Ständiges Grübeln – Gedanken, die das Leben lähmen
Wer grübelt, der denkt nach, ohne zu einer Lösung zu kommen, genauer gesagt: Das dem Grübeln eigene Kreisen der Gedanken in der Leere ist der Grund dafür, zu keiner Lösung zu kommen. Reale und einfache Lösungen schiebt der Grübelnde beiseite oder erklärt sie für unmöglich. Das brütende Nachdenken windet sich dabei in negativen Spiralen.
Inhaltsverzeichnis
Diffuse Dunkelheit
Grübler können sowohl die Vergangenheit wie die Zukunft in dunklen Farben malen. Ungelöste Konflikte, nicht getroffene Entscheidungen und als Wahrheit angesehene Vermutungen sind ebenso typisch für das Grübeln wie vage „Fragen“, deren „Antworten“ sich in düsteren Szenarien verlieren.
Wer im Grübeln gefangen ist, der kommt zu „Schlüssen“ wie: „Es ist doch egal, was ich tue“, „und wenn das auch nichts mehr bringt“, „das, was ich erreichen will, kann ich niemals erreichen“, „seht euch um, der Zug rast dem Abgrund entgegen“, oder „wenn ich nach meinem Leben suche, würde ich zuerst im Mülleimer nachsehen“.
Im Zentrum des Grübelns stehen meist Fragen, auf die es keine wirklichen Antworten geben kann – insbesondere über den Sinn des Lebens. Diese „Frage“ beantworten Grübler in der Regel damit, dass „alles sinnlos“ ist.
Romantik und Weltschmerz
Grübeln kommt von „graben“ und war in Deutschland positiv besetzt. Die Künstler der Romantik verherrlichten dieses „Graben“ in den Gedanken, im Unbewussten und setzten es der „Oberflächlichkeit“ des modernen Lebens entgegen. Dieses Grübeln galt im 19. Jahrhundert als so typisch deutsch, dass der Begriff Weltschmerz wie Kindergarten in das Englische einging, weil es für ihn kein adäquates Wort im Englischen gab.
Der deutsche „Weltschmerz“ umreißt indessen das Problem des ständigen Grübelns genau. Er bezeichnet ein allgemeines Leiden an der Welt, allerdings ohne den revolutionären Impetus, diese unbefriedigende Welt zu ändern. Typisch für Weltschmerz ist stattdessen das Gefühl, die „schlechte Welt“ nicht ändern zu können.
Vorstellungen wie „die Menschen sind grausam“, „warum leben wir überhaupt, wenn wir sterben müssen“ oder „die Menschen graben sich ihr eigenes Grab“ treten an die Stelle des Kampfes gegen die bedrückenden Verhältnisse. Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ wurde zum Bestseller und löste eine Selbstmordwelle aus.
Diese Geisteshaltung hat historische Gründe: In Frankreich stürzte die Revolution die Monarchie und stieß den katholischen Klerus vom Sockel. Auch in Deutschland begeisterten sich viele Bürger für die Französische Revolution, doch sie waren dabei nur Zaungäste.
Die bürgerliche Revolution in Deutschland hingegen erstickten die feudalen Herrscher 1848 im Blut. Das deutsche Bürgertum wandte sich der „Innerlichkeit“ zu und definierte sich über Bildung, weil ihm die Schaltstellen der Macht verschlossen blieben. Dabei enthielt das „deutsche Gemüt“ einen Schuss Melancholie, denn unter der Preußenknute zu leben, war nicht das, was sich das liberale Bürgertum wünschte.
Chronisches Grübeln wurde seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zu einer Leitlinie unter deutschen Intellektuellen. Die Träumereien der Romantik, eine Sehnsucht nach Erlösung, die aber in dieser Welt nicht möglich schien, tränkte sich mit Schwermut und Kulturpessimismus.
