Anerkannte Senioren-Ärzte starten Internetportal gegen sinnlose Operationen des Bewegungsapparates
15.08.2011
In Deutschland wird zu viel operiert, diese Ansicht vertreten zwölf erfahrene und in der Fachwelt anerkannte Chirurgen. Die Mediziner planen daher ein Aufklärungsportal im Internet gegen „unnötige Operationen“. Patienten, bei denen sich die Frage eines Eingriffs stellt, können sich eine Zweitmeinung einholen.
Werden in Deutschland prinzipiell zu schnell Operationen vorgenommen? Auch in der Schulmedizin ist das Prinzip der Salutogenese (die Kräfte der Selbstheilung) in vielen Fachbereichen angekommen. Statt Patienten unnötigen Operationen auszuliefern, sollten auch alternative Konzepte zur Heilung in Frage kommen. In der neuen Ausgabe des Spiegels kündigen 12 führende deutsche Chirurgen an, eine neue Online-Kampagne „gegen überflüssige Operationen“ zu starten. Eigens hierfür wollen die Mediziner ein Onlineportal mit dem Titel „Vorsicht! Operationen“ ins Leben rufen. Patienten sollen sich so schnell und einfach eine unabhängige Zweitmeinung zu ihrem Leiden einholen. Grundvoraussetzung ist, dass dem Betroffenen von ärztlicher Seite ein chirurgischer Eingriff vorgeschlagen wurde.
Operationen die mehr schaden als nützen
Eingriffe aufgrund struktureller Probleme des Bewegungsapparates sind in den letzten zehn Jahren rasant gestiegen. Einerseits klagen immer mehr Menschen aufgrund ihrer viel sitzenden Tätigkeiten unter Symptomen wie Rückenschmerzen, Flankenschmerzen und Schmerzen in den Gliedmaßen. Auf der anderen Seite wird trotz neuerer Erkenntnisse viel zu schnell zum Skalpell gegriffen. Mit dem Portal wollen die Ärzte nun der hohen Anzahl von Operationen an Rücken, Knien, Hüfte und Schulter zu Leibe rücken. Denn nach ihrer Ansicht helfen viele Eingriffe noch nicht einmal oder verschlimmern sogar die Beschwerden. So sagte der Hochschullehrer und Chirurg für Kniegelenke, Prof. Dr. med. Hans Pässler gegenüber dem „Spiegel“: „Ich kann nicht zusehen, wie da draußen Operationen gemacht werden, die dem Patienten nichts bringen, sondern nur dem Arzt nutzen“. Pässler ist einer der Hauptinitiatoren des medizinischen Beratungsportals. Auch der auf Rückenleiden spezialisierte Mediziner Professor Dr. med. Jürgen Harms kritisiert die hohen und teilweise unnötigen Eingriffe bei Bandscheibenvorfällen. Fast die Hälfte (40 bis 45 Prozent) könnten seinen Angaben nach auch ohne Operationen therapiert werden. Der erfahrene Wirbelsäulenspezialist hat selbst bereits unzählige Negativbeispiele in seiner beruflichen Laufbahn diagnostizieren müssen. „Ich habe zu viele Eingriffe gesehen, die in grandiosen Fehlschlägen endeten“, sagte Harms. Und dann habe der Mediziner Patienten mit Bandscheibenvorfällen gesehen, bei denen auch ohne Operation eine Genesung einsetzte. „Ganz ohne Operation“, wie der Spezialist betont.
Gerade erfahrene Ärzte sind hier gefordert, um die Flut der unnötigen Operationen einzudämmen, wie der Chefarzt für Plastische Chirurgie, Dr. med. Ulrich Steinau dem Magazin sagte. Wir haben uns daher als „Senior-Chirurgen“ zusammengetan, um Patienten seriös und objektiv zur Seite zu stehen. In der Tat sind alle Ärzte des Portals seit Jahrzehnten Wissenschaftlich und medizinisch tätig. Viele der Experten sind unterrichtend in medizinischen Fakultäten tätig.
Zweitmeinung ist nicht kostenlos
Schon jetzt können sich Interessierte auf der Internetseite „www.vorsicht-operationen.de“ informieren. Allerdings ist der Service nicht kostenfrei. Je nach Aufwand des Gutachtens werden Summen von pauschal 200, 400 und 600 Euro fällig. Bei aufwendigen Diagnosestellungen können sogar noch höhere Kosten anfallen, wie auf der Internetseite zu lesen ist. Die Kosten müssen die Patienten selbst tragen, da bislang nur eine gesetzliche Krankenkasse, die Deutsche Betriebskrankenkasse, sowie die private Krankenversicherung Debeka angekündigt haben, zumindest ein Interesse zu signalisieren. Ob in Zukunft Krankenkassen und Privatversicherer eine Kostenerstattung starten, kommt darauf an, in welcher Form das Zweitmeinungsportal auf Zustimmung stößt und wie der statistische Nutzen letztendlich ausfällt. Die Kassen dürften jedoch sehr wohl daran interessiert sein, kostenintensive Operationen einzusparen, wenn denn die Alternativvorschläge mehr Nutzen und weniger Kosten verursachen.
Diagnose mittels Arztbericht und MRT-Bild
Um eine Diagnostik durchzuführen, können Betroffene mittels sicherer Dateiübertragung MRT , CT, Röntgenbilder, Auswertung von Berichten der zuvor konsultierten Ärzte (z.B. von einer Operation, von einer Untersuchung, etc.) und Laborbefunde online übertragen. Zusätzlich muss ein umfassendes Onlineformular ausgefüllt werden. Innerhalb von zwei Wochen wollen die Ärzte dann eine Diagnostik erstellen und ihre Position mitteilen, ob ein Eingriff aus ihrer Sicht notwendig ist oder nicht. Bevor man allerdings die Kosten tragen muss, wird zunächst eine Angebot nach Durchsicht der Unterlagen unterbreitet. Erst danach kann sich der Patient entscheiden, ob er für die Zweitmeinung zahlt oder nicht. (sb)
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Bild: Lothar Wandtner / pixelio.de
Autoren- und Quelleninformationen
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