Germanische Heilung? Braunes Gift in der Naturmedizin
Kritische Geister, die der „Schulmedizin“ skeptisch gegenüber stehen, und nach natürlichen Heilmethoden suchen – unabhängig von der Pharmaindustrie, weisen jede Berührung mit Faschisten zwar vehement zurück. Doch es gibt eine tiefbraune Tradition der „Naturheilkunde“, die die moderne Medizin als „jüdisch“ angriff und dem Hippokratischen Eid, Menschen zu heilen, Rassenwahn und „unwertes Leben“ entgegen setzte.
Inhaltsverzeichnis
Anthroposophie, Ariosophie, Kräuterkunde und Homöopathie hielten Himmler und das NS-Ahnenerbe für „germanische“ Medizin, die gegen die „jüdische“ rationale Empirie stand, denn „der Germane erkannte seinesgleichen am Gemüte“.
Die Nazi-Ideologie der „Neuen Deutschen Heilkunde“ fasziniert heute besonders Rechtsextreme, Ableitungen davon geistern aber auch in Naturkundler-Kreisen umher, die menschenfeindliche Weltanschauungen generell ablehnen; oft fehlt hier das Wissen darum, dass es sich hier nicht um „vergessene Heilkunst“ der antiken Germanen handelt, sondern um eine mörderische Lehre der 1930er Jahre, die genauso zum NS-Regime gehört wie Mengele in Auschwitz.
Homöopathen setzten sich wenig mit der unrühmlichen Rolle auseinander, die Vertreter ihrer Zunft im NS-Vernichtungssystem spielten, und die Anthroposophie Rudolf Steiners war sogar elementar für Himmlers Vorstellungen von biodynamischer Landwirtschaft.
Anthroposophie
Die Anthoposophie entstand gegen 1900 im Zuge der Lebensreformbewegung, in dem völkischen Milieu, das sich insbesondere gegen die Ideen der Französischen Revolution richtete, also gegen Liberalismus und Sozialismus.
Ruddolf Steiner stand zeitweise der sozialdemokratischen Reformpädagogik nahe, dann erfand er Anthoposophie; er vermengte darin Astrologie, Karmalehre und Wiedergeburt mit der Vorstellung von „Wurzelrassen“: Afrikaner seien demnach ihren animalischen Trieben unterworfen; Ureinwohner Nordamerikas eine „saturnische Rasse“, degeneriert und zum Untergang verdammt. Die „arische Rasse“ hingegen vereine die am „Geist schaffenden Weißen“.
Laut Steiner ist die Geschichte von Planeten bestimmt, unsichtbare Wesen und Wiedergeburten gehören zum Kosmos, in den sich der Mensch schicksalhaft einzufügen hat.
Biologisch dynamische Landwirtschaft
Steiner sah kosmische Kräfte im organischen Dünger, also Tiermist und Gründüngung wirken, und Landwirtschaft sollte im Einkang mit „kosmischen Gesetzen“ stehen: Der Apfel gehörte zum Beispiel zum Planet Jupiter. Nur Lebewesen könnten die kosmischen Kräfte weiterleiten, und deshalb lehnte er Mineraldünger ab.
Die biologisch-dynamische Landwirtschaft in anthroposophischer Variante basiert auf Steiners Idee. Menschen entwickeln sich bei Steiner durch Reinkarnationen weiter, die von „Planetenzeitaltern“ abhängig sind. Das lehrte ihn angeblich die „Akascha-Chronik“, die nur ihm von übersinnlichen Wesen offenbart worden war.
Als dermaßen „Auswerwählter“ propagierte er unantastbare „Wahrheiten“ über Landwirtschaft, „Rassen“, Medizin und Schule, die den aufgeklärten pädagogischen Erkenntnissen seiner Zeit ebenso widersprachen wie der auf empirischen Belegen basierenden modernen Medizin.
Laut Steiner gab es keine Evolution, sondern die „Menschenrassen“ hätten sich nacheinander auf sieben Planeten vollzogen, und diese Planeten bestimmten ihre Eigenschaften. Dabei bildeten sich „Überrassen“ heraus, nämlich die „Atlantier“ und die weißen Europäer, die „Arier“, als geistige Rassen.
