Der Rabe bringt den Tod, die Katze ist das Tier der Hexe, Feuersalamander entzünden Feuer, Kröten verzaubern mit ihrem Blick, Vampire verwandeln sich in Fledermäuse und aus einer Alraune, befruchtet mit dem Samen eines Gehängten, entspringt das Galgenmännlein. Woher kommen solche Vorstellungen?
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Die Katze – von der Göttin zum Teufel
Die europäische Wildkatze galt den Germanen als Symbol der körperlichen Liebe: Freya, die Göttin der Sexualität, reiste in einem Wagen, den Wildkatzen zogen. Der Freyatag, der Freitag, war der Hochzeitstag, die rolligen Katzen, unüberhörbar in ihrem Lustmaunzen, passten dazu – und gerade diese Verbindung zur Fruchtbarkeit brachte die Katzen in christlichen Zeiten auf die Scheiterhäufen. Die Sexualität der Frau wurde dem christlichen Klerus der Inbegriff vom Werk des Satans, die Katze wurde zu seinem Tier. Aus der Göttin Freya wurde die Hexe, die in Katzengestalt ihre bösen Taten verübt.
Der Mönch Berthold von Regensburg hetzte gegen die Katze: „Der Atem, der aus ihrem Halse geht, ist Pest; und wenn sie Wasser trinkt und es fällt eine Träne aus ihren Augen, so ist die Träne verdorben: Jeder, der fortan von ihr trinkt, erfährt den Tod.“
Im 13. Jh. tritt der Teufel als schwarze Katze mit feurigen Augen auf. Der selige Dominikus soll 1235 neun vom Teufel besessene Frauen bekehrt haben. Dieser Teufel sah folgendermaßen aus: „Die Augen dieser Katze glichen denen eines Ochsen, ja, sie waren wie eine Flamme; das Tier streckte die Zunge heraus, die einen halben Fuß lang war und einer Flamme ähnelte; es hatte einen Schwanz von fast halber Armeslänge und war so groß wie ein Hund; auf Befehl des Heiligen entschlüpfte es durch das Loch, welches man für das Glockenseil gelassen hatte.“ Noch heute glauben viele, dass schwarze Katzen besondere Eigenschaften hätten. Biologisch ist das Unsinn.
Die englischen Hexen hielten angeblich keine schwarzen, sondern weiß gefleckte Katzen. Durch diese Katzen übten sie Schadenszauber. 1565 standen Agnes Waterhouse und ihre Tochter zusammen mit Elizabeth Francis vor Gericht wegen Hexerei. Dies belegte angeblich – eine Katze. Elizabeth Großmutter hätte dem Teufel ihr Blut gegeben; und sie hätte es ihm überreicht in Form einer weiß gefleckten Katze. Dieses Tier hätte dann ihr Kind und ihren Liebhaber ermordet. Die Großmutter schenkte den Killer Agnes Waterhouse. Die wiederum hätte die Katze auf ihren Ehemann gehetzt, und diesen so getötet – außerdem einen Nachbarn. Agnes Waterhouse wurde als Hexe hingerichtet.
Katzen fühlen, wenn Regen kommt und streichen sich mit ihren Pfoten über die Ohren. Deshalb glaubten die Engländer, dass sie Sturm und Gewitter auslösten. Agnes Sampson stand deswegen vor Gericht: „Die Hexe hat die Katze mit in die Kirche genommen, Sie taufte sie und band ihr nachher mehrere Knochen eines getöteten Menschen um. Die Knochen hatte sie auf dem Friedhof gestohlen. Hierauf schwang sich die Hexe auf ihren Besen, nahm die Katze auf den Arm und sauste weit ins Meer hinaus. Dort ließ sie die Katze los, welche, um nicht ins Wasser zu fallen, einen entsetzlichen Sturmwind entfesselte. Der Sturm bedrohte die Stadt Leith.“
Das Einhorn
Das zauberkräftigste Tier des Mittelalters gab es nicht wirklich, genauer gesagt – nicht ganz wirklich. Der griechische Arzt Ktesias schrieb 400 v. Chr. von einem Esel im Land Indien. Dieses Tier sollte ein Horn auf seinem purpurroten Kopf tragen. Das Horn dieses Einhorns machte alle Gifte unschädlich, so glaubten die Europäer im Mittelalter. Alexander der Große sollte auf einem solchen Einhorn geritten sein.
