Kritiker bemängeln zahlreiche Eckpunkte der Gesetzesvorlage zur verbesserten Krebsvorsorge
23.08.2012
Im Kabinett der schwarz-gelben Bundesregierung wurde ein Gesetzesentwurf zur verbesserten Krebsvorsorge verabschiedet. Diese beinhaltet Reformen bei den Therapien, Vorsorgeuntersuchungen und der Früherkennung. Zudem soll das Krebsregister bundesweit in den Ländern vereinheitlicht werden. Im Folgenden zeigen wir, was sich konkret für die Patienten verändert und welche Kritikpunkte es an dem Vorhaben gibt.
Krebsvorsorge kann Leben retten
Sandra W. aus Hamburg ist erleichtert. Vor einigen Jahren wurde bei ihr im Verlauf einer Vorsorgeuntersuchung ein Knoten in der Brust entdeckt. „Es war ein regelrechter Schock, als der Frauenarzt mir mitteilte, dass die Gewebeanalyse Im Labor ein Mammakarzinom feststellte“. Weil aber der Brustkrebs rechtzeitig erkannt wurde, konnte die Klinik die Krankheit mit Hilfe einer Operation und Chemotherapie besiegen. „Wäre ich nicht zur Untersuchung gegangen, wäre ich wahrscheinlich nicht mehr am Leben“, berichtet die Patientin. Bis heute geht sie zur Nachsorge und bislang wurde kein weiterer Knoten mehr diagnostiziert.
Die meisten Frauen in Deutschland gehen wie Sandra W. regelmäßig zur Brustkrebsvorsorge. Doch bei nicht allen Krebserkrankungen ist die Bereitschaft der Versicherten groß genug, um sich regelmäßig untersuchen zu lassen. Mit einem neuen Gesetz soll das anders werden, wie Gesundheitsminister Daniel Bahr bei der Vorstellung des Vorhabens betonte. Mit Hilfe der Reformen soll die Zahl der Todesopfer durch Krebs drastisch gesenkt werden.
Ausbau der Krebsvorsorge
Die schwarz-gelbe Bundesregierung plant daher die Krebsvorsorge auszubauen. Am gestrigen Mittwoch hat das Bundeskabinett die Gesetzesvorlage des Bundesgesundheitsministers Daniel Bahr (FDP) verabschiedet. Im Wesentlichen sieht das gesundheitspolitische Vorhaben Verbesserungen der Krebs-Früherkennungen und Therapien vor. Diese sollen im Zuge der Umsetzung nach Angaben eines Regierungssprechers „deutlich verbessert werden“.
Nach den Herz-Kreislauf-Leiden wie dem Herzinfarkt sind Krebserkrankungen die zweithäufigste Todesursache in Deutschland. Jeder vierte Bundesbürger stirbt mittlerweile an den Folgen der bösartigen Tumoren. Nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts werden allein in diesem Jahr rund 490.000 Menschen neu an Krebs erkranken. Bei den meisten Krebsleiden gilt: Je früher die Erkrankung erkannt wird, desto größer ist die Chance des Patienten, den Krebs zu besiegen. Daher ist ein Hauptbestandteil des Gesetzesvorhabens alle Versicherten zur Darmkrebs- und Gebärmutterhalskrebsvorsorge per Brief postalisch einzuladen. Zudem soll ein vereinheitlichtes Krebsregister Forschern und Medizinern mehr Erkenntnisse über den Verlauf der Therapien und die Entstehung geben.
Schon zum derzeitigen Zeitpunkt werden Frauen in den ersten Risikojahren zwischen 50 und 69 Lebensjahren kontinuierlich zur Brustkrebsvorsorge schriftlich eingeladen. Versicherte, die das 55 Lebensjahr überschritten haben, können unentgeltlich zur Darmkrebs-Vorsorge eine Darmspiegelung unternehmen lassen. Für die Kosten kommen die Krankenkassen auf.
Regelmäßige Darmkrebs- und Gebärmutterhalskrebsvorsorge
Nach den Vorstellungen des Bundesgesundheitsministers sollen die Kassen spezielle Altersgruppen perspektivisch regelmäßig auch zur Darmspiegelung und zur Gebärmutterhalskrebsvorsorge per Brief einladen. Welche Altersgruppen im Speziellen eingeladen werden, soll der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) ausarbeiten und festlegen. Allerdings steht schon jetzt fest, dass bestimmte Risikogruppen bereits in jungen Jahren durch die Kassen angeschrieben werden sollen. Anders als bei der Vorsorge gegen Brustkrebs sollen die Versicherten keinen Termin erhalten, sondern selbst entscheiden, ob eine Diagnoseuntersuchung wahrgenommen wird oder nicht. Wird das Gesetz abschließend verabschiedet, soll das Krebsvorsorgeprogramm bereits im Jahre 2016 starten.
In einem zentralen Register sollen die Fragen nach der Häufigkeit von Krebsarten, erfolgreichen Therapien und Behandlungsmöglichkeiten in Kliniken festgehalten werden. Hierzu werden unter anderem die Patientendaten gesammelt. Die Daten können allerdings nur dann erhoben werden, wenn der einzelne Patient diesem zustimmt.
