Studie: Eine Bürgerversicherung könnte die Kassenbeiträge für niedrige und mittlere Einkommen senken
20.08.2011
Laut einer wissenschaftlichen Studie könnte eine solidarische Bürgerversicherung den regulären Beitragssatz der gesetzlichen Krankenversicherung auf 10,5 Prozent minimieren. Voraussetzung wäre, dass die Private Krankenversicherung wegfällt und alle Menschen unabhängig von ihrem Einkommensstatus in einer gesetzlichen Krankenkasse krankenversichert sind.
Auf die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen kommen zukünftig höhere Beiträge zu. Seit der letzten Erhöhung des Beitragssatzes auf 15,5 Prozent wurde der Arbeitgeberanteil eingefroren. Das bedeutet, dass alle perspektivischen Beitragserhöhungen zu Lasten des Arbeitnehmers von statten gehen. Die schwarz-gelbe Koalition hatte im Zuge der Gesundheitsreform die Gestaltung und Erhebung von Zusatzbeiträgen in die Hände der Kassen gelegt. Das heißt für die Praxis, dass die Erhebung und die Erhöhung der zusätzlichen Pauschalbeiträgen von den Kassen selbst bestimmt werden, wenn sie mit den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht mehr auskommen. Unbestritten ist, dass die Beiträge schon in ein paar Jahren durch den gesellschaftlichen demografischen Wandel stetig steigen. Auch Privatpatienten zahlen seit Jahren kontinuierlich steigende Beiträge.
Studie zur Bürgerversicherung im Gesundheitswesen
Die Linke hat nun eine interessante Studie mit dem Titel „Bürgerversicherung im Gesundheitswesen und in der Pflegeversicherung“ veröffentlicht, die vorschlägt, eine einheitliche Krankenversicherung einzuführen. Durch die Einführung könnte der reguläre Beitragssatz um ein Drittel, auf 10,5 Prozent gesenkt werden. Dafür müssten alle Bürger unabhängig von Einkommen und Status in einer Krankenkasse versichert sein. Da somit die Zahl der Beitragszahler massiv ansteigt, könnte der Beitragssatz gesenkt werden. Darüber hinaus würden alle Zusatzbeiträge, Zuzahlungen von Arzneimitteln, Gesundheitsleistungen und Praxisgebühren abgeschafft werden. Laut Studienergebnisse würde der Satz mindestens bis zum Jahre 2020 stabil bleiben, obwohl Klinik- und Ärztehonorare im relativen Verhältnis steigen und der gesamtgesellschaftliche Alterdungsprozess sich fortsetzt. Die Pflegeversicherung könnte bei einer solchen Umsetzung trotz steigender Ausgaben und Leistungsanforderungen im Pflegebereich von derzeit 1,95 auf 1,6 Prozent sinken. Im Kontext der Bürgerversicherung könnte laut Berechnungen der Experten dieser auch auf längere Sicht auf unter 2,0 Prozent gehalten werden. Auch bei diesem Modell müssten alle Bürger in die Kassen der Pflegeversicherung abhängig von ihrem Einkommen einzahlen.
Weitestgehende Abschaffung der Privaten Krankenversicherung
Hauptpunkt der Studie ist die weitestgehende Abschaffung der Privaten Krankenversicherung. Gut 10 Prozent der Bundesbürger sind derzeit privatversichert. Unter den 10 Prozent der Privatversicherten sind vor allem Besserverdiener mit überdurchschnittlichen Gehältern. Die privaten Krankenversicherungen würden sich laut dem Modell nur noch auf Zusatzversicherungen beschränken. Statt einer normalen Einkommensprüfungen sollen bei allen Versicherten auch Einnahmen aus Kapitalerträgen und Mieteinnahmen in voller Höhe in die Berechnung mit einfließen. Bislang ist die Beitragsbemessung begrenzt, da der Berechnungssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung von momentan 15,5 Prozent nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze von 3712,50 Euro gilt. Demnach würden auch alle Einkommen darüber für die Berechnung mit zählen. Bei einem so niedrigen Beitragssatz würden automatisch die Lohnnebenkosten sinken, weil auch der paritätisch finanzierte Versicherungsbeitrag sinkt.