„Gedankentiefe“ verbunden mit Passivität galt als Tugend. In dieser Geschichte der bürgerlichen Mentalität erkennen wir unschwer Elemente des dysfunktionalen Grübelns, das die klinische Psychologie als Symptom psychischer Störungen betrachtet.
Wann wird Grübeln pathologisch?
Grübeln und Sorgen gelten unter Psychologen nicht per se als krankhaft. Erst einmal handelt es sich um den Versuch, ein Problem zu lösen. Nachdenken, ein Problem in allen Aspekten zu betrachten, ist sogar notwendig, um komplexe Probleme zu lösen. Wer sich um die Zukunft sorgt, kann auf dieser Basis handeln und Gefahren vorbeugen. Konflikte zu durchdenken, kann dazu führen, in Zukunft die Fehler zu vermeiden, die in der Vergangenheit zu unangenehmen Geschehnissen führten.
Ständiges Grübeln unterscheidet sich von diesem sinnvollen Nach- und Vordenken jedoch im entscheidenden Punkt: Es führt gerade nicht zu Ergebnissen und nicht zu Handlungen, die das Problem lösen könnten. Im Gegenteil: Grübeln dämpft kurzfristig die Intensität negativer Gefühle. Statt zum Beispiel das Gefühl von Minderwertigkeit, Angst oder auch Unsicherheit durchzuleben, schiebt der Grübler es auf eine allgemeine Ebene.
Aus dem Problem, zu anderen Menschen nicht durchzudringen, Angst vor der eigenen beruflichen Zukunft zu haben oder sich hässlich, dumm oder dick zu fühlen, werden für den Grübler „die Menschen, die sich nicht verständigen können“, die Gesellschaft, die in die Katastrophe führt oder die „Nichtswürdigkeit des Menschen gegenüber dem Universum“.
Ein hoher Preis
Grübeln funktioniert hier erst einmal als emotionaler Puffer: Es federt starke negative Emotionen ab. Allerdings wuchern diese unterschwellig immer weiter. Betrachten wir psychische Störungen als nur bedingt erfolgreiche Versuche des Gehirns, Lösungen für Probleme zu finden, dann erklärt sich auch der Sinn des Grübelns.
Grübeln soll vor dem Durchbruch starker und zugleich unangenehmer Emotionen schützen, so wie ein Traumatisierter die belastenden Erfahrungen abspaltet. Statt also emotionalen Schmerz in vollem Ausmaß zu erleben, sich dadurch über die konkrete Ursache bewusst zu werden und nach dieser emotionalen Talfahrt neu anzufangen, sind die belastenden Gefühle beim Grübler zwar schwächer – dafür werden sie aber chronisch.
Typisch für ständiges Grübeln ist ein diffuses schlechtes Gefühl, Passivität und Antriebslosigkeit. Das bewusste Erleben von Minderwertigkeitsgefühlen und Zukunftsangst ist oft der Motor, diese belastenden Gefühle durch konkretes Handeln zu lösen. Betroffene legen zum Beispiel eine to do Liste an und konfrontieren sich mit genau den Situationen, die sie verunsichern. Während eine bewusste erlebte psychische Krise einen Entschluss provozieren kann, führt Grübeln in einen Dämmerzustand der Nicht-Entscheidung.
Grübeln bedingt Entschlusslosigkeit, Aufschieben, Sich-Verzetteln und eine Abscheu vor jeder Art von Veränderung. Mehr noch: Wird das Grübeln chronisch, dann empfinden es die Betroffenen als Teil ihrer Identität. Erstens isolieren sie sich damit zunehmend in sozialen Beziehungen. Wer immer nur in negativen Gedanken kreist, ohne etwas zu tun, um eine Situation zu ändern, geht anderen, salopp gesagt, auf die Nerven.
Andere, die ihm helfen wollen, fühlen sich brüskiert, weil er offensichtlich an dem unbefriedigenden Zustand überhaupt nichts ändern will. Außerdem gibt ein solcher Mensch anderen keinen positiven Input: Egal, welche Ideen sie haben, er wird alle Pläne in einem grauen Einerlei auflösen.
