Glück – Lässt es sich trainieren?
Glück hat im Deutschen zwei Bedeutungen, nämlich Glück zu haben und Glück zu empfinden. In diesem Artikel geht es das Gefühl und Empfinden sowie über die Möglichkeit, Glück zu trainieren.
Inhaltsverzeichnis
Glück haben
Dieses Glück entspricht einem Zufall oder einer metaphysischen Kraft. Es handelt sich um ein Ereignis, das wir nicht willentlich beeinflussen: Wir sitzen in einem Café, in dem eine Bombe einschlägt, unseren Tischnachbarn sofort tötet, und wir bleiben unverletzt.
Der Ursprung des Wortes verweist auf den äußeren Charakter. Gelücke bedeutete im mittelhochdeutschen, dass ein Ereignis gut ausgeht. Die Betroffenen leisteten dazu keinen eigenen Beitrag.
Glück fühlen
„Es gibt nur einen Weg zum Glück und der bedeutet, aufzuhören mit der Sorge um Dinge, die jenseits der Grenzen unseres Einflussvermögens liegen.“ Epikur von Samos
Das Glücksempfinden bezeichnet hingegen einen Zustand, in dem wir uns wohl fühlen. Dabei geht es ausdrücklich nicht um objektive Umstände, sondern um unsere subjektive Wahrnehmung. Dieses Empfinden kann von kurzer Dauer sein, zum Beispiel nach einer bestandenen Prüfung, wenn wir mit Freunden am See setzen oder uns gut mit unserem Partner verstehen.
Glücklich sein entspricht hingegen einem dauerhaften Zustand, in dem wir uns mit unserem Leben wohl fühlen und besonders viele Glücksmomente erleben.
Die Briten unterscheiden zwischen Luck und Happiness. Luck entspricht dabei dem Glück haben, Happiness dem subjektiven Empfinden.
Glücklich sein
Für dauerhaftes Glücklich sein gibt es keine Zauberformel. Menschen, die von sich sagen, sie wären glücklich, zeichnen sich aber durch bestimmte Eigenschaften aus: Sie finden einen Sinn in ihrem Leben, sie fühlen sich in ihrer Gemeinschaft wohl; sie haben ein starkes Selbstwertgefühl und leben weitgehend selbst bestimmt. Sie sind mit sich selbst mehr oder weniger im reinen und finden die Balance zwischen Aktion und Entspannung; sie integrieren vergangene Erfahrungen mit der Lust auf Neues.
Der Soziologe Gerhard Schulze unterschied zwischen Glück als der Freiheit von Leid und Mangel und Glück als dem schönen Leben. Dabei ist die Freiheit von Mangel die Voraussetzung, um zum schönen Leben zu kommen. Der antike Philosoph Epikur formulierte: „Wenn du einen Menschen glücklich machen willst, dann füge nichts seinen Reichtümern hinzu, sondern nimm ihm einige von seinen Wünschen.“
Das schöne Erleben erreichen Menschen demnach am besten dann, wenn sie nicht mehr ständig Dingen hinterher jagen, die sie nicht erreichen können.
Was sagt die Neurobiologie?
Glück gilt einerseits als metaphysisch, andererseits beschäftigt es die Philosophie und Pädagogik, die Soziologie, Psychologie und Politik. Doch auch die Neurobiologie trägt einiges zur Glücksforschung bei.
Es mag mache befremden, ein so „mystisches Gefühl“ wie Glück durch nüchterne Naturwissenschaft zu erklären, aber inzwischen wissen wir einiges darüber, wie unser Gehirn Emotionen steuert – positive wie negative.
Dafür sind vor allem das limbische System und die Großhirnrinde hinter der Stirn verantwortlich. Die Schaltstellen im Gehirn funktionieren als „Belohnungs-System“.
Sie schütten Botenstoffe aus, im Fachjargon Neurotransmitter, darunter auch solche, die Glücksgefühle auslösen. Das gilt insbesondere für das Dopamin, körpereigene Opioide und Cannanbinoide. Unser Botenstoffwechsel produziert also genau die Drogen, die sich Konsumenten über den Genuss von Morphinen, Marihuana und Haschisch zuführen.
