Antibiotika in der Massentierhaltung: Jedes zweite Hähnchen mit gefährlichen Keimen belastet
09.01.2012
Laut einer Stichprobe des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) ist Hähnchenfleisch häufig mit gefährlichen Keimen belastet. Umweltschützer warnen vor den Folgen des massiven Antibiotika-Einsatzes in der Massentierhaltung und fordern die Regierung auf, nicht nur verbindliche Pläne zur Reduktion der Verwendung von Antibiotika aufzustellen, sondern auch die Subventionen für die industrielle Fleischerzeugung abzuschaffen und die Haltungsbedingungen der Tiere deutlich zu verbessern.
Antibiotika-resistente Keime auf Hähnchenfleisch sind auch für Menschen gefährlich
Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) lies durch einen Sprecher am Montag bestätigen, dass sie noch in dieser Woche einen Gesetzentwurf vorlegen werde, durch den der Antibiotika-Einsatz in der Massentierhaltung eingedämmt werden soll.
Hintergründe der immer lauter werdenden Kritik am Antibiotika-Einsatz in der Massentierhaltung sind gesundheitliche Risiken. Durch zu häufige Einnahme von Antibiotika, entwickeln Bakterien Resistenzen, so dass die Antibiotika bei bestimmten Krankheiten nicht mehr wirksam sind. Nimmt ein Mensch belastetes Fleisch zu sich, gelangen gleichzeitig die Antibiotika, die dem Tier zuvor verabreicht wurden, in den Körper des Menschen. Durch antibiotische Arzneien werden die Erreger normalerweise abgetötet. Doch durch Mutationen einiger Keime können diese dann Resistenzen gegenüber einem oder mehreren Antibiotika entwickeln. Die resistenten Bakterien können sich weiter vermehren und über die resistenzvermittelnden Gene auch an andere Bakterienarten weitergegeben werden. Dies gilt es unbedingt zu verhindern.
In Fleischproben wurden ESBL- und MRSA-Keime nachgewiesen
Der Bund führte Stichproben in Supermärkten in Berlin, Hamburg, Köln, Nürnberg und in der Region um Stuttgart durch. Bei den 20 getesteten Fleischroben zeigte sich ein alarmierendes Bild: In 10 Proben wurden ESBL (Extended Spectrum Beta-Lactamase)-Keime, in 2 Proben MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus)-Keime und in einer Probe beide Keime nachgewiesen. Sowohl ESBL- als auch MRSA-Keime können bei anfälligen Menschen schwere gesundheitliche Schäden verursachen und sogar zum Tod führen.
Hubert Weiger, BUND-Vorsitzender ist schockiert: "Jede zweite Hähnchenfleisch-Probe aus deutschen Supermärkten ist mit antibiotikaresistenten Keimen belastet. Das ist die erschreckende Folge des fortgesetzten Antibiotika-Missbrauchs. Dieser ist nicht nur dafür verantwortlich, dass wichtige Medikamente ihre lebensrettende Wirkung verlieren können. Das Ausmaß der Kontamination von Lebensmitteln mit Krankenhauskeimen ist ein deutliches Warnsignal vor den Kollateralschäden der industriellen Tierhaltung."
Regierung will Antibiotika-Missbrauch stoppen
Antibiotika dürfen in der Tierhaltung laut Arzneimittelgesetzt ausschließlich zur Behandlung erkrankter Tiere verabreicht werden. Eine im letzten November veröffentlichte Studie des Verbraucherministeriums Nordrhein-Westfalen brachte ans Licht, dass 96 Prozent der Hähnchenmastbestände mit Antibiotika behandelt werden. NRW-Verbraucherschutzminister Johannes Remmel (Grüne) legte den Züchtern daraufhin zur Last, die Tiere auch zur illegalen Wachstumssteigerung mit Antibiotika zu behandeln.
Verbraucherministerin Aigner will den Antiobiotika-Einsatz „auf das zur Behandlung von Tierkrankheiten absolut notwendige Maß zu beschränken und die Befugnisse der zuständigen Kontroll- und Überwachungsbehörden der Bundesländer deutlich zu erweitern." Dies erklärte ihr Sprecher gegenüber dem Hamburger Abendblatt.
Tiere erkranken durch inakzeptable Haltungsbedingungen
BUND-Agrarexpertin Reinhild Benning berichtet: „Hähnchen, Hühner, Schweine und Kälber leiden millionenfach unter inakzeptablen Haltungsbedingungen und erkranken daran. Bekämen sie keine Antibiotika verabreicht, würden sie in vielen Fällen nicht bis zum Schlachten durchhalten. Selbst gesunde Tiere bekommen die Antibiotika, weil in der industriellen Tierhaltung in der Regel ganze Tierbestände damit behandelt werden.“ Benning weiter: „Die Hähnchenmast produziert Risiken, die bei den Verbrauchern landen."
Ein Gesetz gegen den Antibiotika-Missbrauch in der Massentierhaltung geht dem BUND nicht weit genug. BUND-Versitzender Weiger sieht das Problem ebenfalls bereits in der Haltung der Tiere: „Bundesagrarministerin Ilse Aigner muss handeln. Die industrielle Tierhaltung muss endlich zurückgedrängt werden.“ Die Subventionen für die industrielle Fleischerzeugung müssten abgeschafft werden und die Haltungsbedingungen der Tiere wesentlich verbessert werden. Auch die Handelsketten und Supermärkte seien gefragt, argumentiert der BUND. Sie müssten belastetes Fleisch aus ihren Läden verdammen und Druck auf ihre Fleischlieferanten ausüben, damit diese zu Tierhaltungsformen ohne Antibotika-Missbrauch wechselten.
Geflügellobby wehrt sich gegen Datenerfassung
Seit letztem Jahr werden deutschlandweit Daten zur Medikamentenlieferung nach Postleitzahlen in einer bundeseinheitlichen Datei (DIMDI) gespeichert. Jedoch ist die Geflügelbranche davon ausgenommen. Als Grund wurden datenschutzrechtliche Bedenken genannt. Diese äußerst zweifelhafte Ausnahme wird von Tierärzten, Grünen-Politikern und Datenschützern stark kritisiert. NRW-Verbraucherschutzminister Remmel kündigte gegenüber NDR Info an, diese Bundesratsinitiative zu prüfen, um die Regelung rückgängig zu machen.
Erste Vorsichtsmaßnahmen für Verbraucher
Sabine Klein von der Verbrauchzentrale Nordrhein-Westfalen rät besorgten Verbrauchern, notfalls auf Anbieter zurück zugreifen, die nur wenig Arzneimittel während der Tieraufzucht verwenden. Eine bestmögliche Alternative sind auch Biobauernhöfe, die ihre Tiere frei laufen lassen und somit mehr Auslauf gönnen. Bei einer artgerechten Haltung ist der Einsatz von Antibiotika in Massen nicht notwendig. Es sei, so Klein, aber nicht ungewöhnlich, wenn nicht verarbeitetes Fleisch auch Bakterien enthält. Aus diesem Grund sollte das Hähnchen gut durchgebraten und beim Zubereiten auf ausreichende Hygienemaßnahmen geachtet werden, wie das Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin rät. (ag, sb)
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