Das Tier gab es, davon war im Mittelalter jeder überzeugt: Zwar sah es nie jemand, doch Könige hüteten die gewundenen Hörner wie Goldschätze. Immerhin heilten sie Epilepsie, Fieber und so ziemlich alles andere; ein Horn in Gift gehalten, brachte dieses zum Kochen. Die norwegische Krone kannte das Tier. Nicht im fernen Indien, sondern im Meer vor Grönland tummelten sich die Einhörner – genauer gesagt: die Narwale. Diese Wale tragen einen Stoßzahn; und damit machten die Wikinger blühende Geschäfte. Ihre Kolonisten in Grönland versorgten sie mit Stoßzähnen des Narwals, und die vermeintlichen Wunderhörner ließen sich um ein Vielfaches mit Gold aufwiegen. Ole Worm, ein Naturforscher aus Dänemark, deckte 1638 den Schwindel auf.
Das Einhorn sollte stark wie ein Elefant sein; nur eine Jungfrau konnte es zähmen. Ein Penissymbol auf der Stirn ließ die Keuschheitsfantasie erblühen. Was war aber mit dem indischen Einhorn, das dort angeblich mit dem Elefanten kämpfte, eine wilde Bestie. Von diesem Einhorn berichtete schon Marco Polo und sein Horn fand sich in den Apotheken Chinas? Dieses Einhorn gibt es wirklich; und wegen seinem vermeintlich heilenden Horn steht es vor dem Aussterben. Mit dem traumschönen Pferdewesen hat es wenig zu tun. Das indische Panzernashorn ist vielmehr ein Koloss. Das Einhorn hat seinen Ursprung womöglich auch in Darstellungen des alten Orients, die Antilopen in Seitenansicht zeigen.
In der lateinischen Bibel wurde außerdem das hebräische Original falsch übersetzt. Unicornis, ebenfalls von der Seite gesehen, ist der Auerochse. Züchteten die antiken Kulturen „Einhörner“ aus religiösen Gründen? Wenn man einem Kalb, dessen Schädeldecke noch nicht fest verwachsen ist, die Hornstämme zusammen fügt, wächst ihm ein Horn – nicht zwei. Rinder standen in Mesopotamien und Persien im Mittelpunkt der Religion; und das magische Denken Europas hat hier eine Wurzel.
Strigen und Ziegenmelker
Die Eule ist eine Hexe – eine Striga, zumindest lautet ihr lateinischer Name Strix. Eine striga nannten die Hexenverfolger der frühen Neuzeit eine Hexe; und sie bezogen sich dabei auf das antike Rom. Dort waren die Strigen Dämonen, die in der Gestalt von Vögeln nachts in die Häuser flogen und Kindern das Blut aussaugten, aber auch als Frauen erschienen – ein Stereotyp des späteren Schadenszaubers.
Eulen waren stets magisch besetzt, und dabei ambivalent – Vögel der Weisheit und Erkenntnis, der Sinnlichkeit wie der Heilkunst. Ein Uhu führte bei den Germanen Odins Heer durch die Nacht. Doch die Eule brachte auch die Seuchen; sie kündigte den Tod an; und sie arbeitete als Späher für die Hexen. Bereits Ovid glaubte, dass Eulen Kinder töten; und die Banshee, die irische Todesfee, schreit mit der Stimme der Schleiereule.
Das „Kuwitt“ des Steinkauzes verstanden die Menschen der frühen Neuzeit als „Komm mit“. So rief er die Sterbenden, um ihre Seelen zum Teufel zu führen. Sexuell selbst bewussten Frauen wuchs ein „Eulenkleid“. Doch wurde dies nicht nur negativ verstanden: So nähten die Pfälzer Eulenfedern in das Brautkleid, um die Fruchtbarkeit zu fördern.
Die natürlichen Fähigkeiten der Eulen förderten den Aberglauben: Eulen fliegen nachts – und sie fliegen lautlos. Ihre Augen verstärken kleinste Lichtmengen, so dass sie in Mondnächten hervorragend sehen. Die großen Augen sind nach vorne ausgerichtet – wie beim Menschen. Eulen können sie nicht bewegen; stattdessen drehen sie ihren Kopf bis 270 Grad. Schleiereulen leben zudem an den Orten, wo auch die Geister und Hexen umgehen: Auf Friedhöfen und Ruinen. Bis in die heutige Zeit nagelten Bauern sie deshalb an Scheunentore.
