Gehirnwäsche bezeichnet Methoden, um Menschen psychologisch zu manipulieren, also Betroffene durch physische wie psychische Gewalt und subtilere Methoden so zu zermürben, bis er die vom Gehirnwäscher gewollte Identität annimmt.
Inhaltsverzeichnis
Pawlows Hunde
Der russische Forscher Pawlow entdeckte den bedingten Reflex bei Versuchen mit Hunden. Eines Tages drang Wasser in die Räume ein, in denen die Hunde sich aufhielten, und die Tiere mussten einen Tag um ihr Leben schwimmen. Danach hatten sie fast alle erlernten Reaktionen vergessen.
Pawlow schloss daraus, dass man einen Menschen durch das erzwungene Überfordern seiner physischen Leistungsfähigkeit dazu bringen kann, dass er die gelernten Inhalte seines Bewusstseins, Werte und Normen, und auch Erinnerungen aufgibt. Diese Leere lässt sich dann mit neuen Inhalten füllen – zum Beispiel mit einer zuvor abgelehnten Ideologie.
Physische Folter oder Manipulation?
Methoden, diesen Bewusstseinsverlust herbeizuführen, sind unter anderem: Schlafentzug, Hunger, Durst, Todesangst oder Isolationshaft. Allerdings ist der Zusammenbruch der bisherigen Überzeugungen durch solche Foltermethoden selten von Dauer.
Das klassische Bild von Gehirnwäsche ist ein Opfer in einer Folterzelle, das ein Inquisitor mit Zuckerbrot und Peitsche gefügig macht, die Daumenschrauben ansetzt, und ihm bei Kooperation verspricht, die Tortur einzustellen.
In Wirklichkeit funktionieren die weichen Methoden besser und vor allem nachhaltig. Margaret Singer, die zu Psychokulten forscht, schreibt: „Gehirnwäsche ist die nicht sichtbare soziale Anpassung.“
Laut Singer führt Freiheitsentzug und körperliche Gewalt überhaupt nicht zum Erfolg: „Alle Forschungen (…) zeigen in aller Deutlichkeit, dass Gefangenschaft und Gewaltanwendung keine notwendigen Bedingungen, sondern im Gegenteil kontraproduktiv sind, wenn es darum geht, die Einstellungen und das Verhalten von Menschen zu verändern.“
Sie schreibt: „Wenn man andere wirklich umdrehen will, dann sind die weichen Methoden billiger, weniger auffällig und hoch effektiv. Die alte Devise, dass Honig mehr Fliegen anzieht als Essig gilt auch heute noch.“
Gehirnwäsche ist demzufolge kein einmaliges Brechen einer Persönlichkeit durch Gewalt, sondern eine schleichende Manipulation, in der soziale und psychologische Einflüsse peu a peu ausgetauscht werden. Die Wahrnehmung eines Menschen von seiner Umwelt wird neu programmiert.
Singer erläutert den Sinn solcher Programmierungen: „Die Programme zielen darauf ab, das Selbstkonzept einer Person zu destabilisieren, sie dazu zu bringen, ihre Lebensgeschichte völlig neu zu interpretieren und eine neue Version der Wirklichkeit der ursächlichen Zusammenhänge zu akzeptieren.“
Persönlichkeitstraining
Im postmodernen Turbokapitalismus sind Persönlichkeitstrainings ein Boom, der nicht abreißt. Einige dieser „Trainer“ arbeiten seriös, und es ist wenig dagegen einzuwenden, Menschen aufzuklären, wie sie ihr Potenzial besser nutzen können als sie es derzeit tun.
Doch manipulative Methoden harmonieren mit der neoliberalen Leistungsideologie, dass jeder, der sozial am Rand steht, selbst daran schuld ist, wenn er nicht im Geld schwimmt.
Unbegrenzte Energie, innere Kraft, Selbstbewusstsein, Harmonie., Lebensfreude und ,vor allem, auf der Seite der Gewinner zu stehen. Das sind die Versprechen der „Werde, was du sein willst“ Seminare.
