Trennung von Arbeit und Feierabend wichtig: Stress vermeiden, Arbeit und Freizeit trennen
02.07.2012
Auch nach Feierband die Emails lesen oder ans Telefon gehen, wenn der Chef anruft – die ständige Erreichbarkeit ist für viele Beschäftigte zu einer erheblichen psychischen Belastung geworden. Nach Feierabend sollte Schluss sein mit der Arbeit, warnen Experten. Doch bei vielen ist nicht einmal eindeutig klar, wann der Feierabend eigentlich beginnt. Der Präsident des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW), Wolfgang Panter, bezeichnete diese Phänomen im Gespräch mit der Nachrichtenagentur „dpa“ als „Entgrenzung von Arbeit und Freizeit“.
Die mangelnde Trennung zwischen Arbeit und Freizeit verhindert das Abschalten und hält den psychischen Druck auch nach Feierabend hoch. Daraus folgt laut Aussage der Experten eine gesteigerte Anfälligkeit für psychische Erkrankungen wie Burnout oder Depressionen. Einzelne Unternehmen haben sich daher jüngst gezielt dazu entschieden, nach Feierabend keine Emails mehr auf die Smartphones ihrer Angestellten weiterzuleiten. Auch Politiker, wie zum Beispiel die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), sprachen sich bereits mehrfach für eine deutlichere Trennung von Freizeit und Arbeit aus. Doch durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnik drohen die Grenzen zunehmend zu schwinden.
Entgrenzung von Arbeit und Freizeit begünstigt psychische Erkrankungen
Um der Entgrenzung von Arbeit und Freizeit entgegenzuwirken, sind nach Einschätzung des VDBW-Präsidenten klare Regeln erforderlich, die sich die Beschäftigten im Zweifelsfall selbst auferlegen müssen. Nach Feierabend sollte das Diensthandy am besten ausgeschaltet werden, aufs Einloggen im Firmennetzwerk ist zu verzichten und das Abrufen beruflicher Mails ist auf die Arbeitszeit zu begrenzen. Mit solch einfachen Regeln lässt sich laut Aussage des Experten der psychische Druck durch die Arbeit bereits deutlich reduzieren. Und dies scheint angesichts der massiven Zunahme der psychischen Erkrankungen dringend erforderlich. Den Zahlen des Gesundheitsreports 2012 der DAK zufolge sind psychische Erkrankungen wie Burnout oder Depressionen hierzulande mit 16,6 Prozent der Krankschreibungen mittlerweile der zweithäufigste Krankschreibungsgrund – direkt hinter den Muskel-Skelett-Erkrankungen. Den Angaben der Bundespsychotherapeutenkammer in Berlin zufolge gehen statistisch betrachtet 12,5 Prozent aller Fehltage auf psychische Erkrankungen zurück.
Deutliche Trennung zwischen Arbeit und Freizeit erforderlich
Der Anstieg bei den psychische Beschwerden während der vergangenen Jahrzehnte, ist zwar mit relativer Sicherheit nicht ausschließlich auf die Belastungen und den Stress durch die Arbeit zurückzuführen, doch besteht hier nach Ansicht der Experten oftmals ein wesentlicher Zusammenhang. Um den Druck zu reduzieren sei daher die strikte Trennung zwischen Arbeitszeit und Freizeit hilfreich. Wer sich an die selbst auferlegten Regeln zum Ausschalten des Diensthandys und zum Verzicht aufs Email-Checken hält, der könne besser Abschalten und schlafe in der Regel auch ruhiger, erläuterte VDBW-Präsident Panter. Meist sei es schon hilfreich, sich klarzumachen, warum der Feierabend eigentlich so heißt, erklärte der Experte. Denn Feierabend stehe für: „Ich feier’, also genieße den Abend.“ In dieser Zeit sollten demnach möglichst angenehme Dinge auf der Tagesordnung stehen, die nichts mit der Arbeit zu tun haben.
Gesundheitlich problematische Kultur der ständigen Erreichbarkeit
Anlass zur Kritik bietet den Experten zufolge vor allem die vielerorts etablierte Kultur der ständigen Erreichbarkeit. Viele freuen sich im ersten Augenblick über das gestellte Diensthandy, „aber natürlich geht es auch darum, sie leichter erreichen zu können“, erläuterte Panter. Haben die Beschäftigten erstmal ein Smartphone, mit dem die Emails jederzeit abgerufen werden können, wird dies auch genutzt. Zudem prägen laut Aussage des VDBW-Präsidenten Vorgesetzte das Bild der ständigen Erreichbarkeit, da sie es gewohnt seien, auch nach Feierabend dienstliche Telefonate zu führen und diese Einstellung auf die Beschäftigten übertragen. Letztendlich verschwinde auf diese Weise der Feierabend, weshalb sich Beschäftigte bewusst sagen sollten: „Jetzt schalte ich das Ding ab“, betonte Wolfgang Panter.
