Patientenschutzgesetz begünstigt Abzocke bei Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL)
16.10.2012
Das neue Patientenschutzgesetz soll 2013 in Kraft treten, doch noch kommt von vielen Seiten Kritik an dem bisherigen Entwurf. Nun hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) Nachbesserungen bei den sogenannten Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) gefordert. Der jetzige Entwurf des Patientenschutzgesetzes schwäche die Patientenrechte bei den Individuellen Gesundheitsleistungen und ermögliche den Ärzten noch leichter als bisher die teilweise äußerst umstrittenen Gesundheitsleistungen zu verkaufen, kritisieren die Verbraucherschützer.
„Viele Ärzte nutzen das Vertrauen der Patienten aus, wenn sie vom Helfer zum Verkäufer werden“, so Gerd Billen, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentrale. Dies muss das neue Patientenschutzgesetz nach Auffassung der Verbraucherschützer unterbinden. Die sogenannten „Selbstzahlerleistungen sollen der Gesundheit dienen, nicht die Sebstbedienungsmentalität mancher Ärzte befeuern“, betonte Billen. Hierfür seien am bisherigen Entwurf des Patientenschutzgesetzes von der Bundesregierung erheblich Nachbesserungen erforderlich und die IGeL-Leistungen sollten „strengeren Regeln unterliegen.“
Gesetz soll die Position der Patienten stärken
Seit Jahren wird über die Einführung eines neuen Patientenschutzgesetzes diskutiert. Die Rolle der Patientinnen und Patienten in der Gesundheitsversorgung habe sich gewandelt, denn sie seien „nicht mehr nur vertrauende Kranke, sondern auch selbstbewusste Beitragszahler und kritische Verbraucher“, erläutert das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Internetseite zu den Erfordernissen eines neuen Patientenschutzgesetzes. Durch das Gesetz „will jetzt die Bundesregierung die Position der Patienten gegenüber Leistungserbringern und Krankenkassen weiter stärken“, so das Ministerium weiter. Einen Schwerpunkt des Gesetzes bildet die Regelung der Beweislast bei möglichen Behandlungsfehlern. So sollen die Möglichkeiten der Patienten bei Verdacht auf einen Behandlungsfehler ausgebaut werden. Eine generelle Beweislastumkehr, bei der die behandelnden Ärzte nachweisen müssen, dass sie keinen Fehler gemacht haben, wurde sowohl von den Ärzten als auch von Seiten der Bundesregierung jedoch abgelehnt.
Milliarden-Geschäft mit Individuellen Gesundheitsleistungen
Auch bei den Regelungen zu den Individuellen Gesundheitsleistungen werden die Interessen der Ärzte in dem aktuellen Entwurf des Patientenschutzgesetzes gewahrt, während die Patienten nach Ansicht der Verbraucherschützer eindeutig zu kurz kommen. Für die Ärzteschaft sind die IGeL ein durchaus lohnendes Geschäft. Sie setzen mit den Individuellen Gesundheitsleistungen „in Deutschland jährlich mindestens 1,5 Milliarden Euro um“, berichtet der vzbv. Dabei würden die Patienten häufig nicht in der vorgeschriebenen Weise aufgeklärt, durch massive Werbung beeinflusst und erhalten „in manchen Fällen nicht einmal einem Vertrag oder eine Rechnung“, so die Mitteilung vom Bundesverband der Verbraucherzentrale unter Berufung auf eine bundesweite Online-Umfrage von April bis Juni 2012, an der mehr als 1.700 Verbraucher beteiligt waren.
Verkaufsmentalität der Ärzte
Die Umfrage habe ergeben, dass Ärzte den Patienten besonders häufig Individuelle Gesundheitsleistungen wie „eine Glaukomfrüherkennung, Ultraschall, den PSA-Test und zahnärztliche Behandlungen verkaufen“, berichtet der Verbraucherzentrale Bundesverband. Auch Angebote wie Augeninnendruck-Messungen, Stoßwellentherapien oder die Eigenbluttherapie würden vermehrt umgesetzt. Ein Großteil der IGeL (82 Prozent) sei nicht auf Initiative der Patienten zustande gekommen, „obwohl eine Selbstverpflichtung der Ärzte das vorsieht“, schreibt der vzbv. Bei rund der Hälfte aller Fälle war das Praxispersonal direkt am Verkauf beteiligt, so die Verbraucherschützer weiter.
Studien belegen Defizite bei den IGeL
„Besonders dramatisch waren die Ergebnisse bei der Aufklärung der Patienten: Nur jeder Vierte (23 Prozent) erinnerte sich daran, dass er über Risiken aufgeklärt wurde“, so die Mitteilung des Bundesverbandes der Verbraucherzentrale. Außerdem sei lediglich jeder zweite Patient über den individuellen Nutzen informiert worden. Bei rund einem Viertel der Patienten erfolgte keine Information über die Kosten der Behandlung und 20 Prozent erhielten unzulässiger Weise eine Rechnung für ihre Behandlung. Zu vergleichbar negativem Ergebnis kam eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdo), in deren Rahmen die Daten von 3.000 Versicherten ausgewertet wurden. Demnach erhielten rund 14 Prozent der Teilnehmer für die Individuellen Gesundheitsleistungen keine Rechnung, mehr als die Hälfte erfolgte ohne die geforderte schriftliche Vereinbarung. Auch schnitten die häufig angebotenen IGeL in einer Untersuchung vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) eher schlecht ab, was für die Versicherten bedeute, „hier besonders vorsichtig zu sein“, erläuterte der MDS-Geschäftsführer Peter Pick Anfang des Jahres.
