Was irrationales Denken anrichtet – und wozu es gut ist
„Wie ist der Sieg der Fiktionen über Fakten zu erklären? Warum gedeiht irrationales Denken? Wohin führt es? Und wie ließe sich ihm Einhalt gebieten? Darum geht es in dem Buch „Der Triumph der Unvernunft“ von Jens Bergmann. Im Mittelpunkt steht der Sinn des Unsinns, denn es gibt gute Gründe für irrationales Denken – und niemand ist davor gefeit, so der Autor.
Jens Bergmann ist Psychologe und Journalist. In seinem neuesten Werk analysiert er, warum Demagogen heute Wahlen gewinnen, religiöse Fundamentalisten Erfolge feiern, Millionen gebildeter Menschen Verschwörungstheorien anhängen oder esoterischen Lehren nachlaufen.
Inhaltsverzeichnis
Vernunft: Nützlich, aber unsexy
Das erste Kapitel „Nützlich, aber unsexy: Vernunft“ zeigt ein Dilemma: Trotz der technischen Errungenschaften, die nur mit logisch-wissenschaftlichem Denken möglich waren, breitete sich in der Moderne der Irrationalismus aus und führte in Deutschland in die „Sonnenfinsternis der Vernunft“, den Nationalsozialismus. Laut Bergmann schlägt heute erneut die Stunde der Demagogen: Wir leben in einem postfaktischen Zeitalter, in dem Argumente nicht mehr zählen und Stimmungen eine eigene Realität schaffen. Selbst wer keine Ressentiments wie Pegida oder die AfD pflege, halte die Ratio für eine buchhalterische Instanz – für unsexy.
Deutsche Lebensphilosophie
Diese Abneigung gegen die „kühle“ Vernunft hat Bergmann zufolge Tradition in Deutschland und wurde bereits von Schopenhauer bis zu Nietzsche praktiziert. Das unmittelbare Erleben stehe im Mittelpunkt – Mythos und Instinkt gewinnen über Vernunft und Rationalität. Es komme zu einem unaufhebbaren Widerspruch zwischen der Wahrheit des Gefühls und der des Verstands, zwischen natürlicher Lebensfreude und zivilisatorischen Notwendigkeiten. (13) Hinzu komme, dass wir eher dem anderen Unvernunft unterstellen, als uns selbst: Verrückt seien immer die anderen.
Ein umkämpfter Begriff
Vernunft sei seit jeher ein zeitgebundener wie umkämpfter Begriff. Derzeit täten sich in der Abwehr wissenschaftlicher Fakten die sogenannten Klimaskeptiker hervor, die die menschengemachte Erderwärmung hartnäckig leugnen. Insgesamt werde die Menschheit dennoch immer klüger. Dabei seien im Fortschritt aber Um- und Irrwege möglich, von denen einzelne Individuen bis hin zu ganzen Gesellschaften betroffen seien können. In Krisenzeiten sei der Druck so stark, dass viele Menschen vor der Vernunft fliehen.
Was ist Vernunft?
Bergmann erklärt, dass Vernunft ein dynamischer Kulturbegriff ist, der sich durch ständige Kritik verändert. Der Zeitgeist, was Menschen sollen, können und dürfen, nehme Einfluss auf die Vernunft. So präge die jeweilige Kultur, was Menschen für vernünftig oder unvernünftig halten. Viele Deutsche würden ihre Hunde lieben, während sich Afrikaner und Araber vor ihnen ekeln und Koreaner sie verzehren. Rationales trenne sich hier von irrationalem Denken: Zum einen seien viele nicht bereit, solche Unterschiede in der Wahrnehmung der Welt zu erkennen und zum anderen seien die meisten Menschen nicht in der Lage, den eigenen Standpunkt zu relativieren. Stattdessen immunisiere man sich gegen Kritik.
Der Mensch sei zwar vernunftbegabt, aber nicht immer vernünftig. Aus gutem Grund, so zeigt Bergmann: Wer nichts Ungeprüftes glaubt steht gelähmt vor der Komplexität der Welt – mal denken Menschen die Dinge durch, mal entscheiden sie spontan; mal leiten sie ihre Begierden, mal ihr Verstand. Menschliches Handeln sei nur im Kontext verständlich, denn Menschen leben in sozialen Räumen. Konformität spiele ebenso eine Rolle wie Denkmoden oder Zeitgeist, dem wir aus Bequemlichkeit folgen. Hinzu kommen laut Bergmann Zwänge oder Machtverhältnisse, denen wir uns unterwerfen.
