Ärzte-Warnung: Antidepressiva sind keine „Lutschbonbons“
16.09.2014
Obwohl die Wirkung von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern, kurz SSRI, umstritten ist und die Risiken der Medikamente unterschätzt werden, werden die Antidepressiva trotzdem immer häufiger verschrieben. Ärzte warnen vor dem leichtfertigen Umgang mit diesen „Glückspillen“.
Wirkung der Medikamente ist umstritten
Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) sind eine Wirkstoffgruppe der Antidepressiva, die unter anderem bei Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen, Panickattacken oder Bulimie eingesetzt werden. Experten zufolge werden jedoch die Risiken der Medikamente unterschätzt und zudem ist die Wirkung umstritten. Trotzdem werden SSRI hierzulande immer häufiger verschrieben. In einem Interview mit der „Apotheken Umschau“ (9/2014 B) kritisierte Professor Tom Bschor, Psychiater und Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, nun den leichtfertigen Umgang mit diesen Antidepressiva. „Das sind keine Lutschbonbons.“
Zahl der Verordnungen hat sich verfünffacht
„Seit 1995 hat sich die Zahl der SSRI-Verordnungen fast verfünffacht. So viele schwere Depressionen gibt es gar nicht“, so Bschor. Nur dann seien SSRI nämlich laut Leitlinie vorgesehen. „SSRI werden bei Problemen eingesetzt, bei denen sie nichts verloren haben, nicht wirken und die ohnehin zum Leben dazugehören: Kummer, Trauer, Trennung, Stress“, erläuterte der Psychiater. Dazu kommen Risiken: So gibt es Bschor zufolge deutliche Hinweise darauf, dass SSRI die Selbstmordgefahr bei unter 25-Jährigen sogar erhöhen. Außerdem könnten Depressionen nach einer Behandlung mit SSRI eher und stärker zurückkommen als ohne. Bschor mahnt: „Das ist auch ein Grund, warum man sich gründlich überlegen muss, ob man SSRI schon bei einer leichten Depression einsetzt.“
Zahlreiche Nebenwirkungen drohen
Nicht zu vernachlässigen sind zudem die Nebenwirkungen, die eine Behandlung mit SSRI mit sich bringen kann. So können zu Beginn der Behandlung Beschwerden wie Kopfschmerzen, Übelkeit, innere Unruhe, Schlafstörungen und Verdauungsprobleme auftreten. Zudem können irreversible Sexualdysfunktionen ausgelöst werden. In Ländern wie den USA oder Großbritannien haben Behörden bei der Verwendung von SSRI bei Kindern und Jugendlichen sogar Warnungen vor erhöhter Suizidgefahr und Aggression ausgegeben. Bei einer langfristigen Behandlung kann zudem das Risiko für eine Osteoporose steigen.
Anstieg der Verordnungen wegen Allgemeinmedizinern
Gesundheitsexperten zufolge sei eine Ursache für den Anstieg der Verordnung von solchen „Glückspillen“, dass diese Medikamente auch immer häufiger von Allgemeinmedizinern verschrieben würden. Und dies trotz aller Risiken. Selbst der Grund, warum die potentiell gefährlichen Medikamente bei schweren Depressionen einen gewissen Effekt haben, sei noch weitgehend ungeklärt. (ad)
Bild: Andrea Damm / pixelio.de
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