Nach Ostasien seien die Menschen ohne Ich-Bewusstsein ausgewandert, und die Triebgesteuerten ohne Intellekt seien die „Neger“ geworden. Über dunkelhäutige Afrikaner „wusste“ er: „Weil er das Sonnige an der Oberfläche in seiner Haut hat, geht sein Stoffwechsel so vor sich, wie wenn er in seinem Innern von der Sonne gekocht würde. Daher kommt sein Triebleben.“
Solche Fantasien kennen wir von Fieberkranken, oder auch von paranoid Schizophrenen in akuten Psychosen. Tatsächlich diagnostizierten spätere Psychologen bei Steiner eine schizophrene Erkrankung.
Mit den Nazis war er sich einig, dass der „Arier“ die „Herrenrasse“ sei. Er schrieb: „Die blonden Haare geben eigentlich Gescheitheit.“ Doch die Blondheit verliere sich, weil das Menschengeschlecht schwächer werde. Auch die Angst Hitlers vor der „Degeneration“ der „germanischen Rasse“ teilte Steiner also.
Steiners Vorstellung von biodynamischer Landwirtschaft hatten mit Verzicht auf Pestizide oder der Kritik an industrieller Tierproduktion nichts zu tun, sondern mit „kosmischen Kräften“. Stoffe wie zum Beispiel Schwefel hätten „geistige Eigenschaften“.
Die agrarwissenschaftlichen Erkenntnisse des 20. Jahrhunderts lehnte er ab; Physik, Chemie und (wissenschaftliche) Medizin würden die ihm durch überirdische (also nicht belegbare) Kräfte offenbarten „inneren Zusammenhänge“ nicht erkennen.
Zusammengefasst richtete sich die Anthroposophie gegen die empirische Wissenschaft, gegen den Materialismus der modernen Linken und die Aufklärung, kurz gegen alles, was die Ideen der Französischen Revolution auszeichnete.
Steiners Fantasien von kosmischen Kräften und Engeln, die die Menschen lenkten, waren eben so wenig neu wie sein übersinnlich bestimmter Status als Verkünder einer absoluten Wahrheit, und die nicht durch menschliche Tätigkeit veränderbare Vorbestimmung durch Karma und Wiedergeburt.
Steiner zehrte vielmehr aus den esoterisch-rassistischen Strömungen des frühen 20. Jahrhunderts, die das 1789 überwundene Weltbild des Mittelalters mit unverrückbaren Hierarchien zwischen Herr und Knecht kombinierten mit der Ideologie des indischen Kastensystems, das Menschen „kosmisch“ in Hohe und Niedrige unterteilte und als Würze rassistische Konstruktionen der Anthropologie dazu gaben.
Solche Vorstellungen kamen Heinrich Himmlers „Germanenmystik“ nur zu nahe, und führende Nazis begeisterten sich folgerichtig für die Anthroposophie.
Steiners braune Jünger
Rudolf Steiners Landwirtschaft fand enthusiastische Anhänger unter den Nationalsozialisten, und umgekehrt erkannten sich viele Anthroposophen im NS-Regime wieder. Die Nazis lösten die Anthroposophische Gesellschaft zwar auf, dies lag aber gerade nicht, wie bei Kommunisten und Sozialdemokraten, an politischen Gegensätzen, sondern im Gegenteil an der Konkurrenz einer ideologisch ähnlich ausgerichteten Organisation außerhalb der NSDAP.
Der Reichsbauernführer Walther Darré formte Steiners Prinzipien zur „lebensgesetzlichen Landbauweise“ um. Der Anthroposoph Ewald Köhler sah das Dritte Reich geradezu als Verwirklicher der Anthroposophie.
Er schrieb: „Gleichzeit aber machte sich eine Bewegung geltend, die die biologische Frage der Lebensweise vertiefte und eine Wissenschaft der Naturmedizin schuf. Genau genommen bedeutet dies nichts anderes als Rassenhygiene.“ Seine Vorstellung von „Naturmedizin“ deckte sich mit der SS.
Die bekanntesten Vertreter dieser „Naturmedizin“ unter den Nazis waren Heinrich Himmler und Rudolf Heß. Innerhalb von Hitlers Führungsriege konkurrierten Technikfanatiker mit diesen „Ökofaschisten“. Himmler und Heß begeisterten sich ebenso für die „biologisch-dynamische Landwirtschaft“ in der Tradition Steiners wie für erneuerbare Energien, Homöopathie und „deutsche“ Heilkräuter.
Erhard Bartsch, der Herausgeber des anthroposophischen Magazins „Demeter“ schlug die Brücke zwischen den anthroposophisch angehauchten Nazi-Eliten und den Anthroposophen Steinerscher Schule.
