Buchrezension: “Fettlogik überwinden” von Dr. Nadja Hermann
Dr. Nadja Hermann räumt in „Die Fettlogik überwinden“ systematisch mit Mythen über Ab- und Zunehmen auf. Die Autorin war ihr Leben lang übergewichtig, wog bereits mit 20 Jahren 130 Kilo, fastete sich dann auf 68 Kilo bei 1,68 cm Körpergröße herunter. Mit 30 wog sie 150 Kilogramm, und statt den Kampf gegen das Übergewicht aufzunehmen, den sie inzwischen für unmöglich hielt, setzte sie andere Prioritäten: Sie promovierte in Psychologie, bildete sich zur Psychotherapeutin aus, heiratete und renovierte ein Haus. Sie glaubte, sich bewusst gegen Hungern und Selbstkasteien und für Lebensfreude entschieden zu haben.
Inhaltsverzeichnis
Verdrängung
„Als Verhaltenstherapeutin bin ich jahrelang an meinem eigenen Übergewicht gescheitert. Der Grund dafür ist, dass (Verhaltens-)Therapie nur dann wirkt, wenn man weiß, welches Verhalten man ändern muss, und wenn man auch überzeugt ist, dass es wirkt und man es schaffen kann” (Nadja Hermann). Für ihren Mann war das Übergewicht kein Problem, auch nicht für ihre Freunde wie Kolleginnen und Kollegen. Sie sagte, sie fühle sich wohl und wäre lediglich gern etwas sportlicher.
So ganz wasserdicht war ihre nach außen vertretene Zufriedenheit jedoch nicht, auch wenn sie selbst daran glauben wollte. Sie besuchte nämlich eine Adipositas-Ambulanz und ließ sich wegen einer Magenverkleinerung beraten. Dann entschied sie sich gegen eine Operation und konzentrierte sich auf Forschungen, die bewiesen, dass Übergewicht nicht schädlich ist. Diesen Mythos greift sie später im Buch wieder auf.
Hoher Blutdruck und Rückenschmerzen
Die Autorin verdrängte die Auseinandersetzung mit gesundheitlichen Risiken. So ging sie selten zu einem Arzt, weil sie nicht mit ihrem Gewicht konfrontiert werden wollte. Ging sie doch einmal hin, zeigte sich, dass sie starken Bluthochdruck hatte, sie schob das aber auf den Stress, den Arztbesuche bei ihr auslösten.
Der Blutdruck war jedoch auch zu Hause hoch. Sie setzte die Pille ab und trank viel grünen Tee, und der Wert minderte sich ein wenig. Doch immer noch lag er viel zu hoch. Sie versuchte zu ignorieren, dass sie häufig unter Rückenschmerzen litt und schlecht schlief – auch wegen Schnarchen.
Bei der Hausarbeit verletzte sie sich das Knie, und das Kreuzband riss; beim Renovieren riss der Meniskus. Sie humpelte, und ein halbes Jahr später lag sie mehrere Wochen flach, ohne sich bewegen zu können. Sechs Monate später wiederholte sich die erzwungene Bettlägerigkeit.
Die Folgen lassen sich nicht übersehen
Jetzt wurde Frau Hermann klar, dass ihr Gewicht kontinuierlich gestiegen war und es ihr gesundheitlich zugleich immer schlechter ging. Ginge es so weiter, dann würde sie bald nicht mehr laufen können, schreibt die Autorin. Sie beschäftigte sich jetzt intensiv mit ihrem Essverhalten und recherchierte über Gene, Stoffwechsel, Diäten und Übergewicht.
Auch eine wissenschaftliche Ausbildung zum Thema hatte sie zuvor nicht davon abgehalten, selektiv zu lesen: Sie hatte ihr Diplom in Psychologie zu Diäten gemacht, aber bei sich selbst immer nur das von dem Thema angeeignet, was sie sehen wollte. Jetzt konzentrierte sie sich auf die 95 % der Forschung, die sie zuvor ignoriert hatte.
Die Fettlogik
Je mehr Artikel, Bücher und Studien sie las, umso mehr rückte sie ihre „Fettlogik“ beiseite. Den Begriff „Fat Logic“ fand sie auf einer Internetseite, und er brachte auf den Punkt, was sie bisher geglaubt hatte. Fettlogik bezeichnet laut der Autorin das gesamte Paket aus angeblich medizinischen Gegebenheiten, guten Ratschlägen, eigenen Vermutungen und Fantasien, die Abnehmen nahezu unmöglich machen.
Diese zu glauben, hatte, so Herrmann, wenig mit genereller Naivität zu tun. Sie sei vielmehr seit ihrer Kindheit von dieser Fettlogik umgeben gewesen. Dinge zu korrigieren, an die sie ihr Leben lang geglaubt hatte, sei ein schmerzhafter Prozess gewesen.
Die Falle der Lebensweisheiten
Sie beschreibt hier eine selektive Wahrnehmung, die für die meisten tradierten Weltanschauungen gilt, und bis zu dem führen kann, was Michael Schmid-Salomon als Traditionsblindheit bezeichnet.
Es ist viel einfacher, und im Wortsinn selbstverständlich, Dinge für wahr zu halten, mit denen wir aufwachsen, und die wir bereits als kleine Kinder lernen. Unser soziales Umfeld bestätigt diese „Lebensweisheiten“ und strukturiert sich sogar über diese. Kinder gläubiger Katholiken glauben nicht etwas deshalb an den lieben Gott, weil sie eine besondere „Gotteserfahrung“ machen, sondern, weil sie diesen Glauben verinnerlichen.
