Die Auseinandersetzung mit dem Tod wirft Menschen oft aus dem Gleichgewicht. Mit einer bewussten Trauerverarbeitung kann der Verlust bewusst durchlebt und überwunden werden.
Inhaltsverzeichnis
Tod – Ein Tabu?
Der Tod gehört zum Leben dazu. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit waren Sterben und Tod öffentlich präsent und rituell in den Alltag eingebunden.
Eine hohe Kindersterblichkeit und eine niedrige Lebenserwartung sorgten dafür, dass Menschen schon in jungen Jahren Verluste im nahen Umfeld hinnehmen mussten. Nach dem zweiten Weltkrieg, dem großen Sterben, verschob sich der Tod in die Anonymität.
Fortschritte in der Medizin ließen in allen Industriestaaten das Lebensalter ansteigen und zuvor tödliche Erkrankungen waren besser zu behandeln. Der Blick auf die Ärztinnen und Ärzte verschob sich.
Sterben galt zunehmend als Schuld der Medizinerinnen und Mediziner. Nicht nur das Sterben, sondern auch die Schwäche alternder Menschen rückte immer mehr in eine Tabuzone.
Seniorinnen und Senioren sollen heute nicht nur immer länger leben. Sie sollen auch bis zum Tod aktiv bleiben.
Die medizinischen Apparate verlängern den Sterbeprozess. Menschen, die vor wenigen Generationen längst tot gewesen wären, lassen sich mit heutiger Technik am Leben erhalten und das bisweilen über Jahre.
In der Vergangenheit starben die Menschen im Dorf und in der Großfamilie. Nicht nur das Begräbnis, sondern auch das Sterben gehörte zum sozialen Leben dazu. Alter, Schwäche und Sterben sind seit dem 20. Jahrhundert aus der Gemeinschaft herausgerückt.
Alte Menschen kommen meist in Altersheime und sterben dort oder im Krankenhaus. Die Generationen ziehen viel stärker räumlich auseinander als in traditionellen Gesellschaften. Erwachsene haben zu ihren Eltern oft über Jahre keinen Kontakt mehr.
Doch nicht nur die Sterbenden, auch die Hinterbliebenen bleiben zunehmend allein. Weil der Tod aus der Wahrnehmung gedrängt wird, wissen sie häufig nicht mit der Traurigkeit umzugehen.
Vielen Menschen fällt es schwer, den Tod eines geliebter Menschen zu verkraften und Trauernde zu begleiten. Gleichzeitig ist der Umgang mit Tod individuell verschieden und es gibt keinen Königsweg, wie der Tod am besten verkraftet werden kann.
Oft meiden die Menschen im sozialen Umfeld das Gespräch. Viele ziehen sich sogar von Hinterbliebenen zurück.
Menschen machen sich heute auch zunehmend Gedanken darüber, wie sie sterben wollen. Sie bereiten sich darauf vor, ihr Leben nicht anonym in einer Klinik zu beenden.
Eine Diskussion um Sterbehilfe hat die Praxis in den Fokus gerückt, das Leben mit Apparaten auszudehnen. Und das, obwohl ein reales Leben längst vorbei ist.
Weil das Leiden und Sterben oftmals aus dem Alltag verschwunden ist, haben viele Hinterbliebenen die Entwicklung verloren, Abschied zu nehmen. Abschied zu nehmen schmerzt, es ist aber eine tiefgreifende Erfahrung und bereits Teil der Trauerarbeit.
Wer jemanden beim Sterben begleitet hat, dem bleibt diese Erfahrung meist als Reifungsprozess im Gedächtnis verankert. Wenn die Sterbenden geistig noch bei Sinnen sind, hinterlassen sie den Begleitenden oft wertvolle Botschaften.
Was passiert im Gehirn – Flucht, Aggression und Erstarren
Wenn ein Mensch stirbt, der uns nahesteht, stört das die Hirnprozesse, besonders im Hirnstamm, im Kleinhirn und im limbischen System. Das limbische System regelt unsere Emotionen, unser Gedächtnis und unsere Orientierung.
Hirnstamm und Kleinhirn beeinflussen den Schlaf, die Atmung, den Kreislauf oder das Essen. Nach dem Tod einer Nahestehenden oder eines Nahestehenden leiden Menschen daher oft unter Schlafproblemen, Vergesslichkeit, Orientierungslosigkeit, fühlen sich krank und können nicht essen.