Mit langfristigen Glückszuständen haben aber weder körpereigene Drogen noch zugeführte Substanzen etwas zu tun. Eine „Überdosierung“ hat jeweils ähnliche Folgen. Das Gehirn sorgt zwar kurzfristig für Belohnung in Form von Wohlgefühl, danach fühlen sich die Betroffenen aber rapide schlecht.
Die Gehirnbahnen gewöhnen sich an den Stoff, das Wohlgefühl verschwindet, doch die Sucht nach dem Stoff bleibt. Von Junkies kennen wir das, weniger bekannt ist hingegen, dass auch Extremsportler ähnliche Probleme haben. Wenn „Sportsüchtige“ ihr Training nicht mehr absolvieren können, leiden auch sie unter Entzugserscheinungen.
Wir können die Botenstoffe in Dosen aktivieren, wenn wir uns Dingen hingeben, die uns inspirieren: Malen, schöne Musik hören, in der Natur wandern oder gute Gespräche mit Mitmenschen.
Die Hirnforschung sieht Endorphine, Oxytocin, Dopamin und Serotonin als Glücksstoffe an. Das Gehirn schüttet diese Substanzen zum Beispiel aus beim Essen, bei Sex oder Sport, aber auch in Phasen der Ruhe.
Der Philosoph Stefan Klein sagt: „Wir verstehen uns als geistige Wesen, fühlen uns von Hoffnungen, Gedanken, Wünschen beseelt, nicht von Chemie. Wenn wir uns verlieben oder stolz unsere Kinder ansehen, können wir dann wirklich glauben, diese Freude am Dasein sei nichts anderes als der Strom einiger Chemikalien im Kopf?“
Doch selbst die Neurobiologen behaupten nicht, dass wir lediglich Sklaven unserer Botenstoffe wären. Soziale Bindungen, eigene Interessen und die Umwelt spielen eine erhebliche Rolle, nicht zuletzt dafür, in welchen Situationen das Gehirn diese Botenstoffe produziert.
Die Neurobiologie gibt indessen eine Erklärung, warum uns Glücksgefühle so „mythisch“ erscheinen, und warum das bewusste Ziel, Glück zu empfinden, auch im Volksmund nicht klappt. Demnach produziert nämlich der Körper die Emotionen, und diese gehen den bewussten Gefühlen in der Großhirnrinde voraus. Das bedeutet: Wir fühlen uns glücklich, bevor wir uns bewusst sind, dass wir Glück empfinden. Das Nervensystem funktioniert unwillkürlich, und deswegen klappt es nicht, wenn wir uns bewusst zwingen, glücklich zu sein.
Das Flow-Gefühl
Alle Menschen kennen ein Gefühl des Fließens. Gedanken, Gefühle und Ideen verschmelzen, wir setzen Dinge um, die in uns schlummern und fühlen uns dabei sehr wohl. Alles erscheint in diesen Momenten richtig.
Wir haben das Gefühl, unsere alltäglichen Grenzen zu überwinden. Flow lässt sich als Glücksgefühl bezeichnen und lässt sich durchaus bewusst herbei führen. Es ist nämlich auch ein Ergebnis harter Arbeit.
Ein Wissenschaftler, den eine neue Entdeckung überwältigt, ein Künstler, der Nächte an einem Bild malt, das immer besser wird, ein Philosoph, der in Bereiche der Erkenntnis vordringt, die ihm zuvor gar nicht bewusst waren – sie alle befinden sich im Glückszustand des Fließens.
Der Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi prägte den Begriff Flow für eine Arbeit, in der ein Mensch vollkommen aufgeht. Flow ist gerade keine Zufriedenheit, die bisweilen mit Glück verwechselt wird, sondern entsteht im Spannungsfeld von Überforderung und Unterforderung.
Wer in diesen Zustand gerät, der leistet etwas, und zwar so viel, wie er es in einem speziellen Gebiet kann. Er muss sich fordern, das Ziel darf nicht mühelos zu erreichen sein, zugleich aber nicht so hoch gesteckt, dass er es nicht erreichen kann.
Im Zustand völliger Konzentration gerät er in den Zustand des Flow, der in eine Trance übergehen kann, wie sie Schamanen durchleben. Das Bewusstsein setzt jetzt Informationen geschmeidig um und durchbricht Grenzen, die den schöpferischen Fluss zuvor lähmten.
