Private Krankenversicherungen sind gesellschaftlich nicht mehr tragbar
21.03.2012
Die Diskussionen um eine mögliche Abschaffung der Privaten Krankenversicherung (PKV) reißen nicht ab. Jetzt hat auch die Chefin des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV), Dr. Doris Pfeiffer Stellung bezogen. „Ich bin überzeugt, dass das Geschäftsmodell der PKV auf Dauer nicht tragfähig ist“, erklärte sie im Interview mit der „Rheinischen Post“.
Private Krankenversicherung ist ein Auslaufmodell
Pfeiffer kritisierte, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung der PKV immer mehr unter die Arme greift, da das System ohne zahlreiche Zugeständnisse nicht mehr funktionieren würde. So profitiere die PKV beispielsweise vom Arzneimittelsparpaket, das eigentlich für die gesetzlichen Kassen installiert worden sei. Selbst Privatversicherte würden immer skeptischer: Allein 2011 hätten rund 160.000 Menschen von der privaten in eine gesetzliche Krankenkasse gewechselt. Wahrscheinlich wären es weitaus mehr, wenn der Wechsel zurück durch zahlreiche gesetzliche Hürden den meisten PKV-Versicherten verschlossen wäre.
Nach Einschätzung Pfeiffers ist das Geschäft der PKV ein Auslaufmodell, das sich selbst erledige. Es sei zu erwarten, dass sich zukünftig immer mehr Unternehmen aus dem Krankenversicherungsgeschäft zurückziehen, erklärt sie gegenüber der Zeitung. „Die PKV hat offenkundig ein Existenzproblem. Ich bin überzeugt, dass das Geschäftsmodell der PKV auf Dauer nicht tragfähig ist. Die PKV kämpft seit Jahren mit steigenden Ausgaben. Die Ausgabensteigerungen sind höher als in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die PKV hat keine Instrumente, das in den Griff zu bekommen.“, sagte sie gegenüber der RP.
Praxisgebühr soll beibehalten werden
Zum Thema Praxisgebühr erklärt die Chefin des GKV-Spitzenverbandes, dass diese nur dann abgeschafft werden könnte, wenn es eine alternative Einnahmequellen gäbe. Durch die Praxisgebühr würden jährlich rund zwei Milliarden Euro eingenommen. Man müsse an die Zukunft denken, mahnt die Verbandsvorsitzende. Die Überschüsse aus dem vergangenen Jahr reichten trotz Milliardenbeträge dafür nicht aus. Vor Einführung der Praxisgebühr erhofften sich Experten unnötige Arztbesuche zu reduzieren. Dies wurde jedoch nicht erreicht, wie Auswertungen zeigten. Pfeiffer erklärt, dass im Koalitionsvertrag ein Auftrag für eine Reform der Praxisgebühr enthalten sei. Man müsse bei einer solchen Reform jedoch unbedingt darauf achten, die Einnahmen beizubehalten. Zudem müsse die Steuerungswirkung verbessert werden, ohne dabei von notwendigen Arztbesuchen abzuhalten. Bisher hätten die Kassen dazu keinen eigenen Vorschlag eingebracht. Die Politik habe die Praxisgebühr eingeführt. Jetzt müsse sie auch entsprechende Reformen anstoßen.
Pfeiffer lehnt Kürzung des Bundeszuschusses ab
Finanzminister Schäuble (CDU) plant für das nächste Jahr, dem Gesundheitsfonds zwei Milliarden Euro zu entziehen. Pfeiffer lehnt dieses Vorgehen ab: „Wir reden seit vielen Jahren davon, dass wir in den Sozialsystemen nachhaltig wirtschaften müssen. Wir haben in der Rentenversicherung eine sog. „Nachhaltigkeitsreserve“, die zwischen 0,2 und 1,5 Monatsausgaben liegt. Wenn diese anderthalb Monatsausgaben überschritten werden, wird der Beitragssatz gesenkt. Übertragen auf die Krankenversicherung würde das bedeuten, dass die Reserven insgesamt bis zu 22 Milliarden Euro betragen können. „Aktuell sind wir in der GKV bei rund 19 Milliarden Euro Überschuss. Das heißt, ich sehe überhaupt keinen Grund, über die Ausschüttung von Geldern oder die Kürzung von Bundeszuschüssen zu reden.“ Sie hält eine gesetzlich festgelegte Reserve der GKV wie bei der Rentenversicherung für sinnvoll. Über deren Höhe müsse jedoch noch diskutiert werden.