Die Anthroposophen standen unter besonderem Schutz von Rudolf Heß, und so lange er Hitler zur Seite stand, konnten Steinersche „Biobauern“ ungehindert wirtschaften und Waldorfschulen sich entfalten. Heß floh 1941 nach England, und erst jetzt ließ Hitler die Waldorfschulen schließen.
Anthroposophen propagierten niemals den Völkermord, doch wie die Nazis unterteilten sie die Menschen in „Rassen“ mit höher – und minderwertigen Fähigkeiten, und die Hierarchie dieser „Rassen“ unterschied sich nur marginal vom Rassenwahn der NSDAP.
Die Nazis reizte an der anthroposophischen biologisch-dynamischen Landwirtschaft vor allem die Schnittmenge zur „Blut-und-Boden“ Ideologie der „Volksgemeinschaft“. Die „germanischen Bauern“ sollten sich, der NS-Rassenlehre zufolge, autark ernähren, um nicht von anderen „Rassen“ abhängig zu sein.
Heinrich Hinmmler startete ein Großexperiment der NS- „Naturmedizin“ Er ließ von den Häftlingen im KZ-Dachau einen biologisch-dynamischen Kräutergarten anlegen, geleitet von dem Anthroposophen Franz Lippert.
Der Kräutergarten von Dachau
Zu dem KZ-Kräutergarten gehörte ein Labor für die „Volksmedizin“. Unzählige Häftlinge starben bei Zwangsarbeit, um die Plantage anzulegen. Sie mussten bei Regen und Kälte arbeiten, in durchnässter und unangemessener Kleidung, die Wachen misshandelten und töteten die Versklavten willkürlich.
Menschenversuche, Homöopathie und Kräutermedizin gingen einher. Unmittelbar neben dem Garten folterte die SS Häftlinge in Eiswasser, um die Wirkung von Unterkühlung zu erforschen.
Die allgegenwärtigen Seuchen, hervorgerufen durch die entsetzlichen hygienischen Bedingungen und die Unterernährung der Opfer boten den NS- „Naturmedizinern“ das Experimentierfeld: Zum Beispiel behandelten sie Tuberkulosekranke (erfolglos) mit Homöopathie.
Rudolf Sturmberger schreibt auf heise.de: „Der rationale Irrsinn dieses Ortes lässt sich erahnen, wenn man weiß, dass ein paar hundert Meter vom Krematorium ein KZ-Bordell eingerichtet war, und dass ein paar hundert Meter von den Unglücklichen entfernt, die in den Eiswasserversuchen gequält wurden, die SS-Wachen sich liebevoll um die Angora-Kaninchen im KZ kümmerten. Denn die SS unterhielt als Wirtschaftsbetrieb in mehr als 30 KZ diese Kaninchenzuchten, 1943 waren das mehr als 25.000 Tiere, die besser als die Häftlinge gehalten wurden.“
Die anthroposophische Firma Weleda versorgte den Kräutergarten, und Lippert hatte hier zuvor gearbeitet.
Die „deutsche Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung (DVA)“, ein Konzern der SS, erforschte Heilpflanzen. Eine „neue deutsche Heilkunde“ sollte die empirisch wissenschaftliche Medizin der Weimarer Republik ersetzen.
„Neue Deutsche Heilkunde“
Naturmedizin der 1920er Jahre betonte eine Ganzheitlichkeit zwischen Geist, Körper, Natur und Kosmos, den die „Schulmedizin“ nicht berücksichtige. NS-Mediziner fanden darin eine Steilvorlage.
Insbesondere Heinrich Himmler und die SS-Organisation „Ahnenerbe“ glaubten an eine „germanische Hochkultur“, von der sich die anderen Hochkulturen in Ägypten, Mesopotamien, Griechenland und Rom abgeleitet hatten und finanzierten Expeditionen und Ausgrabungen, um Belege für diese Fiktion zu (er-) finden.
Die tragende Rolle, die jüdische und arabische Ärzte in der Geschichte der „Schulmedizin“ spielten, musste „Germanengläubigen“ ein Dorn im Auge sein. Die Heilkunde in Isfahan, Bagdad, Kairo oder Cordoba war über Jahrhunderte dem von den Nazis als „Zentrum der Germanen“ halluzinierten späteren Deutschland weit voraus.
