Verschreibung von ADHS-Medikamenten an Kinder nimmt trotz gegenteiliger Meldungen weiterhin zu
09.05.2011
Während die Barmer GEK noch Ende April eine Trendwende bei der Verschreibung von Medikamenten zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) verkündete, stellte die Techniker Krankenkasse (TK) heute in Hamburg einen Bericht vor, der die Zunahme der Verschreibungen im Bereich der ADHS-Medikamente thematisiert.
Laut Techniker Krankenkasse nehmen immer mehr Kinder und Jugendliche in Deutschland Medikamente zur Behandlung von ADHS. So wurde im Jahr 2009 rund 27 von 1.000 bei der Techniker Krankenkasse versicherten Heranwachsenden im Alter zwischen sechs und achtzehn Jahren das Arzneimittel Ritalin (Methylphenidat) verschrieben. Den Angaben der TK zufolge entspricht dies einer Steigerung von 32 Prozent gegenüber dem Jahr 2006. Die Ende April von der Barmer GEK festgestellte Trendwende bei der Verschreibung von Ritalin & Co im Jahr 2009, hat die Techniker Krankenkasse mit ihrem Bericht nicht bestätigt.
Geänderte Arzneimittelrichtlinien zur Verschreibung von ADHS-Medikamenten
Angesichts der massive Zunahme bei der Verschreibung von ADHS-Medikamenten hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (gemeinsame Selbstverwaltung aus Ärzten und Krankenkassen, G-BA) bereits im Dezember vergangenen Jahres eine Änderung der Arzneimittelrichtlinien beschlossen. Ärzte dürfen Medikamente wie Ritalin seither nur noch verschreiben, wenn vorher andere Therapiemaßnahmen eingesetzt wurden und erfolglos blieben. Denn längst nicht jedes besonders aktive Kind leidet unter ADHS und eine medikamentöse Behandlung kann nach entsprechender Diagnose unter Umständen durch therapeutische Maßnahmen vermieden werden. Generell warnte die TK in ihrem Bericht vor dem vorschnellen Einsatz der ADHS-Medikamente, da „die Langzeitfolgen von Ritalin und Co. noch nicht erforscht und die Nebenwirkungen sehr umstritten“ sind. Den Experten der TK zufolge sind Angstzustände oder Appetitlosigkeit ebenso mögliche Folgen des enthaltenen Wirkstoffs Methylphenidat wie Auswirkungen auf das Wachstum der Kinder.
Fast zwei Tonnen ADHS-Wirkstoff ausgeliefert
Die besorgniserregenden Zahlen der Techniker Krankenkasse werden durch die Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte bestätigt. Das Bundesinstitut verzeichnete bei den an Apotheken ausgelieferten Menge des Wirkstoffs Methylphenidat zwischen 2006 und 2009 einen Anstieg um 42 Prozent auf insgesamt 1.735 Kilogramm. Im Ausgangsjahr 2006 habe der Wert noch bei 1.221 Kilogramm gelegen, zitierte die Techniker Krankenkasse die Zahlen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Bei den eigenen Versicherten sei die durchschnittlich verschriebene Menge Methylphenidat pro jungem Patient von 195 im Jahr 2006 auf 213 im Jahr 2009 gestiegen, berichtete die TK. Immer noch werden besonders aktive Jugendliche viel zu häufig mit Ritalin und Co. ruhig gestellt, so das Ergebnis der aktuellen Studie. Vor der Verschreibung sollte daher „ein speziell ausgebildeter Arzt (…) mit Eltern, Lehrern und anderen Betreuungspersonen klären, ob die Symptome der kleinen Patienten nicht doch andere Ursachen haben“ können, betonte die Apothekerin der Techniker Krankenkasse, Edda Würdemann. So ließen sich die voreiligen Verschreibungen von Methylphenidat und die drohende Nebenwirkungen häufig gänzlich verhindern, erklärte die Expertin.
ADHS-Patienten benötigen angemessene Behandlung
Allerdings bleiben die Präparate mit Methylphenidat laut Aussage von Edda Würdemann bei sehr verhaltensauffälligen Kindern nach wie vor „das Mittel der Wahl“. Denn „nur so können die Symptome schnell gelindert werden, so dass eine begleitende Verhaltens- oder Psychotherapie überhaupt erst möglich gemacht wird“, erklärte die Apothekerin der TK. Dabei ist der Expertin zufolge jedoch zu bedenken, dass Ritalin eine ganzheitliche Therapie niemals ersetzen kann und dass „die betroffenen Kinder lernen (müssen), langfristig mit ihren Symptomen umzugehen – auch ohne Medikamente.“ Die massive Zunahme bei der Verschreibung der ADHS-Medikamente weise hier eindeutig auf Missstände in der Behandlung der Patienten hin. Die drei bis zehn Prozent der Kinder in Deutschland, die Expertenschätzungen zufolge unter den typischen ADHS-Symptomen wie Aufmerksamkeitsproblemen, Impulsivität und Hyperaktivität leiden, haben ein Anrecht auf eine angemessene Behandlung und sollten nicht einfach mit Medikamenten ruhig gestellte werden – zumal das Risiko der Nebenwirkungen laut Aussage der Techniker Krankenkasse noch nicht abschließend geklärt ist. In der Fachwelt werden als mögliche Nebenwirkungen von Methylphenidat unter anderem Symptome wie Kopf- und Bauchschmerzen, innere Erregung, leichte Puls- und Blutdruckerhöhung oder Gewichtsverlust diskutiert. Auch Übelkeit, kognitive Beeinträchtigungen, depressiver Verstimmung sowie die Auslösung und Verstärkung bestehender Tic´s (nicht steuerbare, wiederkehrende motorische Kontraktion einzelner Muskeln oder Muskelgruppen) werden als mögliche Folgen der Methylphenidat-Einnahme genannt. (fp)
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Bild: Gerd Altmann, Pixelio.de
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