Gesundheitsminister sieht falsche Anreize für Operationen
12.04.2013
In Deutschland wird zu viel und zu schnell operiert. Das werfen die Kassen deutschen Kliniken vor. Nachdem bereits der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkasse (GKV) im vergangen Sommer im Rahmen einer Studie zu diesem Ergebnis kam, schlägt jetzt auch Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) Alarm. Die steigenden Zahl der stationären Krankenhausaufenthalte und operativen Eingriffe sei nicht allein auf den demografischen Wandel und den medizinischen Fortschritt zurückzuführen. Es müsse die Frage gestellt werden, „ob nicht auch Fehlanreize bestehen", erklärte Bahr zur Eröffnung einer Konferenz seines Ministeriums mit der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
Hohe Kosten und Mehrbelastung für Klinikpersonal durch zunehmende Operationen
Gesundheitsminister Bahr hatte nach Berlin geladen, um der Ursache für die rasant steigende Zahl von Operationen in deutschen Krankenhäusern auf den Grund zu gehen. Der Vorwurf der Kassen ist eindeutig: In Deutschland werde auf Kosten der Patienten und Beitragszahler zu schnell und zu viel operiert. Die OECD legte zu diesem Thema einen Bericht mit einem internationalen Vergleich vor.
Bahr wies darauf hin, dass die zunehmenden Operationszahlen nicht nur hohe Kosten verursachen sondern gleichzeitig auch eine deutliche Mehrbelastung für Ärzte und Pflegepersonal bedeuten. Der Gesundheitsminister will deshalb zukünftig Anreize für Krankenhäuser schaffen, die sich durch eine gute Behandlung auszeichnen und nicht „einfach nur mehr operieren".
In Deutschland wird mehr operiert als in fast jedem anderen Land
Im internationalen Vergleich belegt Deutschland einen der vorderen Plätze bei der Betrachtung der Zahlen zu Operationen und stationären Krankenhausaufenthalte. Laut Angaben der OECD wurden zuletzt 240 Klinikaufenthalte pro 1.000 Einwohner registriert. Das ist mehr als in fasten jedem anderen Land. Lediglich Japan und Korea stellen mehr als 8,3 Krankenhausbetten je 1.000 Einwohner für ihre Bevölkerung zur Verfügung. Auch die Zahl der Krebsbehandlungen sei der OECD zufolge in Deutschland fast doppelt so hoch wie im internationalen Durchschnitt, obgleich es hierzulande nicht mehr Krebserkrankungen als in anderen Ländern gibt.
Bereits im vergangenen Sommer legte der GKV-Spitzenverband gemeinsam mit dem Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) eine Untersuchung vor, nach der die Zahl der Behandlungen zwischen 2006 und 2010 um 13 Prozent gestiegen ist. Lediglich 40 Prozent seien davon auf die zunehmende Alterung der Bevölkerung zurückzuführen, berichtete Studienautor Boris Augurzky, Gesundheitsexperten des RWI. Die Hauptursache für die stetig steigenden Behandlungszahlen sehen GKV und RWI in den immer teuerer werdenden Operationen. Die Krankenhäuser würden deshalb die Zahl der lukrativen Behandlungen erhöhen. Besonders drastisch sei der Anstieg der orthopädischen und kardiologischen Eingriffe.
Der Vizevorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Johann-Magnus von Stackelberg, kritisierte eine Patientenbehandlung, die überwiegend über den Preis gesteuert werde. Er wies daraufhin, dass es Anzeichen dafür gebe, dass Operationen nicht immer aus rein medizinischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen durchgeführt würden.
Ein falscher finanzieller Anreiz für Operationen besteht dem Spitzenverband zufolge auch durch die in vielen Chefarzt-Verträgen üblichen Boni, die für bestimmte Eingriffe gezahlt werden. Selbst die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie spricht sich dafür aus, derartige Vereinbarungen aus den Chefarzt-Verträgen zurückzudrängen.
Unnötige Operationen „am Rande der Körperverletzung“
Günter Wältermann, Chef der Chef der AOK Rheinland/Hamburg, findet gegenüber der „Welt“ deutliche Worte: „In Deutschland werden Menschen zu schnell oder gar unnötig operiert. Das kann am Rande der Körperverletzung sein.“ Auch er weißt in diesem Zusammenhang auf die Bonuszahlungen an Chefärzte für Mehroperationen hin. „Wenn die Patienten um die Qualitätsunterschiede wissen, stimmen sie mit den Füßen ab." Es gebe generell zu viele Krankenhausbetten, „der Krankenhaussektor muss verkleinert werden", so Wältermnn. Der Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland/Hamburg rät Patienten zum Einholen einer Zweitmeinung bevor sie sich unters Messer legen. Zudem könnten sich Betroffene bei der Krankenhauswahl von der Krankenkasse beraten lassen. (sb)
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Bild: Dieter Schütz / pixelio.de
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