Auch der Ziegenmelker hielt Einzug in den Hexenglauben. Der Insektenfresser, auch Nachtschwalbe genannt, ist nachtaktiv wie die Eulen. Er fliegt sehr schnell, und man sieht nur einen Schatten vorbei sausen. Als unheimliches Tier eignete er sich also ebenso wie Eule und Fledermaus. Bis heute trägt er seinen Hexen-Namen, denn die Menschen glaubten, dass er den Ziegen, Schafen und Rindern nachts die Milch aus dem Euter sauge, genauer gesagt: Die Hexe verwandelte sich in einen solchen Vogel, um derart die Milch zu stehlen.
Die schwarze Henne
Hühner waren im Zauber weit verbreitet – wahrscheinlich, weil es sie überall gab. Legte eine schwarze Henne ein Ei ohne Dotter, dann ließ sich damit hexen. Denn ein solches Ei war durch Sex mit einer Schlange entstanden. Die Hausfrau warf das Ei über das Dach, und so konnten Hexen und Teufel das Haus nicht schädigen.
Der Rabe
Raben und Krähen gehören zu den intelligentesten Vögeln. Sie planen und erinnern sich an Erfahrungen; sie legen Scheinverstecke an, um ihre schwarzen Verwandten zu täuschen; sie legen Nüsse an Ampeln ab, damit die Autos sie knacken. Zu allem Überdruss sind sie auch noch schwarz. Kein Wunder also, dass sie als Zaubervögel galten.
In der Antike galten sie als Zukunftsseher. „Röchelte“ der Rabe, sah die Zukunft für die Römer rabenschwarz aus. Der Kolkrabe ernährt sich zudem von Aas. Das brachte ihn in die Nähe des Nekromanten. Ein Rabe auf dem Dach eines Sterbenden kündigte in Deutschland an, dass dessen Seele verdammt war. Den germanischen Skalden galten sie als Todesvögel, doch der Gott des Todes war auch Odin; die Raben waren zwar düster, aber nicht böse. Hugin – denken, und Munin – erinnern, wissen zeichnete die Raben aus, und die Wikinger führten zahme Raben auf ihren Schiffen mit sich.
Raben galten als Beleg für Hexerei. 1656 stand Anna Thony als Hexe vor Gericht. Ihre Schuld bewies ein Rabe, der sich auf ihre Schulter gesetzt hätte. Die arme Frau gestand unter der Folter und wurde enthauptet.
Seuchen, Hunger und Krieg: Die frühe Neuzeit war eine Zeit Verzweiflung. Volk und Herrschende gierten danach, die „Verursacher“ des Bösen zu finden. Der „schlaue“ Rabe bot sich geradezu an. Rabenschwärme begleiteten den Sensenmann, sie flogen der Pest voraus; sie nisten auf dem Galgenberg, wo sich auch die Hexen treffen, und ein „Rabenaas“ war eine verwesende Leiche.
Die teuflische Schlange
Drachen sind Mischwesen, in denen sich Fähigkeiten und Körperteile von Reptilien, Vögeln und Säugetieren verbinden. Zumeist handelt es sich um Raubtiere. Chinesische Drachen haben zum Beispiel Elemente der Schlange, des Karpfens, des Rindes, Hirschgeweihe und Tigerpranken. Europäische Drachen verbinden Schlangenkörper mit Fledermausflügeln. Sowohl in Europa als auch in Asien ist der Körper von Schuppen bedeckt wie bei einem Reptil. Die Köpfe erinnern an Krokodile, Schlangen, Wölfe oder Großkatzen. Manche Drachen haben Flügel, die chinesischen Drachen fliegen ohne solche Hilfsmittel, manche haben sechs Beine, andere vier, wieder andere nur zwei. Drachen speien Feuer oder lösen Flutwellen aus. Europäische Drachen haben oft eine gespaltene Zunge und einen giftigen Atem.
Das Tier, was den Drachen am stärksten prägt, ist die Schlange. Viele Drachen sind von ins Monströse verzerrten Schlangen kaum zu unterscheiden. In Europa zeigt sich dies sogar im Wortstamm. Die Drachen der griechischen Antike sind zumeist eine Art Schlangen, so Python in Delphi. Die Würgeschlange Python ist nach ihm benannt, nicht umgekehrt. Die vielen Köpfe und Hälse der Hydra sind ebenfalls Schlangen. Oft bewachen diese Drachen Schätze, in Höhlen und unter der Erde.