Pfeiffer ergänzt, dass mit dem Bundeszuschuss versicherungsfremde Leistungen, zu denen Krankengeld, Mutterschutz und die beitragsfreie Mitversicherung von Kinder und Ehegatten gehörten, finanziert würden. Da sich derartige Ausgaben jedoch nicht reduziert hätten, sehe sie keinen Grund, der eine Kürzung rechtfertigen würde. Hinzu komme ein jährlicher Anstieg der Ausgaben von 3,5 Prozent. Die Einnahmen würden demgegenüber aber nur um 1,5 Prozent zunehmen. Insgesamt bestehe als demnach eine Lücke, die durch die aktuelle Ausnahmesituation nicht gefüllt werden könne.
2011 stiegen die Ausgaben jedoch lediglich um 2,5 Prozent. Pfeiffer erklärt den leichten Rückgang durch die Einsparungen bei den Arzneimitteln. Hinzu komme, dass die Verwaltungskosten der Kassen gesunken seien und ein nicht allzu großer Anstieg der Kosten für Ärzte und Krankenhäuser zu verzeichnen sei.
Die Öffentlichkeit hat jedoch auch den Eindruck, dass die Kassen an Leistungen sparen, um Zusatzbeiträge zu vermeiden. So scheint es, als würden immer weniger Mutter-Vater-Kind-Kuren genehmigt. „Das Thema diskutieren wir seit Jahren. Der in der Öffentlichkeit teils erweckte Eindruck, dass zu viele Mutter-Vater-Kind-Kuren abgelehnt werden, ist nicht richtig. Für die Genehmigung einer solchen Kur bedarf es einer medizinischen Begründung. Häufig werden aber nur soziale, nicht gesundheitliche Indikationen gestellt“, erläutert die Chefin des Spitzenverbandes der GKV. Erst im vergangenen Jahr seien die Rahmenbedingungen zur Genehmigung der Kuren einvernehmlich mit Organisationen wie beispielsweise dem Müttergenesungswerk präzisiert worden, um mehr Klarheit zu schaffen.
Ist niederländisches Kassensystem Vorbild für Deutschland?
Der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen hält ein einheitliches System nach niederländischem Vorbild auch in Deutschland für geeignet. Im Jahre 2006 gab es in den Niederlanden eine große Reform zur Angleichung von privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen. Für jeden Niederländer besteht eine Krankenversicherungspflicht. Die Krankenkassen dürfen ihrerseits keinem Bürger die Gesundheitsgrundversorgungsleistungen verwehren. Die Finanzierung des Modells basiert auf zwei unterschiedlichen Linien. Annährend die Hälfte der Kosten für die Krankenversicherung trägt der Bürger selbst. Der Betrag wird pauschal, unabhängig vom durchschnittlichen Jahreseinkommen, Alter, Geschlecht und gesundheitlichem Zustand, erhoben. Die andere Hälfte wird einkommensabhängig vom Arbeitgeber gezahlt. Selbstständige müssen hingegen beide Anteile selbst tragen. Für Versicherte mit geringem Einkommen gibt es staatliche Subventionen.
Der Spitzenverband der Privaten Krankenversicherung (PKV) hält das niederländische Kassenmodell für ungeeignet. Nach Ansicht der Lobbyvertreter hätte das Modell viel mehr Einschränkungen im Leistungsspektrum und steigende Kosten durch die Marktkonzentration auf wenige Anbieter zur Folge. (ag)
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