Das Durchstechen des Gesichts ist bereits vor 5000 Jahren in Ägypten nachgewiesen. Pharaonengräber enthielten Schmuckstücke für Ohr und Nase. Auch im alten Amerika war das Durchbohren von Nasenflügel, Nasenscheidewand und Ohren bekannt; Mayas praktizierten es ebenso wie Indigene am Amazonas.
In den alten Kulturen dienten solche Gesichtspiercings zum einen religiösen Zwecken: Die Mayas zum Beispiel durchstachen ihre Zunge (und ihren Penis), um den Göttern ein Selbstopfer zu bringen. Zum anderen kennzeichnete es den Status, einen Lebensabschnitt, Besitz oder die Zugehörigkeit zu einer Gruppe.
Inhaltsverzeichnis
Lippenteller
Die Mursi in Äthiopien schneiden sich die Unterlippe auf und dehnen diese immer weiter, indem sie Platten aus Ton einsetzen. Nach einigen Jahren können sie einen Tonteller von der Größe einer Untertasse einsetzen. In westlichen Augen wirkt dies wie eine Verunstaltung der Unterlippe. Manche Historiker sehen dies sogar als den ursprünglichen Zweck an. Äthiopien war ein wichtiges Jagdgebiet arabischer Sklavenhändler, und diese suchten einheimische Frauen gezielt nach ihrer Schönheit aus, um sie als Sexsklavinnen zu verkaufen. Die ausgedehnten Löcher in den Unterlippen machten die potenziellen Opfer für die Sklavenjäger wertlos, so die These.
Dieser Ursprung lässt sich indessen nicht belegen, für die Mursi gilt heute die Größe der Tellerlippe einer Frau als Ausdruck der Schönheit – je größer die Tellerlippe ist, umso begehrter ist die Trägerin.
In Äthiopien tragen außerdem die Kichepo und Surma Tellerlippen, in Mosambik und Tansania die Makonde, im Tschad die Sara.
Lippenpflöcke
Bei den Zo’é am Amazonas vermuten Ethnologen einen ähnlichen Ursprung wie in Äthiopien. Auch hier dienten die ausgeweiteten Lippen der Frauen demnach dazu, sie für die feindlichen Nachbarstämme unattraktiv zu machen.
Logisch wäre das allemal. Die dortigen Indigenen lebten traditionell in kleinen Gruppen, und Frauenraub war Alltag. Auch bei den Zo’é sind die Lippenpflöcke aus hellem Holz allerdings seit langem ein Schönheitsideal und vor allem definieren sie die Zugehörigkeit zum Stamm.
Einen praktischen Zweck hatten die großen Holzstäbe der Zo’é nicht – im Gegenteil. Sie führen regelmäßig zu Knochendeformationen des Kiefers, und die Träger wie Trägerinnen müssen ihre Nahrung mit den Backenzähnen beißen.
Weitere Ethnien in Südamerika, die Lippenpflöcke tragen, sind die Botokudo, Suya und Kayapo in Brasilien.
Lippenpflöcke sind bereits aus der Steinzeit des Nordwesten Amerikas bekannt. Indigene nutzten dafür Materialen wie Knochen, Elfenbein, Steine oder Metalle, die sie durch ein gestochenes Loch in der Unterlippe schoben. Die Azteken nutzten Lippenpflöcke aus Gold, die Inuit kombinierten sie mit Tätowierungen.
Der Unterschied zu den Lippentellern liegt in der Betonung des Schmucks: Nicht die Größe des Lochs entscheidet, wie bei den Mursi, sondern der Stift, der am Kinn gut sichtbar ist. Ähnliche Pflöcke stecken sich indigene Kulturen durch Nasenscheidewand oder Ohrläppchen.
Status und Geschlecht
Die Tlingt im Westen Kanadas definierten mit Lippenpflöcken den Status der Frauen. Sie druchstachen pubertierenden Mädchen die Unterlippe mit Kupferdraht, isolierten sie dann eine Zeit lang in einer Hütte. Bei der Heirat erhielten die Frauen einen Holzpflock, den sie in den Stichkanal schoben; sie dehnten dann den Kanal immer weiter aus, und je älter sie wurden, umso größer wurden die Pflöcke.
