Bundesinstitut bescheinigt dem Schlaganfall-Medikament ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis
18.11.2011
Nachdem in den vergangenen Tagen zahlreiche Medienberichte die tödlichen Nebenwirkungen des Schlaganfall-Medikaments Pradaxa mit dem Wirkstoff Dabigatran thematisierten, prüft das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) derzeit, ob tatsächlich alle hierzulande genannten Todesfälle auf das Konto des Präparates vom Pharmakonzern Boehringer Ingelheim gehen.
Bei vier der fünf Todesfälle könne ein Kausalzusammenhang mit der Einnahme des Schlaganfall-Medikaments sicher angenommen werden, bei dem fünften Todesopfer werde derzeit noch geprüft, ob dieser im Zusammenhang mit der Einnahme des oralen Antikoagulans Pradaxa steht, so die Mitteilung des BfArM. Trotz der zu verzeichnenden Todesopfer geht die Behörde von einem „weiterhin grundsätzlich positiven“ Nutzen-Risiko-Verhältnis des umstrittenen Medikamentes aus. Anfang November waren Zahlen bekannt geworden, denen zufolge weltweit 250 Menschen nach der Einnahme des Wirkstoffs Dabigatran an inneren Blutungen im Magen-Darm-Trakt oder dem Gehirn verstorben sind. Kritiker warfen dem Pharmakonzern vor, dass die Anzahl der tatsächlich Betroffenen wahrscheinlich noch weit höher liegen dürfte.
Innere Blutungen durch Schlaganfall-Medikamente
Nach Ansicht des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte sind Komplikationen wie innere Blutungen bei den oralen Antikoagulanzien jedoch keine Neuheit und es gelte lediglich die Risiken und Vorteilen angemessen gegeneinander abzuwägen. So habe die damalige Zulassungsstudie (RE-LY) deutlich gezeigt, dass der Wirkstoff gegenüber dem derzeitigen Standardwirkstoff Warfarin deutlich Vorteile aufweise. Demnach hat Pradaxa besser vor Schlaganfällen geschützt als Warfarin und wesentlich seltener die lebensbedrohlichen inneren Blutungen ausgelöst. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis falle bei Pradaxa entsprechend günstiger aus als bei Warfarin, erklärte das BfArM. Allerdings gelte dies nur, wenn die Ein- und Ausschlusskriterien der Studie berücksichtigt werden, so die Einschränkung des Bundesinstituts. Dies scheint jedoch nicht immer der Fall, obwohl auch der Hersteller Boehringer Ingelheim deutlich auf die Risiken bei Verwendung außerhalb der Empfehlung verweist. Als Ausschlusskriterien für den Einsatz von Pradaxa ist an erster Stelle eine schwere Beeinträchtigung der Nierenfunktion zu nennen, so die Aussage in der Zulassungsstudie und der Hinweis von Boehringer Ingelheim in einem sogenannten Rote-Hand-Brief, zu dem das BfArM den Pharmakonzern angesichts der Gesundheitsrisiken verpflichtet hatte.
Angepasste Sicherheitsmaßnahmen zur Verschreibung von Pradaxa
Um sicherzugehen, dass die Patienten nicht unter Beeinträchtigungen der Nierenfunktion leiden, sind Ärzte gemäß den angepassten Fachinformationen nun dazu verpflichtet, die Nierenfunktion ihrer Patienten vor der Verschreibung des Schlaganfall-Medikaments gründlich zu überprüfen, so die aktuelle Mitteilung des BfArM. Zudem sind die behandelnden Mediziner dazu aufgefordert, „bei Risikopatienten, z.B. bei Patienten über 75 Jahren, bei denen die Nierenfunktion beeinträchtigt sein könnte“, eine engmaschige nach klinischem Verlauf gerichtete Kontrolle der Nierenfunktion durchzuführen, berichtet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in seiner aktuellen Pressemitteilung. Dem Präsident des BfArM, Prof. Dr. Walter Schwerdtfeger, zufolge ist angesichts des medialen Interesses derzeit „eine sachliche Aufklärung der Patienten zu möglichen gesundheitlichen Risiken von Pradaxa dringend erforderlich“, wobei jedoch von einem eigenmächtigen Absetzten des Medikamentes dringend anzuraten sei. Denn dies könne ein erhöhtes Risiko lebensbedrohlicher thromboembolischer Ereignisse wie Schlaganfälle oder eine Lungenembolie mit sich bringen. Betroffene sollten Pradaxa daher nur nach Rücksprache mit ihrem Arzt absetzten, so die Warnung des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.