Das Unbewusste sei bisweilen eine sinnvolle Wahl. In unübersichtlichen Situationen wäre der Versuch aussichtslos, Alternativen zu prüfen. Intuition verspreche immer dann Erfolg, wenn der jeweilige Mensch erstens über eine Sache Bescheid weiß und zweitens, darin praktische Erfahrung hat. Im Gegensatz dazu: Wer von einem Thema keine Ahnung habe, sollte sich gerade nicht auf sein Bauchgefühl verlassen. Genau dies täten jedoch die meisten. Das menschliche Gehirn sei komplex und stets auf mehreren Ebenen aktiv. Leidenschaft, Ekstase und Rausch gehörten ebenso zum Leben wie Vernunft.
Die zwei Seiten des Irrationalen
Bergmann berichtet über die zwei Seiten des Irrationalen: Aufgeklärte Gesellschaften können Exzentriker, Spinner und Verrückte nicht nur ertragen, sie brauchen diese sogar. Irrationales könnte alternative Lebensformen und fantastische Welten hervorbringen, ebenso aber Dogmatismus und Hass. „Die größten Stärken des Menschen – sein Vorstellungsvermögen, sein Wille und seine Fantasie – können zu seinen größten Schwächen werden.“ (19)
Irrationalen Bewegungen liege häufig eine Idee der Befreiung zugrunde – ihre Vordenker wollen die Verhältnisse nicht so akzeptieren, wie sie sind, die Welt erscheint ihnen ungerecht. Das sei der Kern der Religionen, die versprechen, Menschen aus ihrem Jammertal zu holen. „Gefährlich wird es für die vermeintlich Erleuchteten sowie deren Umwelt, wenn ihnen jede Ahnung verloren geht, dass die Welt womöglich doch anders beschaffen sein könnte, als sie glauben.“ (20)
Indessen könne die Frage, ob das, was der Bauch sagt, richtig ist, nur mit dem Kopf beantwortet werden. Irrationales Denken biete jedoch eine Möglichkeit, dies zu umgehen. Laut Bergmann verschiebt man so Probleme einfach dahin, wo sie nur scheinbar gelöst werden, unterwirft sich zweifelhaften Autoritäten, entwickelt blinde Abwehrreaktionen gegen Veränderungen oder beschönigt inhumane Zustände.
Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt
„Krisen und Zeiten von Umbrüchen sorgen für den Humus, auf dem der Aberglaube gedeiht.“ (21) Anfällig für Irrationales werden laut Bergmann insbesondere Individuen als Opfer von Schicksalsschlägen sowie größere Gruppen angesichts bedrohlich wirkender Veränderungen ihrer gewohnten Umwelt. Der Mensch sei ein sinnsuchendes Wesen, das Muster und Zusammenhänge entdeckt oder konstruiert. Das könne zwar zu einem besseren Verständnis der Welt führen, aber auch dazu verleiten, Ereignissen und Phänomen einen Sinn anzudichten, den sie nicht haben. Ein Beispiel dafür seien die Anhänger der Chemtrail-Theorie, bei der von Flugzeugen erzeugte Kondensstreifen für Massenvernichtungswaffen und Wetterkontrollwerkzeuge gehalten werden. Keinen Sinn zu suchen, wo keiner ist, falle vielen Menschen schwer.
Glaubenssache: Der Kapitalismus
Das rationale Zahlungsmittel Geld ist Bergmann zufolge allein ökonomisch nicht zu fassen, weil es noch einen ganz anderen Charakter hat – einen religiösen. Begriffe wie Schuldner und Gläubiger, Offenbarungseid und Erlös, Kredit und Messe seien aus der Religion entliehen. Die „unsichtbare Hand des Marktes“ sei ebenso ein Glaube wie der an Gott. Denken werde durch Sprache vermittelt. Wer Begriffe prägt, gewinne an Deutungsmacht über sie. Bergmann nennt einige Beispiele: Anhänger der Kernenergie sprechen von Atomkraft, Klimawandel hört sich weniger bedrohlich an als globale Erwärmung und die „Diesel-Thematik“ ist ein Euphemismus von VW-Managern für den Betrug am Kunden.
