Depression ist vor nahen Angehörigen kaum zu verbergen
04.04.2015
Seitdem bekannt wurde, dass der Copilot der abgestürzten Germanwings-Maschine offenbar an schweren Depressionen erkrankt war, ist diese Erkrankung in aller Munde. Man könnte denken, dass eine Depression kaum vor nahen Angehörigen zu verheimlichen ist, doch das Krankeitsbild ist äußerst vielschichtig. Selbst Erfreuliches kann eine Depression auslösen.
Vielschichtiges Krankheitsbild
Seit dem Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen werden immer mehr Details aus dem Leben des Co-Piloten veröffentlicht. Bereits vor Jahren habe er laut Medienberichten seine Ausbilder über eine „depressive Episode“ informiert. Kaum ein Krankheitsbild ist so vielschichtig wie das einer Depression. Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer behandlungsbedürftigen Depression. Für die Entstehung der Krankheit kommen verschiedene Faktoren wie Stress, Krisen oder körperliche Auslöser wie eine Schilddrüsenunterfunktion in Betracht, meist wird jedoch ein Zusammenwirken mehrerer Ursachen vermutet.
Viele Depressive erfahren keine optimale Behandlung
Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet, nehmen sich hierzulande rund 10.000 Menschen pro Jahr das Leben, in 150.000 Fällen gibt es einen Versuch. Diese Zahlen machen nach Ansicht der Stiftung Deutsche Depressionshilfe deutlich, dass viele Depressive keine optimale Behandlung erfahren. Dabei ist die Erkrankung laut Psychiatrie-Professor Ulrich Hegerl für nahe Angehörige kaum zu übersehen. Hegerl ist Vorsitzender der Stiftung und Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig. Wer länger als 14 Tage in gedrückter Stimmung sowie freud- und antriebslos ist, an Appetitlosigkeit leidet, sich mit Schuldgefühlen im Bett wälzt und daran denkt, sich etwas anzutun, gilt als depressiv. „Bei Berufskollegen, wenn man nur oberflächlich kommuniziert – da kann es durchaus hinter einer Fassade verborgen werden“, so Hegerl. „Aber nahe Angehörige merken dann schon, dass der Mensch nicht so ist, wie sie ihn kennen.“
Manche Menschen lassen sich nichts anmerken
Nach Ansicht der Psychotherapeutin Julia Scharnhorst sollte professionelle Hilfe geholt werden, wenn Betroffene ihren Alltag nicht mehr in den Griff bekommen, überhaupt nicht mehr aufzuheitern sind und insbesondere, wenn Selbsttötungsabsichten geäußert werden. „Laien tun es oft ab“, meinte Scharnhorst, doch so eine Äußerung sollte man auf jeden Fall ernst nehmen. Es sei jedoch sehr unterschiedlich, wie Betroffene mit ihrem Leiden umgehen. Manche würden versuchen, sich selbst zu therapieren. Häufig ist dabei Alkohol im Spiel. Wie die Leiterin der Sektion Gesundheitspsychologie im Bundesverband Deutscher Psychologen, erklärte, komme es auch vor, dass Menschen sich nichts anmerken ließen.
Manchmal können bereits Tageslicht und Bewegung helfen
Depressionen lassen sich mit Medikamenten und einer Psychotherapie behandeln. Die Deutsche Depressionshilfe betonte, dass Antidepressiva – anders als vielfach angenommen – nicht abhängig machten. Und die, die sie einnehmen, werden auch nicht „high“. Nach Ansicht vieler Wissenschaftler ist während einer Depression der Stoffwechsel im Gehirn gestört. Bei einer leichten Depression könne mitunter bereits Tageslicht und sportliche Bewegung helfen. Bei einer akuten Suizidgefahr könne aber auch die Einweisung in eine geschlossene Psychiatrie notwendig sein, erklärte Scharnhorst. Trotzdem gebe es keine Garantie für die Verhinderung von Selbsttötungen. Laut Hegerl kann man Suizidabsichten oder eine Depression nicht im Vorhinein mit einem psychologischen Test erkennen. „Es gibt keinen Depressionstest.“
Erweiterter Suizid macht Experten ratlos
Ein sogenannter erweiterter Suizid – also Fälle, in denen Lebensmüde etwa mit dem Auto in den Gegenverkehr steuern oder Familienmitglieder umbringen – macht Experten ratlos. „Das kann man nicht nachvollziehen“, so Scharnhorst. "Warum müssen andere sterben?" fragen sich viele. Ob Hass eine Rolle spielt? „Es ist sehr schwer, sich in diese Menschen mit ihrer Verzweiflung hineinzuversetzen“, meinte Hegerl. „Ich glaube eher, dass sie so auf das Negative eingeengt sind in ihrem Erleben, dass sie fast ausblenden und gar nicht so richtig wahrnehmen, was um sie herum vorgeht.“ Das Motiv, andere Menschen mit in den Tod zu reißen, passe demnach absolut nicht zu Depressionen. „Das kann man nicht übertragen auf die zwei bis drei Millionen depressiven Kranken in Deutschland. Diese sind eher besonders verantwortungsvoll und fürsorglich, und nichts liegt ihnen ferner als anderen zu schaden.“
Depression durch Erfreuliches ausgelöst
Zwar kann eine Depression durch einen Schicksalsschlag wie den Verlust des Arbeitsplatzes oder einen Trauerfall ausgelöst werden, allerdings auch durch etwas grundsätzlich Erfreuliches, wie eine bestandene Prüfung oder eine Beförderung. Darum sollte sie nicht mit einer akuten Belastungsreaktion verwechselt werden. Wer beispielsweise in tiefer Trauer versinke, müsse nicht gleichzeitig eine umfassende Sinn- und Freudlosigkeit empfinden oder gar die Gefühle gegenüber den geliebten Kindern verlieren. „Das wird leider oft vermengt“, erläuterte Hegerl. „Wir wollen auf keinen Fall das normale Auf und Ab des Lebens, das ja oft auch sehr schmerzhaft ist, psychiatrisieren.“ Experten warnen außerdem davor, psychisch Kranke zu stigmatisieren. So wird etwa die öffentliche Diskussion der vergangenen Tage vom Geschäftsführer der Aktion Psychisch Kranke (APK), Ulrich Krüger, mit Sorge gesehen: „Hier wird suggeriert, dass Menschen mit einem psychischen Leiden automatisch mit einer Gefährdung verbunden sind.“ Dies könnte dazu führen, dass Betroffene es nicht mehr wagen würden, über ihre Erkrankung zu sprechen und sie verheimlichen. (ad)
>Bild: Peter Ries Düsseldorf / pixelio.de
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