Autoritärer Drill, innere Blockaden „überwinden“, indem die Teilnehmenden ihre Ängste ausbreiten, gehören zu den üblichen Methoden, ebenso nächtelange Gruppensitzungen und, als tradierte Methode der Gehirnwäsche, sich neu zu programmieren, weil der Betroffene, so, wie er ist, nicht richtig ist.Solche Übungen belasten emotional erheblich.
Doch die Teilnehmenden, die das System akzeptieren, machen mit und halten Kritiker für „noch nicht so weit“. Am Ende des Seminars soll der „neue Mensch“ stehen, und skurriles Training bereitet auf die Erlösung vor.
Diese Crashkurse versprechen, was eine seriöse Psychotherapie nur langfristig erreichen kann. Es geht dabei gerade nicht um wirksame therapeutische Ansätze wie zum Beispiel Selbstreflexion oder eine Veränderung des Verhaltens, sondern stattdessen um Drill und Demütigung.
Viele Teilnehmende sind nach den Seminaren begeistert. Das liegt aber nicht daran, dass sie jetzt als erfolgreiche Persönlichkeit ihr Leben bestreiten, sondern an der subtilen Manipulation: Sie selbst sehen sich nicht als Opfer von Manipulation, sondern fühlen sich erleuchtet.
Oft reagieren sie auf jede Skepsis aggressiv – so wie Mitglieder von Sekten. Im Unterschied zu Scientology aber gehören solche Seminare in vielen Unternehmen zum Standard und Mitarbeiter, die daran teilnehmen (müssen) trauen sich oft nicht, Kritik zu äußern.
Das Milgram-Experiment
Die schlechte Nachricht ist: Gehirnwäsche funktioniert, und nicht nur bei Menschen, die besonders labil sind. Der Psychologe Stanley Milgram ließ in den 1960er Jahren Probanden eine Testperson mit (fiktiven) Elektroschocks foltern, wenn diese Fehler machte.
Die Testperson hatte eine Elektrode am Arm, die an einen angeblichen Elektroschockapparat im Zimmer des „Lehrers“ angeschlossen war. Dieser „Lehrer“ sah die Testperson und konnte ihr vermeintlich Elektroschocks von 15 bis 450 Volt erteilen. Darüber stand: „Leichter Schock“, „Gefahr“, „schwerer Schock“, und am Ende nur noch „XXX“.
Bei jeder Aufgabe, die die Testperson falsch beantwortete, sollte der „Lehrer“ die „Strafe“ um 15 Volt erhöhen. Bei 120 Volt rief der „Gefolterte“, er habe Schmerzen, bei 150 V „holt mich hier raus“. Bekam der Lehrer jetzt Zweifel, sagte der „leitende Wissenschaftler“: „Sie haben keine andere Wahl“. 60 % der Teilnehmenden gingen bis auf 450 Volt, wo sie annahmen mussten, dass die Testperson gestorben war, weil sie nicht wagten, ungehorsam zu sein.
Wenn sie die Testperson nicht sahen, erhöhten fast alle bis auf 450 Volt.
Wiederholungen des Experiments in anderen Ländern führten zum gleichen Resultat. Ist eine, in diesem Fall wissenschaftliche, Autorität gesetzt, geben Menschen die Verantwortung für Handlungen ab, die sie ansonsten ethisch ablehnen würden.
Manipulation
Gehirnwäsche bedeutet systematische Manipulation, also jemand gegen seinen Willen zu beeinflussen; sie verändert Gedankenmuster und Erinnerungen, psychische und emotionale Eindrücke.
Manipulation in milderen Formen findet jedoch ständig statt: In Beziehungen, am Arbeitsplatz, in der Ehe, Schule oder Universität.
Menschen nutzen sie, wenn sie ihren eigenen Willen gegenüber anderen durchsetzen wollen, um diese dazu zwingen, sich so zu verhalten, wie sie es erwarten.
Eine verbreitete Methode ist es, dem Opfer zu suggerieren, das gewünschte Verhalten sei alternativlos, richtig, und das Beste für den Manipulierten.