Dieses Glücksgefühl löst sich aber nicht von der Handlung des Betroffenen. Csíkszentmihályi schreibt: „Jedes Nachlassen der Konzentration löscht die Erfahrung aus. Doch während sie andauert, arbeitet das Bewusstsein geschmeidig; nahtlos folgen die Tätigkeiten aufeinander.“
Die Betroffenen wachsen über sich hinaus: „Wenn man nicht mit sich selbst befasst ist, hat man die Möglichkeit, die Vorstellung dessen, was man ist, auszuweiten. Der Verlust des Selbstgefühls kann zur Selbsttranszendenz führen, einem Gefühl, dass die Grenzen des Seins ausgedehnt werden können.“
Glück in der Vielfalt
Zufriedenheit bedeutet, nicht mehr zu verlangen als man hat. Eine solche Geisteshaltung ist die Garantie dafür, wenig Glücksmomente zu erleben. Wenn wir nämlich immer das gleiche tun, gibt es für unser Hirn keinen Grund, Botenstoffe zu produzieren.
Unsere Sinne reagieren auf Kontraste. Überraschungen sorgen für Glücksgefühle, allerdings am besten dann, wenn sich neue Erfahrungen an Vertrautes knüpfen: Unbekanntes zu erleben löst bei jedem Menschen den Widerspruch zwischen Neugier und Angst aus.
Wer aus der Alltagsroutine nicht heraus kommt, bezeichnet sich zwar vielleicht als zufrieden, doch das Glücksempfinden bleibt auf der Strecke. Wer ständig ins kalte Wasser springt, sammelt zwar aufregende Momente, die er auch als Glückszustand empfindet, er setzt sich aber auch ständigem Stress aus. Die Mischung sorgt vermutlich dafür, dass die Glücksmomente zunehmen.
Glückstherapien
Lässt sich Glück trainieren? Tatsächlich gibt es verschiedene Glückstherapien, die genau das versuchen. Sie sollen die Glücksgefühle verstärken und vermehren.
Vorsicht ist geboten: Wenn solche Therapien wie das populäre „positive Denken“ die Lebenszusammenhänge, die gesellschaftlichen Verhältnisse und das Gefühlsspektrum ausblenden, in dem Angst, Wut und Hass eben keine Miss-Stände sind, sondern genau so elementar wie Glücksgefühle, dann schaden sie den Betroffenen.
Wer sich subjektiv Glücksmomente „antrainiert“, ohne dass sich seine objektiven Lebensbedingungen verändern, der verleugnet die Realität. Im Ernstfall redet er sich einen miserablen Job schön, kümmert sich nicht mehr um seine Miete „weil schon alles gut gehen wird“ und trennt sich von kritischen Mitmenschen, die ihn bei seinem Weg in die biografische Katastrophe bremsen könnten.
Ungesunde „Glücksgefühle“ kennen Bipolare zur Genüge, die tagelang euphorisch durch die Gegend laufen in der festen Überzeugung, die Welt aus den Angeln zu heben und danach auf dem harten Boden der Depression landen wie ein Heroinsüchtiger, wenn der Rausch nachlässt.
Michael W. Fordyce begründete eine Glückstherapie, die mit esoterischem Verdrängen der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Wer auf der Suche nach dem „schnellen Kick“ ist, wird Fordyces Programm für trocken halten und beiseite legen. Umgekehrt teilt er mit den Gurus des positiven Denkens die Vorstellung, dass „negative Gefühle“ eliminiert werden müssten.
Er entwickelte aber ganz praktische Ansätze, die zumindest eine Voraussetzung dafür sein können, mehr Glücksmomente zu empfinden und auf Dauer glücklicher zu werden.
Die Eckpfeiler sind:
1) Aktivität und Beschäftigung
2) Soziale Beziehungen zu anderen Menschen vertiefen
3) Systematik im Alltag und geplantes Handeln
4) Sorgen um Dinge, die passieren könnten, eindämmen
5) Zugleich aber die Ansprüche und Erwartungen zurück schrauben
6) Sich an der Gegenwart orientieren, nicht an Geschehnissen, die nur als Möglichkeit geschehen könnten und auch nicht an dem, was nicht mehr zu ändern ist.
7) Sich selbst zu akzeptieren
8) Sei so, wie du bist.