Um mit solchen Konventionen zu brechen bedarf es nicht nur Mut, sondern unser Unbewusstes arbeitet zunächst dagegen an. Unser Gedächtnis, unser assoziatives Denken, die Lebensmuster, die sich in unseren Synapsen speichern und dort abrufbar sind, zeigen uns mitnichten die Wahrheit.
Vielmehr entwerfen diese Muster ein Koordinatensystem, mit dem wir uns in der Welt bewegen. Ob, und in welchem Ausmaß, dieses im wissenschaftlichen Sinn richtig oder falsch ist, spielt keine Weise. Kriminalisten lernen deshalb, indirekten Beweisen mehr zu vertrauen als den Aussagen von Zeugen.
In Herrmanns Fall gehörten zu diesen abgespeicherten „Lebensweisheiten“ die angeblich „dicken Gene“ ihrer Familie, die fast zwangsläufig dazu führten, dass die Angehörigen fett werden mussten.
Bei der Autorin führte ein enormer Leidensdruck und die Aussicht, bald nicht mehr gehen zu können, dazu, sich unbequemen Wahrheiten zu stellen, die nicht in ihr tradiertes Weltbild passten. Mit Erfolg: Im September 2014 war sie auf Normalgewicht, wenige Monate später wog sie 63 Kilogramm, so viel wie das letzte Mal mit zwölf Jahren.
Sie setzte ihre Erkenntnisse in Comics um, die sie auf ihrem Internetblog veröffentlichte, entschloss sich dann aber, ihr Wissen als Buch zu veröffentlichen. Dieses liefert eine Mischung aus persönlicher Erfahrung und Fakten. Gerade weil die „Fettlogik“, laut Hermann, so übermächtig ist, konzentriert sie sich auf die Fakten, die dieser widersprechen.
Fettlogik nur für Übergewichtige?
Das Buch richtet sich aber nicht nur an Menschen mit Übergewicht. Die „Fettlogik“ betrifft Herrmann zufolge ebenso Menschen mit Unter- oder Normalgewicht, und die einzelnen Kapitel sind ebenso für Menschen geeignet, die zu- wie für solche, die abnehmen wollen.
Warum: Wie die Autorin später ausführt, schätzen Menschen mit Übergewicht die Kalorien, die sie sich zuführen als geringer ein, als sie es sind. Menschen mit Untergewicht jedoch, die klagen, nicht zunehmen zu können, überschätzen umgekehrt, wie viel Kalorien sie sich über die Nahrung zuführen. Jedes Kapitel behandelt einen unter Übergewichtigen weit verbreiteten Irrtum – vom „Hungermodus“ bis zum „Jojo-Effekt“.
Nur 1000 Kalorien pro Tag?
Kapitel 1 beschäftigt sich mit der populären Aussage, nur 1000 Kalorien pro Tag aufzunehmen und trotzdem nicht abzunehmen. Laut Herrmann handelt es sich dabei um subjektive Einschätzungen bei Übergewichtigen, die falsch sind. Sie zeigt dies an einem persönlichen Beispiel.
So hätte sie in ihren übergewichtigen Zeiten keineswegs Fastfood in Mengen verschlungen, sondern ihr Lieblingsessen sei Salat mit Fisch gewesen. Dabei sei sie immer davon ausgegangen, dass dieser 500 kcal hätte. Dann prüfte sie es genau: Allein die drei Esslöffel Olivenöl hätten bereits 300 kcal gehabt. Der Fisch, nämlich gebratener Lachs, hätte die Mahlzeit auf insgesamt 1500 kcal gebracht. Mit einer einzigen Mahlzeit hätte sie also die Tagesdosis von 1000 kcal bereits um ein Drittel überschritten – dabei war sie überzeugt, nur eine halbe Tagesdosis zu sich zu nehmen.
Stoffwechselunterschiede hätten tatsächlich keine große Spannbreite, wie die „Fettlogik“ besagt. Die Hauptfaktoren für den Energiebedarf des Körpers seien erstens die Körpermasse und zweitens deren Zusammensetzung. Je weniger Körpermasse ein Mensch hätte, umso weniger Energie brauche er, um diese Masse zu versorgen. Das heißt aber nicht, dass sehr fette Menschen jetzt umso mehr essen müssten, weil ihr Körper das brauche.
Muskelmasse verbraucht nämlich, so Herrmann, viel mehr Energie als Fett. Sie schreibt: „Muskelmasse ähnelt Elektrogeräten, die bei Benutzung Energei verbrauchen, aber auch im Standby-Modus noch etwas Energie ziehen. Fettmasse hingegen muss lediglich beheizt und mit Blut versorgt werden.“
Dabei hätten Frauen biologisch proportional mehr Fettmasse als Männer, weshalb Frauen bei gleicher Körpergröße und gleichem Körpergewicht weniger Energie als Männer brauchten. Im Extrem bedeute dies: Am wenigsten Energie bräuchte eine kleine Frau, die sehr wenig wiegt und sehr inaktiv sei – wenig Körpermasse, wenig Muskelmasse und wenig Verbrauch durch Bewegung. Das Gegenextrem sei ein großer Mann und schwerer Mann, der seine Muskeln trainiert und sich viel bewege.