Auch den anderen zu isolieren, ihn als abnormal darzustellen, gehört zu den gängigen Formen der Manipulation: „Ich versteh das nicht. Alle anderen gehen früh ins Bett, nur du willst nachts DVD gucken.“
Manipulation geht dabei in offene oder versteckte Machtspiele über, zum Beispiel, wenn eine Ehefrau droht, weil ihr Partner nicht tut, was sie will: „Okay, besorg die Scheidungsdokumente.“
Der Manipulierte ist so in einer Zwickmühle, selbst wenn er das Spiel durchschaut: Auch wenn er annimmt (sicher sein kann er sich nicht), dass es nur um eine erzwungene Gefälligkeit geht, steht -Worten zufolge – die Ehe auf dem Spiel.
Eine solche Praktik geht in psychische Gewalt über, zum Beispiel, zu unterstellen „du machst alles kaputt,“ wenn jemand ein Glas herunter fällt. Es geht dabei nicht um den konkreten Vorfall, sondern darum, Kontrolle über das Gegenüber zu bekommen, damit das Opfer so funktioniert, wie der Manipulator es gerne hätte.
Noch deutlicher sind direkte Abwertungen der Persönlichkeit: „Du bist langweilig, du bist faul, du bist dumm.“ Meist bleibt etwas davon hängen, aber selbst Menschen mit einem stabilen Selbstwertgefühl können auf solche Diffamierungen nicht angemessen reagieren. Wichtig ist, zu begreifen, dass der Manipulierende damit primär etwas über sich aussagt.
Projektion und doppelte Botschaften
Abwertung geht oft einher mit Projektion: Je brachialer die verbalen Aggressionen sind, umso mehr projiziert der Aggressor in der Regel die eigenen negativen Gefühle auf einen anderen Menschen. Deutlich wird diese, oft unbewusste, Manipulation, wenn der Aggressor dem anderen die Verantwortung für die eigenen destruktiven Gefühle gibt: „Jetzt bin ich wegen deinem Verhalten schon wieder ausgerastet.“
Doppelte Botschaften sind in Beziehungen eine Falle, um den Partner zu verunsichern. Der Manipulator sagt zum Beispiel mit sarkastischem Unterton: „Und, fühlst du dich gut?“ Wenn der Betroffene jetzt fragt: „Warum bist du sauer“, antwortet der Manipulierende: „Ich habe doch nur gefragt, ob du dich gut fühlst.“ Ziel ist es, im Partner ein mulmiges Gefühl zu erzeugen, und ihn damit zu beschäftigen, was den Manipulierenden denn so ärgert. Geht der Manipulierte jetzt auf den Partner zu und fragt, was los ist, kommt die Antwort: „Nichts, ist nicht wichtig…“ Geht das Opfer auf das Spielchen nicht ein, suggeriert der Manipulierende: „Ich bin dir gleichgültig.“
Eltern setzen dieses Mittel gerne ein, um in den Kindern Angst, Unsicherheit und Selbstzweifel auszulösen, in Beziehungen erfüllt es den gleichen Zweck. Ein starkes Selbstvertrauen und Reflexion sind nötig, damit sich dieses Machtspiel nicht als System etabliert, denn dann wird der Manipulator es immer wieder einsetzen, weil er gelernt hat, dass der andere funktioniert.
Missbrauch des sozialen Verhaltens
Warum lassen wir uns manipulieren? Sympathien für den Manipulierer spielen hinein, das Bedürfnis nach Anerkennung, die Unübersichtlichkeit einer immer komplexer werdenden Gesellschaft und der Versuch, die Schwemme an Reizen auf einfache Erklärungen zu reduzieren.
Manipulation spielt mit unserem sozialen Verhalten, dem Geben und Nehmen. Wir helfen uns gegenseitig, das ist auch gut so. Es lässt sich aber ausnutzen, indem der Manipulierende uns einen „Gefallen“ tut und wir uns ihm „verpflichtet“ fühlen. Dann verlangt er eine Gegenleistung oder hält uns in der Schwebe, ihm etwas schuldig zu sein.
Den „Fuß in der Tür“ bewährt sich ebenfalls als Manipulationstechnik, zum Beispiel, wenn wir einen Job nicht übernehmen wollen, und unser Vorgesetzter uns bittet, die Sache „doch erst einmal anzusehen“. Dies knüpft daran an, dass es schwer fällt, nein zu sagen, wenn wir einmal ja sagten.