Zweites Modell für die Übergangszeit
In einem zweiten Berechnungsmodell wurde diese Rechengröße nicht ganz aufgehoben, sondern in einem ersten Schritt nur auf 5500 Euro erhöht. Bei dieser Rechenvariante könnte der Beitragssatz immerhin auf 11,7 Prozent und der Beitrag zur Pflegeversicherung auf 1,8 Prozent bis zum Jahre 2020 absinken.
Entlastung der niedrigen und mittleren Einkommen zulasten der Hochverdiener
In der Quintessenz werden durch das Modell vor allem niedrige und mittlere Einkommen stark entlastet, weil die Finanzierung der Krankenversicherung von oben nach unten umverteilt wird. Wer beispielsweise 1500 Euro im Monat verdient, erfährt eine finanzielle Entlastung von bis zu 1251 Euro im Jahr. Bei dieser Berechnungsweise sind auch die durchschnittlichen Zuzahlungen (Praxisgebühren, Medikamentenzuzahlungen) sowie der Wegfall der Zusatzbeiträge mit eingeflossen. Wer mehr etwas verdient, spart auch mehr. Bei einem Lohn von 2500 Euro monatlich, spart der Krankenversicherte bis zu 2085 Euro pro Jahr. Erst ab einem monatlichen Einkommen von 5800 Euro müssten laut Studienbemessungen höhere Beiträge gezahlt werden, als dies heute der Fall wäre.
Niedrige Lohnnebenkosten und mehr Kaufkraft
Da sich auch die Lohnnebenkosten reduzieren, die Menschen mehr Geld für Konsumgüter und Anschaffungen haben, würde sich laut Studie die Kaufkraft signifikant erhöhen. Als Folge würden dauerhaft mindestens 500.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Durch eine geringere Erwerbslosenquote würden sich auch die Ausgaben für Sozialleistungen zukünftig reduzieren.
Verfassungsrechtliche Bedenken
Das Konzept der Bürgerversicherung existiert schon länger und wird vor allem aus Wirtschaftskreisen kritisiert. Denn die Umgestaltung des gesamten Gesundheitssystems gilt bei Kritikern als „nicht zeitnah umsetzbar“. Rein rechtlich gesehen könnten Privatversicherte nicht per Gesetz dazu verpflichtet werden, auf ihre angesammelten Altersrückstellungen zu verzichten. Zu mindestens verfassungsrechtlich bedenklich gilt, dass bei einer Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze das „Verhältnis von Leistung und Gegenleistung“ unangemessen hoch wäre. Spitzenverdiener wie der Deutsche-Bank Chef Josef Ackermann verdienen gut und gerne auch einmal 10 Millionen Euro im Jahr. Im Zuge einer Bürgerversicherung müsste der Bankchef dann rund eine Million Euro für die Krankenversicherung bezahlen. Laut Rechtsexperten würde eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht aufgrund der Unverhältnismäßigkeit von Leistung und Gegenleistung potentiell Erfolg haben.
Linke verteidigt Modellvorschlag
Trotz der Kritik verteidigt der Fraktionsvorsitzende der Linken, Gregor Gysi, das Konzept in der Frankfurter Rundschau (FR). Seiner Ansicht nach müsse endlich „Schluss sein mit der Bevorteilung der Reichen auf Kosten der Armen“. Es sei nun an der Zeit, „das Rad zurückzudrehen und mehr Solidarität zu schaffen“. Alle Bürger mit einem Einkommen müssten in die selbe Krankenversicherung einzahlen. Nur ein gerechtes Modell sei Konform mit dem Grundgesetz, weil „die Gesundheit der Menschen gleichberechtigt geschützt“ würde, so Gysi. Weil Privatversicherte ein Recht auf ihre Altersrückstellungen haben, könne ein Übergangsmodell geschaffen werden. Das Neugeschäft müsste gestoppt werden und die bisherigen Privatversicherten könnte ein Wahlrecht angeboten werden. Das einzige Problem: Die langen Übergangsfristen. (sb)
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