Trotz Mittelmeerkost: Die dicksten Kinder Europas leben in Italien
31.05.2012
Während noch vor kurzem die britischen Kinder den ersten Platz in Puncto Übergewicht belegten, nehmen nun die kleinen Italiener die Spitzenposition in Europa ein. Über 40 Prozent der Zwei-bis Zehnjährigen sind demnach übergewichtig oder sogar fettleibig. Das ergab eine europäische Studie. Die Ursachen sind in einem Schönheitsideal, Schlafmangel und der Angst vor Kriminalität zu suchen.
Statt mediterraner Kost Pizza, Pasta und Eiscreme
Trotz des vielseitigen, gesunden Angebots der mediterranen Küche, zu der beispielsweise, frisches Gemüse und Obst, Fisch und Olivenöl gehören, scheinen sich italienische Kinder lieber von Pizza, Pasta und Eiscreme zu ernähren. Dabei wurde die sogenannte Mittelmeer-Diät 2010 auf Drängen Italiens, Marokkos, Griechenlands und Spaniens sogar von der Unesco als Immaterielles Kulturerbe anerkannt.
Mehr als 40 Prozent der Zwei-bis Zehnjährigen leiden in Italien unter Übergewicht oder Fettleibigkeit. Auch ihre Altersgenossen in Griechenland, auf Zypern und in Spanien kennen das Problem. Ob am Strand von Palermo, in Rom oder am Gardasee – überall sieht man kleine übergewichtige Kinder mit Süßigkeiten in der Hand oder sogar einer Chipstüte im Kinderwagen. „Die Erhebungen der letzten zehn, zwanzig Jahre zeigen, dass wir in Südeuropa höhere Fallzahlen von Fettleibigkeit bei Kindern haben”, berichtet Wolfgang Ahrens, Leiter der Idefics-Studie am Bremer Institut für Epidemiologie und Präventionsforschung. Seit 2006 untersuchen Forscher in Europa im Rahmen des von der EU-geförderten Forschungsrahmenprogramms Erkrankungen von Kindern, die auf deren Lebensstil zurückzuführen sind. Für die größte Langzeitstudie zu ernährungsbedingten Gesundheitsstörungen bei Kindern in der EU wurden 16.225 Kinder untersucht.
In Schweden ist die mediterrane Küche beliebter als am Mittelmeer
„Die Daten, die wir gesammelt haben, deuten darauf hin, dass das Mittelmeer nach Norden wandert”, erklärt Ahrens. So essen schwedische Kinder „mediterraner“ als ihre Altersgenossen am Mittelmeer.
In Italien will nun auch die Regierung auf das bekannte Problem reagieren. Mit der Comic-Figur „Captain KUK“ sollen Kinder zum Essen von Obst und Gemüse animiert werden. Gesundheitsminister Renato Balduzzi will dem Problem auch finanziell begegnen. Zukünftig soll es eine zusätzliche Steuer für gezuckerte Limonaden-Getränke geben. So sollen zum einen Jugendliche vom Kauf der ungesunden Getränke abgehalten werden und zum anderen Geld in die klammen Kassen für Gesundheitsmaßnahmen wandern. Der Minister erklärte, diese zusätzliche Steuer solle „die öffentliche Aufmerksamkeit auf ein Thema lenken, das in den Familien zu wenig gesehen wird. Die Hälfte unserer Kinder konsumiert zu viel kohlensäurehaltige und gezuckerte Getränke.” Kritiker sind jedoch der Meinung, dass Balduzzi das Problem lediglich dafür benutzt, dem Bürger noch tiefer in die Tasche zu greifen.
Moppel-Figur als Schönheitsideal für italienische Kinder
Italienischen Müttern wird häufig nachgesagt, sie seien sehr besorgt um ihren Nachwuchs. Das kann sich in Puncto Ernährung auch negativ auswirken. „Es gab das Schönheitsideal, dass Kinder etwas proper sein sollen. Die Vorstellungen, wie ein gesundes Kind aussieht, gehen noch immer auseinander”, erläutert Ahrens. Hinzu kommt, dass viele Italienerinnen ihre Kinder aufgrund der chaotischen Verkehrslage in manchen Städten sowie hoher Kriminalitätsraten nicht auf der Straße spielen lassen. Statt sich draußen auszutoben sitzen die lieben Kleinen wie fast überall in Europa vor dem Fernseher oder Computer, während sie ganz nebenbei irgendwas essen. „Kinder, die viel fernsehen, ernähren sich anders und greifen eher zu ungesunden Nahrungsmitteln”, berichtet Ahrens. Zum Teil ist auch die mangelnde Konsequenz Schuld an der ungesunden Ernährung der Kinder. Viele Eltern geben ihren Kindern lieber auf die Schnelle einen Schokoriegel als ihnen Obst anzubieten, das vorher noch gewaschen und geschnitten werden muss. Es sei auch ein Problem, dass viele italienische Eltern und Großeltern einfach nicht nein sagen könnten, berichtet eine Mutter. Am konsequentesten werden laut der Studie die Essensregeln in Schweden eingehalten.
Ein weitere Ursache für das Übergewicht vieler italienischer Kinder könnte Schlafmangel sein. Der Nachwuchs geht im Mittelmeerraum wesentlich später zu Bett als beispielsweise in Nordeuropa, was zur Gewichtszunahme führen kann. „Es gibt eine klare Beziehung zwischen Schlafdauer und Übergewicht. Die Stoffwechsellage verändert sich, die Insulinsensibilität nimmt ab, das Risiko für Diabetes steigt.” Laut Experten ist das Risiko für Übergewicht für Grundschulkinder doppelt so hoch, wenn sie weniger als neun Stunden schlafen im Vergleich zu Kindern, die elf Stunden schlafen. Da ist das Ergebnis der Studie keine Überraschung: „Die italienischen Kinder schlafen am kürzesten von allen, die schwedischen am längsten.”
Vielen Eltern fehlt das Bewusstsein für das Übergewicht ihrer Kinder
Da die Zahl der übergewichtigen Kinder insgesamt in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist, führten das Integrierte Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) Adipositas Erkrankungen, das Kinderärztenetzwerk CrescNet sowie die Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Leipzig kürzlich eine gemeinsame Untersuchung zu diesem Thema durch. Das erschreckende Ergebnis: Häufig fehlt den Eltern das Bewusstsein für das Übergewicht der Kinder.
Die Forscher führten eine Befragung bei insgesamt 433 Familien mit 241 übergewichtigen Kindern im Alter zwischen vier und siebzehn Jahren, die an einem Präventionsprogramm gegen Übergewicht teilnahmen, und 192 Kindern, die nicht in einem entsprechenden Programm untergebracht waren, durch. Dabei stellte sich heraus, dass die Mütter und Väter, deren Kinder „nur“ übergewichtig waren, wesentlich häufiger eine Teilnahme an dem Präventionsprogramm ablehnten, als Eltern deren Kinder bereits adipös waren, wie es in der Mitteilung des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) Adipositas Erkrankungen hieß. Offenbar wird Übergewicht bei Kinder häufig nicht als ernstzunehmendes Problem eingestuft. (ag)
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