Hirnstamm, Kleinhirn und limbisches System laufen wie seit Urzeiten bei einem Todesfall im Ausnahmezustand und signalisieren: Bedrohung. Menschen, die mit einem Todesfall konfrontiert werden, reagieren entsprechend instinktiv mit Flucht, Aggression oder Erstarren.
Flucht
„Angst verhindert nicht den Tod. Sie verhindert das Leben.” Naguib Mahfouz
Flucht fällt uns häufig erst auf, wenn sie in eine Panikattacke ausartet. Doch auch im Alltag flüchten viele Menschen aus Trauersituationen, ob sie ziellos mit dem Auto umherfahren, spontan verreisen oder sich mit Alkohol betäuben.
Beim Unterwegssein löst sich das Gefühl, nicht weiterzukommen, zunächst auf. Bei jeder Form der Ablenkung bedeutet dies einen zeitweisen Ausstieg aus dem ständigen Grübeln.
Die Trauer bleibt zwar, aber beispielsweise im Auto, muss man sich auf den Weg konzentrieren, bremsen, abbiegen oder entscheiden, wohin man fährt. Physiologisch handelt es sich dabei um eine biologisch bedingte Reaktion aus Angst.
Wenn Menschen sich bedroht fühlen, signalisiert das Gehirn Gefahr und sie versuchen, der gefährlichen Situation zu entkommen. Beim Trauern, weil ein Mensch gestorben ist, oder auch wenn die Partnerin oder der Partner sich getrennt hat, ist eine Flucht ebenso sinnvoll wie riskant.
Eine Flucht aus einer Situation löst das Problem gewiss nicht, gewährt aber kurzfristig eine Pufferzone zwischen negativen, belastenden Gefühlen und ihrer unmittelbaren Verarbeitung. Langfristig kann dauerndes Flüchten jedoch zu einer Gefahr werden.
Menschen, die den Halt verloren haben, weil ein Mensch, der zuvor eine Stütze war, gestorben ist, flüchten sich häufig in Süchte. Den Schmerz mit Alkohol oder anderen Drogen zu betäuben, kann in gefährlicher Abhängigkeit und Kontrollverlust resultieren.
Aggression
Eine weitere Reaktion auf Angst ist Aggression. Diese Entscheidung läuft im schnellen und ältesten Teil des Gehirns ab, dem Stammhirn.
Auch diese ist biologisch verankert. Wenn ein Tier oder ein Mensch in einer Situation ist, die unmittelbar das Leben bedroht (oder zu bedrohen scheint, das Gehirn unterscheidet nicht), dann entscheiden sich Tier und Mensch intuitiv zwischen Kampf oder Flucht.
Würde man erst den Kopf anstrengen, also das beim Menschen entwickelte analytische Denken im Großhirn einschalten, wäre es im Ernstfall zu spät. Wer lange überlegt, ob der Schatten unter den Bäumen ein Tiger sein könnte, den hätte der Tiger längst getötet, falls es einer wäre.
Bei Tieren, die in Sozialverbänden leben, löst der Tod eines Rudelmitglieds die Kette der Angstreaktionen aus. Das ist auch kein Zufall, denn wenn das Tier nicht an einer Krankheit oder Altersschwäche stirbt, bedeutet der Tod eine Bedrohung für alle anderen Rudelmitglieder.
Auch bei Lawinen oder Feuer ist Flucht die beste Handlung. Bei einem Fressfeind in der Tierwelt lautet die Entscheidung: Bin ich / sind wir stark genug, ihn zu vertreiben, oder fliehe ich beziehungsweise fliehen wir?
Die Angstreflexe Flucht, Aggression und Erstarren sind nicht rational, das heißt, sie durchlaufen nicht den Teil des Gehirns, der reflektiert und analysiert. Sie finden auf der unbewussten Ebene statt, dem assoziativen Handeln, und entsprechen dem, was man bei Tieren als Instinkte bezeichnet.
Deshalb verhalten sich Trauernde, rational betrachtet, bisweilen unfair. Sie reagieren teils aggressiv, wenn Nahestehende ihnen helfen wollen, oder weisen anderen die Schuld am Tod zu.
Das mag zwar gelegentlich berechtigt sein, entspringt aber einem unbewussten Angstreflex. Aggressivität zum Beispiel gegenüber einem Beutegreifer, der den Tod eines Rudelmitglieds verursachte, ist in der Evolution sinnvoll und sogar notwendig.
Außerdem wird so das diffuse Gefühl der Angst durch eine konkrete Handlung kontrolliert. Wenn es eine Schuldige oder einen Schuldigen gibt, hat der Mensch die Möglichkeit, zu handeln. Gegenüber einem blinden Geschehnis gibt es diese Option nicht.