Manipulation funktioniert auch über Wiederholung. Ständiges Wiederholen einer Aussage sagt nichts über ihre Richtigkeit, sie prägt sich uns aber ein. Bekanntes wird vertraut, und wir stehen ihm positiver gegenüber als dem Unbekannten.
Wer uns manipuliert, spricht meist erst unsere Gefühle an, bevor er sein Anliegen vorbringt, um so unsere Kritikfähigkeit auszuschalten.
Der Manipulierer setzt die Betroffenen unter Zeitdruck und versorgt sie zudem nur mit begrenzten Informationen. Außerdem schmeichelt er dem Opfer. Wir stehen unter Druck, fühlen uns zugleich anerkannt und versäumen es, nach weiteren Informationen zu suchen.
Bluffen und Fragetechniken, die aus uns heraus locken, was wir nicht erzählen wollen, sind weitere Mittel, um zu manipulieren.
Positiv denken?
„Think positive“ lautet der Leitsatz der liberalen Idee, nach der „jeder seines Glückes Schmied“ sei. Unter denjenigen Psychologen, die als Stichwortgeber für das Funktionieren in der kapitalistischen Verwertbarkeit tätig sind, gilt das „positive Denken“ als Mantra, um in jeder Hinsicht erfolgreich zu sein, und wer keinen Erfolg hat, der denkt nicht positiv genug.
Empirische psychologische Studien zeigen indessen, dass ein ausschließlich „positives Denken“ gefährlich ist. Im besten Fall führt es dazu, Hindernisse, die bei jedem Plan auftreten, zu ignorieren, in ernsteren Situationen treibt es Menschen, die psychische und soziale Probleme haben, in die Isolation, weil sie meinen, das ihre berechtigten schlechten Gefühle der Grund für ihr Befinden ist.
Einem Menschen, der an Depressionen leidet ,zu suggerieren „du denkst nicht positiv genug“ ist, wie ihm in die Magengrube zu schlagen.
„Positives Denken“ ist eine esoterische Ideologie, ob mit Hilfe vermeintlich übersinnlicher Wesen,psychologischer Banalitäten oder der Suggestion, dass Wünsche wahr werden, wenn man nur „positiv denkt“, und sich, wie meist in der Esoterik, den Menschen das eigene Denken verbietet.
Das optimistische Denken wird zur Diktatur, die Betroffenen unterwerfen sich einer Fiktion, die sie nicht erreichen können. Das Gewinnen-Müssen, Reich sein müssen oder Gut sein-müssen ist ein Zwangssystem, das die Opfer in die Verzweiflung treibt, nichts wert zu sein.
Allen ihren Gurus ist gemeinsam, dass der „Weg zum Erfolg“ jede Kritik ausschließt. Wer daran denkt, was passiert, wenn ein Projekt scheitert, der ist aus dem Spiel. Der Kern der wissenschaftlichen Redlichkeit, nämlich zu zweifeln, ist verboten.
Zur Konditionierung des „positiven Denkens“ gehört, die alte Persönlichkeit auszulöschen und eine neue Identität an deren Stelle zu setzen. Ein Protagonist dieser Ideologie, Norman Vincent Peale sagt: „Strengen wir uns an, bis wir wirklich erfasst haben, dass es uns möglich ist, durch unsere Geisteshaltung unsere Zukunft positiv zu beeinflussen und zu gestalten. Schaffen wir in unserer Vorstellungskraft ein erfolgreiches Bild unserer Persönlichkeit, halten wir daran fest, bis es Wirklichkeit wird.”
Ein anderer Propagandist des „positiven Denkens“, Erhard F. Freitag, spricht die Gehirnwäsche sogar offen aus: „Beginnen Sie sofort damit, ihre Gedanken einer gewissen Kontrolle zu unterwerfen. Verbannen Sie jede negative Überlegung und jeden Zweifel.“
Das leitet über zu L. Ron Hubbard, dem Gründer von Scientology, der sagte: „Alles Glück, das du findest, liegt in dir.“
Den Anhängern des positiven Denkens werden ihre Identitäten und Erfahrungen genommen, ihre Lebensgeschichte und ihre Art zu denken – am Ende verlieren sie ihre Persönlichkeit.
