CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn will private Krankenversicherung abschaffen
18.03.2012
Galten Union und FDP immer als „Hüter der Privaten Krankenversicherung“, bröckelt langsam auch hier die Gefolgschaft. Der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn hat sich für die Abschaffung der privaten Krankenversicherung ausgesprochen. In diesem Zusammenhang verwies der renommierte Gesundheitsökonom Jürgen Wasem auf das holländische Gesundheitssystem. Dort existiert seit längerer Zeit ein funktionierendes Krankenversicherungssystem ohne Unterschiede zwischen privaten und gesetzlichen Kassen.
Steigende Ausgabenseite der PKV
Seit einiger Zeit stehen die privaten Krankenversicherungen in der Kritik. Durch den demografischen Wandel und den damit verbundenen steigenden Gesundheitskosten müssen die Versicherer ihre Beiträge stetig anpassen. Allein zum Jahreswechsel mussten sie tarifliche Beitragserhöhungen von bis 60 Prozent hinnehmen. Während die Branche immer wieder abwiegelt und bewusst von guten Ergebnissen spricht, sprechen die Zahlen allerdings eine andere Sprache. Vor gut 12 Jahren (2000) mussten die Versicherungskonzerne etwa 13,6 Milliarden Euro für medizinische und andere Leistungen ausgeben. Im Jahre 2010 hatten sich die Kosten auf 22 Milliarden beinahe verdoppelt.
Die Mitgliederstruktur der Privatkassen ist im Schnitt älter geworden, weil die Menschen immer länger leben. Das heißt aber auch, dass die Versicherer immer mehr für innovative Medizinleistungen ausgeben müssen. Der propagierte Vorteil der Privatkassen entpuppt sich daher als echter Kostentreiber: Bei den Privaten Krankenversicherungen können die Versicherten fast jede Rechnung des Arztes oder der Klinik einreichen.
Spartarife locken Neumitglieder in die Kostenfalle
Damit das Neukundengeschäft belebt wird, sind viele Privatversicherer dazu übergegangen, Unentschlossene mit sogenannten Billigtarifen zu locken. Mit Tarifen weit unter 100 Euro wird den Kunden suggeriert, eine Krankenversicherung könne zum Spottpreis ergattert werden. Das Erwachen kommt für die Betroffenen meist hinterher. Jedes Jahr erleben die angelockten Kunden Preissteigerungen zwischen 10 und 30 Prozent. Zuletzt waren es im Schnitt sogar 40 Prozent, wie Branchenkenner berechneten. Wer dann in die gesetzliche Krankenkasse zurück wechseln will, hat in den meisten Fällen Pech gehabt, weil eine Neuaufnahme in das GKV-System nur in wenigen Ausnahmen möglich ist. So verschulden sich jedes Jahr immer mehr Menschen, weil sie die einkommensunabhängigen Versicherungsbeiträge nicht mehr zahlen können. Bis zum heutigen Tage ist die Zahl der Schuldner auf über 144.000 angestiegen. Weil aber seit der Gesundheitsreform eine Versicherungspflicht in Deutschland besteht, dürfen die Privaten Kassen die säumigen Zahler nicht kündigen. Gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium wird nun überlegt, einen sogenannten „Nicht-Zahler-Tarif“ einzuführen, der für monatlich 100 Euro nur eine Notfallversorgung abdeckt. All diese Gründe fordern ein zeitnahes Handeln. Von Seiten der Opposition werden bereits Modelle wie die „Bürgerversicherung“ in die Diskussion eingebracht.
Aufhebung der Trennung zwischen PKV und GKV gefordert
Der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn hatte bereits im letzten Jahr die Abschaffung der Vierbettzimmer in Krankenhäusern gefordert. Nun setzt sich der Politiker für eine Aufhebung der Trennung zwischen Privaten und gesetzlichen Krankenkassen ein. Denn langfristig führt kein Weg an einer Reform vorbei, wie er sagte. Beifall bekommt Spahn von Seiten der GKV. So sagte die Verbandsvorsitzende des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen, Doris Pfeiffer, sie sei davon überzeugt, dass das Modell „der PKV auf Dauer nicht tragfähig ist.“ Seit Jahren kämpft die Branche mit steigenden Kosten für Ärzte, Medikamente und Kliniken. „Die Ausgabensteigerungen sind höher als in der gesetzlichen Krankenversicherung“, erklärte Pfeiffer in einem Interview. Die PKV hat aber keine Möglichkeiten, die Ausgabenseite in den Griff zu bekommen.