Der Lippenpflock und seine Größe kennzeichneten also sowohl das Geschlecht wie auch die Geschlechtsreife und das Alter. Männer trugen hingegen Oberlippen- und Kinnbärte, um ihre Männlichkeit auszudrücken.
Westliche Gesichtspiercings in der Moderne
Ohrringe sind in westlichen Gesellschaften bei Frauen schon lange etabliert, und bei Männern immerhin seit mehreren Jahrzehnten. Bevor sie im Alltag selbstverständlich wurden, waren sie wie Tätowierungen ein Kennzeichen von Matrosen. Diese stachen sich jedes Mal einen neuen Ohrring, wenn sie den Äquator überquert hatten.
Bis in die 1980er Jahre beschränkten sich Gesichtspiercings in Deutschland bei Männern weitgehend auf am Ohr getragene Schmuckstücke. Am verbreitetsten waren Stecker im linken Ohr, in Norddeutschland galten, aus welchen Gründen auch immer, Ohrringe im rechten Ohr bei Männern als Kennzeichen Homosexueller.
Schmuck im Nasenflügel war vor 40 Jahren noch ungewöhnlich und primär bei der Subkultur des Punk beliebt. Hier verbreiteten sich auch andere Stellen im Gesicht wie durchstochene Wangen und Lippen, in aller Regel unprofessionell durchgeführt. Berüchtigt waren Sicherheitsnadeln in Ohrläppchen, Nasenflügel und Wange.
Im Unterschied zu den Piercing-Trends im Mainstream heute ging es um Anti-Ästhetik, um eine Betonung der Hässlichkeit, darum, die Gesellschaft zu schocken.
Welches Piercing für wen?
Kein Körperbereich bietet so viele Stellen für mögliche Piercings wie das Gesicht. Sie reichen von Augenbraue und Augenlid über Kinn und Unterlippe, bis zu Lippenbändchen, Zunge und Wangen, von den Nasenflügeln bis zur Nasenscheidewand und der Nasenwurzel.
Das Anbringen von Schmuckstücken an verschiedenen Stellen im Gesicht ist heute nicht nur bei einer Gegenkultur verbreitet, sondern bei unterschiedlichsten Typen. Ob und welches Piercing zu einem Menschen passt, lässt sich dabei nur individuell entscheiden. Zum Beispiel ließe sich zwar grob sagen, dass ein Stecker im Nasenflügel besonders einem Menschen mit kleiner Nase und ovalem Gesicht steht und sich jemand mit einem großen Zinken nicht auch noch einen dicken Goldring anhängen sollte, doch auch der Lebensstil spielt hinein.
Piercing im Augenbereich
Augenbrauen-Piercings können vertikal im äußeren Drittel der Braue verlaufen oder horizontal. Sie sind nach circa 4 Wochen ausgeheilt und eignen sich für Ball Closure Ringe. Vorsicht bei Selbstversuchen. Nahe der Augenbrauen verlaufen Nervenstränge, und ein unsachgemäßes Stechen kann zu Taubheitsgefühlen oder sogar einer halbseitigen Lähmung des Gesichts führen.
Über dem Wangenknochen lassen sich wenige Menschen stechen, doch es ist möglich, auch wenn das Abheilen mehrere Monate dauert. Ein Augenlid-Piercing ist mit Komplikationen verbunden. Der Piercer durchsticht die dünne Haut am äußeren Rand des Augapfel. Da wir die Augenlider ständig bewegen, dauert die Heilung sehr lange.
Formen von Nasen-Piercings
Das Austin Bar-Piercing liegt an der Nasenspitze. Der Stichkanal heilt in zwei bis drei Monaten ab; das Bridge-Piercing befindet sich am Nasenbein zwischen den Augen braucht bis zu zwei Monaten, bis es abgeheilt ist. Das Nasallang-Piercing durchsticht Nasenflügel, Nasenscheidewand und den zweiten Nasenflügel. Es dauert circa drei Monate, bis die Heilung beendet ist.
Das Nashorn-Piercing liegt an der Nasenspitze und ist nach innen gerichtet, das Nostril-Piercing ist wesentlich bekannter. Neben dem Durchstechen der Ohrläppchen gehört ein Ring im Nasenflügel zu den als ersten anerkannten Gesichtspiercings.