Politische Gehirnwäsche
Das englische Wort “Brainwashing” stammt aus dem chinesischen und wurde in den USA im Koreakrieg eingeführt.
Bekannt wurden in den 1930er Jahren die Schauprozesse während der Stalinschen Säuberungen, in denen sich die Opfer des Terrors selbst der schlimmsten Verbrechen bezichtigten. Mao Zedong ließ so genannte Umerziehungsprogramme durchführen, die die Chinesen Gehirnwäsche nennen, so mussten zwischen 1966 und 1976 zehntausende Lehrkräfte und Studierende aufs Land ziehen, um bäuerliche Arbeit zu verrichten.
Der Psychologe Kurt Lewin untersuchte die Anhänger des Nationalsozialismus in Deutschland und versuchte, zu verstehen, wie sich der Nationalsozialismus etablieren konnte, und wie die Gehirn gewaschenen Deutschen sich ent-indoktrinieren ließen. Er entwickelte ein Modell der Re-Education, um den Deutschen wieder Humanismus und Menschenrechte beizubringen.
Was passiert bei einer Gehirnwäsche?
Der Psychiater Dr. Ivo Planava, geb. 1934 in Brünn, analysierte in der tschechischen Zeitung „Listy“ 1969, was bei einer Gehirnwäsche geschieht, welche Menschen besonders gefährdet sind, und wie sich Menschen dagegen wehren können. Er fasste zusammen:
Um den Glauben zu verlieren, dass eigenes Handeln einen Sinn hat, gibt es zwei Wege: Zum einen einen plötzlichen seelischen Zusammenbruch. Der wirkt aber selten nachhaltig, weil Menschen sich der Bedrohung bewusst sind und Widerstand leisten.
Zum anderen die langsame Selbstaufgabe, ein Prozess der allmählichen Veränderung, insbesondere, wenn Menschen in ähnlicher Situation das Umfeld ausmachen. Die so isolierten Individuen sind nicht mehr in der Lage, eigenständig Entscheidungen zu treffen, die über das „Von der Hand in den Mund leben“ hinaus gehen. Solche Menschen sind leicht manipulierbar.
Die bürgerliche Freiheit bestünde zum einen darin, zu wählen, zweitens aber in der Fähigkeit, wählen zu können. Die Freiheit zu wählen, ist eine objektiv durch die Politik gegebene; die Fähigkeit, wählen zu können setzt hingegen voraus, Situationen zu beurteilen und danach zu handeln.
Moderne Diktaturen wüssten, laut Planava, sehr genau, dass sie nicht nur „mit Bajonetten“ regieren können. Solange die Bürger beurteilen können, leisten sie Widerstand. Autoritäre Systeme kontrollierten deshalb die Freiheit der Gedanken. Dazu müssten die Bürger ahnen, dass der Staat über eine Organisation, die Geheimpolizei verfügt, gegen die man nicht legal vorgehen kann. Die Bürger fühlten deshalb eine unbestimmte Furcht, egal ob sie ein reines oder schlechtes Gewissen hätten.
Politische Programmierung beginnen zum Beispiel mit einer überraschenden Schockaktion: Dem Opfer wird suggeriert, es werde nicht mehr lange leben; seine Familie sei in Gefahr, und die Betroffenen werden zugleich isoliert.
In der zweiten Stufe wird dem Opfer eine ominöse Schuld eingeredet, bis es denkt, irgend etwas falsch gemacht zu haben.
Dann präsentieren die Schergen des Regimes Informationen, die die verzerrte Wahrnehmung stützen: Verdrehte Aussagen der Betroffenen, gefälschte Dokumente oder erfundene Denunziation von Familie und Freunden.
Fühlt sich das Individuum jetzt von allen allein gelassen, öffnet es sich für Beeinflussungen. Nun beginnt das Zuckerbrot: „Wenn Sie kooperieren, dann können Sie vielleicht frei kommen.“ So wird an die Hoffnung und das unbewusste Schuldgefühl des Opfers angeknüpft. Langsam bauen die Manipulierer Paranoia und Selbstanklage des Opfers auf. Sie appellieren an die „Vernunft“ und bieten die „Anpassung an die Realität“ als Ausweg an.