9) Enge Beziehungen knüpfen, wenige enge Beziehungen sind besser als viele Bekanntschaften
Ein „Glücksplan“
Glück lässt sich nicht planen, aber wir können Voraussetzungen dafür schaffen, dass es möglich wird
1) Wir führen jeden Tag mindestens eine Tätigkeit in den Alltag ein, die uns Freunde bringt
2) Wir laden Gäste ein und pflegen alte Freundschaften.
3) Wir überlegen, wo wir uns in unserem Beruf glücklich fühlen, und was sich ändern lässt. Wir konzentrieren uns auf die positiven Punkte und setzen die Änderungen in Gang.
4) Wir führen ein Sorgentagebuch und reflektieren, was davon begründet sein könnte. Wir tauschen uns mit Anderen über diese Sorgen aus.
5) Wir prüfen unsere Ziele, Wünsche und Hoffnungen, finden heraus, welche sich realisieren lassen und konzentrieren uns darauf.
6) Wir schmieden konkrete Pläne für die nächsten Wochen, Monate und Jahre.
7) Wir durchdenken Geschehnisse in unserem Leben und finden heraus, was davon positiv war.
8) Wir gestalten diese Woche so positiv wie nur möglich
9) Wir akzeptieren die Seiten unserer Persönlichkeit, die wir als negativ empfinden.
10) Wir beteiligen uns in Vereinen und Organisationen, die unseren Interessen entsprechen. Wir lernen neue Menschen kennen und lächeln die an, die uns begegnen.
11) Wir drücken Gefühle offen aus.
12) Bei schwer wiegenden psychischen Problemen suchen wir professionelle Hilfe auf.
13) Wir verbringen mehr Zeit mit den Menschen, die uns wichtig sind. Wir sprechen Probleme in dern Beziehungen an und versuchen, sie zu lösen.
14) Wir denken intensiv darüber nach, was Glück für uns bedeutet und streben es als Ziel an, dem wir andere unterordnen. Wenn wir erkennen, dass mehr Reichtum uns nicht glücklich macht, wenn wir darüber vergessen, zu leben, dann ist Reichtum nicht das Ziel.
Die Neuseeländer Psycholog_innen Lichter, Hay und Kamann unterscheiden zwischen Überzeugungen, die unser Glück behindern und solchen, die es fördern.
Das Glück behindern demnach Vorstellungen wie
1) Die Akzeptanz und Ablehnung anderer sind für meine Gefühle verantwortlich.
2) Meine Persönlichkeit lässt sich nicht verändern.
3) Ich bin schuldig, an was auch immer.
4) Die Zukunft macht mir Sorgen (ohne objektiven Grund)
5) Andere Menschen machen ständig alles falsch, so dass ich mich aufregen muss.
Das Glück fördern hingegen Einstellungen wie
1) Meine Gefühle gehören mit und gehen auch nur mich etwas an
2) Ich fühle mich in mir selbst gut.
3) Neue Erfahrungen bereiten mit keine Angst.
4) Misserfolge bedeuten nicht, mich selbst zu bestrafen.
5) Ich entscheide, was mir gefällt, nicht Konventionen.
6) Ich handle auf der Basis meiner Gefühle und Einstellungen.
7) Ich genieße die Gegenwart.
Achtsamkeit
Die vorgestellten Glückstherapien gehen einher mit einem Zustand der Achtsamkeit. Ich betrachte die Vorgänge um mich herum genau. Sich einfach treiben zu lassen eignet sich nicht, um mehr Glück zu entwickeln – dazu bedarf es geschärfter Wahrnehmung.
Zuerst einmal gehört dazu Bewusstheit: Ich mache Dinge nicht nur einfach, sondern konzentriere mich auf das, was ich tue.
Ich lasse mich nicht ablenken durch Sorgen über was auch immer, Gefühle, die während meiner Tätigkeit herum spuken oder Gedanken, die sich im Kreis drehen.
Neutralität ist wichtig, denn nur sie lässt Neues hinein. Ich nehme wahr, ohne es automatisch zu bewerten und in die Schubladen meiner „Weltordnung“ zu stecken. Ich sehe mir Geschehnisse der Umwelt erst einmal nur an.
Ich wechsle die Perspektive und versuche, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten als dem, den ich als meinen eigenen ansehe.
