Großbritannien: Gegner der Homöopathie nehmen öffentlich Überdosis
In Großbritannien trafen sich am Samstag um Punkt 10.23 Uhr Gegner der Homöopathie, vor allem vor Apotheken der Kette „Boots“, um öffentlich eine „Überdosis“ des homöopathischen Mittels “Arsenicum album” zu nehmen und damit die Wirkungslosigkeit der Homöopathie vorzuführen.
Initiiert hat die Aktion „10.23 Homeopathy- There´s nothing in it“ die sogenannte „Merseyside Skeptics Society“. Sie selbsternannten Skeptiker bezeichnen die Homöopathie als unwissenschaftlich und absurde Pseudowissenschaft. Den Auslöser bildete wohl eine Anhörung im November 2009. Im Gesundheitsausschuss des britischen Parlaments, durfte ein homöopathisch tätiger Arzt die Potenzierung, das Herstellungsverfahren homöopathischer Mittel, schildern und ein Angestellter der Apothekenkette „Boots“ äußerte sich positiv über den Verkauf homöopathischer Mittel. Das veranlasste die Organisatoren von „10.23“, nach eigenen Angaben zu ihrer Aktion. Die ungewöhnliche Zeit geht auf den italienischen Chemiker und Physiker Amedeo Avogadro zurück. Er schuf die sogenannte Avogadro- Konstante. In dieser erscheint die Zahl 10.23. Seine 1811 fomulierte Hypothese besagt, dass Gase unter denselben Bedingungen eine gleiche Menge von Molekülen enthalten.
Grundlagen der Homöopathie
In dem Blog “Homöopathie und Forschung” von Claus Fritzsche erfährt man noch mehr über die Hintergründe und Motivationen der Organisatoren aus einem kritischen Blickwinkel. Die Homöopathie wurde von dem deutschen Arzt Samuel Hahnemann (1755- 1843) begründet. Er publizierte 1810 ein Buch, das bis heute das theoretische Rüstzeug vieler homöopathisch arbeitender Mediziner geblieben ist – das „Organon der rationellen Heilkunde“. Spätere Auflagen, die den Titel „Organon der Heilkunst“ trugen, wurden gegenüber der Erstauflage gravierend geändert und überarbeitet.
Schon 1796 formulierte Hahnemann die „Ähnlichkeitsregel“, welche er später im „Organon“ weiter ausführte: „Durch Beobachtung, Nachdenken und Erfahrung fand ich, daß im Gegentheile von der alten Allöopathie die wahre, richtige, beste Heilung zu finden sei in dem Satze: Wähle, um sanft, schnell, gewiß und dauerhaft zu heilen, in jedem Krankheitsfalle eine Arznei, welche ein ähnliches Leiden für sich erregen kann, als sie heilen soll!“ Das bedeutet Ähnliches soll am besten durch Ähnliches behandelt werden. Die Herstellung der Mittel in der Homöopathie erfolgt dann, indem die Substanzen immer weiter verdünnt (potenziert) werden.
Kritiker verweisen darauf, dass in den Mitteln zum Teil keine Spur des ursprünglichen Mittels mehr nachweisbar und dies ein Grund für die mangelnden wissenschaftlichen Nachweise in Form von Studien sei. Befürworter der Homöopathie verweisen meist auf eigene persönliche Erfahrungen. Desweiteren wird die Akzeptanz der Homöopathie in Teilen von niedergelassenen Ärzten und der Verkauf in großen Ketten von Vertretern der Homöopathie auch nicht nur wohlwollend gesehen. Sie mokieren die reduktionistische Sichtweise der Homöopathie- Gegner und von Vertretern rein ökonomischer Interessen auf die Homöopathie. Ihrer Ansicht nach ist das gerade der Unterschied zur konventionellen Medizin, dass Homöopathie mehr als reine Biochemie oder als nur die Gabe z.B. von Globuli ist.
In einem eingehenden Anamnesegespräch werden die Mittel u.a. nach Gemüt und Konstitution individuell bestimmt und sollen Informationen an den Körper abgeben. Das bedeutet, dass es nicht ein grundsätzliches homöopathisches Mittel gegen Kopfschmerzen geben kann- was aber teilweise zur Zeit im großangelegten Verkauf geschieht.
Naturheilkunde versus Schulmedizin?
Hintergrund ist also wieder einer der großen Streitpunkte zwischen Naturheilkunde und moderner Medizin. Vertreter der naturheilkundlichen Sicht sehen als Behandlungsansatz die Lebenskraft der Betroffenen, die dann in nur in jedem System einen anderen Namen besitzt. Im chinesischen ist es das „Chi“ oder „Qi“ und in der kraniosakralen Osteopathie ist es der „Primär Respiratorische Rhythmus“ (PRM), usw…
Die Lebenskraft kann nicht beeinflusst, sondern ihr können nur Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Wenn sie wieder im Menschen fliesst, ist eine Rückkehr zu dem dynamischen Gleichgewicht zwischen Krankheit und Gesundheit möglich. Dem rein naturwissenschaftlichen Ansatz im Umgang mit Krankheiten werfen sie u.a. einen Versuch der Behrrschung der Natur vor.
Vertreter der evidenzbasierten Medizin kritisieren hingegen die mangelnde Überprüfbarkeit der Homöopathie und fordern, dass auch sie sich nach den gängigen Kriterien in der Medizin überprüfen lassen muss.
Hysterie und Verbissenheit in der Diskussion
Wenn man sich die vielen Beiträge des Twitter- Accounts von „10.23“ und im Forum des Informationsdienstes „Telepolis“ auf einen Artikel zu der Aktion der „Skeptiker“ anschaut, dann scheint das Thema viele Menschen zu beschäftigen. Die Aktionsform und das nach aussen publizierte Erscheinungsbild, das sich die HomöopathiegegnerInnen geben, ist nicht auf inhaltliche Auseinandersetzung oder gegenseitiges Verständnis ausgelegt. Etwas mehr Unaufgeregtheit und Polarisation täte der Diskussion sicherlich gut, um am Ende die beste Entscheidung zum Wohl der behandelten Patienten zu erreichen.
Im Forum von Telepolis stellte schon einer der Teilnehmer in den Raum, ob das Ähnlichkeitsprinzip in der Naturheilkunde bedeuten würde, dass man bei einem Wadenbeinbruch eine Schweinshaxe essen sollte. Und ein anderer Teilnehmer mit dem Namen „choernchen“ bot neue Möglichkeiten der Nutzung der Homöopathie an: „Homöopathie eröffnet auch ganz neue terroristische Möglichkeiten! Man versenkt am Unterlauf des Rheins ein Tollkirschen-Busch! Die nachfolgende Verdünnung der Tollkirschbestandteile im gesamten Rheinwasser wird schrecklich weit über den homöopathischen Dosierungen liegen! Alles Leben am Rhein, wie wir es kennen, wird zum Erliegen kommen!“ Es bleibt zu hoffen, dass es noch mehr solcher Beiträge gibt, die die Absurdität des Ganzen aufzeigen und etwas mehr Lockerheit und Verständnis in die Diskussion bringen. (Thorsten Fischer, Heilpraktiker Osteopathie, 31.01.2010)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.