Im Christentum ist die Schlange das niederste Tier, dazu verdammt, auf dem Bauch zu kriechen. Die Schlange ist ein Sinnbild des Teufels; auch wenn der Drache in christlichen Darstellungen mit diversen Attributen des „Hässlichen“ versehen ist wie Fledermausflügeln und Froschaugen, bleiben dies Varianten des Schlangenthemas. Ein wichtiger christlicher Mythos, der des heiligen Georg, der den Drachen besiegt, zeigt den Kampf zwischen Gut und Böse, Gott und dem Teufel.
In Europa gibt es keine großen Würgeschlangen und das Vorbild ist in den Giftschlangen zu sehen, der Kreuzotter, der Aspisviper, der Bergotter und verwandten Arten. Am heißen Mittelmeer, wo der Begriff Drache, also Schlange, herkommt, sind Giftschlangen verbreitet. Ihre Lebensweise lässt Rückschlüsse auf den Drachenmythos zu: Drachen leben in Höhlen und hüten verborgene Schätze; Schlangen verstecken sich ebenfalls in Höhlen, Felsspalten, unter Wurzeln etc. In der Winterstarre sammeln sie sich dort zu vielen; Kreuzottern bilden so genannte Schlangenknoten.
Die Häutung der Schlange brachte sie mit den Zyklen des Lebens in der Natur in Verbindung; das könnte ein Hinweis sein, warum Drachen in Zusammenhang mit der Ordnung der Welt an ihrem Anfang stehen.
Die europäischen Schlangen sind vom Ausmaß her keine „Drachen“, manche jedoch von ihrem „Giftodem“, ihrem giftigen Biss. Wer sie um etliches vergrößert, hat einen Drachen geschaffen. In Asien, auch in China, leben hingegen Schlangen in Drachengröße, die ihren Namen von einem Drachen haben, Netz- und der Tigerpython. Der Netzpython ringt mit der Anakonda Südamerikas um den Platz der größten lebenden Schlange. Der Tigerpython ist nur wenig kleiner. Ausgewachsene Tiere beider Arten können ohne weiteres Hirsche, junge Wasserbüffel oder Ziegen erwürgen und verschlingen. Auch ein Mensch wäre von der Größe her überhaupt kein Problem für ihren Verdauungstrakt. Für asiatische Erzählungen, in denen sich Drachen auf Elefanten stürzen, war wahrscheinlich der Python Vorbild. Um aus dem Python einen Drachen zu entwickeln, bedarf es allerdings wenig Übertreibung. Zumindest die Beschreibungen im europäischen Mittelalter von den Drachen Indiens, die Tiere und Menschen erwürgen, gehen eindeutig auf Pythons zurück.
Die Fledermaus
Im Aberglauben und im Horrorfilm begleiten Fledermäuse die Hexe. Alfred Edmund Brehm schrieb in den „Tierleben“: „Aus allen Ritzen, Löchern und Höhlen hervor kriecht die düstere, nächtige Schar der Fledermäuse, als dürfte sie sich im Licht der Sonne nicht zeigen […]. Je mehr die Dämmerung hereinbricht, umso größer wird die Anzahl dieser dunkeln Gesellen, bis in eintretender Nacht alle munter geworden sind.“ Und er zeterte: „Mit der Flughaut der Fledermaus verhäßlicht er [der Pfaffe] den Teufel, die tollste Mißgeburt des krankhaften Wahns.“
Angst vor der Dunkelheit, an die menschliche Augen unangepasst sind, bleibt – auch bei Wissen über Fledermäuse. Höhlen, die Menschen meiden, sind Rückzugsgebiet der Fledermaus. Für Menschen handelt es sich auch um Friedhöfe; Fledermäuse fühlen sich wohl, wo Menschen ihre Toten begraben. Fledermäuse erwachen, sobald Menschen träumen, und das an Orten, die auch das Unbewusste spiegeln.
