Erforschung von genetisch bedingten Krankheiten: Vermeintliche "Junk-DNA" mit großem Nutzen
06.09.2012
Forschern gelang ein großer Schritt auf dem Weg zur Entschlüsselung der menschlichen DNA. Im Rahmen des „Encode“-Projekts entdeckten sie einen gewaltigen Steuerungsapparat. Sinnlose „Müll-DNA“, die sich im Laufe der Evolution angesammelt hat, gibt es demnach kaum. Die Ergebnisse der Wissenschaftler liefern einen wichtigen Beitrag zur Erforschung von Genkrankheiten.
DNA besteht nicht nur aus Genen und „Müll-DNA“
Im September 2003 initiierte das US-amerikanischen National Human Genome Research Institute (NHGRI) das Forschungsprojekt „Encode“ (ENCyclopedia Of DNA Elements) mit dem Ziel, alle funktionellen Elemente des menschlichen Erbguts sowie das Transkriptom zu identifizieren und zu charakterisieren. Damit trat das Mammutprojekt die Nachfolge des Humangenomprojekts an, in dem die Reihenfolge der Erbgutbausteine des Menschen abschließend bestimmt worden war.
Nun gelang den Forschern ein weiterer wichtiger Schritt auf diesem Weg. „Encode“ kommt zu dem Ergebnis, dass mindestens 80 Prozent der menschlichen Desoxyribonukleinsäure (DNA) eine Funktion besitzt oder die Aufgabe eines gewaltigen Steuerapparates besitzt. „Es steckt noch viel mehr im Erbgut als Gene", bestätigt auch Mark Gerstein, Bioinformatiker an der Yale Universität gegenüber dem Wissenschaftsmagazin „Science“.
Die sogenannte „Müll-DNA“, nutzlose Abschnitte der DNA, die sich im Laufe der Evolution angesammelt haben, gibt es laut Forschern kaum. Insgesamt sind mehr als 440 Wissenschaftler aus über 30 Einrichtungen an „Encode“ beteiligt. In Wissenschaftsmagazinen wie „Science“ und „Genome Research“ sind zahlreiche Beiträge zu den Ergebnissen des Mammutprojekts veröffentlicht.
Entschlüsselung der DNA erweitert Wissen über Genkrankheiten
Im Rahmen von „Encode“ gewinnen die Forscher auch neue Erkenntnisse über genetisch bedingte Erkrankungen. So seien Studien zu Krankheiten möglich gewesen, die anders sehr schwer durchführbar wären, erklärte Ewan Birney, Bioinformatiker am European Bioinformatics Institute ( EMBL-EBI), der die „Encode“-Analyse leitete. Es seien mehr als 1.640 Datensätze zu 147 Zelltypen in die Datenbank aufgenommen worden, schreibt das „Encode“-Konsortium in „Science“.
Die vermeintliche „Müll-DNA“ wurde bei der Analyse als gewaltiger Steuerungsapparat identifiziert, der keineswegs funktionslos ist. „In unserem Genom wimmelt es nur so von Schaltern: Millionen von Stellen, die dafür verantwortlich sind, ob ein Gen an- oder abgeschaltet wird“, erklärt Birney in einer Mitteilung des EMBL-EBI. Demnach können "nicht nur Veränderungen in den Genen sondern auch in diesen bislang vernachlässigten Bereichen Krankheiten auslösen".
John Stamatoyannopoulos von der University of Washington in Seattle deckte mit seinem Team derartige Zusammenhänge für Morbus Crohn, Multiple Sklerose und Herzleiden auf. Abweichungen in den regulatorischen Bereichen abseits der eigentliche Gene seien bei diesen und anderen Erkrankungen maßgeblich involviert. „In neun von zehn Fällen finden sich genetische Variationen, die mit Krankheiten zusammenhängen, nicht in den Genen", berichtet auch der „Encode“-Forscher Mike Pazin.
Inwieweit die Ergebnisse des „Encode“-Projekts tatsächlich klinische Relevanz haben, wird sich zukünftig zeigen. So ist beispielsweise die Steuerung der Gene in vielen Zelltypen noch weitgehend unbekannt, obwohl es gravierende Unterschiede gibt. Zudem basieren die meisten Analysen auf Zellen, die im Labor gezüchtet wurden. Häufig kommt es dabei jedoch aufgrund der künstlichen Umgebung zu Anomalien und Abweichungen. (ag)
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