Behandlungszentren müssen immer mehr Patienten abweisen
13.09.2014
Nicht ohne Grund sehen einige Regierungen der betroffen westafrikanischen Staaten ihre Länder durch die Ebola-Epidemie in der Existenz bedroht. Die eingerichteten Behandlungszentren reichen bei weitem nicht aus, um die Vielzahl der Infizierten zu versorgen und so müssen die Ärzte nicht selten Erkrankte abweisen. Eine extrem unbefriedigende Situation, wie der Belgier Pierre Trbovic, der seit Ende August für Ärzte ohne Grenzen in der liberianischen Hauptstadt Monrovia tätig ist, in einem von der „dpa“ veröffentlichten Bericht dokumentiert hat.
Der belgische Arzt übernahm in dem völlig überfüllten Ebola-Behandlungszentrum in Monrovia die dramatische Aufgabe, Infizierte wieder nach Hause zu schicken, wohl wissend, dass damit die Betroffenen möglicherweise dem Tod geweiht sind und weitere Infektionen drohen. Doch in dem Behandlungszentrum ist schlichtweg kein Platz mehr für weitere Patienten und das Personal läuft angesichts der extremen Belastungen ohnehin am Limit. Die Infizierten stehen Schlange vor der Tür und täglich erleben die Ärzte vor Ort unfassbar tragische Ereignisse. In dem Bericht des Belgiers wird deutlich, welch extreme Auswirkungen die Ebola-Epidemie auf das gesellschaftliche Leben in den betroffenen Staaten hat und wie verzweifelt die Menschen vor Ort nach Hilfe suchen.
Medizinisches Personal überfordert
In seinem Bericht betont der Trbovic gleich zu Anfang, dass ihm unmittelbar nach seiner Ankunft in Monrovia klar wurde, wie überfordert seine Kolleginnen und Kollegen von dem Ausmaß der Ebola-Epidemie waren. „Unser Behandlungszentrum – das größte, das Ärzte ohne Grenzen je aufgebaut hat – war voll, und unser Projektkoordinator Stefan stand am Eingang und schickte Leute weg, weil es keinen Platz mehr gab“, zitiert die „dpa“ den Bericht des Mediziners. Eine extrem schwierige Aufgabe, für die sich Trbovic anschließend freiwillig meldete, denn bei „einem Noteinsatz muss man flexibel sein“ und „jemand musste sie übernehmen“, berichtet der Belgier. Das beschriebene Szenario ist äußerst düster. Während der ersten drei Tage, die Trbovic am Eingang stand, regnete es ununterbrochen und die in Schlange vor der Tür wartenden Menschen waren vollständig durchnässt. Doch sie blieben, denn sie konnten sonst ja nirgendwo hin.
Verzweiflung bei Infizierten und Angehörigen
„Der erste, den ich wegschicken musste, war ein Vater, der seine kranke Tochter im Kofferraum seines Autos zu uns brachte“, berichtet Trbovic. Der Vater sei ein gebildeter Mann gewesen, der ihn angefleht habe, seine jugendliche Tochter aufzunehmen. Auch wenn wir ihr Leben nicht retten könnten, sollten wir doch wenigstens den Rest der Familie vor einer Ansteckung beschützen, bat der Mann. Doch den Ärzten blieb keine Wahl. „ Da musste ich hinter eines unserer Zelte gehen, um zu weinen“, zitiert die „dpa“ den Belgier. Er habe sich nicht für seine Tränen geschämt, doch wollte Trbovic für seine Kollegen stark bleiben. „Wenn wir alle zu weinen anfangen würden, wäre alles nur noch schwieriger“, erläuterte der freiwillige Helfer. Trbovic berichtet weiter von anderen Familien die mit ihren Autos angefahren kamen, Infizierte aussteigen ließen und anschließen gleich wieder davonfuhren. Auch habe eine Mutter aus Verzweiflung versucht, „ihr Baby auf einen Stuhl zu setzen und dann zu gehen, in der Hoffnung, dass wir uns dann um ihr Kind kümmern müssten.“
Sterbende und Leichen vor den Behandlungszentren
Besonders dramatisch war für den Mediziner zudem der Fall eines Paares, das seine junge Tochter zu dem Ebola-Behandlungszentrum brachte und nicht eingelassen werden konnte. Das Mädchen war laut Trbovic zwei Stunden später vor dem Eingang verstorben und der Leichnam blieb dort liegen, bis das Leichen-Entsorgungsteam sie abholte. Weitere Infizierte und Verdachtsfälle seien per Rettungswagen aus anderen Gesundheitseinrichtungen in das Behandlungszentrum gebracht worden – aber hier konnte ihnen auch nicht geholfen werden. „Wir konnten sie auch sonst nirgendwo hinschicken – alles war überfüllt und ist es noch immer“, so Trbovic. Das Ausmaß der Überfüllung beschreibt der Belgier anhand des Szenarios in der sogenannten Hochrisikozone des Behandlungszentrums. Als er diese betrat, habe er verstanden, „warum wir keine Patienten mehr aufnehmen konnten: Alle waren vollkommen überlastet“, berichtet der Belgier.