So brauche ein zwanzig Jahre alter Bodybuilder mit 200 cm Körpergröße und 100 kg Gewicht jeden Tag 2500 kca, eine 150 cm große, 45 kg schwere und inaktive Frau lediglich 1200 kcal. Beim Bodybuilder verbräuchten die Muskeln auch dann Energie, wenn er sich nicht bewege. Käme das Training in die Berechnung hinein, wäre der Bodybuilder sogar bei einem täglichen Kalorienbedarf von 4000 kcal.
Insgesamt gilt: Selbst Menschen mit einem geringen Ruheverbrauch von Kalorien bräuchten immer noch deutlich mehr als 1000 kcal pro Tag. Wer täglich nicht mehr als 1000 kcal aufnehme, verliere in jedem Fall Gewicht.
Je mehr Körpermasse jemand habe, umso mehr würde er oder sie abnehmen. Wöge die kleine Frau statt 45 100 kg, steige ihr Energiebedarf von 1200 auf 1750kcal. Bei 1000 kcal täglich würde sie in einer Woche bereits ein kg Gewicht verlieren. Die meisten Menschen würden schon abnehmen, wenn sie ihre täglichen Kalorien auf 1500 reduzierten.
Der tägliche Kalorienbedarf ließe sich individuell genau berechnen: Die Parameter seien Körpergewicht, Körpergröße, Gewicht, Geschlecht und ungefähre Aktivität. Dieser Grundumsatz sei zwar nicht zu 100 % genau, aber immerhin bis zu circa 95 %. Das reicht allemal, um sich einen Plan zum Abnehmen zu erstellen. Bei den meisten Menschen läge dieser Grundumsatz zwischen 1400 und 2000 kcal pro Tag.
Hermanns Fazit lautet: „Bei 1000 kcal pro Tag kein Gewicht zu verlieren, ist praktisch nicht möglich.“
Kalorien über- wie unterschätzen
Eine Studie von 1992 belegt der Autorin zufolge, dass „diätresistente“ Menschen ihre Kalorienaufnahme sehr stark nach unten schätzen. Die Probanden gaben demnach an, täglich weniger als 1200 kcal zu sich zu nehmen und trotzdem kein Gewicht zu verlieren.
Messungen ergaben, dass ihr täglicher Energieverbrauch aber weit über 1200 lag. Das Problem lag also nicht im Stoffwechsel etc., sondern in einer Fehleinschätzung. Die Teilnehmer unterschätzten nämlich ihre tägliche Kalorienaufnahme um 47 % und überschätzten zugleich ihre Aktivität um 51 %.
Sie erläutert diese Fettlogik: Alle Teilnehmer aßen zu kalorienreich und bewegten sich zu wenig, um abzunehmen. Alle glaubten zudem, ihr Essverhalten sei normal und vermuteten eine genetische Anlage oder Probleme mit der Schilddrüse als Grund für ihr Übergewicht.
Eine Studie unter eineiigen Zwillingen bestätigte diese Fehlwahrnehmung. So schätzten die Übergewichtigen ihr Essverhalten und ihre Bewegung als gleich oder ähnlich ein im Vergleich mit ihren normalgewichtigen Geschwistern. Die Normalgewichtigen gaben jedoch an, dass der übergewichtige Zwilling mehr und ungesünder aß und sich weniger bewegte. Die Messungen ergaben, dass die Übergewichtigen im Schnitt 800 kcal zu wenig Kalorien vermuteten und zugleich ihren Verbrauch um 450 kcal überschätzten. Sie kamen also auf 1250 kcal mehr pro Tag als sie dachten.
Dabei könnten Menschen die Kalorien von Mahlzeiten generell umso schwerer einschätzen, je höher dieser sei. Hühnerbrust zum Beispiel schätzten in Studien Probanden noch relativ genau ein, Mahlzeiten über 2000 kcal jedoch mit wenig mehr als 1000 kcal. So gaben Teilnehmer bei Nudelgerichten 700 kcal an, die in Wirklichkeit 1500 kcal hatten, und die extrem kalorienreichen Käsefritten mit Ranchdressing schätzten sie auf 900 kcal statt auf die realen 3000.
Hermanns Fazit: „Wer glaubt, „eigentlich gar nicht so viel zu essen“ und unerklärlicherweise übergewichtig zu sein, hat ein Wahrnehmungs- und kein Stoffwechselproblem.“
Mythos: „Meine schlanke Freundin isst viel mehr als ich“
Studien würden zeigen: Wer am meisten Zucker konsumierte, war mit einer 54%igen Wahrscheinlichkeit übergewichtig. Die Selbsteinschätzungen der Teilnehmer standen dem diametral entgegen. Diejenigen, die glaubten, am meisten Zucker aufzunehmen, waren mit 44 % höherer Wahrscheinlichkeit nicht übergewichtig. Objektiv nahmen die Schlanken weniger Zucker zu sich als die Übergewichtigen, subjektiv glaubten sie, mehr zu konsumieren.
Der Grund für diese Fehleinschätzung liege darin, dass Menschen mit geringem Appetit selbst kleine Mengen an Essen als groß ansehen, während Menschen mit großem Appetit üppige Mahlzeiten als klein betrachten.
Die Übergewichtigen, die glauben, Schlanke würden genau so viel oder mehr essen als sie selbst, ließen sich auch täuschen dadurch, dass sie das Essverhalten in der Öffentlichkeit bewerteten. In Restaurants, bei Geburtstagen, Parties etc. würden aber alle Menschen bis zu 72 % mehr essen.
