Geschäft mit Stammzellenkuren in China – Medizin im Blindflug
24.05.2012
In China läuft das Geschäft mit den eigentlich verbotenen Stammzellenkuren auf Hochtouren. Trotz Bemühungen der Regierung in Peking die fragwürdige Geschäftspraxis der Kliniken und Ärzte unter Kontrolle zu bringen, boomt das Angebot der Stammzellenkuren.
Recherchen der Nachrichtenagentur „dpa“ haben ergeben, dass Stammzellenkuren in China zur Behandlung zahlreiche Erkrankungen angeboten werden. So werbe zu Beispiel Doktor Li vom Zhongshan Hospital in der zentralchinesischen Metropole Wuhan: „Wir nehmen Stammzellen, um bei der Behandlung von Autismus zu helfen.“ Andere Ärzte versprechen eine erfolgreiche Behandlung von zerebralen Lähmungen oder gar Parkinson. Doch eine Zulassung haben die Anwender der Stammzellenkuren offenbar nicht und die Wirkung der Behandlung ist keineswegs wissenschaftlich belegbar. Hier werden Geschäfte mit der aussichtslosen Situation der Patienten gemacht, so der Vorwurf von Medizinern weltweit.
Stammzellenkuren auch in China untersagt
Gewonnen werden die Stammzellen laut Aussage von Dr. Li aus „der Nabelschnur von Neugeborenen.“ Anschließend werden die Zellen den Patienten injiziert und suchen sich „auf natürliche Weise ihr Ziel“, beschreibt die Ärztin des Zhongshan Hospitals den wundersamen Heileffekt der Therapie. Auf telefonische Nachfragen der „dpa“ erklärte sie, dass weder mit einer Abstoßung, noch mit „biochemischen Reaktionen des Körpers, Folgeschäden oder Gen-Mutationen“ zu rechnen sei. Die Versprechen der chinesischen Kliniken sind verlockend: Alzheimer, Lähmungen, Parkinson und auch Krebs sollen mit den Stammzellenkuren erfolgreich behandelt werden. Alles zu einem Preis von umgerechnet ein paar tausend Euro. Allerdings sind entsprechende Behandlungen eigentlich auch in China untersagt, nicht zuletzt da keine wissenschaftlichen Belege für ihre Wirkung vorliegen und die Stammzellen mitunter ein erhebliches Gesundheitsrisiko mit sich bringen können. Kritische Medizinern warnen ausdrücklich vor den gesundheitlichen Folgeschäden, die bei den Stammzellenkuren drohen.
Stammzellbehandlung am Menschen keineswegs sicher
Dieses Risiko ist auch den chinesischen Gesundheitsbehörden durchaus bewusst, und so betonte Doktor Chen Lei vom Nationalen Zell-Zentrum in Peking gegenüber der „dpa“, es sei „irrwitzig zu behaupten, dass die Stammzellbehandlung am Menschen sicher wäre.“ Hier befinde sich die „Medizin im Blindflug“, wobei mögliche „Abwehrreaktionen und die Wirksamkeit ungewiss“ bleiben, kritisierte Dr. Lei. Ihm seien schwere Komplikationen oder Folgeerkrankungen wie Tumorbildungen durch die Stammzellenkuren bekannt, erklärte der Experte. Allerdings ist für Dr. Lei auch klar, wieso das Geschäft dennoch derart boomt: „Es ist eine riesige Versuchung für jene verzweifelten Patienten und ihre Familien.“ Auch das Gesundheitsministerium in Peking ist sich des Problems bewusst. Aufgrund des fehlenden Nachweises zum medizinischen Nutzen, wurde bislang keine Therapie genehmigt und darüber hinaus hat das Ministerium im Januar alle Behandlungen oder klinischen Versuche mit den Stammzellenkuren ausdrücklich verboten. Den Recherchen der „dpa“ zufolge scheinen sich zahlreiche chinesische Kliniken jedoch nicht an diese Vorgabe zu halten. Alle angebotenen Stammzellkuren „sind nicht erlaubt“ und „was glauben sie, warum wir diese Vorschriften erlassen haben?“, so die Antwort von Yin Shike aus dem Gesundheitsministerium auf die Anfrage der „dpa“.