Flexible Arbeitszeiten mit Vor- und Nachteilen
Der schwindende Übergang zwischen Arbeitszeit und Freizeit ist nach Einschätzung der Unternehmens- und Karriereberaterin Svenja Hofert aus Hamburg auch eine Folge des modernen Arbeitsumfeldes, mit mobilem Arbeitsplatz und flexiblen Arbeitszeiten. Dies Art der Beschäftigung biete jedoch auch Vorteile und „viele Arbeitnehmer wünschen sich das ausdrücklich“, betonte die in Hamburg tätige Karriereberaterin. Bei Berufen der IT-Branche sei dies zum Beispiel nichts Außergewöhnliches und „Kernarbeitszeiten von 9.00 bis 16.00 Uhr finden da viele doof“, so Hofert gegenüber der Nachrichtenagentur „dpa“. Die Expertin benennt jedoch auch die Risiken, die bei derart flexiblen Arbeitsstrukturen unterm Strich dazu führe können, dass mehr gearbeitet wird. Bei mangelnder Selbstorganisation könnten die Arbeitszeiten schnell ausufern und sich bis weit in den eigentlichen Feierabend erstrecken. Daher sollten die Beschäftigten laut Hofert dringend darüber reden, „wenn es einfach zu viel wird.“
Zu hohe Arbeitsbelastungen erkennen und offen ansprechen
Sind die Arbeitsbelastungen zu extrem, „sollte man das am besten gegenüber dem direkten Vorgesetzten ansprechen – auch wenn die Hemmschwelle hoch ist,“ betonte die Expertin. Svenja Hofert zufolge ist die Zurückhaltung bei eigener Überlastung einer der Gründe für den deutlichen Anstieg der Burnout-Fälle. Oft trauen sich die Beschäftigten nicht, die hohe Belastung offen anzusprechen, aus Angst dies könne negativ auf sie selbst zurückfallen. Diese Sorge ist der Hamburger Unternehmensberaterin zufolge durchaus verständlich, denn bei vielen Chefs kommen Klagen über zu hohe Arbeitsbelastung nicht sonderlich gut an. Daher sei es besser darüber zu sprechen, „welche Aufgaben Priorität haben“, denn „es gibt immer Dinge, die nicht sofort erledigt werden müssen“, erläuterte Hofert. Der VDBW-Präsident ergänzte, dass hier auch von den Vorgesetzten eine „achtsame Führung“ zu erwarten sei, um zu hohe Belastungen der Beschäftigten zu erkennen und zu beseitigen. Hilfreich sei in diesem Zusammenhang ein „intelligentes Informationsmanagement“, dass dazu beiträgt den Stress im Betrieb zu reduzieren, erläuterte Wolfgang Panter. Dem VDBW-Präsident zufolge könnten „man sich zum Beispiel fragen, ob wirklich jede Mail“ geschrieben werden muss – „und ob sie an jeden gehen sollte, an den sie bisher üblicherweise geschickt“ wurde.
Leistungsdruck bei der Arbeit deutlich gestiegen
Allerdings ist der wachsende Druck auf der Arbeit nicht nur Folge der veränderten Kommunikationstechnik, sondern geht nach Ansicht von Wolfgang Panter in erster Linie auf Rationalisierungsprozesse zurück. Die Arbeitszeitverkürzung der vergangenen Jahrzehnte habe zu einer massiven Verdichtung der Arbeit geführt, wobei jedoch zeitgleich die Komplexität der Arbeit enorm gestiegen ist. Für viele Arbeitnehmer bedeutet die rasante technologische Entwicklung ständige Änderungen, erläuterte der VDBW-Präsident. Erst gerade wurde eine Technologie erlernt, schon wird sie durch die nächste ersetzt, beschreibt Panter das Problem. Die modernen Kommunikationstechnologien wie Smartphones haben zwar vieles erleichtert, haben „aber auch einen hohen Komplexitätsgrad“, so Wolfgang Panter weiter. Zudem seien durch die Handys viele Arbeitnehmer sowohl telefonisch als auch per Mail einfacher außerhalb der Arbeitszeit zu erreichen. „Wer früher im Urlaub war, der war weg, den konnte man nicht anrufen“, erklärte VDBW-Präsident einen der wesentlichen Unterschiede. (fp)
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