Die Schlanken hätten danach aber weniger Hungergefühl und würden so weniger essen, wenn sie allein seien, oder ihre Zeit mit Sport verbringen. Die Übergewichtigen schätzten hingegen die Größe von Mahlzeiten falsch ein, würden die Zwischenmahlzeiten vergessen, „das Probestück Käse im Supermarkt oder die Handvoll Nüsse, die die Kollegin anbietet“.
Für die Schlanken gelte: „Eine Person, die essen kann, was sie will, ohne zuzunehmen, kann und will schlichtweg in den meisten Fällen wesentlich weniger essen und hat nicht das Gefühl, sich einzuschränken.“
Die Übergewichtigen hätten hingegen das Gefühl, sich einzuschränken und würden immer noch mehr und kalorienreicher essen als die Schlanken. Während die Übergewichtigen dann, laut Herrmann, die „Snacks zwischendurch“ mitzurechnen vergessen, würden die Schlanken nicht wahrnehmen, dass sie kein Frühstück gegessen hatten.
Um wirklich zu wissen, wie viel Kalorien man aufnähme, helfe nur, jeden Bissen auf die Küchenwaage zu legen und aufzuschreiben.
Selbstbeobachtungen sind fehlerhaft
Verwirrende Daten in Studien entstünden dadurch, dass es sich um Selbstbeobachtungen handele. Dies hätte zu vermeintlichen Rätseln geführt, dass Übergewichtige weniger äßen als Normalgewichtige und Studien hätten den Fokus auf Gene und Stoffwechsel gelegt. In Wirklichkeit stimmte die Selbsteinschätzung der Übergewichtigen nicht mit den Tatsachen überein.
Noch krasser sieht es bei den Untergewichtigen aus: Eine Ernährungsstudie mit 60.000 Beteiligten ergab, so Hermann, dass die Übergewichtigen ihre Kalorien um 180 kcal und schwer Übergewichtige um 590 kcal unterschätzten. Bei Studien, die auf Selbstaussagen von Teilnehmern über ihr Essverhalten basierten, entstünde so der Eindruck, Übergewichtige äßen weniger als Normalgewichtige.
Die Autorin zeigt, wie Selbstaussagen und schlampige Veröffentlichungen über Studienergebnisse verzerrte Vorstellungen verbreiteten. So würde aus „Schlanke berichten, dass sie mehr Zucker konsumieren“, was sich in objektiven Messungen als Fehleinschätzung entpuppt, „Zucker macht schlank“.
Mythos Stoffwechsel
Als nächstes räumt sie mit dem Mythos auf, ein gestörter Stoffwechsel sei maßgeblich für Übergewicht verantwortlich. Es gäbe aber im Stoffwechsel keinen mysteriösen Hungermodus, in den der Körper zurückschalte, wodurch die Betroffenen dann nicht mehr abnähmen.
Der Körper würde die Energie erst dann massiv zurückfahren, wenn die Fettreserven so aufgebraucht seien, dass Lebensgefahr bestünde. Der Verbrauch würde zwar geringer, aber lediglich in dem Ausmaß, wie es aufgrund der geringeren Körpermasse normal sei.
Auch Menschen mit einer Flüssigdiät von 800 kcal pro Tag verringerten ihren Energiebedarf lediglich um 139 kcal pro Tag. Selbst wer mit Nährstoffmangel und ohne Sport Gewicht verliert hat lediglich einen maximal 10 % niedrigeren Energiebedarf.
Die Vorstellung, dass der Körper „auf Sparflamme geht“, ist also falsch, so Herrmann. Ein verringerter Energieverbrauch könne hingegen mit Mangelerscheinungen erklärt werden, wenn der Körper nicht genug Fette, Proteine, Vitamine und Mineralstoffe bekomme.
In jedem Fall gelte: „Je weniger Kalorien man zu sich nimmt, desto höher ist auch der Fettverlust. (…) Je weniger Energie aufgenommen wird, desto schneller werden die Energiespeicher geleert.“
Wer wenig isst, baut Muskeln ab?
Laut Herrmann sind die meisten Radikaldiäten lediglich darauf ausgerichtete, die Kalorien zu reduzieren. Dabei käme es dann zu einem Nährstoffmangel, der gefährlich sei. So zeige sich ein Proteinmangel in Erschöpfung, Problemen mit dem Kreislauf, Blässe, Schwächegefühl, Konzentrationsproblemen, Depressionen, Haarausfall und Wassereinlagerungen.
Viele Menschen, die Radikaldiäten hinter sich hätten, schrieben diese Beschwerden jetzt den reduzierten Kalorien zu. Dabei ginge es um den Mangel an Nährstoffen, nicht an Kalorien. Umgekehrt könne man auch massenhaft Kalorien zu sich nehmen, aber trotzdem an einer Unterversorgung an Nährstoffen leiden.
So würden gerade schwer Übergewichtige gehäuft an einem Vitamin-, Protein und Mineralienmangel leiden. Zum Beispiel gäbe es in Indien viele adipöse Kinder, die trotz schwerem Übergewicht einen so starken Nährstoffmangel hätten, dass es zu Verzögerungen in der Entwicklung käme.
Herrmann berichtet, dass sie trotz einer starken Kalorienreduktion keinerlei Beschwerden gehabt hätte, da sie Protein- und Vitaminergänzungen zu sich nahm und so sogar einen bestehenden Eisenmangel sowie Defizite von Vitamin D und B ausglich.