Möglichkeiten für Piercings im Mundbereich
Das Ashley-Piercing befindet sich in der Unterlippe und dauert bis zu sechs Monate, bis es geheilt ist. Das Inuit-Piercing heißt nach der Tradition der Inuit, sich unterhalb der Unterlippe Pflöcke durch die Haut zu stecken. Es reicht von unterhalb der Unterlippe bis Mitte Unterlippe und heilt in circa einem Monat.
Das Jestrum-Piercing befindet sich in der Mitte der Oberlippe und braucht bis zu einem halben Jahr, bis es abheilt. Das Lane-Piercing befindet sich ebenfalls in der Unterlippe, aber waagrecht und heilt deshalb nur langsam.
Labret- und Lowbret-Piercing befinden sich beide unterhalb der Unterlippe, das Lowbret dabei sehr nah am Kinn.
Im Mund setzt das Frowny-Piercing an, nämlich zwischen Lippenbändchen und Unterlippe. Es heilt schnell ab, manchmal schon nach zwei Wochen. Das Uvula-Piercing sitzt am Gaumenzäpfchen. Diese Mundpiercings verheilen schnell, was vor allem an der der wundheilenden Wirkung des Speichels liegt.
Piercing an Zunge und Zungenbändchen
Zungenpiercings gilt unter den verbreiteteren Formen als diejenigen, die am schwersten abheilen. Das stimmt aber nicht. Bei einem regulären Vorgehen durchsticht der Piercer die Zunge senkrecht und zieht dann mit einem Venenkatheter einen Stab hindurch. In den Tagen danach schwillt die Zunge stark an; die Betroffenen sollten vor allem flüssige Nahrung und Brei zu sich nehmen.
Wie bei den anderen Varianten im Mund gilt auch hier: Der Speichel beugt Infektionen vor. Allerdings sind Infektionen, wenn sie sich bilden, in der Zunge problematisch, da sie beim Essen und Trinken stören.
Eine seltene Variante ist das Piercing am Zungenbändchen.
Wangenpiercing
Punks zogen sich in den späten 1970er Jahren Sicherheitsnadeln durch die äußere Wangenhaut. Heutige Cheek-Piercings hingegen sind Stäbe die die Wange von innen nach außen durchziehen und mit einer Kugel an jedem Ende verschließen. Eine Heilung dauert bis zu zwei Monate, die Träger sollten in den ersten Wochen besonders beim Essen darauf achten, die Wunde nicht zu verschmutzen.
Das Nick-Piercing setzt an der Innenseite der Oberlippe an und tritt unterhalb des Auges aus der Haut.
Um das Kinn
Das Kinnpiercing sitzt an der Spitze des Kinns. Eine genaue Heilungszeit lässt sich nicht angeben, in jedem Fall dauert die Heilung lange, da das Kinn sich beim Sprechen, Kauen und durch den Mund atmen ständig bewegt und sich kaum vermeiden lässt, dass wir uns damit an Gegenstände stoßen.
Das Mandible-Piercing nennt sich nach den Mundwerkzeugen von Insekten und liegt im Inneren des Mundes unter der Zunge zwischen Kinn und Mundraum. Erst nach sechs Monaten ist der Stichkanal verheilt.
Mögliche weitere Gesichtspiercings
Weitere Formen sind möglich und lassen sich auf Piercing- und Tattoo-Conventions beobachten. Dazu gehören Ringe und Stecker in der Haut von Stirn und Schläfe ebenso wie auf dem Nasenrücken oder am unteren Rand des Auges über den Wangenknochen.
Diese Regionen sind aber Außenreizen in hohem Ausmaß ausgesetzt, so dass ein erhöhtes Risiko besteht, dass die Wunde beim Abheilen infiziert, und auch nach der Abheilung reißen Ringe leicht aus der Haut heraus. Zudem ist die Hautschicht an der Stirn und über den Wangenknochen sehr dünn, so dass für ein stabiles Piercing zu wenig Gewebe vorhanden ist. (Dr. Utz Anhalt)
Quellen
- Keddie Grant: Symbolism and Context: World History of the Labret and Cultural Diffusion on the Pacific Rim. Circum-Pacific Prehistory Conference, Seattle, 1. bis 6. August 1989 (PDF; 1,7 MB)
- Aglaja Stirn: Piercing – Psychosoziale Perspektiven eines gesellschaftlichen Phänomens. (PDF) 2003
- https://www.safepiercing.org/
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
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