Kaiserschnitt oder natürliche Geburt – häufig eine Lifestyle-Entscheidung?
06.09.2012
Rund ein Drittel der Kinder in Deutschland kommen heute per Kaiserschnitt auf die Welt. Mediziner und Krankenkassen zeigen sich alarmiert, da sich der Anteil der Kaiserschnitt-Geburten seit dem Jahr 1995 fast verdoppelt hat. Oft seien nicht medizinische Notwendigkeiten Grund für den Kaiserschnitt, so der Vorwurf der Kritiker.
Viele Kaiserschnitte auf Wunsch der Eltern
Der Name medizinische Begriff für Kaiserschnitt „Sectio caesarea“ leitet sich vom römischen Imperator Julius Caesar ab. Dieser soll laut dem Schriftsteller Plinius durch einen Kaischnitt zur Welt gekommen sein.
Medizinische Faktoren, die für eine Entbindung per Kaiserschnitt sprechen, können zum Beispiel ein besonders großer Kopfumfang des Kindes, Quer- oder Beckenendlage, ein deutlich erhöhtes Geburtsgewicht sowie akute Notfallsituationen durch Probleme bei der Sauerstoffversorgung des Kindes sein. Das erhöhte Risiko gesundheitlicher Schäden bei Mutter und/oder Kind rechtfertigt in solchen Fällen die sogenannte Sectio caesarea. Viele der Kaiserschnittentbindungen gehen jedoch ausschließlich auf den Wunsch der Mutter beziehungsweise Eltern zurück. Eine durchaus kritisch zu bewertende Entwicklung, da der Kaiserschnitt sowohl für die Mütter als auch für die Kinder Risiken mit sich bringt.
Primäre und Sekundäre Kaiserschnitte
Obwohl die Anzahl der Kaiserschnitte als Wunschgeburt in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen ist, bevorzugen auch heute noch die meisten Mütter eine natürliche Entbindung. Nicht selten sprechen jedoch medizinische Gründe gegen eine Normalentbindung, berichtet die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) auf dem Internetportal . Dabei ist zwischen Gründen für einen primären und einen sekundären Kaiserschnitt zu unterscheiden. Generell wird laut BZgA aus medizinischer Sicht differenziert zwischen zwei Arten von Kriterien: Bereits vor der Geburt feststehende Gründe, die zeigen, dass eine Entbindung auf natürlichem Weg unmöglich oder zu gefährlich wäre, und während der Geburt auftretende Komplikationen.
Für primär Kaiserschnitte, welche vor dem Einsetzen der Wehen durchgeführt werden, sprechen aus medizinischer Sicht zum Beispiel schwere Erkrankungen der Mutter, Krankheiten des ungeborenen Kindes, vorausgegangene Gebärmutteroperationen oder auch ein im Verhältnis zum Becken der Mutter sehr großes Kind. Sekundäre Kaiserschnitte werden durchgeführt, wenn die normale Geburt nicht zu Ende gebracht werden kann, weil der Kopf des Kindes nicht durch das mütterliche Becken passt, der Mutterkuchen sich vorzeitig ablöst oder dem Kind ein Sauerstoffmangel droht. Auch bei zu langen und damit für Mutter und Kind zu erschöpfenden Geburten kommt eine sogenannte sekundäre Sectio in Betracht. Wie Markus Valter, Leitender Oberarzt der Geburtshilfe in der Frauenklinik am Uniklinikum Köln, gegenüber „Welt Online“ erläuterte, gibt es in der Regel sehr gute Gründe für einen Kaiserschnitt. Beispielweise könne „eine zierliche Frau von 1,45 Meter schlecht ein 4,2-Kilo-Kind vaginal zur Welt bringen.“ Auch müsse es oftmals einfach schnell gehen, zum Beispiel wenn plötzlich die Herztöne des Kindes nachlassen „oder wenn die Patientin eine Schwangerschaftsvergiftung, eine sogenannte Gestose mit besonders schwerem Verlauf entwickelt“, so der Experte weiter. Denn dann bestehe akute Lebensgefahr und es könne sogar jede Minute zählen, betonte Valter.