Überlastung der Hilfskräfte erhöht deren Ansteckungsrisiko
Aus Gründen des Infektionsschutzes müssen in dem Ebola-Behandlungszentrum bestimmte Maßnahmen und Abläufe eingehalten werden, die eine Übertragung der Erreger verhindern sollen. Hat das medizinische Personal für diese keine Zeit, kann die Sicherheit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kaum gewährleistet werden. Beispielweise könne es „bis zu 15 Minuten dauern, bis die Mitarbeiter den Schutzanzug richtig angelegt haben, und in der Hochrisikozone können sie sich damit auch nur eine Stunde aufhalten“, erläutert der Belgier. Denn danach seien sie erschöpft und völlig verschwitzt. Würden die Schutzanzüge länger getragen, könne dies gefährlich werden. Den Patienten in der Hochrisikozone gehe e sehr schlecht, „und es ist viel Arbeit, die Behandlungszelte sauber zu halten“, berichtet Trbovic weiter. Dies hängt auch mit dem Krankheitsbild des Ebola-Infektionen zusammen. Denn typische Ebola-Symptome sind neben Fieber auch massiver Durchfall, Übelkeit und Erbrechen sowie innere und äußere Blutungen. Exkremente, Blut und Erbrochenes müssen beseitigt und die Leichen abtransportiert werden, erläutert der Belgier.
Infizierte werden mit Hygiene-Schutzpaketen nach Hause geschickt
Trbovic kommt zu dem Schluss, dass es absolut unmöglich sei, „noch mehr Patienten aufzunehmen, ohne die Mitarbeiter und unsere Arbeit zu gefährden.“ Doch dies den Menschen zu erklären, die uns anflehen, ihre Angehörigen aufzunehmen, bleibe extrem schwierig. Auch der Hinweis, dass das Behandlungszentrum so schnell wie möglich vergrößert werden soll, hilft den Betroffenen hier nicht. „Alles, was wir tun können, ist, den Menschen Schutzpakete mit Handschuhen, Kitteln und Masken mit nach Hause zu geben, damit das Ansteckungsrisiko geringer ist, wenn sie ihre Angehörigen betreuen“, so das traurige Fazit des belgischen Mediziners. Trbovic berichtet weiter, dass nach den ersten drei Tagen Regen die sengende Hitze folgte, welche die wartenden Infizierten zusätzlich belastete. An einem Tag habe ein alter Mann fünf Stunden vor dem Behandlungszentrum gewartet, mit einem kaputten Schirm als einzigen Sonnenschutz. Während der Wartezeit seien seine Worte zu dem Belgier lediglich gewesen: „Zu viel Sonne.“ Der Sohn habe mit ihm gewartet, doch sich aus Angst vor einer Ansteckung nicht wirklich in die Nähe des Vaters getraut, um ihn zu trösten und zu stützen. „Als wir ihn endlich aufnehmen konnten, kam sein Sohn zu mir und dankte mir mit Tränen in den Augen“, berichtet Trbovic.
Psychische Auswirkungen für die Hilfskräfte
Neben den zahlreichen Ebola-Infizierten kamen laut Bericht des Belgiers auch andere Menschen zu dem Behandlungszentrum, die sich aus Angst vor Ebola auf eine mögliche Infektion testen lassen wollten. „Aber wenn wir Sterbende abweisen müssen, wie können wir dann gesunde Menschen aufnehmen?“, so Trbovic. Nicht zuletzt seien dort auch noch verschiedene Menschen vorstellig geworden, die unbedingt Arbeit suchten „und bereit waren, alles zu tun, auch wenn es das Abtransportieren von Leichen war.“ Nachdem der Belgier für einige Zeit die dramatische Aufgabe ausgeführt hatte, begannen die Krankenschwestern Mitleid mit ihm zu haben und erklärten, dass sie seine Arbeit nicht machen könnten. Dies war der Punkt an dem auch Trbovic bewusst wurde, dass die Tätigkeit härter war als gedacht. „Nach einer Woche sagten mir die anderen, ich müsse damit aufhören. Sie sahen die psychischen Auswirkungen, die diese Arbeit auf mich hatte“, so der Bericht des Belgiers.
Doch Trbovic verweist in seinen Ausführungen auch auf die positiven Aspekte der Hilfstätigkeit. Am selben Nachmittag sei ein Kollege zu ihm gekommen, um ihm etwas zu zeigen. Er führte Trbovic zu einer kleinen Feier, die hier jedes Mal zelebriert wird, wenn ein Ebola-Patient wieder gesund wird. Der Belgier „sah, wie die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zusammenkamen, um diesen außergewöhnlichen Moment zu feiern, und hörte die Worte der entlassenen Patienten, die uns dankten.“ Dabei hatten alle Kolleginnen und Kollegen Tränen in den Augen, berichtet Trbovic und ergänzte „Manchmal gibt es auch einen guten Grund, um zu weinen.“ (fp)
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Bildnachweis: Detlev Beutler / pixelio.de
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