Mit Gentests die Zukunft vorhersagen?
20.05.2013
Gesund lebende Menschen erkranken manchmal schwer. Andere, die sich nicht um ihre Gesundheit kümmern, leben beinahe beschwerdefrei. Eine Erklärung dafür ist zum Teil in unserem Erbgut zu finden. Welchen Sinn machen Gentests deshalb?
Angelina Jolie löst neues Interesse aus
Bei der Schauspielerin Angelina Jolie wurde durch einen Gentest das Brustkrebs-Risikogen BRCA-1 entdeckt. Molekular-Genetiker extrahierten dafür die DNA aus ihren Zellen und „lasen“ die dort gespeicherten Erbgut-Informationen. Wegen dem so festgestellten erhöhten Risiko an Eierstock- oder Brustkrebs zu erkranken, lies sich Jolie beide Brüste amputieren und löste mit dieser Bekanntmachung eine Welle des weltweiten Interesses an Gendiagnostik aus. Prophylaktische Brustamputationen gelten als fragwürdig und seien nur bei sehr wenigen Frauen sinnvoll, so die American Cancer Society (ACS).
Nur ein Dutzend genbedingte Krankheiten mit Gentherapie behandelbar
Die angeborenen Eigenschaften trägt jeder Mensch auf zwei mal 23, also 46 Chromosomen, welche sich in den Kernen der Körperzellen befinden, mit sich. Rund 25.000 Gene sitzen hier und wenn es in diesem Bauplan einen Fehler gibt, können Krankheiten entstehen. Dabei können bestimmte Gendefekte zu ganz bestimmten Leiden führen und auch vererbt werden. Wissenschaftler versuchen solche Fehler im Genom besser lesen und richtig interpretieren zu können, um mit diesem Wissen eine Heilung zu ermöglichen. Jörg Epplen, Lehrstuhlleiter der Humangenetik der Ruhr-Universität Bochum, sieht die Wissenschaft aber noch lange nicht so weit. 7.000 Krankheiten, die ganz oder teilweise von bestimmten Genen ausgelöst werden, sind in der Forschung zwar bekannt, aber nur bei etwa der Hälfte gelingt es, sie durch einen Gentest aufzuspüren. So zum Beispiel bei Brustkrebs oder der Huntington-Krankheit.
All dieses Wissen hilft der Forschung aber nicht wirklich viel weiter, „Denn – auch wenn wir das Problem in den Genen kennen – heilen können wir es deshalb noch lange nicht”, so Epplen. Nur ein Dutzend genbedingte Krankheiten seien heute tatsächlich mit einer Gentherapie behandelbar, wie zum Beispiel sehr seltene Defekte des Immunsystems. Erschwerend kommt hinzu, dass ein Gentest nicht alle Zusammenhänge aufdeckt, sondern jeweils nur einen kleinen Ausschnitt der Gene eine Zelle.
Gesunder Lebenswandel auch bei besten genetischen Voraussetzungen
Falsch wäre es, sich auf seine „guten Gene“ zu verlassen, denn der Lebensstil spielt immer eine Rolle, oft sogar eine wichtigere als der ererbte Faktor. So kann man mit einem Gentest auch nur Aufschluss darüber bekommen, wie wahrscheinlich das Risiko des Ausbruchs einer bestimmten Krankheit ist, aber eben nur rein statistisch. Der Mediziner meint dazu: „Denn selbst mit den besten genetischen Voraussetzungen könnte ein ungesunder Lebenswandel beispielsweise zu einem Herzinfarkt führen.” Die gesundheitliche Zukunft eines Menschen ist mittels Gendiagnostik also nicht automatisch vorherzusehen.
Lebensrettendes Wissen durch Gentests
Ob man überhaupt wissen soll, ob man statistisch gefährdeter ist, eine bestimmte Krankheit zu bekommen, muss jeder für sich selbst entscheiden. Epplen meint: „Tatsächlich kann das Wissen darüber manchmal sinnvoll sein.” Zum Beispiel ist bekannt, dass das mutierte Gen, das Angelina Jolie trägt, bei Frauen Brust- und Eierstockkrebs und bei Männern Prostatakrebs auslösen kann. Wissen die Betroffenen über die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung, können sie sich für eine engmaschige Vorsorge entscheiden, um ein Ausbrechen der Krankheit sofort zu erkennen und dadurch eventuell lebensrettend behandeln zu lassen. Allerdings warnt Epplen auch: „Klar sein sollte man sich allerdings darüber, dass solche Tests nicht nur Klarheit bringen. Sie können auch stark psychisch belasten.”