Zwar existieren solche Datenbanken bereits heute, allerdings sind die Systeme und Fragestellungen der Einrichtungen recht unterschiedlich. Aus diesem Grund sollen die Patienten- und Therapiedaten aus der ambulanten und stationären Behandlung mit einem einheitlichen Standard versehen werden.
Datenbanken bei Krebstherapien für Kinder erfolgreich
In der Onkologie für Kinder wurden bereits gute Erfahrungen mit standardisierten Datenbanken gemacht. Zum heutigen Tag sind bereits 98 Prozent aller Krebsleiden der Kinderpatienten statistisch erfasst. So konnte auch erreicht werden, dass in 98 Prozent der Krebsfälle einheitlich behandelt wird. „Die Heilungsrate bei Kindern liegt in Deutschland deshalb bei 80 Prozent", sagt Dr. Heribert Jürgens von der Kinderonkologie am Universitätsklinikum Münster. "Das ist weltweit das beste Ergebnis."
Bahr will die gesetzlichen Krankenkassen für das Vorhaben finanziell in die Verantwortung nehmen. Diese sollen die geplanten Krebsregister mit einem pauschalen Beitrag finanzieren. Zusätzlich sollen die Kassen auch die Kosten für die Vorsorgeuntersuchungseinladungen übernehmen. Experten vermuten, dass die zusätzlichen Ausgaben bei rund 120 Millionen Euro pro Jahr liegen werden.
Krankenkassen sehen kaum Nutzen in dem Vorhaben
Bereits bei der Gestaltung der Gesetzesvorlage kritisierten die Kassen, dass „der Aufwand nicht im Verhältnis zu dem eigentlichen Nutzen“ stehe. Zudem habe der Bundesgesundheitsminister die Privaten Krankenversicherungen bei der Finanzierung außen vor gelassen, so der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Vorstandsvorsitzende des VDEK, Ulrike Elsner, befürchtet einen hohen „bürokratischen Aufwand“ der zusätzlich auf die Kassen zukommen werde. Bereits heute seien die Kassen sehr umsorgend und würde die Versicherten rundum über Risiken informieren. Auch Gesamtverband der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) sieht kaum Mehrnutzen in dem Vorhaben. "Bei Gebärmutterhalskrebs lassen sich – auf einen Drei-Jahres-Zeitraum bezogen – heute weit über 80 Prozent der Frauen zwischen 20 und 30 Jahren untersuchen. Das ist auch durch Einladungen kaum noch zu toppen."
Gefahr von Über-Diagnosen
Auch seitens der Opposition hagelte es Kritik. Nach Meinung der Gesundheitsexpertin von Bündnis 90/Die Grünen, gebe es „zu viel Euphorie“ bei der Krebsfrüherkennung. Schließlich „beinhalten die Diagnoseuntersuchungen auch gesundheitliche Risiken“. Zusätzlich seien sie für die Patienten belastend und „bergen das Risiko von Verletzungen“. Die Politikerin sehe die Gefahr von „Über-Diagnosen“. Nicht selten kommen es „zu Operationen oder Therapien, die überhaupt nicht nötig wären“. Daher sollten Versicherte auch „besser über die Risiken von Vorsorgeuntersuchungen aufgeklärt werden“, wie die Grünen-Politikerin forderte. Eine solche Aufklärung könnten zum Beispiel „gut geschulte Hausärzte übernehmen“.
Lauterbach: Bürger werden dumm gehalten
Der Gesundheitsexperte, Arzt und SPD-Politiker Karl Lauterbach, begrüßte um Grundsatz das neue Krebsregister. Als falsch moniert er, dass die Register „dezentral in den Ländern eingerichtet werden“. Weil aber Krebsdaten sehr wichtige Daten seien, müssten diese an einer zentralen Stelle erfasst werden, um allen den Zugriff zu erleichtern", so Lauterbach. Kritik-würdig hält Lauterbach auch, dass die ermittelten Daten nicht der Öffentlichkeit zugänglich sein sollen. So würden die Menschen nicht erfahren, welche Krebstherapien besonders erfolgreich seien und unter welchen Umständen das Krebsrisiko steige. Studien hätten zum Beispiel ermittelt, dass die Entnahme der Lymphknoten unter den Achseln bei Brustoperationen nicht nur unnötig sondern auch gesundheitlich schädlich sei, weil Folgeerkrankungen drohen. „Solche Erkenntnisse müssen aber den Bürgern zugänglich sein“, sagt Lauterbach. Denn schließlich wird die Erhebung der Daten auch vom Steuerzahler gezahlt. „Die Register können aber nur von Ärzten und Experten genutzt werden. Das ist nicht akzeptabel" Das zeige, dass die Bürger „für dumm gehalten werden“.
Die Bundesländer haben bereits angekündigt, keine Gelder für das Vorhaben bereitzustellen. Gegen den Willen der Länder würde das Gesetz im Bundesrat scheitern. So bleiben sehr wahrscheinlich die Krankenkassen auf den Kosten sitzen. (sb)
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Autoren- und Quelleninformationen
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