Gleichzeitig vermitteln Grübler Menschen, die Probleme angehen, ein schlechtes Gefühl, egal, wie das Ergebnis eines Projektes aussieht. Schlägt eine Aktion anderer fehl, zuckt der Grübelnde mit den Schultern, weil er „wusste, dass es sinnlos ist“. Sind die anderen erfolgreich, grübelt er weiter mit der ebenso unausgesprochenen wie rhetorischen Frage: „Bringt dir das was?“
Auch, wenn die Grübler unter der unangenehmen Grundstimmung ihres ereignislosen Lebens leiden, fühlen sie sich un- oder halbbewusst als Gewinner. Nicht zu handeln, bedeutet nämlich auch, keine Fehler zu machen. Es bleibt unklar, ob eine tatsächliche Lösung zum Erfolg geführt hätte, und aus dieser Unklarheit zieht der Grübelnde vermeintliche Stärke.
Das Grübeln schützt ihn vor dem Scheitern. In seiner Fantasie kann er sich als verkanntes Genie sehen, das die Welt nicht verstanden hat. Probleme anzugehen, würde aber vermutlich zu der schmerzhaften Erkenntnis führen, doch nicht so talentiert zu sein wie im Traum. Der Preis ist hoch: Der Grübler verschließt sich dem Leben und wird zu einem „Untoten“, der nicht leben, aber auch nicht sterben kann.
Das Gedankenkarusell
In bestimmten Situationen kennt fast jeder Grübeleien, vor allem, wenn es keine konkreten Antworten auf Fragen gibt, die uns belasten oder, wenn wir Entwicklungen gerade nicht beeinflussen können.
Ein Beispiel: Jemand arbeitet in einem Job, für den er real oder vermeintlich überqualifiziert ist. Der Chef macht gegenüber einem Mitarbeiter eine Bemerkung, die andeutet, dass er für den Betroffenen eine anspruchsvollere Stelle vorgesehen hat. Der Betroffene zerbricht sich jetzt den Kopf darüber, ob der Chef das ernst meinte, was für eine Stelle dies sein könnte, ob er sich eine anspruchsvollere Tätigkeit zutraut etc.
Er grübelt, ob er den Chef vielleicht direkt darauf ansprechen soll oder lieber den Ball flach halten; er grübelt, ob der Mitarbeiter nicht etwas falsch verstanden hat, oder sogar gelogen. Nachts kann der Betroffene nicht einschlafen, da sich die Gedanken im Kreis drehen, und er aus diesem Gedankenkarussell nicht heraus kann. Denn er kann sich immer nur seine „eigenen Antworten“ geben, die aber immer wieder auf das Nicht-Wissen des Ergebnisses hinaus laufen.
Zunehmend schleichen sich in die Gedankenkreise negative Ideen hinein: Habe ich den Chef beleidigt? Möchte er mir in Wirklichkeit kündigen? Die Schlaflosigkeit lässt die Gedankenschleifen immer quälender erscheinen. Es fällt dem Betroffenen schwer, sich abzulenken. Er geht spazieren, trifft sich mit Freunden, guckt sich eine DVD nach der anderen an, doch seine Gedanken kreisen immer wieder um den einen Punkt.
Unser „Grübeln“ über Katastrophen ist evolutionär entstanden. Aus der Vergangenheit zu lernen, um Gefahren zu vermeiden, ist ebenso sinnvoll wie lebensnotwendig. Doch wenn ein Mensch, aus welchen Gründen auch immer, sich chronisch unsicher fühlt oder tief liegende Ängste hat, macht sich dieses Katastrophendenken selbstständig und lähmt.
Ein Streit mit dem Partner löst jetzt das Grübeln darüber aus, ob die Beziehung sicher ist und kreist immer wieder um diesen Punkt. Je unwichtiger dem Partner der Streit war, umso mehr nervt ihn dieses Grübeln, und umso mehr grübelt die verunsicherte Person nach.