Wir erfahren bei Brehm, warum die Fledermaus sich als Fabelmonster anbot: „Der Aufenthalt der Fledermäuse im Dunkeln, das Mäuseartige […], die Flughände, sowie der […] Gesichtsausdruck [vermitteln] etwas Unheimliches, […]. Während die guten Geister mit Flügeln der Taube erscheinen, entwarf man […] Dämonen mit den Flügeln der Fledermaus. Lindwurm und Drachen […] hatten ihre Flügel von der Fledermaus entliehen, wie noch heute das Zerrbild des Teufels mit Fledermausflügeln oder das Heer der bösen Geister […] in Gestalt von Fledermäusen erscheinen. […] Bei Erwägung ihres großen Nutzens […] erscheinen die Fledermäuse […] als eine freundliche, belebende Erscheinung der stillen Landschaft.“ Brehm beschrieb das Aussehen der Fledermäuse 1864: „In der Gesamtbildung stimmen sie […] Affen überein. „[…]. Ihre Hände sind zu Flugwerkzeugen umgewandelt, […] Unter allen Merkmalen ist […] die Entwicklung der Haut das merkwürdigste, weil sie [..] den Gesichtsausdruck bedingt und somit die Ursache wird, daß viele Fledermausgesichter ein […] ungeheuerliches Aussehen haben.“
Nach Brehm ähnelte die Fledermaus dem Affen. Ihre Hände (sic!) wären Flugwerkzeuge, ihre Haut sehe aus wie ein Ungeheuer. Über Affen erfahren wir von Brehm: „Unser Widerwille gegen die Affen begründet sich […]auf deren […] Begabungen. Sie ähneln dem Menschen zuviel und zuwenig.“
Eine Fledermaus fliegt als Zerrbild des Menschen in der Dunkelheit. Sie ist ein groteskes Abbild. Fledermäuse tragen den Kopf aufrecht. Ein Tier, das einem Affen ähnelt, nachts sehen und fliegen kann, rief Schaudern hervor; ein Tier, dem Menschen ähnlich – aber mit unmenschlichen Fähigkeiten.
Zauberpflanzen
Der Hexenkessel, in dem die Maleficia ihre Tränke braut, gehört zum Hexenglauben wie das Eis zur Arktis. Die Menschen im Mittelalter kannten die Wirkung von Heil- wie Giftpflanzen und interpretierten sie magisch. Die Dosis macht das Gift, auch im wissenschaftlichen Sinn – und die Grenze zwischen weißer und schwarzer Magie, zwischen heilen und schaden, war durchlässig.
Zauberpflanzen halfen gegen Hexerei. Eisenkraut wehrte Flüche ab, Holunder half gegen die Dämonen. Böse Geister vertrieben die Menschen mit Wacholder. Knoblauch, Bärlauch, Baldrian, Fenchel und Dill waren Waffen gegen die Teufel, die Krankheit brachten. Salbei hielt sie auf Distanz zu den Sterbenden. Der Gauchheil galt als Mittel gegen die Lyssa und sollte den Teufel austreiben. Die Tollkirsche (Belladonna) war ebenfalls als Heilpflanze gegen die Tollwut bekannt. Deren Wurzel wurde am Johannistag ausgegraben.
Sowohl in der Anschuldigung, dass die Hexen eine Flugsalbe benutzten, als auch in Salben, mit denen sich Werwölfe zu ihrer Verwandlung einreiben sollten, fanden sich halluzinogene Pflanzen. Derjenige sollte zum Wolf werden, der ein Wolfsfell anlegte oder seine Haut mit einer Salbe aus Wolfsfett, Mohn, Christrose oder Stechapfel einrieb.
Psychogene Pflanzen sind in schamanischen Ritualen bis heute verbreitet: Die Liane Ayahuasca, der Peyotl-Kaktus mit dem Alkaloid Mescalin, Stechapfel, Tabakrauch, Wacholder, Salbei, Rosmarin oder Rauschbeere gelten als Lehrerpflanzen und als Wohnort von Geistern. Sie haben aber nicht die Bedeutung im schamanischen Ritual, die Hippies oder Goa-Techno-Jünger vermuten. Etliche Schamanen lehnen diese Mittel der Bewusstseinsbeeinflussung ab und geraten in ihren Zustand allein durch Konzentration.