Betroffene sind gut beraten, sich die irrationalen Reaktionen und Gefühle zu verzeihen. Wenn sie wissen, dass sie so, biologisch bedingt, die Erschütterung ihrer sozialen Struktur kontrollieren, verstehen sie, dass sie nicht krank sind.
Erstarren
Starre oder Erstarren geht mit Flucht und Angriff einher. Trauernde haben Probleme, den Alltag zu bewältigen. Sie schaffen es kaum, aufzustehen, sich anzuziehen, sich zu waschen oder zu essen.
Selbst wenn sie äußerlich funktionieren, erstarren sie innerlich oft: Egal, was sie tun, in sich fühlen sie nur eine innere Leere. Auch diese Leere ist eine biologisch sinnvolle Reaktion auf eine Bedrohung.
Die Leere schützt die Betroffenen davor, von ihren Gefühlen überwältigt zu werden. Sie kapseln sich durch Erstarren beziehungsweise Leere von den eigenen Emotionen ab. Allerdings wechselt sich dies häufig mit extremen Gefühlsausbrüchen ab.
Trauerphasen
Es gibt verschiedene Modelle zu Trauerphasen. Die Sterbeforscherin und Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross hat ein 5-Phasen-Modell der Trauer entwickelt.
Dieses bezieht sich aber auf die oder den Sterbenden selbst und nicht auf den trauernden Menschen, der zurückbleibt. Nach dem Professor für systematische Theologie, York Spiegel, verläuft Trauer für Hinterbliebene in vier verschiedenen Phasen:
- Erste Phase des Schocks,
- zweite Phase der Kontrolle,
- dritte Phase der Regression,
- vierte Phase des Wiedereintritts ins Leben.
Das Phasenmodell ist nicht statisch. Bei manchen Menschen dauern die einzelnen Phasen sehr lange.
Bei anderen finden die einzelnen Stufen so nicht statt. Wieder andere springen von Neuanfängen zu Verzweiflung und Vermeidung und zu offenem Ausdruck ihrer Gefühle.
Erste Phase des Schocks
Zuerst sind die Trauernden im Zustand des Schocks. Sie fühlen sich wie gelähmt, wirken, als stünden sie neben sich – wie in einer anderen Welt. Das kann bis zu einer Woche dauern.
Angehörige können in dieser Zeit die Alltagsarbeiten der Trauernden übernehmen. Die Dinge der oder des Toten sollten dabei nur die Trauernden selbst antasten und so begreifen, dass der Mensch weg ist.
Die Trauernden lassen den Tod in dieser Phase oft nicht an sich heran. Sie sind manchmal der Überzeugung, die Verstorbene oder der Verstorbene sei noch am Leben.
Sie tun so, als hätte sich nichts geändert. Es ist eine Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens.
Zweite Phase der Kontrolle
Die zweite Phase ist die der Kontrolle. Die Trauernden versuchen jetzt, die Bestattung und alles Nötige zu organisieren. Dabei stehen sie oft noch immer neben sich.
Eine Hilfe von außen sollte jetzt behutsam vor sich gehen. Die Trauernden dürfen nicht verlernen, den Alltag für sich selbst zu regeln.
Dritte Phase der Regression
In der dritten Phase beginnt erst die Verarbeitung. Die Bestattung ist vorbei, ebenso der Schock – jetzt kommt die Wirklichkeit.
Der Verlust wird jetzt in voller Härte wahrgenommen. Viele versuchen, den Tod zu verdrängen.
Trauernde sprechen mit dem Verstorbenen, denken, sie oder er sei noch da. Sie meinen, sie oder ihn zu hören, zu sehen oder zu riechen.
Alles erscheint jetzt leer, jede Handlung verliert ihren Sinn. Trauernde fühlen sich, als würden sie nicht zur Welt gehören.
Zugleich erwarten die Außenstehenden von Trauernden, dass das normale Leben weitergeht. Es entsteht Druck, sich wieder einzugliedern.
Meist kommt es in dieser Phase zu Konflikten zwischen den Trauernden und ihrer Umwelt. Besonders mit den Helfenden.
Die Trauernden fühlen sich in den eigenen Gefühlen zerrissen. Sie wirken launisch, leiden an Kurzatmigkeit, Schlaflosigkeit und haben weder Kraft noch Hunger.
Gefühlsausbrüche, welche die Helfenden treffen können, gelten oft Verstorbenen selbst. Diese fehlen den Trauernden jedoch als Ansprechpartnerin oder Ansprechpartner.
