Folgen ärztlicher Behandlungsfehler
07.05.2014
Fehlende Laborwerte, das falsche Knie operiert, Atemstillstand nach zu starkem Beruhigungsmittel: Die Liste ärztlicher Behandlungsfehler ist lang. Nach Ansicht des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen könnten viele Behandlungsfehler vermieden werden.
Kleine Fehler mit großer Wirkung
Kleine Fehler entfalten oft eine große Wirkung. Wenn medizinisches Personal fehlerhaft arbeitet, ist dies besonders folgenreich: Fehlende Laborwerte und einer Frau bleiben schwere Hirnschäden. Ein Arm wächst wegen einem Gips schief zusammen und schränkt die Beweglichkeit ein. Viele solcher Behandlungsfehler könnten vermieden werden. Die heikle Frage: „Wer hat Schuld?“ hat die Aufdeckung von Behandlungsfehlern in Kliniken und Arztpraxen über Jahre behindert – und behindert sie noch immer. Weil niemand gerne schuld ist, liegt Vertuschen und Verschweigen nahe. Laut dem leitenden Arzt des Medizinischen Dienstes des Krankenkassen-Spitzenverbands (MDS), Stefan Gronemeyer, wäre die Frage: „Was können wir aus Fehlern lernen?“ hilfreicher. Viele Probleme entstünden aus einer Verkettung zahlreicher kleiner und oft vermeidbarer Fehler.
Behandlungsfehlervorwürfe haben zugenommen
Die Prüfer des Medizinischen Diensts erkannten bei ihren knapp 14.600 Gutachten im vergangenen Jahr insgesamt rund 3.700 Mal einen Fehler an. Davon allein 1.065 Mal nach einem orthopädischen oder unfallchirurgischen Eingriff und 556 Mal im Bereich der Chirurgie, wie aus einer Mitteilung der Nachrichtenagentur dpa hervorgeht. Zudem waren Behandlungsfehler oft bei Zahnärzten und Heimen festgestellt worden. Dr. Gronemeyer sagte: „Im Vergleich zu den Vorjahren hat die Zahl begutachteter Behandlungsfehlervorwürfe zugenommen.“ Das Ausmaß für die Betroffenen und auch die Möglichkeiten zur Abhilfe werden durch Einzelfälle aus der Arbeit der Gutachter im Kassen-Auftrag deutlich.
Falsches Knie operiert
Beispielsweise wollten bei einem Patienten Mitte 20 die Knieschmerzen einfach nicht aufhören, woraufhin eine Spiegelung des betroffenen Kniegelenks helfen sollte. Allerdings wurde im Krankenhaus das falsche Knie vorbereitet und gespiegelt. Die Ärzte merkten den Fehler noch im Operationssaal und operierten das richtige Knie. Der junge Mann hatte aber infolge des Fehlers nun länger anhaltend Schmerzen am zuvor gesunden Knie. Ein anderes, weitaus dramatischeres Beispiel betrifft eine Frau Anfang Fünfzig. Sie litt bereits seit Längerem unter Verstopfung, Schluckauf, Übelkeit und Erbrechen. Um die Ursache herauszufinden, wurde bei der Patientin ambulant eine kombinierte Magen- und Darmspiegelung vorgenommen, wozu sie ein starkes Beruhigungsmittel erhielt. Wegen einer Überdosierung kam es zum Atemstillstand. Da sich die erforderliche Beatmung schwierig gestaltete und dem Gastroenterologen nicht ausreichend erfolgreich gelang, blieb das Gehirn der Patientin wegen des Sauerstoffmangels geschädigt.
Blutwerte erst nach der OP bestimmt
Ein weiterer begutachteter Fall war der einer Patientin Anfang 70, die an einer Herzklappe operiert werden sollte. Da die Frau zugleich an einer depressiven Störung litt, wurde sie mit Lithium behandelt. Die Seniorin geriet nach der OP in einen Verwirrtheitszustand, der sich bis zur Bewusstseinstrübung steigerte und fiel ins Koma. Die Blutwerte der Frau wurde erst nach Tagen im Labor bestimmt und dabei wurde festgestellt, dass eine starke Schilddrüsenunterfunktion sie ins Koma fallen ließ. Dies könnte durch das Lithium mitverursacht worden sein. Ein Schilddrüsenmedikament hätte gereicht, doch die Frau erlitt einen schweren Hirnschaden. Glimpflicher aber auch dauerhaft geschädigt kam ein Schulkind davon, das nach den Bruch des Oberarms einen Gips bekam. Bei einer Nachkontrolle des eingegipsten Armes wurde eine zu starke Fehlstellung des Bruches festgestellt. Diese wurde jedoch so belassen und entsprechend schief verheilte der Arm. Dadurch erlitt der junge Patient eine dauerhafte Einschränkung seiner Beweglichkeit. Nicht nur Laien stellt sich dabei die Frage, warum der Arm des Jungen nicht noch einmal anders eingegipst wurde?
Fehler wären oft einfach zu vermeiden
Die Fehler wären aber auch bei den anderen Fällen nicht schwer zu vermeiden gewesen. Beispielsweise gibt es gegen eine Verwechslung der Körperseiten im OP Vorgaben, dass die zu operierende Stelle beim wachen Patienten markiert werden soll, der dann rechtzeitig Alarm schlagen könnte. Zudem sollen Checklisten verhindern, dass Ursachen von Leiden übersehen werden. Wie die Kassen-Prüfer meinen, kann es durchaus vorkommen, dass gerade ältere Patienten nach einem Eingriff verwirrt sind – aber eine Unterfunktion der Schilddrüse müsste den Ärzten eigentlich schon auffallen. Stelle die Gutachter einen Behandlungsfehler fest, steigt die Chance der Patienten auf Schadenersatz.
Forderungen für mehr Patientensicherheit
Zu den Forderungen für mehr Patientensicherheit zählen Trainings, kritisches Hinterfragen der Medikamente, die Möglichkeit zur anonymen Fehlermeldung oder Hand-Hygiene gegen Klinikinfektionen. „In den vergangenen fast zehn Jahren hat sich eine ganze Menge bewegt“, meint AOK-Vorstand Uwe Deh. Experten wie der Geschäftsführer des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, Hardy Müller, kritisieren jedoch, dass es weder einen aktuellen Überblick darüber gebe, was in den einzelnen Häusern zur Fehlervermeidung tatsächlich umgesetzt werde, noch, dass man weiß, wie oft Patienten jedes Jahr wirklich zu Opfern in Klinik und Praxis werden. Es gibt keine umfassende Register, mit deren Hilfe auch Lehren gezogen werden könnten. (sb)
Bild: Henrik G. Vogel / pixelio.de
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