Eine falsche Vorstellung setze Kaloriendefizit mit Energiedefizit gleich. Dabei sei Fettgewebe eingelagerte Energie, die die Grundversorgung gewährleiste. Zusätzlich müsste man sich nur Vitamine, Protein und etwas Fett zuführen.
Ein weiterer Mythos sei, dass bei reduzierten Kalorien die Muskelmasse abnähme. Der Körper würde aber Muskeln nur abbauen, wenn er sie nicht benötige oder wenn er sie nicht versorgen könne.
Muskelmasse und Fettmasse seien zwei getrennte Systeme, und der Auf- wie Abbau der einen Masse sei generell unabhängig von der anderen. Für Muskeln sei nicht die Kalorienzufuhr entscheidend, sondern erstens die Nährstoffe und zweitens das Training. Je mehr ein Mensch Sport treibt, umso mehr werden die Muskeln gebraucht, je weniger er trainiert, umso mehr Muskeln baut der Körper ab und passt die Muskeln an die tatsächliche Belastung an.
Die Muskeln bräuchten also keine Kalorien, sondern Proteine, Vitamine und Mineralstoffe. Wer indessen Sport treibt und sich zu wenig Nährstoffe zuführt wie zum Beispiel Magersüchtige, könne dadurch sogar Muskelmasse verlieren. Übergewichtige, die ihre Kalorien reduzieren, zugleich Krafttraining betreiben und sich Nährstoffe zuführen, können sogar Muskelmasse aufbauen und zugleich abnehmen.
Krankheiten und Medikamente
Es gibt tatsächlich Krankheiten, die schweres Übergewicht befördern, so Herrmann. So würde das Prader-Willi-Syndrom dazu führen, dass die Betroffenen einen unkontrolliert großen Appetit und wenig Muskelmasse hätten, also kaum Energie verbräuchten. Auch sie könnten allerdings unter strikter Kontrolle ein normales Gewicht erreichen. Letztlich sei es eine Frage der Energiebilanz.
Eine Schilddrüsenunterfunktion würde den Stoffwechsel wirklich verlangsamen. Doch Abnehmen sei auch hier nicht unmöglich. Es käme zu einer unkontrollierten Gewichtszunahme durch Wassereinlagerungen. Das sei aber keine echte Gewichtszunahme, und eine Behandlung ließe das Gewicht rasch zurück gehen.
Durch Hormone und Cortison käme es zu Wassereinlagerungen. Diese könne ein Arzt mit Entwässerungstabletten oder Lymphdrainage angehen. Dieses Wasser „abzunehmen“ habe aber mit einer Diät, um Fett zu reduzieren, nichts zu tun.
Andere Medikamente würden Energie geben oder müde machen. Ohne es zu merken, würde man sich im Alltag weniger bewegen.
Krankheiten und Medikamente können außerdem dazu führen, dass wir den Appetit verlieren oder Hungergefühle entwickeln. Sei der Appetit erhöht, käme es uns vor, als würden wir zu wenig essen, obwohl wir in Wirklichkeit zu viel Kalorien aufnähmen.
Insgesamt könnten Medikamente und Krankheiten die Bedingungen erschweren, um ein Kaloriendefizit zu erreichen, nicht aber das Abnehmen verhindern.
Die genetische Anlage
Nach den Medikamenten und Krankheiten als Argument, nicht abzunehmen, widmet sie sich den genetischen Anlagen und trennt auch hier wahren Kern und Mythos.
Sie bezweifelt nicht, dass die genetische Anlage beim Übergewicht eine Rolle spielt, aber anders, als es die Idee, nicht abnehmen zu können, annimmt. Demnach handelt es sich vor allem um eine genetische Anlage, mehr Appetit zu haben als Menschen, die weniger Hunger verspüren.
Während aber ein chronisch appetitloses Kind auch dann nicht dick wird, wenn es ständig von kalorienreichen Lebensmitteln umgeben ist, sieht das bei den „Fettgefährdeten“ anders aus.
Gene bedeuten dabei aber keine Zwangsläufigkeit, so Hermann, sondern lediglich andere Ausgangsbedingungen. Auch Alkoholismus sei zur Hälfte genetisch begründbar, das hieße aber nicht, dass jemand „von Natur“ aus Alkoholiker sei, sondern dass bei ihm Alkohol intensiver wirkt und deshalb die Gefahr größer ist, eine Abhängigkeit zu entwickeln.
Ganz ähnlich erklärt sie sich den Zusammenhang zwischen Genen und Fettleibigkeit. Zwar müssten Menschen mit einer genetischen Disposition für großen Appetit aktiv gegensteuern statt sich in einem Umfeld aufzuhalten, dass ihre genetische Anlage noch fördert, es handle sich aber nur um eine temporäre Anstrengung, da sich auch neue Gewohnheiten trainieren ließen.
Der Stoffwechsel wird im Alter langsamer?
Eine weitere Halbwahrheit sei es laut der Autorin, dass der Stoffwechsel im Alter langsamer arbeitet und Senioren deshalb dick werden. Richtig sei vielmehr, dass im Alter die Muskelmasse abbaut und die Betroffenen sich auch deshalb einen inaktiveren Lebensstil angewöhnen.