„Wer solche Sprachbilder (…) unhinterfragt akzeptiert, unterwirft sich ihnen und der von ihnen vorgegebenen Sicht der Dinge.“ (25) Abhängig von den Begriffen, die wir verwenden, verändere sich auch unser Weltbild und die eigene Wahrnehmung. Ein Beispiel sei der Begriff Globalisierung, der seit den 1990er Jahren zunehmend als Bedrohung empfunden wird.
Bergmann zeigt, wie ein Verschwörungskonstrukt funktioniert: „Demagogen nutzen den Begriff mit verschwörungstheoretischem und xenophoben Unterton für ihre Zwecke. Ihr Erfolg beruht auf der Konstruktion eines manichäischen Weltbildes, also der Aufteilung der Menschheit in Gut und Böse. Wir – das wahre Volk – gegen die anderen. Die drinnen gegen die da draußen. Die Bösen sind wahlweise Eliten in Regierung oder Justiz, 68er, Feministinnen, supranationale Organisationen (Brüssel), oder eben die Globalisierung als Chiffre für fremde Mächte oder Einwanderer.“ (26)
Xenophobe Politiker würden etablierte Parteien so mit erzeugten Feindbildern vor sich hertreiben oder sogar kapern, wie die Tea-Party und später Trump die Republikaner. Zugleich eigne sich der Begriff Globalisierung für einen „heimatlos gewordenen Antikapitalismus“. Bergmann zufolge profitieren ironischerweise insbesondere skrupellose reiche Männer wie Donald Trump oder Silvio Berlusconi von solchen Ansichten.
Politik der Gefühle, die mit Feindbildern und Täuschungen arbeitet, ließe sich schwer durch Fakten widerlegen. Hinzu komme die Entlastung von individueller Verantwortung durch die Gruppe und die radikalisierte Meinung innerhalb der Gruppe. Bergmann erläutert, dass Menschen sich sogar durch Konformitätsdruck dazu zwingen lassen, etwas offenkundig Falsches als richtig zu bezeichnen. Im 21. Jahrhundert entstehe so ein neuer Tribalismus, in dem sich Gruppen in ihren eigenen Welten einrichten und dort engstirnig verweilen – von außen kaum noch zu erreichen.
Bergmann erläutert, wie sich Demokraten und Republikaner in den USA heute in „alternativen Diskurs-Universen“ bewegen. Fakten seien nicht mehr relevant. So waren im Jahr 2015 43 Prozent der Republikaner-Wähler überzeugt, Obamaa Barack sei Muslim, obwohl dies nachweislich falsch war und mehrmals öffentlich gerade gerückt wurde. Bergmann vergleicht diese Situation mit Zeiten in Deutschland, als sich Katholiken und Protestanten unversöhnlich in getrennten Lebenswelten gegenüberstanden.
Desorientierung bietet Orientierung
Demagogen, Gurus und Scharlatane sind so erfolgreich, weil sie Bedürfnisse ansprechen, so Bergmann. Esoterik spreche vor allem eine gebildete Zielgruppe an, Verschwörungstheorien seien bei extremen politischen Gruppierungen wie bei Linken und bei Rechten beliebt.
Irrationales Denken schaffe Ordnung, denn in fragilen Verhältnissen sehnen sich viele nach Verlässlichkeit. Es spare Energie und Zeit, die notwendig sind, um eine komplexe Welt zu verstehen. Glaubenssysteme würden dagegen Dinge vereinfachen und Antworten geben – wenn auch häufig die falschen.
Es entstehe eine Dramaturgie mit Anfang und Ende, Gut und Böse, sowie einem potentiellen Happy End. Dies spende Trost – wie das religiöse Versprechen für ein Leben nach dem Tod. Es schalte den Zufall aus und verleihe Sinnlosem Sinn. Denn vieles passiert Bergmann zur Folge ohne Grund, doch Menschen mögen das nicht. Stattdessen würden Irrlehren schmeicheln und ihren Anhängern vermitteln, Teil einer Elite zu sein, die den Durchblick hat. Auch in Religionen komme dieser Aspekt oft zum Tragen, zum Beispiel wenn Anhänger glauben, dass gute Menschen in den Himmel und schlechte in die Hölle kommen.
