Gesundheit wird durch Kindheitstraumata lebenslang beeinflusst
03.02.2015
Wenn Kinder besonders belastende Ereignisse erleben müssen, kann dies bei ihnen selbst noch im Erwachsenenalter Folgen für die körperliche Gesundheit und die Lebensumstände haben. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die vor kurzem veröffentlicht wurde.
Erhebliche Folgen für die Gesundheit
Eine Studie des französischen Nationalen Instituts für Gesundheit und medizinische Forschung INSERM (Institut national de la santé et de la recherche médicale) kommt zu dem Ergebnis, dass besonders belastende Erlebnisse in der Kindheit noch im Erwachsenenalter erhebliche Folgen auf die Gesundheit und die Lebensumstände haben können. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden vor kurzem in den „Proceedings“ der US-nationalen Akademie der Wissenschaften („PNAS“) veröffentlicht. Bereits frühere Studien haben gezeigt, dass verschiedenste Belastungen in der Kindheit das Auftreten von Krankheiten und die Sterblichkeit im Erwachsenenalter erhöhen können. Und zwar insbesondere psychosoziale Belastungen. Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet, zeichnet sich die neue Untersuchung nach Ansicht eines deutschen Experten jedoch durch ihre hohe Qualität aus und belegt, dass frühe traumatische Erlebnisse „unter die Haut gehen“ können.
Belastende Ereignisse im familiären Umfeld
In der Studie untersuchte das Wissenschaftler-Team um die Medizinerin Cristina Barboza Solis den Zusammenhang zwischen negativen Kindheitserfahrungen (adverse childhood experiences, kurz: ACE) und der sogenannten allostatischen Last (AL). Es wird berichtet, dass unter AL die Folgen aller Belastungen beziehungsweise stressauslösenden Faktoren verstanden werden, die ein Mensch im Leben erfährt und die sich beispielsweise als chronischer Stress zeigen. Für ihre Analyse nutzten die Forscher Daten der britischen „National Child Development Study“, in der 7.535 Menschen im Langzeitverlauf erfasst sind, die 1958 in Großbritannien geboren wurden. Die Wissenschaftler konzentrierten sich auf diejenigen Teilnehmer, die im Alter zwischen sieben und 16 Jahren mehr als zwei belastende Ereignisse im familiären Umfeld erlebten. Dazu gehörten unter anderem Vernachlässigung, Unterernährung oder die seelische Erkrankung eines Elternteils.
Schwerwiegende negative psychosoziale Kindheitserfahrungen
Im Alter von 44 Jahren zeigten die biomedizinischen Daten dieser Gruppe den Angaben zufolge "eine hohe allostatische Last". Die Autoren untersuchten das Gesundheitsverhalten der Studienteilnehmer, ihren Body Mass Index (BMI) und ihren sozioökonomischen Status mit 23 und 33 Jahren, um so herauszufinden, welche Faktoren die beschriebene Last herbeiführten. Dabei zeigte sich, dass "bei Männern 59 Prozent der erhöhten allostatischen Last mit ungesundem Verhalten" zusammenhingen. Und bei Frauen waren "76 Prozent der erhöhten allostatischen Last mit Rauchen, Übergewicht, einem geringen Bildungsgrad und geringem Einkommen assoziiert". Daher schlussfolgerten die Forscher, dass "schwerwiegende negative psychosoziale Kindheitserfahrungen die Gesundheit wahrscheinlich langfristig auf verschiedenen Wegen beeinträchtigen". In der Studie schreiben sie: „Gruppen, die negative Kindheitserfahrungen erlebten, können die Kosten dafür ihr ganzes Leben tragen, was sich in ihrer physiologischen Abnutzung im Erwachsenenalter zeigt.“
Erlebnisse gehen „unter die Haut“
Für den ärztlichen Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm, Harald Gündel, ist die Studie wissenschaftlich und methodisch ein großer Schritt nach vorn. Laut dpa sagte er, dass in der Kindheit „viele biologische Regelkreise und Prozesse geprägt“ werden, „die Folgen für die lebenslange Gesundheit haben“. Bereits frühere Studien hätten in dieselbe Richtung gedeutet, jedoch nicht mit dieser Qualität. Gündel, der auch Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie ist, erklärte weiter: „Die Untersuchungen auf verschiedenen Ebenen zeigten, dass frühe traumatische Erlebnisse im wahrsten Sinne des Wortes ‘unter die Haut gehen’ und biologische Folgen haben, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung.“
Lebenslange Auswirkungen
Zahlreiche Studien haben sich in der Vergangenheit mit den Auswirkungen von traumatischen Erlebnissen in der Kindheit beschäftigt. So zeigte sich etwa, dass Menschen, die als Kinder stark vernachlässigt oder misshandelt wurden, später häufiger an Depressionen, Angststörungen, Essstörungen, Persönlichkeitsstörung oder Adipositas leiden. Auch eine Neigung zu Alkoholismus, Drogenabhängigkeit und Gewalt wurde in Untersuchungen mit Kindheitstraumata in Verbindung gebracht. (ad)
Martin Schemm / pixelio.de
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