Das bedeute jedoch lediglich, mit zunehmenden Alter darauf zu achten, Muskeln zu bilden oder besser noch, vorhandene Muskelmasse zu erhalten. Der vermeintlich langsamere Stoffwechsel im Alter besagt also nicht, zwangsläufig zuzunehmen, sondern frühzeitig mit Krafttraining zu beginnen.
Individuelle Unterschiede im Stoffwechsel bedeutet ebenfalls nicht, kein Gewicht verlieren zu können. Auch die zierlichsten Menschen würden abnehmen, wenn sie täglich unter 1000 Kalorien aufnähmen.
Kein Abnehmen ohne Sport?
Manche Menschen könnten nicht abnehmen, weil sie keinen Sport machen könnten, so die nächste Vorstellung, die Hermann auseinander pflückt. Auch dies ist nicht richtig, so die Autorin, da Abnehmen darauf basiert, weniger Kalorien zu sich zu nehmen als verbraucht werden.
Das, so schreibt sie, geht auch ohne jeden Sport. Menschen könnten mit Sport sogar zunehmen, weil durch die Bewegung der Appetit steigt, und sie dann mehr Energie zu sich nehmen als dadurch abbauen.
Extrem Fettleibige sollten sogar in der ersten Phase des Abnehmens mit Sport sehr vorsichtig sein. Ihr übermäßiges Gewicht schade bei vielen Sportarten den Knochen und Organen. Stattdessen können sie mit Spazierengehen beginnen. Die Ausnahme wäre Krafttraining, das bei jedem Gewicht gleichermaßen sinnvoll sei.
Gewicht kommt von Muskeln?
Der Glaube, Übergewichtige seien zwar dick, aber auch stark, ist für Hermann ebenfalls ein Märchen. Der Body Mass Index käme aus einer Zeit, als nicht zwischen Fett- und Muskelmasse differenziert worden wäre.
Neue Studien zeigten jedoch, dass dies keinesfalls auf eine höhere Muskelmasse schließen ließe, die sich in Übergewicht ausdrücke. Im Gegenteil: Lediglich bei einem Prozent der Untersuchten in einer Studie von 2012 hätten tatsächlich Übergewicht wegen ihrer Muskelmasse gehabt.
Dementgegen hätten sogar zwei von fünf Untersuchten zu viel Körperfett gehabt, obwohl sie Normalgewicht hatten. Der Body Mass Index würde also den Anteil der Übergewichtigen massiv unterschätzen statt „muskulöse Menschen zu streng beurteilen“.
Übergewicht ist nicht so schädlich?
Dass Übergewicht unschädlich sei, hält sie für die häufigste Fettlogik und zugleich für die, die sich am besten widerlegen lässt. Der folgende medizinische Abschnitt mag manchem Leser etwas trocken erscheinen, ist aber sehr aufschlussreich.
Extremes Übergewicht verkürze die Lebenszeit mehr als Rauchen, bei einem BMI von 50 koste es bis zu 13,7 Jahre Lebenszeit.
Fettgewebe lagere sich an lebenswichtigen Organen wie Herz und Leber an und beeinträchtige diese in ihrer Funktion. Das vergrößerte Herz schiebe die Lungen nach außen, die Lungenflügel könnten sich nicht mehr so weit ausdehnen, und so gelange weniger Sauerstoff in den Organismus.
Zugleich brauche der Körper der Adipösen aber mehr Sauerstoff, um das zusätzliche Gewebe zu versorgen – die Folgen seien rasche Erschöpfung, Müdigkeit und weniger Energie.
Durch die höhere Körpermasse müssten alle Organe mehr leisten, um Blut und Nährstoffe zur Verfügung zu stellen. Das bereits gestörte Herz müsse jetzt zusätzlich mehr pumpen, und das führe zu schnellerem Verschleiß.
Übergewicht führe zu einem permanenten Druck auf die Gelenke, die Folge seien hohe Entzündungswerte und Gelenkverschleiß. Bei schwer Übergewichtigen würde das Fett auch von außen drücken, so beim Liegen und so Lunge und Atemwege in ihrer Funktion beeinträchtigen.
Sie setzt sich im folgenden mit einer ganze Reihe von Krankheiten auseinander, die maßgeblich durch Übergewicht gefördert werden oder sogar dadurch entstehen. Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, diverse Krebsarten, Schlafapnoe, Arthritis, Unfruchtbarkeit, Rückenschmerzen, Asthma, Inkontinenz, Gallenprobleme und Depressionen.
Diabetes
Übermäßiges Fettgewebe zerstört, laut Hermann, Zellen, weil es Entzündungen verursacht. Deshalb kann der Körper weniger gut auf Insulin reagieren und verarbeitet nicht genug Kohlenhydrate im Blut.
So erhöht sich permanent der Blutzucker, dadurch können Nerven beschädigt werden. Diese Diabetes führe zu einem erhöhten Risiko für Schlaganfall, Herzinfarkt, Nierenschäden, Blindheit und Beinamputationen und reduziere, so der Arzt Max Pemberton, die Lebenserwartung um zehn Jahre.