Suggerierte Hoffnungslosigkeit, mit der alten Identität zu leben, geht also einher mit Versprechen, aus der Situation zu kommen, wenn sich die Betroffenen „anpassen“. Absolute Hoffnungslosigkeit ist für Gehirnwäsche hingegen kontraproduktiv. Wer nichts zu verlieren hat, leistet eher Widerstand leisten als jemand, dem nebulös Hoffnungen gemacht werden.
Um Urteile zu fällen, braucht ein Mensch differenzierte Informationen, und die zwischenmenschliche Kommunikation integriert ihn in in in Gruppe und Gesellschaft. Die „Umerziehung“ verhindert deshalb sämtliche Kontakte zu Vertrauten und den Zugang zu alternativer Information; die Gehirnwäsche der Massen zersetzt hingegen die Kommunikationsstruktur.
Totalitäre Regime kontrollieren deshalb die Massenmedien so lange mit unauffälliger Zensur, bis diese überflüssig wird, weil Systemtreue die monopolisierten Medien beherrschen. Außerdem wird die historische Erfahrung gleichgeschaltet, und auf die Erzählung des Regimes reduziert.
Das Regime stört und zerstört Familien, Freundschaften und soziale Zusammenschlüsse, Vereine und Gewerkschaften. Bevorzugt suchen sich die Handlanger der Mächtigen am Arbeitsplatz Menschen, die in einer schwierigen Situation stecken, keinen guten Ruf, Alkohol- oder sonstige Probleme haben, unterfordert oder unterbezahlt sind.
Ihnen wird suggeriert, dass sie aufsteigen, wenn sie Informationen über andere Mitarbeiter weitergeben. Nicht-konforme Gruppen lassen sich zersetzen, indem man Mitglieder kündigt, versetzt, oder die Untauglichsten befördert. Je weniger Informationen die Menschen erhalten, umso unsicherer werden sie. Jetzt bietet das Regime eine falsche Sicherheit: „Wenn du uns anerkennst, brauchst du nichts zu fürchten.“
Erzwungene Persönlichkeitsveränderung
Sekten und Psychokulte haben nicht die Gewaltmittel politischer Diktaturen. Sie knüpfen hingegen an die Bedürfnisse labiler Menschen an, die mit ihrer Lebenssituation unzufrieden sind und versprechen ihnen Heilung, wenn die Betroffenen sich „wandeln“.
Menschen, die sich in den Fängen solcher Sekten befinden, zeigen typisches Verhalten:
1) Sie richten ihr Leben absolut und nach anderen Grundsätzen aus als zuvor.
2) Sie behandeln ihre Umwelt als feindlich.
3) Sie unterwerfen ihre eigenen Urteile vollkommen einer anderen Autorität.
4) Sie umgeben sich nur noch mit Gesinnungsgenossen (Partei, Ashram etc.)
5) Sie binden sich extrem an einen Führer und vertreten unkritisch dessen Weltsicht.
6) Sie wollen andere mit diesem absoluten Glauben ebenfalls „verwandeln“.
Die drei Schritte der „Verwandlung“ sind:
1) Faszination an der Lehre des Gurus
2) Zerstörung der persönlichen Sicherheit und Bruch mit dem sozialen Umfeld
3) Der Aufbau einer neuen Identität
Gehirnwäsche erkennen und sich schützen
Wer ist besonders gefährdet, einer Gehirnwäsche zum Opfer zu fallen – ob durch Sekten, Psychokulte, esoterische „Heiler“, „Persönichkeitstrainer“, kalt kalkulierende Firmenchefs, Werbeprofis oder politische Demagogen?
Das sind erstens Menschen, die unter schweren Krankheiten leiden, die weder sie noch seriöse Ärzte verstehen; zweitens diejenigen, die unter dem Verlust eines Menschen leiden, sei es nach einer Scheidung, Tod oder Umzug; drittens junge Erwachsene, die frisch aus dem Elternhaus kommen und die Welt draußen noch nicht kennen – hier fischen vor allem religiöse und politische Sekten.