Patientenschutzgesetz verschlechtert möglicherweise die Situation der Patienten
Das neue Patientenschutzgesetz bietet hier kaum Verbesserungen, so die Einschätzung der Verbraucherschützer. Nach Ansicht der vzbv-Expertin Ilona Köster-Schneider könnten die schwammigen Formulierungen im geplanten Gesetzestext sogar noch zu einer Verschlechterung der Situation führen. Schon heute dürfen die Ärzte IGeL nur unter bestimmten Auflagen durchführen. Die Bundesmantelverträge für Ärzte und die Selbstverpflichtung in der 2011 verabschiedeten Berufsordnung der Ärzte regeln, welche Voraussetzungen bei den Selbstzahlerleistungen erfüllt sein müssen. So wären ein schriftlicher Behandlungsvertrag und schriftliche Informationen über das zu erwartende Honorar nach der ärztlichen Gebührenordnung (GOÄ) erforderlich. Auch sind die Patienten darüber in Kenntnis zu setzen, dass die Kassen diese Leistung nicht übernehmen. Die Voraussetzungen werden offenbar jedoch nicht immer erfüllt.
Festlegung der Information über den Nutzen der IGeL im Gesetz erforderlich
Eine rechtliche Festschreibung dieser Grundvoraussetzungen in dem neuen Patientenschutzgesetz wäre daher nach Ansicht der Verbraucherschützer dringend erforderlich. Doch statt die Schriftform, also den Vertrag zwischen Patienten und Arzt, in dem Gesetz zu fixieren, werde hier lediglich der Begriff „Textform“ verwendet, was auch ein einfacher Werbeflyer sein könne, kritisierte die vzbv-Expertin Köster-Schneider. Des Weiteren werde in dem aktuellen Entwurf die Verpflichtung der Ärzte zur ausreichenden Information über den Nutzen der IGeL nicht festgelegt. Auch eine Aufklärung über mögliche Alternativen, die eventuell sogar von den Kassen übernommen würden, sei nicht enthalten, so die Kritik der Verbraucherschützer.
Bundesregierung zu Nachbesserungen beim Patientenschutzgesetz aufgefordert
Insgesamt erreiche „der aktuelle Entwurf des Patientenrechtegesetzes nicht das Schutzniveau der bestehenden Rechtslage im Berufsrecht der Ärzte und der Selbstverpflichtung des 109. Ärztetages aus dem Jahr 2006“, so die Einschätzung des Verbraucherzentrale Bundesverbandes. Die Verbraucherschützer forderten daher von der Bundesregierung Nachbesserungen wie die „schriftliche Information zu Nutzen und Risiken der Leistung, wo möglich, aus der offiziellen Nutzenbewertung“, eine „vollständige und verständliche Beschreibung des Leistungsumfangs“, eine „vollständige Kostenaufstellung vor Leistungserbringung“, die „Nennung möglicher Folgekosten, zum Beispiel bei Nebenwirkungen von Schönheitsoperationen“ und die „Nennung von Behandlungsalternativen der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und den Umständen, unter denen eine Erstattung durch die GKV erfolgt.“ Auch sollten dem Bundesverband der Verbraucherzentrale zufolge eine „24 Stunden Bedenkzeit bei allen Leistungsarten, bei denen die Initiative vom Arzt ausgeht“ festgelegt werden.
Medizinisch sinnvolle IGeL in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufnehmen
Darüber hinaus ist nach Auffassung des Verbraucherzentrale Bundesverbandes die „Schriftformerfordernis für die Abwicklung“ der IGeL im Patientenschutzgesetz ebenso festzuschreiben, wie die klare „Trennung von Geschäft und Versorgung“ in den Arztpraxen. Auch ist nach Auffassung der Verbraucherschützer eine „verschärfte Durchsetzungspflichten bei Behörden und Kammern“ in dem Patientenschutzgesetz zu verankern. Zudem sollten medizinisch sinnvolle IGeL zeitnah in den Leistungskatalog der Krankenkassen überführt werden, was eine Beschleunigung der Methodenbewertungsverfahren durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erforderlich mache, so die Position des Verbraucherzentrale Bundesverbandes. Ob die Forderungen der Verbraucherschützer noch in des neue Patientenschutzgesetz aufgenommen werden, bleibt jedoch zu bezweifeln, da das Bundesgesundheitsministerium viele Kritikpunkt bereits zurückgewiesen hat. (fp)
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Bild: Andrea Damm / pixelio.de
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