Das menschliche Herz schlägt – anders als ein Uhrwerk – nicht immer im exakt gleichen Takt. Die Abstände zwischen den einzelnen Schlägen variieren bei einem gesunden Menschen. Dieses Phänomen nennt sich Herzfrequenzvariabilität (HFV) oder Herzratenvariabilität (HRV).
Inhaltsverzeichnis
Was ist die Herzfrequenzvariabilität?
Am besten lässt sich die HFV an einem Beispiel erklären. Misst man bei einem Menschen beispielsweise einen Ruhepuls von 60 Schlägen pro Minute, heißt das nicht, dass genau jede Sekunde ein Herzschlag erfolgt.
Es kann zwischen den Schlägen zu Abweichungen von über 100 Millisekunden kommen. Diese zeitliche Variation nennt man Herzfrequenzvariabilität.
Diese Abweichungen können sich von Herzschlag zu Herzschlag unterscheiden. Beeinflusst werden sie durch äußere und innere Einflüsse, denen der menschliche Körper ausgesetzt ist, zum Beispiel körperliche Anstrengung oder Stress.
Die Fähigkeit des Herzens, die Abstände zwischen den Herzschlägen laufend den aktuellen Anforderungen des Körpers und der Psyche anzupassen, ist ein Zeichen von Gesundheit. Diese Veränderungen der Zeiten zwischen den Herzschlägen sind also nicht krankhaft, wie zum Beispiel bei Herzrhythmusstörungen.
Grundsätzlich und stark vereinfacht lässt sich sagen: Eine höhere Herzfrequenzvariabilität spricht in der Regel für einen besseren Gesundheitszustand. Eine hohe HRV kann jedoch auch mit einer Erkrankung zusammenhängen, zum Beispiel mit Herzproblemen wie Vorhofflimmern. Dies kann vor allem bei älteren Menschen zutreffen.
In diesem Fall kann eine hohe HRV sogar mit einem höheren Sterberisiko verbunden sein, wie Forschende in einer Überblickstudie herausfanden. Auf der anderen Seite haben selbst manche sehr trainierte und gesunde Menschen eine recht niedrige Herzfrequenzvariabilität.
HRV-Messung
Die Zeit zwischen zwei Herzschlägen wird in Millisekunden (ms) gemessen. Der Herzschlag ist in verschiedene Phasen unterteilt. Die Spitzen oder „Peaks“, die auf einem EKG zu sehen sind, nennt man R-Phasen. Daher wird der Zeitabschnitt zwischen zwei R-Phasen „RR-Intervall“ genannt (manchmal auch „NN-Intervall“).
Für die Herzfrequenzvariabilität gibt es viele unterschiedliche Messmethoden und Auswertungsmöglichkeiten. Sie lässt sich am besten über ein EKG bestimmen. Auch die Messung des Blutdrucks kann Aufschluss darüber geben, ist jedoch weniger genau.
Fitnessarmbänder bestimmen die HFV über den Puls am Handgelenk. Alternativ gibt es auch Brustgurte zum Messen. Moderne Handys können die HFV sogar durch das Auflegen einer Fingerkuppe mit Hilfe der Kamera messen.
Bei manchen Methoden wird über eine sehr kurze Zeitspanne von wenigen Sekunden bis Minuten gemessen. Andere tätigen eine Messung über 24 Stunden. Die Zuverlässigkeit und Aussagekraft der Messmethoden ist allerdings sehr unterschiedlich.
Wie wird die HRV angegeben?
Es gibt diverse Methoden und Angabemöglichkeiten. Diese können zeitbasiert oder frequenzbasiert sein, oder die Analyse bezieht sich auf den nichtlinearen-Bereich.
Man kann unter anderem die Spektralanalyse, Lorenz-Plot oder Poincaré oder auch ein Histogramm zur Analyse und Darstellung nutzen. Die HRV wird in Millisekunden (ms) angegeben.
Gängige Wertangaben sind zum Beispiel SDNN (Standard Deviation of the NN Intervall) und RMSSD (Root Mean Square of Successive Differences). Beides sind zeitbasierte Daten.