Oder der Chef fragt, wann die Arbeit fertig ist. Jetzt setzt das Grübeln ein: Ist er mit meiner Arbeit unzufrieden? War die Frage in Wirklichkeit eine Warnung? Was kann ich besser machen? Habe ich mich nicht genug angestrengt? Je länger das Grübeln anhält, umso mehr wächst die Unsicherheit.
Grübeln lähmt
„Gesunden“ Menschen geht Grübeln auf die Nerven, ihr eigenes ebenso wie das anderer. Kein Wunder: Wir denken nach, um Ergebnisse zu bekommen. Ein unbefriedigendes Ergebnis ist immer noch besser als gar keins. Wer psychisch allgemein stabil ist, empfindet Grübeln deshalb als lästig. Er oder sie möchte zum Beispiel nach der Arbeit die Beine hoch legen, auf den Weihnachtsmarkt gehen oder mit den Kindern den neuesten Walt Disney Film gucken. Stattdessen bohrt sich ein Gedanke wie ein Wurm ins Gehirn und verhindert den Lebensgenuss.
In sozialen Beziehungen ist das Grübeln anderer ebenso lästig. Wenn ein Jugendlicher in die Welt zieht, ohne zu wissen, was ihn dort erwartet, hat er vermutlich einen Konflikt, wenn seine Eltern ihn vor konkreten Gefahren warnen. Solche Konflikte eskalieren häufig, lähmen die Betroffenen aber nicht, wenn sie klar sind. Sagt zum Beispiel die Mutter: „Ich will nicht, dass du mit Lukas in die Disko fährst. Lukas fährt betrunken und hat schon zwei Unfälle verursacht,“ dann rebelliert der Youngster vielleicht, weiß aber, worum es geht.
Wenn dieser Jugendliche aber jeden Sonntag beim Frühstück eine grübelnde Mutter ertragen muss, die sagt: „Ich mache mir Sorgen um deine Zukunft“, ohne aber zu benennen, was für Sorgen das sind, und keine Alternativen anzubieten, lähmt sie nicht nur eigene Entscheidungen, sondern auch die Entschlüsse ihres Kindes. Typisch für dieses Grübeln von Eltern, die nicht los lassen können, ist auch ein diffuses „irgend was haben wir falsch gemacht“ statt zu sagen „ich denke, wir haben in der Erziehung die und die Fehler gemacht…“.
Hier greift der gleiche dysfunktionale Schutz des Grübelns: Die Eltern dämpfen die schmerzhafte Erfahrung, dass die Kinder erwachsen werden und sich lösen. Statt sich auf die Situation einzustellen, grübeln sie über eine angeblich düstere Zukunft des Kindes oder eine vermeintliche Vergangenheit statt mit dem Kind, das seinen eigenen Weg geht, konkrete Schritte für die Zukunft zu planen. Das Resultat ist: Stagnation bei allen Beteiligten und ein Dämmerzustand, der sinnvolle Lebensprojekte erstickt, bevor sie überhaupt anfangen.
Soziale Isolation
Ständiges Grübeln führt zu sozialer Isolation. Außenstehende, Freunde und Bekannte wissen mit einem solchen Menschen bald nicht mehr anzufangen. Typisch für Grübler ist es, auf konkrete Fragen mit „vielleicht“ zu antworten, oder auch mit „vielleicht irgendwann einmal“, eine mögliche Zustimmung einzuschränken mit „nicht hier und nicht jetzt“, oder „wenn… dann“ Konstruktionen zu entwerfen, wenn ein „ja“ oder „nein“ gefragt wäre.