Im Vergleich zu Normalgewichtigen erhöht sich die Diabetesquote von 1 zu 20 auf 1 zu 5. Der BMI sei dabei der Hauptfaktor für die Krankheit. Frauen, die 8 bis 11 Kilogramm zugenommen hatten, wiesen ein erhöhtes Diabetesrisiko von 270 % auf. Hatten sie indessen 5 Kilogramm oder mehr abgenommen, erhöhte sich das Risiko um die Hälfte.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhte sich das Risiko für Männer mit Übergewicht um 29 %, für Männer mit schwerem Übergewicht sogar um 72 %. Die Gefahr, einen Herzinfarkt zu erleiden, steige bei adipösen Männern um 76 %. Wie bei Diabetes wachse das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit der Menge des Übergewichts signifikant an. Bei einem Mehrgewicht von 11 bis 19 Kilogramm läge es um 92 % höher, bei Gewichtszunahmen über 20 Kilogramm gar bei 265 % mehr.
Das Herz würde durch die höhere Körpermasse auch dann belastet, wenn die Betroffenen viel Sport trieben und viele Muskeln hätten.
Krebs
Laut Hermann steigt das Risiko für folgende Krebsarten bei Adipösen sehr stark: Brust, Gebärmutter und Eierstöcke bei Frauen, Prostata bei Männern; Darm, Speiseröhre, Nieren und Pankreas bei beiden Geschlechtern.
Die genaue Ursache für diesen Zusammenhang sei unbekannt, aber Ärzte würden vermuten, dass Fettgewebe Eigenschaften habe, die Tumore begünstigen. So sei adipöses Brustgewebe dichter und härter.
Hirnleistung
Eine, laut der Autorin, überraschende Erkenntnis, ist die Verbindung zwischen Übergewicht und mangelnder Leistung des Gehirns. So nähme die Gedächtnisleistung bei schwer Adipösen ab, und zwar im Verhältnis zu ihrem Body Mass Index.
Schweres Übergewicht fördere die Entwicklung von Alzheimer, denn Adipositas erhöhe Proteinwerte, die wiederum die Krankheit mit auslösen.
Eine Vielfalt an Mythen
Hermann arbeitet sich durch einen Mythos nach dem anderen durch, Mythen, die wir alle schon hundert Mal im Alltag gehört haben – von „Süßstoffe werden bei der Schweinemast“ eingesetzt über „bevor ich abnehme, muss ich erst einmal wissen, warum ich dick bin“ bis zu „wer abnehmen will, sollte mehr Obst essen.“
Sie widerlegt auf der Basis von Studien, die sie intensiv gelesen hat, dass gesundes Essen teuer ist, es Nahrungsmittel mit Negativkalorien gebe, man von Diätprodukten zunehmen würde, man maximal ein Pfund pro Woche verlieren dürfe, Kalorienzählen Unsinn sei, Übergewicht eine Krankheit sei (gegen die man nichts machen könne), man ganz schnell in die Magersucht rutschen würde, oder, dass das Übergewichtsproblem überbewertet würde.
Kein Diätleitfaden
Erfrischend an „Fettlogik überwinden“ ist zunächst, dass es sich nicht um das tausendste Buch von der richtigen Diät handelt, das 999 andere Diäten in Frage stellt und hilflose Leser hinterlässt, die eine Diät nach der anderen ausprobieren, aber trotzdem weiter zunehmen.
Solche Ratgeber erinnern an homöopathische „Weisheiten“ bei denen ein Zuckerkügelchen nach dem anderen ausprobiert wird statt zu fragen, ob die Grundannahme stimmt. Hermann geht hier erfreulich immer vom Stand der Wissenschaft aus – erst am Ende gibt sie im engen Sinne Tipps zum Abnehmen.
Eine gute Übersicht
Erst einmal handelt sich um eine gute Zusammenfassung. Sicher haben ehrliche Menschen mit Gewichtsproblemen einige Mythen geprüft und für falsch befunden. Andere tragen wir aber als „Wahrheiten“ mit uns herum, und wieder andere haben wir überhaupt nicht als mögliche Fehleinschätzungen im Blick gehabt.
Die Autorin geht von der harten Binsenweisheit aus: Wer täglich unter einer bestimmten und genau berechenbaren Kaloriengrenze bleibt, nimmt ab, wer diese täglich überschreitet, nimmt zu. Das erklärt dann auch den Jojo-Effekt, nämlich warum Menschen zwar Radikaldiäten auf sich nehmen, Gewicht verlieren, aber innerhalb einiger Monate wieder genau so viel oder sogar mehr zunehmen als vorher.
Sie kommen nämlich wieder zu ihrem alten Essverhalten zurück. Dieses aber bedeutete, permanent ein paar hundert Kalorien zu viel zu sich zu nehmen, und das heißt, dass sie, Gewichtsverlust hin oder her, auf Dauer mehr Gewicht zulegen als vor der Diät.
Bücher, die bekannte Wahrheiten aussprechen, legen viele beiseite, weil sie meinen, darin „nichts Neues“ zu finden. Das gilt für solche guten Übersichtsarbeiten wie der von Frau Hermann aber nicht. Erst einmal hilft es, Altbekanntes systematisch, Mythos vor Mythos seziert zu bekommen – denn dadurch kommen diese Mythen en bloc in das Bewusstsein.
Dann wird aber auch klar, worum es nicht geht: Es geht nicht darum, ob sich ein Mensch mit schwerem Übergewicht schön oder hässlich findet. Im Zentrum steht vielmehr, dass Übergewicht nachweislich eine Menge Krankheiten fördert, die Lebenszeit ebenso verringert wie die Lebensqualität, da es die Mobilität einschränkt.