Obwohl nicht bei allen gemeldeten Todesfällen ein Zusammenhang mit dem Schlaganfall-Medikament sicher herzustellen sei, ist es „unstrittig, dass massive Risiken dann bestehen, wenn die Anwendung des Arzneimittels nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erfolgt“, betonte der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Daher ist laut Aussage von Prof. Dr. Walter Schwerdtfeger die konsequente Umsetzung der bereits im Oktober auf den Weg gebrachten Sicherheitsmaßnahmen durch den Hersteller und die behandelnden Ärzte besonders wichtig, „damit Risikopatienten frühzeitig identifiziert, eine den Risiken angemessene Behandlung erhalten oder gegebenenfalls von der Behandlung mit Pradaxa ausgeschlossen“ werden können.
Anwendungsrisiken bei Pradaxa weder schwerwiegender noch häufiger
Die bisher sicher in Zusammenhang mit Pradaxa zu bringenden vier Todesfälle in Deutschland sind nach Einschätzung des BfArM keine besondere Häufung und die bisher vorliegenden Daten sprechen dafür, „dass die Anwendungsrisiken von Pradaxa weder häufiger noch schwerwiegender sind als die der anderen mit dem gleichen Behandlungsziel eingesetzten Arzneimittel“, so die Aussage in der aktuellen Pressemitteilung des BfArM. Das Bundesinstitut verweist dabei auf die Verdachtsfälle des in Deutschland relativ häufig eingesetzten Marcumar, bei dem im Verlauf der letzten zehn Jahre 73 Verdachtsfälle mit tödlichem Ausgang infolge einer Blutung gemeldet wurden. Dies seien im Schnitt sieben Todesfälle pro Jahr, was für ein deutlich höheres Risiko spreche als bei Pradaxa (gemeldet wurden zwischen vier und 16 Todesfälle pro Jahr bei Marcumar). Allerdings ist laut Aussage des BfArM die Aussagekraft der gemeldeten Verdachtsfälle ohnehin nur begrenzt, da dies freiwillige Verdachtsmeldungen der Ärzte (sogenanntes „Spontanmeldesystem“) seien und diese nur bedingt untereinander zu vergleichen sind. Denn „erfahrungsgemäß werden Verdachtsfälle bei neuen Arzneimitteln wie Pradaxa häufiger gemeldet als bei bereits lang eingeführten, wie z.B. dem Mitte der 50er Jahre zugelassenen und in Deutschland häufig eingesetzten Gerinnungshemmer Marcumar“, betonte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in seiner aktuellen Pressemitteilung.
Dass in den USA und Japan die gemeldeten Zahlen möglicher Todesfälle durch Pradaxa weit höher liegen als in Deutschland, ist nach Einschätzung des BfArM in erster Linie auf die Unterschiede zwischen der Anwendung von Pradaxa hierzulande und in Japan beziehungsweise den USA zurückzuführen. Ein deutlicher Anstieg der Meldung auch in Deutschland ist nach Ansicht der Experten nicht zwangsläufig zu befürchten. Die abweichenden Risikofaktoren und die unterschiedliche Begleitmedikation mache hier einen Vergleich auf internationaler Ebene quasi unmöglich. Zu den derzeit in den USA und Europa diskutierten Herzinfarkt- und Koronarsyndrom-Risiken durch Pradaxa und vergleichbare Arzneimittel teilte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte lediglich mit, dass „die zuständigen Behörden auch diese Fragen“ prüfen und „über den Erkenntnisfortschritt informieren“ werden. (fp)
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Bild: Rita Thielen / pixelio.de
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