„Kann schon sein“, „ich weiß auch nicht“ oder ein „Alles in Frage stellen“ statt auf punktgenaue Kritik zu antworten, geben dem Grübelnden einen fragwürdigen Selbstschutz in sozialen Beziehungen. Er oder sie sagt nicht ja, weil er auch nicht nein sagt und kann deswegen bei jeder möglichen Auseinandersetzung auf ein Allgemeines ausweichen.
Das hält aber auf Dauer keine Freundschaft aus, keine Liebesbeziehung und auch kein Arbeitsplatz.
Wege aus der Gedankenfalle
Grübler sitzen in der Falle ihrer eigenen Gedanken. Aber Gedanken lassen sich trainieren. Die erste Lektion für Grübler heißt dabei: Machen Sie sich immer wieder von neuem bewusst, dass Gedanken nur Gedanken sind. Gedanken sind keine Taten, sonst würde es von Mördern nur so wimmeln. Wenn wir in einer schwierigen Lebenssituation sind, ist es sogar gut, darüber nachzudenken, was wir tun können, statt in blinder Aktion die Flucht nach vorn anzutreten. Komplexe Lösungen brauchen Zeit.
Gesundes Denken ist jedoch einer Situation angemessen. Das Gegenteil zum negativen Grübeln ist nicht „positives Denken“. Die als „positives Denken“ verkaufte Ideologie kennzeichnet vielmehr psychologische Manipulation bzw. Gehirnwäsche und ist nichts weiter als Verleugnen der Realität. Wer meint, es gäbe keine Probleme mehr, wenn er nur „richtig“ denkt, verhält sich nicht anders als der Grübler, der seine negativen Gedankenschleifen für die Realität hält.
Angesagt ist also realistisches Denken. Das bedeutet, die Gedanken nicht zu ändern, sondern wahrzunehmen. Bewusstsein schafft Distanz. Aus der Distanz heraus lassen sich Gedanken mit der Wirklichkeit vergleichen. Meditation hilft hier: Wir lassen die Gedanken vorbeiziehen und beobachten sie nur, ohne sie zu bewerten.
Grübeln aus Gewöhnung
Das Problem beim Grübeln ist, dass das Gehirn sich erinnert. Wie wir auf eine Situation reagieren, ändert die neuronalen Muster, mit Informationen umzugehen. Kurz gesagt: Wer sich daran gewöhnt, schwierige Situationen durch ergebnisloses Grübeln zu kompensieren, der impft das Grübeln dem Gehirn ein. Ohne alternative Strategien setzen die Nervenbahnen das frustrierende Grübeln jetzt immer von neuem in Gang, wenn Entscheidungen anstehen.
Das kann jeden Bereich des Lebens betreffen und sämtliche Lebensziele zum Scheitern bringen: Statt einen Mann anzusprechen, den ich begehre, habe ich mir einmal angewöhnt, im Bett zu liegen und mir vorzustellen, wie er mich auslacht. Ist das Grübeln erst einmal in Gang gesetzt, laufen jetzt bei jeder Beziehung, die sich anbahnen könnte, die gleichen Schleifen ab. Treffe ich jetzt einen Menschen, der mich anzieht, dann setzt ein Muster ein, das eine Beziehung unmöglich macht. Ich spreche diesen Menschen nicht an, sondern brüte Fantasien über ihn aus. Das kann dieser Mensch nicht wissen, denn die einzige Möglichkeit, ihm meine Gefühle mitzuteilen, besteht darin, ihn anzusprechen.
Wenn wir uns einmal an das Grübeln gewöhnt haben, fällt es uns immer schwerer, Situationen zu meistern. Selbst objektiv einfache „Hürden“ nehmen wir als Stress und Angst wahr. Das Grübeln verspricht uns dabei, diesen Stress und diese Angst zu vermeiden. Wir werden unglücklich.
Das Gehirn verändert sich durch Aktivität
Dabei verändert sich das Gehirn durch Aktivität. Wenn das Grübeln also negative Emotionen scheinbar dämpft, dann nur für den Preis, dass das schlechte Grundgefühl bleibt. Der Mandelkern, unsere Zentrale für Alarm und Bedrohung, bleibt die ganze Zeit in Bereitschaft. Der Grübler geht also mit einem Filter durch die Welt, der ihm negative Informationen vermittelt.