Der Nutzen der Verhaltenstherapie
Die Autorin ist Verhaltenstherapeutin, und das zeigt sich zwischen den Zeilen. Sie schreibt zwar keine Abhandlung über Verdrängung, Rationalisierung, selbst erfüllende Prophezeiungen oder Ideologiebildungen, also einer Form des falschen Bewusstseins, das einem einseitigen, voreingenommenen Blick der Realität entspringt. Doch sie entlarvt eine Konstruktion nach der Anderen, die letztlich dazu dient, den Fakten aus dem Weg zu gehen.
Vollkommen zu Recht zeigt sie bereits zu Beginn, dass eine Verhaltenstherapie nur erfolgreich sein kann, wenn ich weiß, um welches Verhalten es geht. In ihrem eigenen Fall hatte sie sich mit ihrem sehr schweren Übergewicht bereits abgefunden und damit gelebt, bis der Körper ihr unmissverständlich erklärte: So geht es nicht.
Im Buch geht es erst einmal nicht darum „richtig abzunehmen“. Im Unterschied zu den unzähligen Low-Carb, Paläo, Low-Fett etc. Diäten ruft sie immer wieder das entscheidende Gesetz in das Bewusstsein: Beim Abnehmen geht es weder um Vitamine, noch um Mineralien, sondern um Kalorien. Gesunde Nahrungsmittel wie Äpfel sind eben nicht notwendig Lebensmittel, die schlank machen. Wer am Tag fünf Cola trinkt, nimmt weniger Kalorien zu sich, als der, der fünf Äpfel isst.
Bewusstsein schärfen
So empfiehlt sie am Ende auch keine bestimmte Diätform, sondern plädiert dafür, das Bewusstsein zu schärfen. Ähnlich wie Menschen mit einem Alkoholproblem empfohlen wird, ein Alkoholtagebuch zu führen, rät sie, zuerst eine Woche ein Essenstagebuch zu führen, am besten mit einem Abwiegen der Lebensmittel. Das Wissen über die spezielle Kalorienaufnahme gibt Aufschluss darüber, wo die Problembereiche liegen.
Bei Alkoholkranken, die, das ist die Voraussetzung, wirklich vom Alkohol weg kommen wollen, erwiesen sich solche genauen Buchführungen als erfolgreich. Ebenso wie bei jedem anderen schädlichen Verhalten zeigt die detailierte „Bestandsaufnahme“ nämlich, wo jemand sich am meisten Kalorien zuführt. Mit diesem Wissen lässt sich das Problem auch angehen.
Zum Beispiel könnte jemand feststellen, dass er zwar bei den Hauptmahlzeiten auf Kalorien achtet, aber vergisst, dass sein morgendlicher Latte Machiatto ebensoviele Kalorien wie das Mittagessen hat – aber bei ihm nicht unter Essen fällt. Oder er stellt verblüfft fest, dass die nährstoff-, vitamin- und mineralienreiche Handvoll Packung Studentenfutter bereits zwei Drittel der täglichen Kalorien ausmacht.
Der Diätmarkt ist ganz besonders im Fokus unseriöser Heilsversprechen. Bei Hermann hingegen erwarten den Leser Aha-Erlebnisse. Statt die „richtige“ Diät versprochen zu bekommen, bietet die Autorin wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse, die sich in das eigene Leben integrieren lassen.
Aufklärung über esoterisches Geschwurbel
Sie räumt mit esoterischem Halbwissen und mystischen Viertelwahrheiten auf und stellt diesen klare wissenschaftliche Ergebnisse entgegen. Das ist immens wichtig, weil die meisten von uns sich immer wieder in solchen mythischen Fiktionen bewegen, wenn es um unser Gewicht geht.
Dabei behauptet sie gerade nicht, es wäre einfach, diese Erkentnisse umzusetzen, weil sie so einfach zu verstehen sind. Heilslehren vom Abnehmen weben ein mysteriöses Netz über „Stoffwechsel“, „Gene“ oder „Hormone“ und versprechen zugleich, diese mit einfachen Methoden durchbrechen zu können.
Die Autorin tut das Gegenteil: So wie ein Alkoholkranker nicht über die spirituellen Hintergründe seines körperlichen Falls räsonieren sollte, sondern nur die Chance hat, vom Alkohol wegzukommen, so haben schwer Übergewichtige „nur“ die Chance, Kalorien auf Dauer zu reduzieren. Sie verspricht keineswegs, dass das einfach ist, zeigt aber, wie es möglich wird.
Am Ende gibt sie dann doch praktische Tipps. So reduzieren fünfzehn Minuten dauernde Spaziergänge die Lust auf Süßes erheblich, grüner Tee hilft nicht nur beim Abnehmen, sondern fördert auch die Gesundheit, Wasser zu trinken verhindert, dass Durst- als Hungersignale missverstanden werden, Essgewohnheiten sind an Situationen geknüpft und lassen sich so bewusster durchbrechen (hier spricht die Verhaltenstherapeutin).
Fazit: Nadja Herrmann schriebt kein Buch „schlank sein in zehn Tagen“, sondern setzt sich intensiv mit körperlich-psychologischen Mechanismen auseinander, die zu Übergewicht führen und es möglich machen, abzunehmen. Es dient dazu, Mythen und Manipulationen zu erkennen, und auf der Basis von Fakten, seinen eigenen Weg zu finden, um das zu tun, was jeder, der abnehmen will, tun muss: Kalorien reduzieren. Ausdrücklich zu empfehlen. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Nadja Hermann: Fettlogik überwinden, Ullstein Verlag Berlin, 2016
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.