Achtsamkeit hängt deshalb so eng mit Glücksempfinden zusammen, weil sie sich nicht auf Bekanntes konzentriert. Wenn wir immer wieder die gleichen Lösungen suchen und den immer gleichen Gewohnheiten nachgehen, werden wir wenig Glück empfinden.
Die Psychologin Ellen langer schreibt: „Achtsamkeit lässt sich am besten erreichen, wenn man von vornherein vermeidet, unachtsam zu sein. Um Unachtsamkeit zu vermeiden, müssen wir uns klar machen, dass die Wahrheit jeder Information von ihrem Kontext abhängt. Wenn wir also etwas wahrnehmen, sollte uns bewusst sein, dass es sich nie um eine absolute Tatsache handelt.“
Das bedeutet auch, unsere Interpretationen nicht auf Unbekanntes stülpen, um uns damit Sicherheit zu verschaffen. Langer fährt fort: „Um achtsam zu bleiben, müssen wir einen gesunden Respekt vor Unsicherheit kultivieren. Um einer Sache achtsam zu begegnen, sollten wir aktiv und bewusst nach Unterschieden suchen. Das tun wir nicht, sobald wir glauben, ein Ding, einen Ort oder einen Menschen bereits in- und auswendig zu kennen. Die Erwartungen von etwas Neuem dagegen hält uns wachsam und achtsam.”
Macht Wohlstand glücklich?
Zwar weiß der Volksmund „Geld allein macht nicht glücklich“, doch in der neoliberalen Propaganda ist materieller Reichtum zur alleinigen Chiffre für Glück geworden.
Empirische Untersuchungen zeigen indessen, dass das Ausmaß des Wohlstands nur wenig über das Glücksempfinden der Menschen aussagt. So sind Menschen in armen Ländern nicht notwendig unglücklich, und die Bewohner der reichen Industriestaaten oft unglücklich.
Umfragen belegen, dass Geld das Wohlbefinden nur bis zu einer gewissen Grenze hebt. Menschen, die materielle Not leiden, nicht wissen, wie sie ihre Miete bezahlen oder ihre Kinder ernähren sollen, fühlen sich erheblich wohler, wenn sie ausreichenden Wohlstand genießen, um diese Probleme nicht mehr zu haben.
Wenn aber ein bestimmtes Niveau an Wohlstand erreicht ist, werden die Menschen mit mehr Reichtum nicht glücklicher – im Gegenteil. Wer sich an seinen Status gewöhnt und seine Ansprüche erhöht, begibt sich in eine Spirale des Unglücklich-Seins.
Er empfindet subjektiv einen Mangel, da es immer noch mehr gibt, was er sich kaufen könnte. Das Glücksempfinden schwindet. Psychologen sprechen von der „hedonistischen Tretmühle“.
Beziehung und Partnerschaft
Viel wichtiger für das Wohlbefinden sind erfüllte Beziehungen – und zwar nicht nur in der Familie, sondern in der Gesellschaft. Gästen aus traditionellen Gesellschaften fallen in deutschen Großstädten oft zuerst die vielen Menschen auf, die offen sichtlich an psychischen Problemen leiden.
Immer mehr Menschen in mittlerem und höherem Lebensalter vereinsamen. Immer mehr Arbeit und ständige Verfügbarkeit bei ständig sinkenden Löhnen für diese Arbeit führen nicht nur zu Dauerstress, sondern auch dazu, dass enge Beziehungen inzwischen als Karrierehindernis gelten.
Die besten Chancen in ständig wechselnden Ansprüchen auf dem Arbeitsmarkt hat der Single in der Großstadt, der nicht durch Bindungen an Kinder, Ehefrau, soziale Tätigkeit oder gewachsene Freundschaften gehemmt ist.
Dabei sind sich die meisten Psychologen, die sich mit Glück beschäftigen, einig: Die beste Grundlage für Glücksempfinden sind feste Partnerbeziehungen, zumindest, wenn diese intakt bleiben.
Glück und Vergleich
Laut Rainer Dolasse von der Universität Bielefeld ist Glücks- wie Unglücksempfinden stark an den Vergleich mit anderen geknüpft.
Relative Deprivation bezeichnet einen Zustand, in dem wir uns mit anderen vergleichen, denen es (real oder vermeintlich) besser geht: Wir fühlen uns unglücklich.