Wer das weiß, kann die Betroffenen stützen. Dies geht am besten, indem er ihnen zeigt, dass ihr psychisches Chaos in dieser Situation selbstverständlich ist.
In dieser Situation als trauernder Mensch die Flucht zu ergreifen, ist ebenso verständlich, wie es den Schmerz verschlimmern kann. Statt sich der Trauer zu stellen, wechseln Trauernde vielleicht die Wohnung, kündigen Freundschaften oder verlieren sich in Aktivitäten.
Sich der Trauer nicht zu stellen und den Schmerz zu verdrängen, ist verständlich. Verdrängter Schmerz kommt jedoch in geballter Form wieder, oft, wenn man es am wenigsten erwartet.
Vierte Phase der Wiedereintritt ins Leben
Die vierte Phase ist der Wiedereintritt ins Leben. Jetzt verstehen die Überlebenden, dass das Leben ohne den verstorbenen Menschen weitergehen muss. Die Trauernden überwinden in dieser Phase ihren Schmerz.
Die Vergangenheit wird langsam akzeptiert. Die Betroffenen können jetzt reflektieren und ihre Beziehung zu der oder dem Verstorbenen in einem distanzierten Licht sehen.
Im besten Fall bauen die Trauernden nun neue Beziehungen auf. Sie organisieren ihr Leben neu.
Kinder und Tod
Kinder sind allem gegenüber neugierig, was um sie herum passiert. Früher oder später stoßen sie auf den Tod.
Sei es, dass sie ein totes Tier sehen oder dass sie hören, dass jemand gestorben ist. Wenn Eltern den Fragen ausweichen oder unklare Antworten geben, löst das beim Kind oft Angst aus.
Kinder haben ein feines Gespür dafür, ob die Eltern ihnen etwas verheimlichen. Sie fürchten oft, dass das Geheimnis etwas Schlimmes sein muss.
Kinder spüren die Erschütterung durch den Tod mehr als Erwachsene, sehnen sich eine „heile Welt“ zurück. Sie idealisieren die Tote oder den Toten.
Sie reagieren sensibel auf den Umgang der Erwachsenen mit der Trauer. Spätestens, wenn der erste Mensch stirbt, der dem Kind nahe steht, will das Kind wissen, was passiert. Viel besser ist es also, mit dem Kind vorher über den Tod zu sprechen.
Viele Kinder glauben, dass eine Tote oder ein Toter nur vorübergehend nicht da ist. Dass jemand nicht mehr existiert, ist für Kleinkinder schwierig zu verstehen, weil in ihrer Welt alles real ist, was sie sich vorstellen.
Kleine Kinder können ihre Gefühle nicht kontrollieren, sie trauern sprunghaft. Im einen Moment haben sie beste Laune, im nächsten brechen sie zusammen. Trauer zeigt sich bei Kindern in ihrem ganzen Spektrum: Sie schlafen schlecht, sie ziehen sich zurück oder werden aggressiv.
Mit Kindern über den Tod sprechen
Viele Eltern wissen nicht, wie sie mit ihren Kindern über den Tod sprechen sollen, und schieben den Schutz des Kindes vor. Aussagen wie „es ist noch zu klein, um das zu verstehen“ oder „der kommt wieder“ schützen in Wirklichkeit nur die Eltern, die nicht wissen, wie sie das Thema erklären sollen.
Je offener eine Familie Gefühle zeigt, umso leichter ist es für das Kind, seine Traurigkeit auszudrücken. Ein Kind ist niemals zu klein, um über das Geschehene zu reden.
Die Eltern sind in der Pflicht, mit dem Kind auf eine Art und Weise darüber zu sprechen, die es verstehen kann. Fühlen sich Eltern jedoch überfordert damit, kann eine Kinderpsychologin oder ein Kinderpsychologe wertvolle Tipps dazu geben.
Nicht jede Trauer ist gleich
Jeder Mensch trauert unterschiedlich und jeder Tod ist verschieden. Wenn ein Mensch mit 93 Jahren nach langer Demenz stirbt, sind die Verwandten darauf besser vorbereitet, als wenn ein 18-Jähriger Suizid begeht.
Kinder trauern anders als Erwachsene. Psychisch labile oder sehr sensible Menschen trauern anders als sehr widerstandsfähige Menschen, die Schicksalsschläge generell besser verkraften.
Eltern, deren Kind Suizid begangen hat, plagen meist Schuldgefühle. Diese wechseln sich mit Wut ab, die auch auf das verlorene Kind bezogen sein kann.