Umstrittene Präimplentationsdiagnostik
Ein anderes Beispiel ist die genetisch bedingte Huntington-Krankheit, die nicht heilbar ist und zu etwa 50 Prozent an die Kinder weitergegeben wird. Eine solche Vererbung wäre bei angewandter Präimplantationsdiagnostik (PID) vermeidbar. So wird bei der PID nach einer künstlichen Befruchtung im Reagenzglas eine Zelle mit Geninformationen des möglichen Fötus entnommen und bei Vorliegen des betreffenden Gens besteht für die Eltern die Möglichkeit, sich gegen das Baby zu entscheiden. Die PID ist in Deutschland ausschließlich zur Vermeidung von schweren Erbkrankheiten sowie von Tot- oder Fehlgeburten zulässig. Nur in speziell zertifizierten Zentren darf eine PID durchgeführt werden. In der Schweiz und in Österreich ist sie verboten. Der Deutsche Ethikrat warnten in einer Pressemitteilung, dass Betroffene oft „belastende Informationen ohne Eingriffsmöglichkeiten“ erhielten.
Recht auf Nichtwissen
Manche Eltern lassen ihr Ungeborenes jedoch auch im Mutterleib auf Gendefekte testen, unter andere, auf Trisomie 21, das sogenannte Down-Syndrom. Früher wurden solche Tests über invasive Maßnahmen wie Fruchtwasser- oder Mutterkuchen-Untersuchungen vorgenommen. Mittlerweile ist aber aus dem Blut der Schwangeren ab der zehnten Schwangerschaftswoche ziemlich sicher vorhersagbar, ob die Möglichkeit von Trisomie 21 besteht. Epplen fügt an: „Bei der sogenannten genetischen Beratung weisen wir auch immer auf das Recht hin, nicht zu erfahren, wie die eigenen genetischen Veranlagungen sind” und von diesem Recht machten auch viele Menschen Gebrauch.
Teure und aufwendige Forschung dauert noch Jahrzehnte
Für die Wissenschaft liegt die Herausforderung der Zukunft darin, genetische Zusammenhänge bei den Volkskrankheiten wie Alzheimer oder Darmkrebs, bei Blutzucker, Bluthochdruck, bei Herzinfarkten oder auch der Parkinson-Krankheit zu ermitteln. Um dieser Herausforderung zu begegnen, ist aufwendige und teure Forschung nötig. Der Experte meinte auch: „Das Schwierige ist, dass wir nicht wissen, welche Kombination von Genveränderungen wie krank machen – und welche vollkommen harmlos sind.” Und weiter: „Wir werden noch Jahrzehnte brauchen, bis wir hier die genetischen Zusammenhänge ganz genau verstehen.”
Ein bisschen Optimismus
Ein Hindernis, die Gene vollständig zu verstehen und richtig zu interpretieren, liege auch darin, dass nicht alle Gene ererbt sind. Einige Stellen seien vielmehr sogenannte Neumutationen, die erstmals bei der untersuchten Person auftreten. Die Programme zur Vorhersage der Krankheitsbedeutung mancher Gen-Variationen seien darüber hinaus derzeit sogar widersprüchlich und somit völlig unzureichend. Nötig ist also ein großer Fortschritt bei den Interpretationsmöglichkeiten. Daher müssten neue Verfahren entwickelt werden und so seien in den nächsten drei bis fünf Jahren nur auf wenigen Teilgebieten signifikante Fortschritte zu erwarten. Der Wissenschaftler Epplen versprüht aber dennoch ein bisschen Optimismus: „In zehn Jahren werden wir zwar noch nicht alle genetischen Kombinationen kennen, die gefährlich sind – bestimmt aber all jene Gene, die ganz allein für eine bestimmte Krankheit verantwortlich sind.” (sb)
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Autoren- und Quelleninformationen
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