Adaption heißt: Wir passen uns an einen Zustand an, in dem es uns besser geht, wie nach einem Lottogewinn und alles ist wieder normal.
Zielerreichung meint: Wir setzen uns unrealistisch hohe Ziele, können diese nicht erreichen und werden unglücklich.
Mastery bedeutet: Wir lösen eigenständig ein Problem und freuen uns.
Flow-Erlebnisse gehen darüber hinaus: Wir gehen in Handlungen auf und fühlen uns auf längere Zeit glücklich, und das Urteil anderer ist uns dabei egal.
Die Tyrannei des Wohlbefindens
Ein permanentes Glück kann es ebenso wenig geben wie ein Leben ohne Tod. Wer psychische Krisen durchlitt, Schicksalsschläge verarbeitete und Kämpfe im Leben überstand, der erinnert sich in der Regel an intensive Glückserfahrungen.
Das Glück, nach Wochen in der Klinik den Meisen beim Nestbau zuzusehen, den Brief über die bestandene Masterarbeit zu bekommen, oder in eine schöne Wohnung mit Garten zu ziehen – das erleben Menschen besonders intensiv nach Phasen der Unsicherheit.
Das besonders in den USA verbreitete „positive Denken“ möchte negative Emotionen in den Müll schmeißen. Das führt nicht nur zu einem vollkommen falschen Blick auf gesellschaftliche Gewalt, sondern ignoriert auch, dass das das eine ohne das andere nicht zu haben ist – weder philosophisch noch psychologisch, weder in der Soziologie noch in der Biologie.
Der Psychologe Rolf Degen schreibt: „Der an sich gut gemeinte Aufruf zur positiven Psychologie kann leicht zu einem fatalen Glückszwang werden und einer Tyrannei des Wohlbefindens führen. Fragen Sie sich selbst: Kann es gut gehen, wenn wir uns in Situationen nicht mehr schlecht fühlen dürfen, in denen das eigentlich angemessen wäre? Wohl kaum. Unangenehme Gefühle würden uns dann nur noch unser persönliches Scheitern beweisen. Und dann fühlen wir uns wirklich schlecht.“
Wenn es uns schlecht geht, dann haben wir dazu genau so ein Recht wie das Recht, glücklich zu sein. Wenn wir sozial oder psychisch in einem dunklen Loch stecken, dann müssen wir keine rosa Seifenblasen produzieren, um es uns glücklich zu reden.
Wut oder Angst sind ebenso sinnvoll wie Glück. Ärger zum Beispiel gibt uns das Gefühl, eine unerträgliche Situation zu kontrollieren; Angst gibt uns die Möglichkeit, aus dieser Situation heraus zu kommen.
Die angeblich negativen Emotionen schaffen also die Grundlage, wieder glücklich werden zu können.
Glück und Glück
Psychologen unterscheiden das Wohlgefühl vom Glück, das auf Werten basiert. Dieses langfristige Glück entwickeln Menschen folglich, wenn sie ein Leben führen, das sie in einen größeren Sinn einbindet, und dem sie wechselseitig diesen Sinn geben.
Dieses Glück steht im Gegensatz zu einer sinnlosen Suche nach „Glückskicks“, die die Betroffenen in die Drogensucht, innere Leere und den psychischen Ruin führt.
Das dauerhafte Glück basiert auf warmherzigen Beziehungen zu anderen Menschen und tragfähigen Bindungen, aber auch auf philosophischen und politischen Weltanschauungen mit dem Ziel, diese Welt ein bisschen besser zu hinterlassen als wir sie betreten haben. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Peter Beer: Die Essenz der Achtsamkeit: Vier befreiende Schritte zu deinem glücklichen und erfüllten Leben, CreateSpace Independent Publishing Platform, 2017
- Stefan Klein: Die Glücksformel: oder Wie die guten Gefühle entstehen, S. Fischer Verlag, 2012
- Mihály Csíkszentmihályi: Dem Sinn des Lebens eine Zukunft geben: eine Psychologie für das 3. Jahrtausend, Klett-Cotta, 2005
- Wolf Schneider: Glück! Eine etwas andere Gebrauchsanweisung, Rowohlt, 2007
- Peter Strasser: Was ist Glück? Über das Gefühl lebendig zu sein, Wilhelm Fink Verlag, 2011
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.