Stammzellenkuren umgeben von „Aura der etablierten Akzeptanz“
Insbesondere die Militärhospitäler, welche nicht dem Gesundheitsministerium unterstehen, werben trotz des Verbots weiter zahlungskräftige Kunden mit dem Angebot der Stammzellenkuren. Sie vertreten hier offenbar eine andere Rechtsauffassung als das Ministerium. So erklärte eine Ärztin des General Hospital des Militärkommandos von Jinan (Provinz Shandong) auf Nachfrage der „dpa“, dass „bisher nur Militärkrankenhäuser Stammzelltherapien vornehmen“ dürfen. Ihre Klinik bietet für rund 20.800 Yuan (2.570 Euro) sogar Stammzellenkuren zur Behandlung einiger Krebsarten an. Die exakten Behandlungskosten hängen jedoch „vom individuellen Patienten ab.“, so die Ärztin des General Hospital weiter. Für Experten weltweit ist der in China zu beobachtende Trend durchaus besorgniserregend. Denn schon die reine Existenz der Stammzellabteilungen in den großen, renommierten Kliniken verleihe der Behandlung eine „Aura der etablierten Akzeptanz“, so der Vorwurf in dem britischen Wissenschaftsmagazin „Nature“. Hinzu komme die intensive Werbung und die Verbreitung von Geschichten über wundersame Heilungserfolge. Des weiteren gaukeln die Kliniken den potenziellen Kunden häufig vor, gute Beziehungen zu Prominenten, hohen Politikern und führenden Wissenschaftlern zu unterhalten, was ihr eigenes vermeintliches Renommee unterstreichen soll.
Heilungsversprechen für Alzheimer, Parkinson und Krebs
Gänzlich ungeniert von möglichen rechtliche Konsequenzen erklärte auch Doktor Li vom Zhongshan Hospital gegenüber der „dpa“, zu welchen Zwecken in ihrem Krankenhaus Stammzellenkuren angeboten werden. Darunter fällt auch die Behandlung von „Patienten mit zerebralen Lähmungen“ (Lähmung durch Schäden des Gehirns) und Parkinson. Beachtlich, wo diese Krankheiten doch bis heute als unheilbar gelten. Lediglich 30.000 bis 40.000 Yuan (3.700 bis 4.900 Euro) soll die Behandlung zerebraler Lähmungen kosten, rund 50.000 Yuan (knapp 6.200 Euro) die Behandlung von Parkinson. „Es gibt weder Gegenreaktionen, noch Folgeschäden“, betonte die Ärztin gegenüber der „dpa“. Zu den Behandlungserfolgen erklärte Dr. Li, dass „normalerweise der Patient zwei, drei Monate braucht, um sich zu erholen.“ Anschließend seien die Patienten jedoch „in einem sehr guten Zustand“, so Dr. Li weiter. Kritische Nachfragen der Nachrichtenagentur ließ die Ärztin am Telefon jedoch lieber unbeantwortet. Den Namen des behandelnden Stammzell-Experten in ihrem Krankenhaus wollte sie nicht nennen und auf die Frage nach einer Lizenz für die Stammzellenkuren antwortete Doktor Li mit der Gegenfrage: „Wir behandeln seit zwei Jahren mit Stammzellen. Das könnten wir doch nicht, wenn es verboten wäre, oder?“
Stammzellenkuren moderne Quacksalberei
Im Prinzip ist das Angebot der chinesischen Kliniken nichts anderes als der Wundermittelverkauf moderner Quacksalber. Ein Beleg für die Wirksamkeit fehlt und stattdessen sind erhebliche Nebenwirkungen zu befürchten. Da die Patienten mit Parkinson, Krebs oder zerebralen Lähmungen jedoch oft derart verzweifelt sind, dass sie nach jedem Strohhalm greifen, lässt sich hier eine Menge Geld verdienen. Auch Prominente wie der deutsche Künstler Jörg Immendorf, der an Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) – einer unheilbaren Nervenkrankheit – litt, fielen schon auf die Heilversprechen herein. 2005 hatte sich Immendorf zur Behandlung mit embryonale Stammzellen nach Peking begeben. Diese wurden ihm laut „dpa“ direkt in das Gehirn injiziert, doch eine Heilung seiner Krankheit ließ sich nicht erreichen. Rund zwei Jahre nach dem Eingriff ist Immendorf an den Folgen der ALS verstorben. (fp)
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Bild: Rainer Sturm / pixelio.de
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