Irrationales Denken verstärke eine Gemeinschaft, ein Vorteil in Zeiten der Auflösung traditioneller Milieus. Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit bringe viele Menschen überhaupt erst dazu, sich Glaubensgemeinschaften anzuschließen. Skeptiker stehen hingegen oft allein da, so Bergmann.
Durch irrationales Denken lasse sich auch häufig die Schuldfrage klären, indem bestimmte Gruppen für Missstände verantwortlich gemacht werden. In der heutigen Zeit lasse sich dies schnell beobachten: Faschisten erklären Fremde, insbesondere Muslime, zum Schuldigen und Islamisten die Andersgläubigen, besonders die Juden. So werde Hass gerechtfertigt, aber auch eine Opferrolle geboten. Demagogen, Verschwörungstheoretiker und religiöse Fanatiker suggerieren Bergmann zufolge ihren Anhängern, dass sie Unrecht erleiden und um ihre verdienten Privilegien gebracht werden. So könnten Reflexionen über die eigene Verantwortung umgangen und der Hass auf Sündenböcke gerechtfertigt werden.
Den Verstand abschalten
Irrationales sei auch erfolgreich, weil es Immunisierung gegen Kritik von außen bedingt. Das erfordere wenig Aufwand. Esoteriker würden argumentieren, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die wir nicht verstehen. Bergmann schreibt, dass Menschen leicht aus persönlichen Erfahrungen falsche Schlüsse ableiten, zum Beispiel kann Ärger mit einem südländisch aussehenden Jugendlichen zu der Überzeugung verleiten, dass alle Ausländer schlechte Menschen sind, oder ein Kind kann geheilt werden, indem man ihm Zuckerkügelchen verabreicht. Laut Bergmann stützen sich ganze Weltbilder auf solchen Erlebnisse.
Bereits Francis Bacon stellte im 16. Jahrhundert fest, dass Aberglauben darin wurzelt, dass Menschen Dinge wahrnehmen, die tatsächlich eintreffen, nicht aber die, die ausbleiben. Anekdotische Evidenzen seien beliebt, weil sie anschaulich sind, denn Menschen lieben Geschichten und den Gedanken, ihr eigenes Leben hat Sinn und Halt. Im Mittelpunkt des irrationalen Denkens stehe ein paradoxes Versprechen: Orientierung durch Desorientierung.
Wohin Unvernunft führt, und wer von ihr profitiert
Bergmann betont, dass wir keine kühl kalkulierenden Computer sind, sondern Wesen aus Fleisch und Blut inklusive Träumen, Wünschen und Begierden. Wir seien auf die Wahrnehmung unserer Sinne angewiesen, die uns aber keine objektiven Ergebnisse liefern. Das Gedächtnis sei dabei noch unzuverlässiger als unsere Sinne. Bergmann beschreibt das Gedächtnis als das Buch unseres Lebens, an dem wir ständig weiterschrieben. Als Quellen würden die eigenen Erlebnisse, Erzählungen anderer Leute, Erinnerungen, Medienberichte, Filme oder Bücher dienen, die wir angesichts aktueller Ereignisse, Wünsche und Bedürfnisse bearbeiten und einfließen lassen. Zeugenaussagen seien folglich chronisch unzuverlässig. Wir könnten sogar dazu gebracht werden, Dinge zu erinnern, die nie geschehen sind. Als Beispiel nennt Bergmann Mitarbeiter eines Kinderschutzdienstes in den 1990er Jahren, die Kinder dazu gebracht haben, Misshandlungen zu erfinden.
Vorlieben, Gewohnheiten sowie Überzeugungen würden Wahrnehmung und Denken beeinflussen. Wir würden vornehmlich das erkennen, was wir ohnehin zu wissen glauben. Reaktionsmuster aus der frühen Phase der menschlichen Entwicklung würden immer noch unserer Erkenntnis beeinflussen: So fürchteten viele Menschen, nachts auf der Straße verprügelt zu werden, obwohl die eigene Wohnung gefährlicher sei.
Doppelte Buchführung
Menschen mit irrationalen Weltanschauungen führten oft eine doppelte Buchführung: Sie gingen mit Befindlichkeitsstörungen zum Heilpraktiker, bei ernsten Beschwerden aber doch zum Facharzt. Kritisch werde es, wenn irrationale Überzeugungen so stark seien, dass der Kontakt zur Wirklichkeit verloren geht, so bei Impfgegnern, die sich, ihre Kinder und ihre Mitmenschen gefährdeten.
