Masern-Impfpflicht: Pro und Contra, Grüne versus Ärzte
08.07.2013
Seit Beginn des Jahres erhöhte sich die Zahl von Masernerkrankungen in Deutschland. Bundesgesundheitsminister Bahr hatte daraufhin eine mögliche Impfpflicht ins Gespräch gebracht und in der Bild-Zeitung geäußert: „Es ist verantwortungslos, wenn Eltern ihre Kinder nicht impfen lassen.” Ein im Deutschen Ärzteblatt gegenübergestelltes Pro und Contra zu einer Masern-Impfpflicht:
Pro Impfpflicht
Für eine Impfpflicht spricht sich der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Wolfram Hartmann, gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt aus.
Gesetzliche Grundlage
Wolfram Hartmann zieht einen Vergleich zur Pockenimpfpflicht heran, die es in Deutschland bis 1976 gab. Dank der Impfung seien die Pocken mittlerweile weltweit ausgerottet. Das Infektionsschutzgesetz sehe auch jetzt in § 20, Abs. 6 eine mögliche Pflichtimpfung vor. Dort heißt es, dass das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt ist, „durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist“. Es heißt weiter, dass das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit „insoweit eingeschränkt werden“ kann.
Weltweite Ausrottung der Masern
Bei Masern kann es oft erst Jahre nach einer Erkrankung zu teilweise schwerwiegenden Folgen kommen. Eine wirksame Behandlung der Virusinfektion sei nicht möglich. Weltweit gelte die Prophylaxe mittels einer gut verträglichen Lebendimpfung als wissenschaftlicher Standard. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) strebt die weltweite Ausrottung der Masern an und um die zu erreichen, sei eine Durchimpfungsrate von wenigstens 95 Prozent der Bevölkerung anzustreben, um dadurch einen sogenannten Herdenschutz zu erreichen.
Staatliche Fürsorgepflicht
Hartmann meinte: „Alle Appelle an die Eltern, ihre Kinder vor dieser Erkrankung mit immer wieder fatalen Folgen durch eine rechtzeitige und komplette Impfung zu schützen, waren bisher nicht hinreichend erfolgreich.“ Und daher fordert der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) den „Nachweis einer vollständigen Impfung vor Aufnahme eines Kindes in eine staatlich finanzierte Betreuungseinrichtung, damit auch solche Kinder vor einer Infektion geschützt werden, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können.“ Wenn Eltern nicht alles tun würden, um ihre Kinder vor gefährlichen Erkrankungen zu schützen, gebe es eine staatliche Fürsorgepflicht (Artikel 24 UN-Kinderrechtskonvention). Dass dies eine erfolgreiche Methode sei, hätten andere Länder gezeigt. So gelte der amerikanische Doppelkontinent als beinahe frei von Masern.
Contra Impfpflicht
Gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt sprach sich Birgitt Bender, Gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, gegen eine Impfpflicht aus.
Selbstbestimmungsrecht hat Vorrang
Die Politikerin vertritt die Meinung, dass es aus guten Gründen keine Impfpflicht in Deutschland gibt, selbst nicht bei Infektionskrankheiten mit teils schwerwiegenden Verläufen. Laut Bender habe das Selbstbestimmungsrecht Vorrang, denn eine Impfung sei stets und zuallererst eine persönliche Nutzen-Risiken-Abwägung. Hierzulande wird das Selbstbestimmungsrecht vor allem durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz geschützt. Darin wird jedem Menschen das Recht auf „freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“ garantiert, „soweit er die Rechte anderer nicht verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“ Für den aktuellen Fall käme eine Impfpflicht außerdem zu spät.
Impfquoten enorm gestiegen
Die Grünen-Sprecherin erklärte: „Die Impfquoten (zweimalige Impfung) sind bei den einzuschulenden Kindern zwischen 2000 und 2010 von 19 auf immerhin 92 Prozent gestiegen. Eine sachliche Aufklärung über die individuellen und epidemiologischen Vorteile einer Impfung (ohne Vernachlässigung der möglichen Nebenwirkungen) wird also zu einer weiter steigenden Impfbereitschaft führen – das sollte einer gewissen politischen Gelassenheit das Wort reden.“ Dazu könne beitragen,wenn eine Impfberatung beim Hausarzt oder der Hausärztin des Vertrauens ergebnisoffen geführt würde. Sie verweist auch auf die Schwächung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, die vor allem Kinder treffe, die auch vom Bildungswesen schlechter erreicht würden.
Hysterie und Hilflosigkeit
Forderungen nach einer Impfpflicht oder gar ein Ausschluss von ungeimpften Kindern aus Schule oder Kindergarten würden Misstrauen und eine sinkende Impfbereitschaft bewirken. Frau Bender kritisierte außerdem: „Und wenn auch noch ein liberaler Bundesgesundheitsminister solche Maßnahmen ins Spiel bringt, dann ist das ein bemerkenswerter Ausdruck von Hysterie und Hilflosigkeit.“ Die Impfentscheidungen der Eltern seien zu respektieren, wie auch immer sie ausfallen. Es sei auch nach wie vor ungeklärt, welche Auswirkungen, neben den möglichen akuten Nebenwirkungen, Impfungen langfristig auf die organismuseigene Immunregulation haben könnten. (ad)
Bild: Tony Hegewald / pixelio.de
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