),
- bitteren Lack auf die Nägel auftragen,
- Reiz zum Kauen durch eine andere Tätigkeit unterdrücken (z.B. einen Stressball kneten).
Risiken beim Nagelkauen
Die Nägel werden im Nagelbett gebildet. Solange dieses intakt bleibt, ist es unwahrscheinlich, dass das Nägelkauen bleibende Schäden an den Fingernägeln hinterlässt. Dennoch gehen mit dem ständigen Kauen an den Nägeln mehrere Gesundheitsrisiken einher.
So werden beispielsweise durch das Kauen kleine Hautverletzungen verursacht, durch die Krankheitserreger eindringen können. Gleichzeitig werden die Hände oft zum Mund geführt, wodurch Bakterien und Viren von den Fingern in den Mund gelangen.
Insgesamt steigt dadurch das Infektionskrankheiten-Risiko. Darüber hinaus können bleibende Schäden an den Zähnen entstehen. (sb, vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- American Academy of Dermatology: How to stop biting your nails (Abruf: 27.09.2019), aad.org
- Pierre Halteh,Richard K. Scher, Shari R. Lipner: Onychophagia: A nail-biting conundrum for physicians, Journal of Dermatological Treatment, 2017, Volume 28, Issue 2, tandfonline.com
- Lawrence E. Gibson: Does nail biting cause any long-term nail damage? Mayo Clinic (Abruf: 27.09.2019), mayoclinic.org
- Archana Singal, Deepashree Daulatabad: Nail tic disorders: Manifestations, pathogenesis and management, Indian Journal of Dermatology, Venereology and Leprology, 2017, http://www.ijdvl.com
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.