Weder die Analyseverfahren noch die Darstellung wurden bisher vereinheitlicht. Daher kann die Auswertung und Interpretation der Daten recht schwierig sein kann. Aus diesem Grund wurde eine eigene Task Force aus Expertinnen und Experten zur Vermeidung von Fehleinschätzungen gegründet.
Herzfrequenzvariabilität Normwerte
Die Herzfrequenzvariabilität ist von Mensch zu Mensch sehr verschieden, daher lässt sich kein Normwert angeben. Sogar bei einem Menschen können die Werte stark schwanken, abhängig ist das zum Beispiel von Tageszeit (Schlaf- oder Wachzustand) und Belastung.
Die HFV wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst. Dazu zählen biologische Faktoren wie:
- Alter,
- Geschlecht,
- Genetik (Veranlagung).
Darüber hinaus wirkt sich der Lebensstil oder Lebenswandel auf die Herzfrequenzvariabilität aus. Auch äußere Einflüsse spielen eine Rolle. Folgende Faktoren können unter anderem die HFV verändern:
- Ernährung,
- Hydratation (ausreichende Wasserversorgung),
- Temperatur,
- Aufenthalt in großer Höhe,
- Alkohol,
- Bewegung,
- Schlaf,
- regelmäßiger Tagesablauf,
- psychische Faktoren wie Stress und Emotionen, zum Beispiel Angst oder Freude,
- Atmung.
Der Impuls für den Herzschlag kommt aus einem Nervengeflecht im Herzen selbst (autonomes Erregungssystem). Allerdings wird die Herzfrequenz vom vegetativen Nervensystem beeinflusst. Dabei spielen die beiden Nerven Vagus und Sympathikus eine wichtige Rolle.
Bei Stress oder körperlicher Anstrengung wird der Sympathikus-Nerv angeregt, der wiederum die Herzfrequenz erhöht. So passt sich der Körper an die Belastung an. Bei Ruhe und Entspannung wird über den Vagus-Nerv eine Verlangsamung der Herzrate ausgelöst.
Ein gesundes Herz kann sich sowohl auf Belastung als auch auf Entspannung gut einstellen. Entsprechend variiert die Herzfrequenz.
Auch an einem ganz normalen Tag ist die HRV eines gesunden Menschen veränderlich. Im Schlaf ist sie anders als im Wachzustand, während des Sports anders als in Ruhe, bei einem stressigen Telefonat anders als während der Meditation.
Besteht beispielsweise über eine längere Zeit Stress, lässt die Variabilität der Herzfrequenz nach. Somit zeigt eine hohe HFV grundsätzlich die Fähigkeit des Herzens an, auf körperliche und psychische Reize schnell und angemessen zu reagieren.
Damit ist sie ein Zeichen für eine gute Anpassungsfähigkeit. Über die Messung und Auswertung von HFV-Werten sind auch Rückschlüsse auf das aktuelle Stresslevel möglich.
Mit zunehmendem Alter nimmt die HFV in der Regel ab. Männer haben von Natur aus meist eine etwas höhere HFV als Frauen. Auch die Veranlagung spielt eine Rolle.
Daher sollte die Herzfrequenzvariabilität nicht an festen Werten und auch nicht im Vergleich mit anderen bewertet werden. Eher sollte man die über einen längeren Zeitraum gemessene eigene HFV als Grundlage nehmen.
Diese sollte man dann bei Bedarf nach Möglichkeit über eine gesunde Lebensweise mit viel Bewegung zu verbessern versuchen. Dies ist jedoch nicht bei allen Menschen im gleichen Ausmaß möglich, zum Beispiel wegen genetisch angelegter niedriger Werte.
Für einen Start in die Beobachtung der eigenen HRV und deren Entwicklung empfiehlt sich ein Beratungsgespräch in der hausärztlichen Praxis mit einer Untersuchung. Die Ärztin oder der Arzt kann schauen, ob relevante Erkrankungen, insbesondere des Herzens, vorliegen und den generellen Fitness- und Gesundheitszustand einschätzen.
Außerdem können Messungen der Herzfrequenzvariabilität durchgeführt und fachkundig ausgewertet werden. Auf dieser Grundlage können anhand eigener weiterer Langzeitmesswerte Richtwerte für die eigene HRV und deren gewünschte Entwicklung ausgemacht werden.