Immer höhere Altersrückstellungen
Weil die Gesundheitskosten steigen, müssen die Privaten Versicherungen immer höhere Altersrückstellungen aufbauen. Im Jahre 2000 waren es noch 60 Milliarden Euro, heute sind es bereits 170 Milliarden Euro. Im Gegensatz dazu ist die Anzahl der voll-versicherten Mitglieder nur minimal angestiegen.
Spahn plädiert zwar für die Aufhebung der künstlichen Trennung zwischen GKV und PKV, jedoch solle die Vielfalt der Kassen erhalten bleiben, um den Wettbewerb zu stärken. Zudem müsse darüber nachgedacht werden, die Strukturen grundsätzlich zu überarbeiten. Die Äußerungen stoßen unter Parteifreunden in der CSU und dem Partner FDP auf große Ablehnung. Notwendige Reformen sollen nicht vorgeschrieben, sondern der Branche überlassen werden, wie es von mehreren CDU/CSU und FDP-Politikern hieß.
Kassensystem der Niederlande als Vorbild für Deutschland
Der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen spricht sich für ein einheitliches System nach niederländischem Vorbild aus. Im Jahre 2006 hat es in Holland eine große Reform gegeben, um die Unterschiede zwischen privaten und gesetzlichen Anbietern abzubauen. Jeder Niederländer muss sich krankenversichern und die Krankenkassen dürfen keinem Bürger die Gesundheits-Basisleistungen verwehren. Die Finanzierung des Modells speist sich aus zwei unterschiedlichen Linien. Fast die Hälfte der Versicherungskosten zahlt der Bürger selbst. Der Betrag wird pauschal, also unabhängig vom Jahresdurchschnittseinkommen, Alter, Geschlecht und gesundheitlichem Zustand, erhoben. Die andere Hälfte wird einkommensabhängig vom Arbeitgeber übernommen. Selbstständige müssen hingegen beide Kosten selbst tragen. Wer über zu wenig Einkommen verfügt, bekommt eine staatliche Subvention.
Der Spitzenverband der Privaten Krankenversicherung (PKV) lehnt das holländische Kassenmodell ab. So gebe es nach Ansicht der Lobbyvertreter viel mehr Einschränkungen im Leistungsspektrum und steigende Kosten durch die Marktkonzentration auf wenige Anbieter. Dennoch existiert ein Wettbewerb mit Hilfe der Versicherungsbeiträge und Ausgestaltung des Service. Zudem haben Versicherte mehr Wahlmöglichkeiten für Zusatzversicherungen als es früher der Fall war.
Umsetzung könnte Probleme bereiten
In Deutschland könnte es bei der Umsetzung des Modells Probleme geben. Während deutsche Kliniken und Ärzte höhere Kostenabrechnungen für Privatpatienten erheben, war das in Holland nie der Fall. Zudem hatten die niederländischen Privatanbieter keine Altersrückstellung angehäuft, wie dies in Deutschland der Fall ist. Die PKV kritisiert in diesem Kontext die Pläne scharf und spricht von „Enteignung“ der Kunden, falls die Altersrückstellungen bei einem Verschmelzen der Systeme aufgegeben werden müssen. Kritiker entgegnen, das Geld könnte vor einer Reform für die Versicherten ausgegeben werden oder die Privatversicherten nähmen die Altersrückstellungen ganz einfach mit.
Doch solche Modelle sind noch Zukunftsmusik und werden von der Bundesregierung kategorisch abgelehnt. Im Gegenteil, um die PKV weiter lebensfähig zu halten, werden laufend neue Gesetzesänderungen in die Wege geleitet, um immer wieder aufs neue das Neukundengeschäft zu beleben. Auch im Vertrag der Koalitionäre wurde zwischen Union und FDP festgehalten, dass das getrennte System weiterhin bestehen bleibt. Für den Ökonom Prof. Dr. Stefan Greß steht schon jetzt fest: In zehn Jahren wird die PKV so wie wir sie heute kennen, nicht mehr existieren. (sb)
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Matthias Preisinger / pixelio.de
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