Medikamente: Hunderte Todesfälle durch Arzneimittel Dabigatran (Pradaxa)
12.11.2011
Der Blutverdünner Dabigatran soll nach Angaben der europäischen Arzneimittelbehörde EMA statt der bisher durch den Arzneimittelhersteller eingeräumten 50 Todesopfern über 250 Menschen das Leben gekostet haben. Bereits vor einigen Wochen hatten weltweit Gesundheitsbehörden vor der Einnahme des Medikaments gewarnt, wenn Patienten über Nierenfunktionsstörungen leiden.
Dabigatran mit dem Wirkstoff Dabigatranetexilat wird in Tablettenform verabreicht und ist hierzulande besser bekannt unter dem Handelsnamen „Pradaxa“ des Herstellers Boehringer Ingelheim. Das Medikament ist noch immer in der Europäischen Union seit 2008 zugelassen und wird zur Vorbeugung der Bildung von Blutgerinnseln nach chirurgischen Eingriffen an Knie- und Hüftgelenksersatz und seit 2011 auch zur Vorbeugung von Schlaganfällen bei Patienten mit Vorhofflimmern eingesetzt, um das Risiko eines Apoplex zu mindern. Der Pharmakonzern erhoffte sich durch die Einführung des Arzneimittels eine Ablösung des vielfach eingesetzten Medikaments „Marcumar“. Der Pharmazierhersteller glaubt an ein Milliardengeschäft mit dem Mittel. Ob Dabigatran tatsächlich die Position nun streitig machen kann, ist nach den letzten beunruhigenden Berichten fraglich.
Mehr Todesfälle als vom Hersteller zugegeben
In den letzten Wochen hatte Boehringer Ingelheim einzelne Todesfälle durch Verabreichung in bestimmten Gesundheits-Konstellationen eingeräumt. Nun wurde durch eine Anfrage des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ bei der europäischen Arzneimittelbehörde bekannt, dass weltweit etwa fünf mal so viele Menschen an der Verabreichung durch nachfolgende Komplikationen gestorben sind, als vom Pharmaproduzent bislang eingeräumt. Laut Behördenangaben seien bis Anfang November 256 Patienten nach der Einnahme verstorben. Insgesamt 21 Todesfälle hatten sich in Europa durch das Medikament Pradaxa ereignet. Mindestens vier Menschen sind nach Verabreichung in Deutschland ums Leben gekommen. Nach Angaben des Magazins „Zeit“ hatte der Konzern aus Deutschland in der Öffentlichkeit nur 50 Todesopfer eingeräumt.
Im Oktober Rote-Hand-Briefe an Ärzte verschickt
Schon Ende Oktober 2011 musste Boehringer Ingelheim in ganz Europa sogenannte „Rote-Hand-Briefe“ verschicken. Der Brief richtete sich an Mediziner, die davor gewarnt wurden, das Arzneimittel an Patienten zu verordnen, deren Nieren nur über eine eingeschränkte Funktion verfügen. Patienten mit einer Nierenkrankheit können im Körper den Arzneimittelwirkstoff nicht und nur sehr langsam abbauen. Die Folge ist, dass Dabigatranetexilat deutlich länger im Organismus verbleibt und die Blutgerinnung erheblich gestört wird. Im schlimmsten Falle kommt es zum vollständigen Erliegen der Blutgerinnung, wodurch innere Blutungen mit potenziell tödlicher Folge ausgelöst werden. Demnach sollte eine dauerhafte Einnahme unbedingt unterlassen werden, wie nun Ärzte raten.
Im August 2011 hatte das japanische Gesundheitsministerium dem Pharmakonzern vorgeworfen, nicht genügend über die möglichen Gesundheitsrisiken informiert zu haben. Zu jener Zeit waren bei mindestens 81 Patienten schwere Blutungen aufgetreten. Bis heute sind in Japan insgesamt 14 Menschen nach schweren inneren Blutungen verstorben. Das Ministerium hatte im Zuge dessen den Konzern aufgefordert, besser über Nebenwirkungen und Risiken zu informieren. Auch in Neuseeland und Australien hatten die Behörden von ähnlichen Fällen berichtet. Noch ist aber nicht abschließend geklärt, ob das Medikament tatsächlich den Tod der Menschen verursacht hat, wie der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe berichtet. Von Experten wird aber eingeräumt, dass das Mittel die Gerinnung derart massiv hemmt, so dass es zu den benannten inneren Blutungen kommt. Dies müsste aber noch klinisch untersucht werden.
Pradaxa seit 2008 zugelassen
Seit 2008 ist das Mittel zur Vorsorgen von Thromben nach Operationen und seit 2011 zur Schlaganfall-Vorbeugung bei Patienten mit Herz-Rhythmusstörungen (Vorhofflimmern) durch Gesundheitsbehörden zugelassen. Der Hersteller erhofft sich eine Ablöse des Medikaments Marcumar und somit internationale Geschäfte in Milliardenhöhe erwirtschaften. Durch den demografischen Wandel und durch das vermehrte Auftreten koronarer Ereignisse nimmt auch die Patientenzielgruppe kontinuierlich zu. Bereits der Wirkstoff des alten Typs hatte der Pharmaindustrie rund fünf Milliarden Dollar Umsatz beschert. Während im medizinischen Notfall bei Marcumar eine Gegenmittel existiert, gibt ein solches bei dem Gerinnungshemmenden Dabigatran nicht. Bis zum Sommer diesen Jahres wurde der Wert des Wirkstoffs mit 20 Milliarden Euro betitelt. (sb)
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Bild: Tommy S. / pixelio.de
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