Spirituelle Praktiker, aber auch Kranke können in eine Art von „Scheintod“ geraten. Die Trance des Schamanen, und die Besessenheit des Voodoo-Anhängers basiert auf solchen Zuständen, verstärkt durch Opium, Tollkirsche, Bilsenkraut oder Fliegenpilz. Bilsenkraut kann zu Starre führen, in der das Unbewusste lebendig ist. Schamanen betrachten ihre geistige Reise in die Welt der Ahnengeister als vorüber gehenden Tod. Ihr Körper liegt reglos da, während ihr anderes Ich die unsichtbare Dimension bereist. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein Grundmotiv des Schneewittchen-Märchens auf solchen Ritualen basiert: Ersetzen wir den Apfel, in den Schneewittchen beißt, und den sie von einer Hexe, bekommt, zum Beispiel durch Fliegenpilz und begrenzen wir den Schlaf auf einen Tag, erkennen wir den kleinen Tod des Schamanen.
Die Alraune
Die Alraune, Mandragora, kennen wir aus Harry Potter als schreienden Homunkulus. Die Alraune-Wurzel hat eine, mit etwas Fantasie, menschenähnliche Form: Zwei Beine und zwei Arme. Nicht der Verkauf der Alraunewurzel, der aufgrund ihrer entfernt an einen Menschen erinnernden Form auch Hildegard von Bingen Zauberkraft zusprach, war der Betrug. Der Betrug bestand darin, andere Wurzeln als Alraune zu schnitzen; „Alraundelberin“ bedeute Hexe oder Zauberweib. Die Russen glaubten, aus der Wurzel würde ein Kind heraus springen.
Die Gelehrten wussten um die Wirkung der Pflanze. Albertus Magnus schrieb über ihre betäubende Eigenschaft. Hildegard von Bingen sah den inneren Zustand des Gläubigen als entscheidend für die Wirkung: „Weshalb auch der Mensch, nach seinen Wünschen, durch die Mandragora erregt wird, so wie er auch einst mit den Götzenbildern tat.“ Der Naturforscher Conrad Gessner beschrieb die Nachtschatten-Pflanze als „Kraut, wovon die Landfahrer reden“. In Italien galt sie als „Herrin aller Hexenkunst“.
Eisenhut
Der giftige Eisenhut war das Mittel, um Wölfe und Hunde zu töten. Hexen sollten sie zu bösem Zauber nutzen und damit ihre Opfer töten. In Polen hieß sie Höllenkraut, in Deutschland Totenblume oder Teufelskraut.
Der Stechapfel
„Magische“ Pflanzen waren manchmal wirkliche Giftpflanzen, allen voran die Nachtschatten. Der gemeine Stechapfel löst nicht nur Halluzinationen aus, er kann das Leben bedrohen. Noch heute verweisen die volkstümlichen Namen für ihn auf seine Bedeutung als Zauberpflanze: Tollkraut, Hexenkraut und Teufelsapfel.
Bilsenkraut
Bilsenkraut sollten Hexen ebenfalls in ihre Tränke mischen. Das „Zahnwehkraut“ wirkt in geringen Dosen betäubend. Heute kommt es nur noch selten vor, war aber in der frühen Neuzeit in Europa weit verbreitet. Es diente auch dazu, den Wein und das Bier zu strecken. Freaks behaupten, das deutsche Reinheitsgebot für Bier wäre erlassen worden, um den „Bilsen“ aus dem Bier zu bekommen. Belege dafür gibt es allerdings nicht. Bilsenkraut verursacht Wachträume. Fantasien vom Hexenflug und dem Geschlechtsverkehr mit dem Teufel könnten durch diese Droge verstärkt worden sein.
Hexenpilze
Ein Pilzring heißt heute noch Hexenkreis oder Hexenring. Der Fliegenpilz mit rotem Hut und weißen Flecken sieht beeindruckend aus – und er erzeugt Halluzinationen. Kein Wunder also, dass er als Hexenpilz galt. Bis heute sind unsere Bilder vom Fliegenpilz widersprüchlich. Kinder auf dem Land lernen, dass der Fliegenpilz tödliches Gift enthält: Dabei sind zum Beispiel weiße Knollenblätterpilze viel gefährlicher.