Himmler sah erstens einen historischen Generalangriff der „Juden“, durch die Hexenverfolgung der „verjudeten“ römischen Kirche, die „Zeugungskraft der arischen Rasse“ zu vernichten, zweitens musste seine Idee von einem „neuen germanischen Reich“ notwendig an eine fiktive „germanische Medizin“ anknüpfen. Fiktiv deshalb, weil über die Heilkunde der von den Römern als Germanen bezeichneten Stämme der Antike östlich des Rheins nur wenig bekannt war und ist.
Zum einen passte die Suche nach „altem (Kräuter-) Wissen“ der „germanischen Vorfahren“ also perfekt in die Ideologie der „Herrenrasse“, zum anderen ließ sich „Ganzheitlichkeit“ direkt auf den faschistischen Staat übertragen: Nicht mehr das Individuum stand im Blick der „ganzheitlichen Medizin“ der NSDAP, sondern der „Volkskörper“, der von „schädlichen Elementen gereinigt“ werden müsste. In Dachau bezahlten diese zu „Volksschädlingen“ ernannten politischen Gegner die „germanische Heilkunde“ mit dem Leben.
Die Germanenmystiker in der NSDAP konnten dabei an die diversen völkischen Konzepte der 1920er Jahre anknüpfen. Peter Kratz schreibt: „Das Konzept der Einheit in der Vielfalt als organizistische Harmonie ist in der von Widersprüchen und sich bekämpfenden Gegensätzen bestimmten Klassengesellschaft deshalb reaktionär, weil es den Herrschenden den entscheidenden Vorteil von vorneherein belässt: die Herrschaft.“
1935 gründete sich die „Arbeitsgemeinschaft für eine Neue Deutsche Heilkunde“, die Natur- und Schulmedizin verschmelzen sollte. „Gesundheit“ erhielt für die Nationalsozialisten die „arische Rasse“. Jeder „Volksgenosse“ war demnach verpflichtet sein Erbgut gesund zu erhalten, und deutsche Lebensreformer propagierten die Mittel für eine „gesunde Lebensführung“.
Es ging nicht, wie in der „Schulmedizin“ der Weimarer Republik, die den Hippokratischen Eid zur Basis hatte, darum, das individuelle Leid von einzelnen Menschen zu heilen, sondern um die „Gesunderhaltung der Rasse“. Dies bedeutete, die von den Nazis als besonders „arisch“ angesehenen Menschen weiter zu „züchten“, nicht „rassereine“, Menschen mit realen oder angeblichen Behinderten aber zu ermorden.
Die zynisch als Euthanasie (griechisch schöner Tod) bezeichnete Konsequenz aus dieser Menschen verachtenden Lehre kostete hunderttausende von Menschen das Leben: Insassen von Psychiatrien ebenso wie als „Untermenschen“ angesehene Bürger Osteuropas und Russlands.
Die „Germanische Neue Medizin“
Die unrühmliche Rolle, die studierte Ärzte in der NS-Zeit spielten, wurde nach 1945 zum Teil durch kritische Medizinhistoriker aufgearbeitet. Gerade die kuriosen „Behandlungsmethoden“ verbreiteten sich jedoch erneut; rechtsextreme Mediziner, die ihre Approbiation verloren und antisemitische Verschwörungs-Fantasten, die angeblich „verlorenes Wissen“ neu entdeckten, reihten sich ein in die „mystische Medizin“ ihrer NS-Vorbilder.
Ryke Geerd Hamer (geb. 1935) war einmal ein Arztz, verlor aber 1986 seine Zulassung. Er saß wegen illegalem Praktizieren im Gefängnis, wurde per Haftbefehl gesucht und entwarf die „Germanische Neue Medizin“.
1995 stand er im Verdacht, schuld an über 80 Todesfällen durch seine „Behandlung“ zu sein. In diesem Jahr retteten die Behörden dem sechsjährigen Mädchen Olivia Pilhar das Leben, indem sie ihren rechtsextremen Eltern die Erziehungsberechtigung entzogen. Die „behandelten“ zuvor die Krebskranke nach Hamers „Methoden“.
Das Verwaltungsgericht Koblenz erklärte Hamer 1989 wegen „einer Schwäche seiner geistigen Kräfte, Unzuverlässigkeit und einer psychopathologischen Persönlichkeitsstruktur“ für unfähig, den Beruf eines Arztes auszuüben. Doch Hamer arbeitete weiter – illegal.
1992 bekam er in Köln sechs Monate Haft auf Bewährung, weil einem seiner Patienten wegen seiner „Behandlung“ ein Bein amputiert werden musste. Angehörige von zu Tode behandelten Patienten der „Germanischen Neuen Medizin“ klagten erfolgreich, so dass Hamer 1997 für ein Jahr in Köln in das Gefängnis kam.