Auch die Erstellung eines angepassten Bewegungsprogramms sowie eine Beratung zu weiteren Faktoren wie Ernährung und Stress könnten hier unter fachkundiger Anleitung erfolgen.
Wie wird die HFV eingesetzt?
Die Erkenntnis, dass die Herzfrequenzvariabilität Rückschlüsse auf verschiedene körperliche und psychische Parameter zulässt, ließ die HFV in den letzten Jahren zu einem Indikator für Fitness und Gesundheit werden. So wird sie inzwischen nicht mehr nur im Profisport, sondern auch im Freizeitsport immer stärker genutzt.
Unter anderem lassen sich anhand der HFV Aussagen über den Trainingszustand machen. Auch eine Unter- oder Überforderung lässt sich abbilden, und so können die Trainingseinheiten und Pausenintervalle entsprechend angepasst werden.
Nicht nur im Sport, sondern auch in der medizinischen Forschung und Praxis gewinnt die HFV an Bedeutung. So kann sie zum einen etwa auf bestimmte Krankheiten hinweisen, zum anderen auch zur Vorbeugung und Behandlung körperlicher und psychischer Beschwerden eingesetzt werden.
Kann die HFV auf Krankheiten hinweisen?
Die Herzfrequenzvariabilität kann Hinweise auf Krankheiten in Zusammenhang mit der Herzgesundheit geben. Dazu zählen unter anderem:
- Diabetes,
- Bluthochdruck (Hypertonie),
- koronare Herzkrankheit (KHK),
- Herzinsuffizienz,
- Prognose für plötzlichen Herztod nach Herzinfarkt,
- psychische Erkrankungen,
- Sepsis,
- Schilddrüsenüberfunktion,
- Schilddrüsenunterfunktion,
- Asthma.
Da die HFV jedoch von Mensch zu Mensch verschieden ist und auch individuell stark variieren kann, gehört die Auswertung der Daten sowie die Diagnosestellung in fachkundige Hände.
Rolle der Herzratenvariabilität bei der Behandlung von Krankheiten
Die HFV kann eingesetzt werden, um bestimmte Krankheiten oder Beeinträchtigungen der körperlichen oder psychischen Gesundheit positiv zu beeinflussen. Dazu werden mit Hilfe von Biofeedback-Techniken Atmung und Herzschlag möglichst in Übereinstimmung gebracht.
So sollen unter anderem Stress, Ängste und Depressionen gemildert werden können. Eine aktuelle Studie konnte zeigen, dass HFV-Biofeedback-Training die Symptome einer Depression bei älteren Erwachsenen verbessern konnte.
Eine Studie von 2017 stellte fest, dass HFV-Biofeedback-Training verschiedene Symptome nach einer überstandenen Krebserkrankung milderte. Dazu zählten Schlaflosigkeit, Schmerzen, Müdigkeit, Depression und Stress.
2021 führten Forschende einen systematischen Review vorliegender Ergebnisse durch. Sie wollten herausfinden, ob das HFV-Biofeedback sinnvoll ist, um Stress und/oder Schmerzen bei Kindern zu reduzieren.
Ihre Auswertung ergab, dass HFV-Biofeedback durchaus einen therapeutischen Nutzen hat. Vor allem, wenn es ergänzend zu konventionellen Therapieformen angewandt wird.
Auch bei der Nachbehandlung von Schlaganfällen, bei chronischen Schmerzen und der Beeinflussung bestimmter Hirnregionen und -aktivitäten lassen sich laut aktueller Forschung mit HFV-Biofeedback-Training vielversprechende Ergebnisse erzielen. Es sind jedoch weitere Studien notwendig, um die Datenlage auf eine breitere Grundlage zu bringen.
Ausblick
In den kommenden Jahren werden weitere Studien und verfeinerte beziehungsweise standardisierte Messmethoden zeigen, inwieweit die Nutzung der HFV-Messung und des HFV-Biofeedbacks sich im Alltag zielführender und breiter nutzen lässt.
Die Forschung zur Herzfrequenzvariabilität ist vergleichsweise jung. Wir dürfen also gespannt sein, wie die HFV zukünftig in der Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten eingesetzt wird. (kh)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
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Wichtiger Hinweis:
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