Oft vergrößern Vorwürfe anderer die Verzweiflung der Eltern. Die Betroffenen sehen sich zusätzlich als Täterinnen oder Täter verunglimpft.
Eltern quälen sich mit der Frage, was sie falsch gemacht haben. Doch auf das Warum gibt es keine Antwort, denn das Kind, das dies beantworten könnte, ist tot.
In dieser Situation sollten Hinterbliebene therapeutische Hilfe aufsuchen. Auch Selbsthilfegruppen von Menschen mit gleichem Schicksal helfen weiter.
Trauerbewältigung
„Der Tod ordnet die Welt neu. Scheinbar hat sich nichts verändert, und doch ist alles anders geworden.“ Antoine de Saint-Exupéry
Trauerarbeit, um die Trauer zu überwinden, kann bedeuten:
- Teilnahme an gemeinschaftlichen Trauerritualen wie der Bestattung,
- über die Trauer sprechen,
- Trauer zulassen und sich selbst bedingungslos annehmen,
- Trauertagebuch führen,
- aus der Trauer lernen,
- Selbstfürsorge und sich selbst Gutes tun,
- eigene Rituale zur Verarbeitung finden,
- Bewegung und Zeit in der Natur,
- professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
Die Wirkung von Ritualen – Trauer mitteilen
Alle Religionen wissen um die Wirkung von Ritualen und Symbolen. Menschen unterscheiden sich von Tieren darin, dass sie aktiv Symbole einsetzen, um sich zu verständigen und die Welt zu ordnen.
Das religiöse Ritual schafft einen kollektiven Rahmen, um die Trauer zu ordnen. Dazu gehören etwa die Totenruhe, die letzte Salbung und jegliche Form von Bestattung, das Verbrennen des Leichnams ebenso wie die Beerdigung oder das Seemannsgrab.
Die Zeremonie bindet die Leidenden in die Gemeinschaft mit ein. Daran können Verwandte, Freundinnen und Freunde sowie Bekannte teilnehmen.
Religion und Neurowissenschaft scheinen erst einmal wenig miteinander zu tun zu haben. Gerade in den polytheistischen Religionen, in denen die Menschen mehrere Göttinnen, Götter oder Naturgeister verehren, zeigt sich deutlich, dass diese ihre Kraft vor allem aus dem gemeinsamen Ritual ziehen.
Rituale und Zeremonien unterstützen Trauernde auch aus Sicht der Neurowissenschaft. Trauernden hilft es, an jeglicher Form der Bestattung in der Gemeinschaft teilzunehmen.
Denn Verständnis der Betroffenen sich selbst gegenüber, verbunden mit Verständnis von anderen, und dazu bewusst gewählte Symbole und Rituale helfen dem Gehirn, die Situation zu bewältigen. Dadurch werden die Glückshormone Dopamin und Serotonin ausgeschüttet.
Die Trauernden fühlen sich in Folge besser und lösen sich aus der Starre. Es hilft, über die eigene Trauer zu sprechen und diese mitzuteilen. Das Grab zu besuchen, kann ebenso wichtig sein.
Was von einem toten Menschen bleibt, ist die Erinnerung. Um in das Leben einzutreten, hilft es ungemein, diese Erinnerungen lebendig zu gestalten.
Man kann der beziehungsweise dem oder der Toten auch einen Brief schreiben und diesen Brief mit in das Grab werfen. Manchen Menschen hilft es, an die Verstorbene oder den Verstorbenen im Zwiegespräch Fragen zu stellen und sich dabei in die jeweilige Antwort hineinzufühlen.
Die Trauer ist ein individueller Vorgang. Ohne an Übernatürliches zu glauben, ist Trauernden die oder der Tote oft sehr nahe, denn die mit ihr oder ihm verbundenen Erinnerungen sind ein Teil der eigenen Vergangenheit.
Das emotionale Durchleben, das Verstehen des Geschehenen, das Ordnen des Chaos und das äußere Funktionieren organisiert jeder Mensch anders. Manche trauern Verstorbenen einige Wochen nach, bei anderen dauert diese Phase Jahre.
Trauer aktiv zulassen
Depressive Erkrankungen nehmen in Deutschland zu. Wie auch eine Depression in der Gesellschaft eher wenig von Menschen gezeigt wird, verhält es sich auch mit der Trauer.
Menschen neigen dazu, sich eine Maske aufzusetzen und zu verbergen, wie es in ihnen aussieht. Wenn jemand stirbt, ist offene Trauer jedoch sehr wichtig.