Ständiges Grübeln als Symptom einer Depression oder Angststörung lässt sich ohne langfristige Therapie nicht beheben.
Grübeln wir aber zu viel, ohne unter einer ernsthaften psychischen Störung zu leiden, dann können wir unser Gehirn positiv aktivieren: Auch Erfolgserlebnisse speichert das Gehirn ab, und ein gesunder Optimismus lässt sich ebenfalls trainieren.
Natur und Bewegung
Ganz wichtig ist Bewegung. Wenn wir den Körper spüren, nimmt das Gehirn positive Signale wahr. Wir fühlen uns dann lebendig, und genau dieses Gefühl geht durch das Grübeln erstens verloren und wirkt zweitens dem Grübeln entgegen. Viele Wissenschaftler wissen, wie Bewegung Gedankenschleifen vorbeugt. Wenn sie Stunden und Tage über einem Problem brüten, ohne zu einem Ergebnis zu kommen, gehen diese Forscher ins Kraftstudio oder wandern im Wald.
Das Gute an dieser „Anti-Grübel-Bewegung“ ist, dass sie ohne „Gedankenarbeit“ funktioniert. Grübler, denen das Grübeln unangenehm ist, versuchen nämlich häufig, die Gedankenkreise durch Gedanken zu bekämpfen. Sind sie aber erst einmal in ihren Schleifen gefangen, dann geraten ihre gedanklichen „Lösungen“ in die gleiche Schlaufe hinein.
Wenn wir aber schwimmen, laufen oder klettern, beschäftigen wir unser Gehirn anderweitig. Es braucht jetzt seine Synapsen, um den Körper zu koordinieren. Das Grübeln verschwindet, zuerst kurzfristig, und bei regelmäßigem Training auf Dauer.
Eine hervorragende Kraft gegen das Grübeln ist die Natur. In der Natur sind wir ununterbrochen Sinnesreizen ausgesetzt, die unser Gehirn verarbeitet: Der Duft einer Blume ebenso wie das Summen der Bienen, der Gesang eines Amselmännchens oder ein Eichhörnchen auf dem Weg. Das Gehirn nimmt dieses Leben auf und verarbeitet Informationen, die, das ist das Gute, vollkommen unabhängig von unseren eigenen Gedanken sind.
Achtsamkeit
Pathologische Grübler haben in der Regel verlernt, den Augenblick bewusst wahrzunehmen. Die sinnliche Umwelt verschwindet in einem Nebel grauer Gedanken.
Wer jede Situation achtet, dem bleibt keine Zeit zum Grübeln. Achtsamkeit kann alles umfassen: Sie können sich auf das Flackern des Teelichts auf dem Tisch konzentrieren, dem Bäcker in die Augen schauen, sie können den Geruch und Geschmack ihres Mittagessens genau bestimmten. Sie können Musik hören oder die Bewegungen ihrer Finger beobachten.
Achtsamkeit umfasst die eigenen Gedanken. Dabei helfen einfache Fragen. Geht uns etwas durch den Kopf, fragen wir uns: Stimmt das? Stimmt es, dass mein Chef mich nicht mag, oder gibt es andere Gründe für sein Verhalten. Kann es sein, dass ich aus ganz anderen Gründen schlechte Laune habe?
Wenn wir eine Situation als negativ empfinden oder sie wirklich negativ ist, können wir uns fragen: Was können wir daraus machen? Hat der Chef uns auf Teilzeit gesetzt, und wir können das gegenwärtig nicht ändern? Dann können wir statt herum zu grübeln, genau diese Zeit nutzen, um den Behördenkram zu erledigen, denn wir schon längst machen wollten. Warten Sie auf die Antwort der Universität, ob Sie einen Studienplatz bekommen, und Sie haben, für was auch immer, 1000 Euro beiseite gelegt? Dann können Sie die Wochen des Wartens statt mit Grübeln mit einem Europatrip verbringen. Auch wenn Sie eine Absage bekommen, machen Sie so eine Erfahrung fürs Leben.