Psychokulte sind Meister darin, Traumatisierungen und tragische Lebensumstände zu erkennen und sie den Betroffenen mit ihrem Glaubenssystem zu erklären, um dann auf diesem Erzählmuster eine sklavische neue Identität aufzubauen: Zum Beispiel suggerieren sie einer Frau, die als Kind von ihrem Vater geschlagen wurde, dass sie in einem früheren Leben eine Frau gewesen sei, die vergewaltigt wurde, und sie jetzt diese Wiedergeburten durcharbeiten müsse.
Menschen, die in Krisen und Veränderungen stecken, fühlen sich meist einsam; die „Gehirnwäscher“ verstärken diese Einsamkeit, in dem sie die Opfer weiter isolieren und nur noch die Psychogruppe, esoterische Sekte etc. als Sozialkontakt erlauben.
In gewalttätigen Beziehungen unterbindet der Täter den Kontakt des Opfers zu Familie und Freunden. Im Gefängnis isolieren die Wachen die Gefangenen voneinander.
Für jede Gehirnwäsche gilt: Die Täter suchen sich als Opfer vor allem Menschen, die schwach und verletzlich sind.
Dazu zählen:
Menschen, die ihre Arbeit verloren haben und um ihre Zukunft fürchten; frisch Geschiedene, die keinen Neuanfang wagen; Menschen, die durch psychische Besonderheiten generell zu offen für Reize sind wie Bipolare oder Hochsensible; Menschen, die aufgrund biografischer Prägung dazu neignen, sich unterzuordnen; Menschen, die aus einem überbehüteten Elternhaus kommen und auf der Suche nach einer Ersatzfamilie sind; Menschen, die aus kaputten Familien kommen und sich nach einer heilen Welt sehnen; Drogenkranke und Alkoholiker, die einen Ausweg aus der Sucht suchen; Menschen, die besonders naiv sind und kaum Zugang zu Information bekommen; vereinsamte Menschen.
Der Täter muss in jedem Fall ein Opfer finden, dem gegenüber er eine überlegene Position einnehmen kann. Er beginnt zum Beispiel damit, das Opfer anzulügen, beschämt es und schüchtert es ein. Er verdreht Aussagen der Betroffenen und gibt dem Opfer die Schuld, wenn es sich immer schlechter fühlt.
Er setzt einen Rahmen wie zum Beispiel ein „Seminar“ seines Psychokults, in dem Entwürdigungen angeblich zum Lerntraining gehören: Beschimpfungen und Belästigungen gehören ebenso dazu wie das Bloßstellen der Betroffenen. Diese werden dabei zur Passivität gezwungen.
Zugleich bieten die Täter dem Opfer eine vermeintlich bessere Alternative zu dessen altem Umfeld: Siebringen es in Kontakt mit Menschen, bei denen die Gehirnwäsche bereits vollendet ist; die Betroffenen geraten so in einen Gruppenzwang und streben nach einer Position in der Gruppe, die sie aber nur erreichen, wenn sie die Suggestionen der Gehirnwäsche erfüllen.
Die Suggestionen werden ständig wiederholt, gesprochen, gesungen oder „nachgebetet“, bis sich Schlüsselwörter unbewusst einprägen, oft im Rhythmus des Herzschlages und mit passender Musik.
Die Betroffenen bekommen keine Zeit, das Geschehen zu reflektieren, zum Beispiel müssen sie ununterbrochen an „Seminaren“ teilnehmen, Gruppenarbeit leisten oder Einzelgespräche mit „Gehirngewaschenen“ führen.
Dem Opfer wird permanent ein „Wir gegen sie“ präsentiert, und Kritik aus der Außenwelt als Verschwörung dunkler Mächte umgedeutet – jede „Erklärung“ läuft darauf hinaus, dass der Guru Recht hat und die Kritiker Unrecht.
Ist die Gehirnwäsche abgeschlossen, lässt sich das Opfer neu programmieren.