In Deutschland brannte ihm jetzt der Boden unter den Füßen, und er praktizierte deshalb in Frankreich, kam aber auch hier ins Gefängnis, und zwar von 2004 bis 2006. In Österreich und Deutschland bestanden Haftbefehle, denen sich Hamer aber durch Flucht nach Norwegen entzog.
Laut Hamer gibt es fünf „Biologische Naturgesetze“, die für alle Krankheiten gälten. Auslöser jeder Krankheit sei ein „biologischer Schock“. Krebs sei ein „biologisches Sonderprogramm“ und eine Reaktion auf diesen Schock. Der Krebs sei also Teil der Heilung und dürfe niemals durch Medikamente und Operationen „gestört“ werden. Vielmehr müsse der Patient die Angst vor dem Krebs verlieren, damit die Heilung voranschreite. Um Hamer schart sich eine Fangemeinde, die jede rationale Methode, Krankheiten zu heilen, ablehnt.
Diese Community setzt sich aus Rechtsextremen zusammen, was auch nahe liegt, denn der Verschwörungswahn von Hamer entspricht der Nazi-Ideologie. Er sagte zum Beispiel:
„Die jüdische Religion teilt bekanntlich alles ein in gutartig und bösartig, so auch in der jüdischen sogenannten Schulmedizin. Wir Nichtjuden werden gezwungen, weiterhin die jüdische Schulmedizin zu praktizieren.15 Millionen Eurer Mitbürger aus Eurem Volke sind in den letzten 20 Jahren (durch die „jüdische Schulmedizin“) umgebracht worden.“
Hinter seinen Gefängnisstrafen und der Ächtung seiner Hirngespinste durch seriöse Ärzte stecken bei Hamer immer wieder „die Juden“. Die „Talmud-Zionisten“ wollten „alle Nichtjuden umbringen“.
Die Chemotherapie gegen Krebs würde den Patienten angeblich Chips einpflanzen, die per Fernzündung die Patienten töteten. Dahinter steckten jüdische Ärzte.
Auch Impfungen dienten den „jüdischen Logen“ dazu, Menschen mit Chips zu markieren, um sie zu kontrollieren. Hamer steht der „Reichsbürgerbewegung“ nahe, die behauptet, Deutschland sei eine GmbH, was sich am Personal (!) Ausweis zeige. Deren prominentes Mitglied ist der Neonazi Horst Mahler ist.
Hamer hat vor, der „Reichspräsident eines Deutschen Reiches“ zu werden. In diesem neuen „Germanien“ soll die Germanische Neue Medizin die heutige Medizin ersetzen.
Heil und Tod
Das Mädchen Sighild starb an Diabetes – genauer gesagt, sie starb, weil ihre Eltern sie nach Hamers Methoden behandelten.
Baldur und Antje Renate B. lebten in einer Siedlung der „Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft“, die der Neonazi Jürgen Rieger leitete. Ziel war die Zucht „reinrassiger Arier“. Dazu durften die Mitglieder sich nur untereinander fortpflanzen. Ihre Kinder müssen Entbehrungen ertragen, sich Schmerz und Leid aussetzen, um zu beweisen, dass sie stark genug sind, um als fortpflanzungstauglich zu gelten.
Die Gemeinschaft isolierte sich von der modernen Welt. Wie für die NSDAP und Hamer sind Schmerzen für die Germanengläubigen ein Segen des Körpers, und der Tod des Einzelnen sei nötig, damit die „Art“ weiterlebt. Baldur B wuchs bereits in einer nazistischen Familie auf und verbrachte seine jungen Jahre bei der „Wiking-Jugend“.
Die Eltern entzogen ihre Tochter ärztlichen Untersuchungen, als ihre Diabetes bekannt wurde, und das Mädchen starb, weil sie ihr kein Insulin gaben. Eine andere Germanengläubige sagte aus, die Eltern hätten die Medikamente bewusst verweigert, damit das Kind sterbe. Gerichtlich belegen ließ sich nicht, ob die Familie das Mädchen bewusst sterben ließen.
Hamer erklärte den Fall mit der „jüdischen Verschwörung“. Die „Logen“ hätten Sighild einen „Todes-Chip“ implantiert, und sie dann, gewissermaßen per Fernzündung, getötet.