Sie hilft, den Verlust zu begreifen, auszudrücken und letztlich zu verarbeiten. Wenn Trauer mit ihren schweren Gefühlen unterdrückt wird, besteht die Gefahr, dass diese Gefühle wieder auftauchen.
Unterdrückte Gefühle können in Träumen erscheinen oder sich als negative Grundstimmung oder als stummes Leid verankern. Lethargie, Stumpfsinn und Niedergeschlagenheit treten an die Stelle der Tränen. Der Heilungsprozess läuft Gefahr, durch Verdrängung unterdrückt zu werden.
Dabei sind die einzelnen Trauerphasen ein seelischer Prozess, der mit dem Heilen körperlicher Wunden vergleichbar ist. Die Erschütterung durch den Verlust führt dazu, dass sich die Nervenverbindungen erst einmal neu herstellen müssen.
Betroffenen zu sagen, sie sollen sich zusammenreißen, ist der falsche Weg. Trauern ist keine psychische Krankheit. Die Trauer braucht keine Mittel, um sie zu beseitigen, sondern nur Zeit zur Verarbeitung.
Trauer ist sinnvoll: Durch sie wird der Verlust realisiert und erst dadurch können sich Betroffene mental und praktisch auf die neue Situation einstellen. Falsch ist es, die Illusion aufrechtzuerhalten, die oder der Verstorbene wäre noch da.
Eltern, deren Kinder sterben, lassen zum Beispiel oft deren Zimmer unangetastet. So kommen sie über den Verlust nie hinweg.
Besser ist es, die persönlichen Dinge aufzubewahren, die mit Erinnerungen verbunden sind. Gleichzeitig das Haus aber so umzuräumen, dass kein Platz mehr für die oder den Verstorbenen ist.
Trauer als Chance für inneres Wachstum
Die Trauer nach einem Verlust kann eine Chance sein, zu sich selbst zu finden und sich selbst zu akzeptieren mit allen Stärken und Schwächen, Gedanken und dem eigenen Verhalten. Die Trauer sollte möglichst bewusst zugelassen und erlebt werden.
Sich selbst einmal zu umarmen und zu beobachten, sich zu fragen, was man fühlt und möchte, hilft bei der persönlichen Trauerbewältigung. Es hilft, ein Tagebuch zu führen und alles, was an Gedanken auftaucht, hineinzuschreiben.
Die Gefühle, Gedanken und Vorstellungen, die Trauernde in dieser Phase entwickeln, sind vermutlich mit die intensivsten des Lebens. Sich schöne Momente mit der Toten oder dem Toten ins Gedächtnis zu rufen oder an das zu denken, was sie oder er einen lehrte und dies aufzuschreiben, ist heilsam.
Das Niederschreiben hilft nicht nur, den rasenden Gedanken eine Form zu geben und so aus dem Leerlauf des Kreisens um sich selbst herauszukommen. Sondern stellt auch einen großen Schatz für die Zukunft dar.
Niemals sonst kommen intimste Ängste, Erinnerungen, aber auch Konflikte, Werte und Normen so deutlich ans Licht wie in den Zeiten der Krise. Menschen verstehen in den ersten Phasen verständlicherweise den Gewinn für das eigene Potenzial nicht.
Die Einschnitte im Leben, wie auch der Tod, stellen die Weichen für unser Leben. Nicht die Zeiten, in denen alles glatt läuft – vorausgesetzt, man geht mit der Krise konstruktiv um.
Selbstfürsorge und sich selbst Gutes tun
Viele Menschen machen den Fehler, dass sie es gegenüber der Toten oder dem Toten für unangebracht halten, sich selbst etwas Gutes zu tun. Dabei würden die Verstorbenen vermutlich genau das wollen.
Besonders in Zeiten der Trauer ist die Selbstfürsorge sehr wichtig. Regelmäßige Mahlzeiten, Ausflüge, Bewegung, Zeit in der Natur und Musik tun vielen Menschen gut in Trauersituationen.
Auch sich selbst etwas Besonderes zu gönnen, wie eine Massage, ein Verwöhnwochenende oder eine besondere Reise. All diese Dinge können helfen, wieder Momente des Wohlfühlens und der Ablenkung zu schaffen.
Professionelle Hilfe nach dem Tod eines nahestehenden Menschen?
Es gibt mehrere Möglichkeiten, sich aktiv Hilfe zu beschaffen, wenn die Trauer zu groß ist. Menschen mit einer Glaubensangehörigkeit sollten sich nicht scheuen, auch wenn sie sonst nicht in der Kirchengemeinde aktiv waren, bei der Pastorin oder dem Pastor um Trauerbegleitung zu bitten.
