04.08.2012
Ein Platz in einer staatlich finanzierten Kita sollte nach Auffassung des Berufsverbands für Kinder und Jugendärzte (BVKJ) in Zukunft an den Nachweis bestimmter Schutzimpfungen gekoppelt sein. Das berichtet zumindest die Deutsche Presse Agentur (dpa). „Die Kinder sollten gegen Krankheiten, die von Mensch zu Mensch übertragbar sind, geimpft sein. Nur so ist zu verhindern, dass sich beispielsweise Masern immer wieder gehäuft ausbreiten“, sagte Ulrich Fegeler, Sprecher des BVKJ, auf einem Gesundheitsforum in Berlin. Auch die hochansteckenden Windpocken (Varizellen) zählten dazu.
BVKJ-Präsident Hartmann: „Die Politik ist aufgefordert, Kinder zu schützen“ Auf Nachfrage des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) bestätigte der Präsident des BVKJ, Wolfram Hartmann: „Es ist Verbandsmeinung des BVKJ, dass die Vergabe von Kita-Plätzen an den Impfschutz der Kinder gekoppelt sein soll“, das gelte für die Impfungen gegen alle Krankheiten, die von Mensch zu Mensch übertragbar seien und in Deutschland eine Rolle spielten. Dazu gehörten beispielsweise Diphtherie, Kinderlähmung, Masern, Mumps, Röteln und Windpocken, so Hartmann. „Es werden immer mehr Kinder in Kindergärten aufgenommen, die jünger als ein Jahr alt sind. Diese können gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken noch nicht geimpft werden“, erklärt Hartmann, „das betrifft alle Kinder, die jünger sind als elf Monate – denn für diese sind die Impfstoffe nicht zugelassen“. Deutschland habe noch nicht die optimalen „Durchimpfungsraten“ erreicht. Es seien Durchimpfungsraten von 95 Prozent nötig, „um die sogenannte Herdenimmunität zu erreichen und die Krankheiten auszurotten“, so Hartmann.
Zur Frage, ob die Verantwortung für Impfungen nicht bei den Eltern liege, die dies zum Wohle ihres Kindes zu entscheiden hätten, sagt Hartmann: „Wenn Eltern dementsprechend ihre Kinder impfen würden, bräuchten wir nichts zu fordern“, die Politik müsse eingreifen, „wir reden hier von potenziell tödlich verlaufenden Erkrankungen.“
Impfzwang durch die Hintertür?
Der Münchner Kinder- und Jugendarzt Steffen Rabe vom Verein der „Ärzte für individuelle Impfentscheidungen“ sieht das anders: „Das wäre die Einführung einer Impfpflicht durch die Hintertür und würde spätestens vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern“, ist Rabe überzeugt. Es sei das Erzwingen einer medizinischen Maßnahme in einer „Nicht-Notsituation“, und das gebe auch das Infektionsschutzgesetz gar nicht her, so Rabe weiter. Das Gesetz habe durchaus ein Instrumentarium an Zwangsimpfungen, wenn man es im Detail lese, so Rabe, diese beschränkten sich aber ausschließlich auf konkrete epidemiologische Bedrohungen. „Wir haben aber für keine der Erkrankungen, gegen die wir in Deutschland impfen, irgendeine Form der Notsituation“, erklärt Rabe.
Die Entscheidung, ob und gegen was ein Kind geimpft wird, sollten laut Rabe allein die Eltern treffen, auch deshalb, weil jede der in Deutschland empfohlenen Impfungen im Einzelfall – wie viele andere Medikamente auch – schwere Nebenwirkungen auslösen könne. Ihre Kinder diesem Risiko im Namen von Durchimpfungsraten und Herdenimmunität auszusetzen, so Rabe weiter, könne nur die individuelle Entscheidung jedes Elternpaares sein. „Viele der aktuell empfohlenen Impfungen der Ständigen Impfkommission sind ja auch unter Fachleuten hochgradig umstritten“, legt Rabe nach, „Es besteht auch in der Ärzteschaft kein einheitlicher wissenschaftlicher Konsens darüber, dass Impfungen wie die gegen Windpocken oder Pneumokokken durchgeführt werden sollten. Auch vor dem Hintergrund und in Zeiten begrenzter finanzieller Ressourcen.“
BVKJ-Präsident Hartmann sieht die Situation anders. „Ich meine, dass man hier verfassungsrechtliche Bedenken ausräumen müsste“, so Hartmann. Es habe bereits vor 1965 die Verpflichtung zur Pockenimpfung in Deutschland gegeben. Und das sei auf der Grundlage des gleichen Grundgesetzes geschehen. „Das war ein Impfzwang, durch den die Pocken letztendlich ausgerottet wurden. Warum man hier also verfassungsrechtliche Bedenken anführt, ist mir nicht klar“, erklärt der BVKJ-Präsident.
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) erklärte hingegen: „Es gibt keinen politischen Willen, Schutzimpfungen zur Voraussetzung für den Anspruch auf Betreuung zu machen“. Die Rechtslage zum Thema ist in Deutschland aufgrund der föderalistischen Struktur komplex. Der Anspruch auf einen Kitaplatz ist in Deutschland bundesgesetzlich geregelt. Die Ausgestaltung der Voraussetzungen für die Aufnahme in eine Tageseinrichtung ist dagegen Gegenstand der Landesgesetzgebung. Darüber hinaus haben Kitas in freier Trägerschaft wiederum eine sogenannte „Trägerautonomie“, die ihnen eine Vertragsfreiheit zusichert. Diese Vertragsfreiheit schließt mit ein, Impfungen der jeweils aufgenommen Kinder zu verlangen – oder eben nicht zu verlangen. „Die aktuell bestehenden Instrumente insbesondere des Infektionsschutzgesetzes reichen grundsätzlich aus, um das Ziel eines ausreichenden Impfschutzes der Bevölkerung zu erreichen“, teilte Roland Jopp vom BMG auf Anfrage des DZVhÄ mit, „alle Impfungen sind in Deutschland freiwillig. Allein die Eltern entscheiden, ob ihr Kind geimpft wird“, so Jopp. Es gebe laut BMG keinen politischen Willen, im Sozialgesetzbuch VIII Schutzimpfungen zur Voraussetzung für den Anspruch auf Betreuung zu machen. Eine verfassungsrechtliche Prüfung sei deswegen bislang nicht erfolgt. Der DZVhÄ setzt sich in einer Impf-Stellungnahme für eine individuelle Impfentscheidung ein, die Eltern nach einem ergebnisoffenen Beratungsgespräch mit einem Kinder- und Jugendarzt treffen. (pm)
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