32 Prozent der Kinder werden per Kaiserschnitt geboren
Den Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zufolge kommen 32 Prozent der Kinder in Deutschland per Kaiserschnitt zur Welt. Tatsächlich sei der Kaiserschnitt nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aber nur bei etwa jeder achten Geburt sinnvoll. Weltweit seien die Kaiserschnittzahlen in den letzten Jahren stark gestiegen, wobei nicht nur medizinische Faktoren sondern auch kulturell geprägte Vorstellungen über die Geburt eine Rolle gespielen, erläutert die BZgA. Der Vergleich zwischen den verschiedenen europäischen Staaten macht deutlich, dass in Ländern wie Deutschland (32 Prozent Kaiserschnittgeburten) oder Italien (knapp 38 Prozent Kaiserschnittgeburten) nicht nur medizinische Gründe ausschlaggebend für die Kaiserschnitte seien können. Denn in den Niederlanden liegt der Anteil der Kaiserschnittgeburten bei lediglich 16 Prozent, obwohl hier die Kinder und Mütter nicht wesentlich gesünder sind als in Deutschland oder Italien.
Hierzulande hat sich laut Angaben des Statistischen Bundesamtes seit 1995 nicht nur die absolute Anzahl der Kaiserschnittgeburten um rund 80.000 erhöht, sondern auch ihr Anteil an den Gesamtgeburten ist von 18 Prozent auf knapp 32 Prozent gestiegen. Eine Entwicklung, die bei den Krankenkassen auch aufgrund der hiermit verbundenen Kosten, erhebliche Bedenken hervorruft.„Wir teilen die Sorge, dass statt des Wohles von Mutter und Kind als alleinigem Entscheidungskriterium andere Beweggründe für einen Kaiserschnitt wichtiger werden“, betonte Rolf-Ulrich Schlenker von der gesetzlichen Krankenversicherung Barmer GEK. Die Kritiker sehen in den zunehmenden Entscheidungen für einen Kaiserschnitt eine bequeme „Lifestyle“-Entwicklung. Die Frauen fürchten die Belastungen der Geburt oder hätten schlichtweg einen bestimmten Geburtstermin als Wunschdatum im Kopf.
Viele Frauen entscheiden sich aus Angst für einen Kaiserschnitt
Auch die Angst vor den Schmerzen während der Geburt beeinflusst viele Frauen bei ihrer Entscheidung. Frauenarzt Valter nimmt sich für diese Patientinnen besonders viel Zeit, um ihnen die Angst zu nehmen und die Vorteile einer natürlichen Geburt zu erläutern: „Bei einer vaginalen Geburt werden die Kinder durch das Pressen viel besser auf das eigenständige Atmen vorbereitet. Ein Kaiserschnittkind atmet häufig schlechter und hat ein höheres Risiko, deshalb auf der Intensivstation zu landen.“
Edith Wolber vom Deutschen Hebammenverband sieht die Unsicherheit vieler Frauen als Ursache für die steigende Zahl der Kaiserschnittgeburten: „Heute wissen viele Frauen nicht mehr viel von der Geburt. Durch eine intensive Betreuung während der Schwangerschaft können ihnen ihre Ängste genommen werden.“ Das bestätigt auch eine Studie der WHO. Bei Frauen, die eine intensive Betreuung von einer Hebamme erhalten, kommt es demnach viel seltener bei der Geburt zu Eingriffen. „Zudem wissen die meisten nicht, dass die Schmerzen bei der Sectio dann nach der Geburt kommen“, erklärt Wolber.
Der Arbeitskreis Frauengesundheit, eine Initiative, die von Medizinerinnen, Wissenschaftlerinnen und Gesundheitspolitikerinnen unterstützt wird, hat bereits im Juni einen Aufruf gestartet, Kaiserschnitte nur bei medizinischer Notwendigkeit durchführen zu lassen. Klinken verdienten mit Schnittgeburten mehr als bei normalen Geburten, berichtet der Arbeitskreis. Eine fehlende durchgängige Betreuung durch Hebammen und Zeitdruck würden zu vorschnellen Entscheidungen verleiten. Auch die haftungsrechtliche Situation spreche für einen Kaiserschnitt: Denn mit einem Kaiserschnitt seien die Geburtshelfer „immer auf der sicheren Seite“.
Markus Vater befürwortet die natürliche Geburt, jedoch räumt er ein, dass die Folgen einer massiven Komplikation bei vaginalen Geburten für Mutter und vor allem für das Kind schwerwiegend sein können. „Beim Kaiserschnitt ist das dagegen sehr selten." (fp, ag)
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