Die Telefonseelsorge ist eine weitere Möglichkeit und gewährleistet Anonymität. Ausdrücklich werden Menschen jeder Glaubensgemeinschaft und auch Menschen ohne Kirchenzugehörigkeit kostenlos zu jeder Tages- und Nachtzeit unter folgenden Nummern beraten: 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222 oder per Chat unter online.telefonseelsorge.de
Die Hausärztin oder der Hausarzt kann eine Überweisung zu einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten ausstellen. Eine Psychotherapie kann sehr unterstützend sein und mittlerweile gibt es zahlreiche spezialisierte Trauertherapeutinnen und -therapeuten.
Verschiedene Selbsthilfegruppen, die das Thema Tod und Trauer thematisieren, finden sich in jeder größeren Stadt und haben Onlineauftritte. Auch gibt es eine kostenlose Beratung im Trauerfall per E-Mail, beispielsweise von den Maltesern.
Hilflosigkeit der Trauernden
Trauernde sind, wörtlich genommen, nicht mehr „Herr oder Herrin ihrer Sinne”. Sie können ihre Reaktionen wenig steuern.
Auch dies beruht auf Prozessen im Gehirn. Ein Todesfall und andere persönliche Katastrophen stören den als Neokortex bezeichneten Teil im Gehirn, in dem das Denken und Handeln sitzt.
Funktioniert dieses Zentrum, können Menschen ihre Impulse bis zu einem gewissen Grad steuern. Betroffene in schmerzvollen Trauersituationen verlieren jedoch oftmals jeden Einfluss auf ihre Gefühlswelt und leiden unter unkontrollierten Gefühlsausbrüchen.
Die Alltagsorganisation schaffen Trauernde oft nicht mehr. Viele Trauernde wollen nicht aggressiv sein, attackieren aber Außenstehende. Trauernde leiden unter kreisenden Gedanken und sind nur schwer in der Lage, einen Plan zu entwickeln, wie sich das Leben wieder führen lässt.
Diese Symptome ähneln denen einer Depression und eine Depression kann auch aus dem Verlust eines geliebten Menschen heraus entstehen. Menschen in tiefer Trauer kreisen gedanklich in der Vergangenheit mit der oder dem Verstorbenen.
Es spielt faktisch keine Rolle, ob die Trauernden in einer bestimmten Situation etwas anderes gesagt, gedacht oder getan hätten. Aber Schuldgefühle wie „hätte ich ihn doch vom Rauchen abgehalten, dann wäre er nicht am Krebs gestorben“, oder „hätte ich sie gehindert, an dem Tag mit dem Auto zu fahren, dann hätte sie keinen Unfall erlitten“ wechseln sich ab mit Flüchen auf das Schicksal: „Warum passiert mir das?“
Auch hier handelt es sich um psychologisch sinnvolle Konstruktionen des Unterbewusstseins, denen aber die Bezüge fehlen. Das menschliche Gehirn entwirft permanent Storylines, an denen Menschen sich im Leben orientieren können.
Trost bei Trauer
Den meisten Menschen fällt es schwer, mit Trauernden umzugehen. Wenn die Betroffenen aggressiv reagieren, sich zurückziehen oder sich extrem in Aktivitäten stürzen, machen Angehörige und der Freundeskreis sich Sorgen. Oder sie wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen.
Hilfe für Trauernde kann sein:
- Geduld aufbringen,
- aktives Zuhören,
- Begleitung und Beistand,
- kleine Gesten,
- Angebote der Ablenkung machen.
Die schwierigste Lektion, um einen Menschen in dieser Krise zu begleiten, besteht darin, nicht zu viel zu tun. Trauer braucht Zeit und Betroffenen hilft es oft nicht, wenn Außenstehende ihnen Ratschläge geben.
Man sollte die Trauernden erzählen lassen, ohne zu bewerten oder Vorschläge zu geben. Viel besser als Lösungsprogramme, zu denen die Leidenden überhaupt noch nicht in der Lage sein können, ist es, sie einfach zu begleiten.
Für Nicht-Betroffene sieht das nicht nach aktivem Beistand aus, weil sich keine sofortigen Ergebnisse sehen lassen, doch diese aktive Passivität, in der die Trauernden alles sagen können, aber nichts müssen, erleichtert ihnen Bewältigung ungemein.