New Age Gurus behaupten, dass die Kirche den Fliegenpilz verteufelte, weil Schamanen mit seiner Hilfe in die unsichtbare Welt reisten. Belegen lässt sich das nicht; belegen lässt sich aber, dass der Fliegenpilz in Eurasien eine bedeutende Rolle in schamanischen Ritualen spielte und immer noch spielt: Sibirische Schamanen tranken den Urin von Rentieren, die die Pilze gefressen hatten. Der Fliegenpilz enthält Muscimol, dieser Wirkstoff verändert das Bewusstsein und erzeugt Halluzinationen.
Mutterkorn, Claviceps purpurea, heißt ein Schlauchpilz, der als Parasit Roggen, anderes Getreide und Gras befällt. Die Symptome, Ergotismus, Krämpfe und Lähmungen folgen auf das Essen von Getreide, das der Pilz verseucht. Halluzinationen zählen zu den Begleiterscheinungen, ähneln den Horrorbildern des Hexenwahns. Massenepidemien des Mittelalters lassen sich mit Mutterkorn erklären. Brot, aus vergiftetem Mehl gebacken, Claviceps im Stroh und Heu, der Schlafstätte und dem Viehstall – der Giftpilz gehörte zum Alltag. Wie Heroin entfaltet der Pilz seine Wirkung durch Inhalieren. Mähen und Dreschen verteilten den Parasiten, die Dörfler atmeten Claviceps ein. Agrarhistoriker gehen davon aus, dass ein Drittel des Getreides von Mutterkorn befallen war.
Die Psychologin Linda Carporael vermutet Mutterkorn hinter der Hexenhysterie und untersuchte die Hexenprozesse in Salem, Massachusetts 1692. Acht Mädchen erzählten damals, sie seien Tiere und Monster. Sie bezichtigten Einheimische, sie verhext zu haben. Neuzehn der Denunzierten erlitten die Todesstrafe. Dann hörten die Symptome auf. Carporael erklärte das Klima zur Zeit des Hexenprozesses als ideal für die Verbreitung des Pilzes. Roggen, sein Hauptwirt, war das wichtigste Getreide in Neuengland. Die Mädchen spielten im Winter verrückt, nachdem die Bauern das Korn gedroschen hatten.
Volksnamen für verschiedene Pilze deuten noch heute darauf hin, dass sie mit Hexen zusammen gedacht wurden: Hexenbutter, Hexenröhring und Satanspilz.
Die Hexenforscherin Christa Tuczay aus Wien forschte intensiv über Drogen in Zaubervorstellungen der frühen Neuzeit: Sie hält es für eindeutig, dass Drogenrausch einfloss in die Vorstellungen von Hexerei. Allerdings: „Was genau die Menschen zu sich nahmen, lässt sich aus den Quellen nicht ableiten.“
Besonders positivistische Mediziner vermuten Mutterkorn-Vergiftung als Auslöser des Hexenwahns. Die „kleine Eiszeit“ der frühen Neuzeit hätten ihm hervorragende Bedingungen verschafft. Der Ergotismus erklärt nicht den Hexenglauben, er könnte aber ein Brandbeschleuniger gewesen sein für Massenpsychosen, die mit dem Hexenwahn einhergingen. (Dr. Utz Anhalt)
Erstveröffentlichung: Hexentiere und Zauberpflanzen in Karfunkel Codex Nr. 12 / 2014
Literatur:
Eliade, Mircea: Schamanismus und archaische Ekstasetechnik. Frankfurt am Main 1975.
Ginzburg, Carlo: Hexensabbat. Entzifferung einer nächtlichen Geschichte. Frankfurt am Main 1993
Harris, Marvin: Fauler Zauber. Unsere Sehnsucht nach der anderen Welt. Stuttgart 1993.
Herrmann, Paul: Nordische Mythologie. Berlin 1995.
Hiller, Helmut: Lexikon des Aberglaubens. Süddeutscher Verlag GmbH. München 1986.
Rosenbohm, Alexandra: Marburger Studien zur Völkerkunde. Halluzinogene Drogen im Schamanismus. Mythos und Ritual im Kulturellen Vergleich. Berlin 1991.
Summers, Montague: Werewolf. London 1933.
Sidky, Hubert: Witchcraft, Lycanthropy, Drugs, and Disease.New York. 1997.
Stewart T., Caroline: Die Entstehung des Werwolfglaubens. In: Bolte, Johannes (Hg.): Zeitschrift des Vereins für Volkskunde. Begründet von Karl Weinhold. 19. Jahrgang. Berlin 1909. S.30-49.
Autoren- und Quelleninformationen
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