Jetzt setzen die gleichen Methoden der Konditionierung ein, um die Betroffenen neu aufzubauen: Wenn die Betroffenen handeln, wie die Täter es wünschen, werden sie belohnt, wenn sie Reste von eigenem Denken zeigen, verknüpfen die Täter diese mit negativen Erfahrungen, Demütigungen und Entmündigung.
Was lässt sich gegen Gehirnwäsche tun? In den postmodernen Demokratien sind wir Gehirnwäsche nicht wie bei George Orwell von einem politischen Regime ausgesetzt, sondern einer Vielzahl von Werbestrategien, konkurrierenden Psychokulten, „Motivationsgurus“, „alternativen Erklärungen“ etc.
Zuerst einmal müssen wir uns schmerzhaft bewusst werden, dass niemand gegen Gehirnwäsche immun ist. Sie knüpft an menschlichen Bedürfnissen wie sozialer Gemeinschaft und Anerkennung ebenso an wie an Ängsten und Hoffnungen, die jeder Mensch hat, egal wie psychisch stabil wir sind.
Wenn wir in Manipulationstechniken geschult sind, können wir darauf achten, ob jemand sie einsetzt. Befinden wir uns für Außenstehende offensichtlich in einer Krise, zum Beispiel, wenn wir mit gesenktem Kopf allein im Park spazieren? Spricht uns dann ein Fremder an und verspricht, uns aufzubauen, sollten wir skeptisch werden.
Wir könnten zum Beispiel fragen: „Wollen sie mich jetzt beeinflussen oder ist das ernst gemeint?“ Natürlich wird er verneinen, uns zu manipulieren, dann fragen wir weiter: „Warum sprechen Sie gerade mich an?“
Belässt er es bei freundlichen Worten, oder fragt er nach unserer Telefonnummer? Bleibt er uns auf den Fersen, obwohl wir ihm zeigen, dass wir allein bleiben wollen? Empfiehlt er uns eine Gruppe, die eine Lösung für unser Problem hat? Hat er für unsere Sorgen sofort die passende Antwort parat? Das sind alles Hinweise, dass etwas nicht stimmt.
Wir können die Manipulation auch von Anfang an ins Leere laufen lassen, indem wir die Motivation dahinter ansprechen.
Was tun wir aber, wenn Freunde und Verwandte einer Gehirnwäsche ausgesetzt sind? Wir sollten professionelle Hilfe aufsuchen, also zum Beispiel Sektenbeauftragte oder kritische Psychologen, die mit Sektenopfern arbeiten.
Wir sollten Lehrer, Kollegen und Vertraute des Opfers informieren, über die Täter recherchieren, und bei der Polizei fragen, ob eine Anzeige möglich ist, in kritischen Foren um Rat suchen.
Wir sollten den Betroffenen vor allem unsere Zuneigung zeigen und ihnen klar machen, dass sie uns vertrauen können. Wenn unser Freund, Partnerin oder Kind psychische Probleme hat, an die die Täter anknüpfen, können wir seriöse Therapeuten einbeziehen, die dem Opfer eine reale Perspektive bieten. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Bodo Rollka; Friederike Schultz: Kommunikationsinstrument Menschenbild Zur Verwendung von Menschenbildern in gesellschaftlichen Diskursen, Springer, 2011
- Karsten Altenhain; Renhold Görling; Johannes Kruse: Die Wiederkehr der Folter?: Interdisziplinäre Studien über eine extreme Form der Gewalt, ihre mediale Darstellung und ihre Ächtung, V&R Unipress, 2013
- Margaret Thaler Singer; Janja Lalich: Sekten: Wie Menschen ihre Freiheit verlieren und wieder gewinnen können, Carl-Auer-Systeme Verlag, 1997
- Stanley Milgram: Das Milgram-Experiment: Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität, Rowohlt Taschenbuch, 1982
- David M. Buss: "Selection, Evocation, and Manipulation", in: Journal of Personality and Social Psychology, Volume 53 Issue 6, 1987, Texas - College of Liberal Arts
- Thea Bauriedl: Auch ohne Couch: Psychoanalyse als Beziehungstheorie und ihre Anwendungen, Klett Verlag, 1999
- Wolfgang van den Daele: Biopolitik, Springer, 2012
- James T. Richardson: Regulating Religion, Springer, 2004
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.