Vielleicht haben die Betroffenen Lust auf einen Waldspaziergang, möchten in ein Café gehen, wo sie mit der oder dem Verstorbenen häufig saßen, einen Ort aus der gemeinsamen Kindheit aufsuchen oder einen Film gucken, den der trauernde Mensch mit der oder dem Toten verbindet.
Trauernde können mit kleinen Gesten unterstützt werden. Dies kann eine warme Mahlzeit sein, die vor der Tür abgestellt wird, ein Blumenstrauß, eine Karte oder eine andere Aufmerksamkeit.
Menschen in Trauer brauchen Freundinnen und Freunde. Dabei können diese sich darauf einstellen, dass Schmerz und Traurigkeit der Betroffenen auch nach langer Zeit wiederkommen können.
Im besonderen Fall, wenn ein Kind stirbt, sind die Leidtragenden nicht nur die Eltern, sondern auch die Geschwister. Diese sollten als Trauernde nicht vernachlässigt werden.
Häufige Fehler, die man im Umgang mit Trauernden vermeiden sollte
Als außenstehende Person möchte man die Trauernde oder den Trauernden bestmöglich unterstützen. Aus häufigen Fehlern kann man lernen und Folgendes sollte beachten werden:
- Nicht von sich auf die oder den Trauernden schließen. Jeder Mensch trauert individuell und hat die Freiheit zu entscheiden, wie der Umgang mit der Trauer erfolgt.
- Urteile und Ratschläge vermeiden.
- Die Zeitdauer des Trauerns sollte niemandem vorgeschrieben werden, auch sie ist individuell verschieden.
- Floskeln zur Aufmunterung sollten vermieden werden, diese können ein tiefgehendes Gespräch nicht ersetzen.
- Der Tod sollte nicht klein- oder weggeredet, sondern ernst genommen werden.
Ich-Stärke
Generell gilt: Je stärker ein Mensch sein Ich entwickelt und seine Lebenskonflikte integriert hat, desto besser kann er negative Gefühle aushalten. Dazu zählt auch, seine eigenen Emotionen ausdrücken zu können.
Je besser jemand Bindungen und Beziehungen eingehen kann, umso besser kann er sich auch trennen. Loslösung und Bindung gehören zusammen.
Die Verzweiflung durchzustehen und zu überwinden, ist auch stark von der Beziehung zu der verstorbenen Person abhängig. Es fällt nicht immer unbedingt leichter, sich von einem Menschen zu verabschieden, mit dem man eine problembehaftete Beziehung hatte.
Bei einer Hassliebe oder einem schwelenden Konflikt mit der oder dem Verstorbenen fällt es schwerer, den Tod zu verarbeiten. Ist mit der Toten oder dem Toten hingegen eine Lebensphase verbunden, in der gemeinsam Unabhängigkeit und Stärke entwickelt wurden, fällt es Menschen oft leichter, sich wieder zu fangen.
Der Psychologe Dr. Hans Goldbrunner sagt, dass es kein einfaches Muster für Trauer gibt. Diese zeichne sich gerade durch verschiedene Impulse aus.
Diese halten sich in etwa die Waage: Aushalten und Vermeiden von Schmerz, zwischen Gefühl und Verstand, Aktivität und Passivität, Ablösung und Bindungserhalt.
Der Trauerprozess braucht Zeit, aber als Prozess muss er auch ein Ende haben. In diesem Sinn ist Trauer das Gegenteil von Depression oder Depression eine nicht verarbeitete Trauer.
Es geht darum, irgendwann nicht immer wieder nur in die Verzweiflung abzutauchen. Sondern anzuerkennen, dass es Geschehnisse gibt, die sich weder berechnen noch steuern lassen. (Dr. Utz Anhalt, ls)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Canacakis, J.(Hrsg.): Ich sehe deine Tränen: trauern, klagen, leben können, Kreuz-Verlag, 2001
- Kushner, H. S.(Hrsg.): Wenn guten Menschen Böses widerfährt, Gütersloher Verlagshaus, 2014
- Grollman, E. A.(Hrsg.): Lass deiner Trauer Flügel wachsen. Wenn man von einem lieben Menschen Abschied nehmen muss, Herder Verlag, 2011
- Schmid, T.(Hrsg.): Auf dem Weg im Land der Tränen: Gebete und Texte für trauernde Eltern, Echter Verlag, 2002
- Nijs, M. (Hrsg.): Trauern hat seine Zeit. Abschiedsrituale beim frühen Tod eines Kindes, Hogrefe Verlag, 2003
- Cardinal, C.(Hrsg.): Trauerheilung. Ein Wegbegleiter, Topos plus, 2011
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.