Follow the money
Laut Bergmann gibt es in den USA eine lange Tradition des Geschäfts mit der Angst. Aktuell stehe Donald Trump dafür. Dieses Geschäft sei profitabel, denn Verängstigte und Sinnsuchende seien gute Kunden. So zähle Esoterik zu den stärksten Segmenten der Buchbranche mit zahlreichen Zusatzangeboten die von Shambala-Armbändern bis zu Energie-Pyramiden reichen. Desorientierung und Paranoia seien Geschäftsmodelle für milliardenschwere Institutionen. Bergmann zitiert den Historiker Greiner: „Die alles andere ausstechende Trumpfkarte hieß und heißt bis heute nationale Sicherheit.“
Irrationale Anschauungen können Bergmann zufolge auch Basis für stabile Unternehmen sein. So würden die Kirchen in Deutschland 1,3 Millionen Menschen beschäftigen und 50.000 Firmen unterhalten. Hinter dem Irrationalen stünden also handfeste Interessen und mächtige Institutionen.
Die Rolle der Medien
Medien, die ein großes Publikum ansprechen wollen, würden sich an verbreiteten Affekten und archaischen Denkmustern orientierten und verzerren so die Wirklichkeit. Medienkritik setze sich zwar mit dem Irrationalen auseinander, werde aber auch wiederum für politische Zwecke missbraucht, wie beispielsweise von den „Lügenpresse“-Brüllern. Diese sei selbst reine Demagogie, um Berichterstattung, die nicht ins eigene Weltbild passt, zu diffamieren.
Bergmann zeigt Mechanismen, Zwänge und Rituale auf, die auch seriöse Medien prägen. Insbesondere in den sozialen Medien ließen sich schnell Halbwahrheiten, Gerüchte und Lügen als Wahrheiten verkaufen und verbreiten. Dies führe bei den Konsumenten zu dem Eindruck, dass es in der Welt sonderbarer zugeht, als es der Fall ist.
Skandale seien besonders geeignet, große Aufmerksamkeit zu erregen. Skandalberichterstattung könne nützlich sein, wenn es darum geht, über tatsächliche Missstände aufzuklären, damit diese abgestellt werden. Ständige Skandalisierung erwecke dagegen den Eindruck, dass alles immer schlimmer wird. Oft zeige sich im Nachhinein, dass angebliche Skandale nicht auf Fakten, sondern auf Emotionen basieren.
Ein Skandal brauche eine „Ritualschlachtung“, und müsse erst erschaffen werden. Er brauche eine Dramaturgie, einen Anfang, einen Höhepunkte, eine Wendungen und die Karthasis am Ende. Die Story müsse dabei auf einer eingängigen Meta-Ebene funktionieren. Klassische Elemente seien Macht gegen Ohnmacht, Verrat, Todesangst, Liebe, Eifersucht, Betrug oder Gier.
In den Medien werde dieser Zündstoff häufig verwendet. Nur selten setzte man sich mit Stoffen auseinander, die komplexer sind als eine Konfrontation zwischen Gut und Böse. So sei zum Beispiel wenig bekannt, dass die Kriminalität in Deutschland seit Jahren zurückgeht.
Was bleibt?
Bergmann möchte die Grundkenntnisse eines verantwortungsbewussten Journalismus vermitteln: Welche Quellen sind verlässlich? Was ist Tatsache, was Behauptung, was Gerücht? Wann ist eine Nachricht relevant? Welche Erkenntnisse können als gesichert gelten? Wo endet der rationale Diskurs, wo fängt irrationales Denken an?
„Die gute Nachricht: Irrationale Überzeugungen müssen letztlich scheitern. Die schlechte: Bis sich diese Erkenntnis allmählich durchsetzt, kann die Welt in Trümmern liegen.“ (216) Deswegen sei der Kampf gegen die Unvernunft so wichtig. Zuerst müsse der Stimmen der Vernunft Gehör verschafft werden. Das Widerlegen von Fehlinformationen sei eine Aufgabe mit Zukunft. (Dr. Utz Anhalt, 12.11.2018)
Quelle
Jens Bergmann: Triumpf der Unvernunft. Was irrationales Denken anrichtet – und wozu es gut ist. München 2018. ISBN 978-3-421-04814-1
Autoren- und Quelleninformationen
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