Bert Hellinger
Auch in der Therapeuten-Szene treiben Rechtsextreme ihr Unwesen. Der „Familientherapeut“ Bert Hellinger geriet in die Schlagzeilen, als sich 1997 eine Teilnehmerin seiner Seminare das Leben nahm, nachdem er ihr für ihre psychischen Probleme die Schuld gegeben hatte.
Hellinger war ursprünglich katholischer Theologe in Südafrika, er propagiert offenen Antisemitismus, relativiert den Holocaust, glorifiziert den Nationalsozialismus und kaufte folgerichtig die Reichskanzlei von Hitler in Berchtesgaden, um dort seine „Therapien“ durchzuführen.
Hellinger vertritt offen die NS-Ideologie der homogenen Volksgemeinschaft. „Volk und Heimat“ sind, ihm zufolge, Ordnungen, außerhalb derer man krank würde.
Seine Ansichten zu Flüchtlingen passen zu Pegida oder der AfD. So sagte er, „dass die nur gesund werden können, wenn sie in ihre Heimat zurück gehen und wenn sie bereit sind, das Schicksal ihres Volkes zu teilen. Manche fliehen davor, und sie drängen sich einer anderen Heimat auf, die ihnen gar nicht gehört und sie auch gar nicht braucht oder will.“
Kulturalistischer Rassismus, in dem Völker biokulturelle Einheiten darstellen, geht also einher mit der Hetze gegen Menschen, die, ob aus Krieg oder Armut, ihre Heimat verlassen. Hellingers Ideologie nennt die Neue Rechte „Ethnopluralismus“.
Hellingers „Familientherapie“ geht davon aus, dass Täter und Opfer schicksalhaft zusammen hängen, und um „Harmonie“ herzustellen, müssten beide ihr Schicksal anerkennen. Das bezieht er ausdrücklich auch auf die Opfer des Dritten Reiches, während er die Widerstandskämpfer als „Selbstmörder“ verspottet. Die Nazi-Täter jedoch sieht er als „Opfer“ eines übergeordneten Zwangs.
Hellinger vertritt also offen oder versteckt faschistische Vorstellungen und presst Hilfesuchende in autoritäre Muster, in denen sie ihr „Schicksal“ akzeptieren sollen.
„Familienaufstellungen nach Hellinger“ sind weit verbreitet, auch in Alternativkreisen, die mit seinen menschenfeindlichen Aufstellungen vermutlich nichts zu tun haben wollen. Hamers „Germanische Neue Medizin“ wird zwar fast nur in rechtsextremen Kreisen ernst genommen, Fragmente der „Suche nach unseren Wurzeln“ und NS-Ideen vom „geheimen Wissen unseres Volkes“ sickern aber in die Naturheiler-Szene ein.
Gerade in Kreisen, die Esoterik offen gegenüber stehen, liegt die Indifferenz gegenüber faschistischen Konzepten meist nicht daran, dass sie antihumane Vorstellungen teilen, sondern daran, dass sie deren Hintergründe nicht kennen. Die Begeisterung für vermeintlich alternative Modelle zur „Schulmedizin“ geht dabei einher mit einer bis zur Ablehnung reichenden Ignoranz gegenüber den Methoden der redlichen Wissenschaft – in der Medizin ebenso wie in der Geschichts- oder Sozialwissenschaft.
Innerhalb einer solchen „Zerstörung der Vernunft“ (George Lukasz) haben braune Rattenfänger ein einfaches Spiel.
Die Schwarze Sonne, das Symbol der SS und esoterische Fantasien über die „Auserwähltheit der arischen Rasse“ tummelt sich auf Esoterikmessen zwischen Engelshoroskopen oder chinesischem Tao. Die Konsumenten solcher Literatur wären vermutlich schockiert, wenn die NPD ihre Flugblätter verteilen würde.
Die Anthroposophische Vereinigung in den Niederlanden hat sich deutlich von Steiners Rassismus distanziert; bei deutschen Anthroposophen steht ein solcher Schnitt noch aus. Es ist sowieso fraglich, was von Steiner übrig bleibt ohne sein Konstrukt von Menschenrassen, deren Schicksal die Planeten bestimmen – genau so gut könnte sich jemand auf Marx beziehen, aber das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit ablehnen.
Die Skepsis gegenüber der Pharmaindustrie wird nur zu leicht zum Türöffner für eine Menschen verachtende Agenda. (Dr. Utz Anhalt)
Literatur
Peter Kratz: Die Götter des New Age. Im Schnittpunkt von „Neuem Denken“, Faschismus und Romantik. Elefanten Press.
Autoren- und Quelleninformationen
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