Analyse hilft: Angenommen, eine Situation ist wirklich schwierig, und ihnen fällt keine Lösung ein. Dann hilft Grübeln auch nichts. Auch ein negatives Ergebnis ist ein Ergebnis. Was sich nicht ändern lässt, darf uns keinen Stress machen.
Soziale Beziehungen
Grübeln bedeutet soziale Isolation. Die Gedankenschleifen finden nur im eigenen Kopf statt und lassen sich durch den Austausch mit anderen Menschen durchbrechen – allein deshalb, weil Kommunikation per se das Unerwartete bedeutet. Wer grübelt, für den steht das ergebnislose Ergebnis seiner Gedanken fest.
Jeder andere Mensch bringt automatisch andere Gedanken und löst damit den Knoten, denn kein Mensch denkt wie wir. Beziehungen helfen außerdem dazu, das eigene Verhalten zu verändern. Wenn wir in Kontakt zu anderen treten, lösen wir allein durch die Verbindung unser eigenes Gedankengeflecht.
Therapie
Ständiges Grübeln gilt in der Psychologie als ein Symptom verschiedener psychischer Störungen. Negative Gedankenschleifen begleiten eine klinische Depression und sind oft ein erstes Warnsignal, das sich ein depressiver Schub anbahnt. Auch Menschen, die an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden, geraten immer wieder in belastende Gedankenschleifen, die sie auf das Trauma zurück führen.
Das Problemlösetraining hat sich beim Grübeln als erfolgreich erwiesen – auch unabhängig von der Basiserkrankung. Entspannungsverfahren entlasten das Gehirn und aktivieren Nervenbahnen außerhalb des Gedankenkreises.
Die Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie setzt bei der Wahrnehmung an. Hier lernen Betroffene, ihre Gedanken als Gedanken wahrzunehmen, die sich verändern lassen.
Akzeptanztherapien gehen darüber hinaus und sollen die Patienten dazu bringen, sich selbst mit allen Schwächen zu akzeptieren und nicht mehr durch grübeln vor sich selbst davon zu laufen.
In der Praxis hilft dann eine kognitive Umstrukturierung. Hier setzen die Betroffenen veränderte Gedanken um und bauen im Gehirn sinnvolle Muster auf, mit Krisen umzugehen. Psychodrama, Gestalttherapie, therapeutisches Malen oder Schreiben helfen, die Gedankenschleifen zu fokussieren, abzubilden und so vom Patienten zu lösen. Im nächsten Schritt können die Betroffenen dann in Bild und Text das „Hirnkino“ ändern und das Drehbuch ihres Lebens neu schreiben. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Michael Petersen: Psychische Probleme - Ansätze der Bioresonanz, XinXii Verlag, 2015
- Mathias Berger: Psychische Erkrankungen: Klinik und Therapie, Urban & Fischer Verlag / Elsevier GmbH, 6. Auflage, 2018
- DGPPN, BÄK, KBV, AWMF (Hrsg.) für die Leitliniengruppe Unipolare Depression, S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression – Langfassung, 2. Auflage, Version 5, 2015, DOI: 10.6101/AZQ/000364, (Abruf 09.09.2019), Leitlinie
- Bandelow, Borwin et al.: Deutsche S3-Leitlinie Behandlung von Angststörungen, (Abruf 09.09.2019), DGPPN
- DeGPT (Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie): Posttraumatische Belastungsstörung (Abruf: 09.09.2019), DEGPT
- Lois Choi-Kain: Persönlichkeitsstörungen im Überblick, MSD Manual, (Abruf 09.09.2019), MSD
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.