Zwei Elektrotechniker der TU Darmstadt haben einen Sensor für etwa 20 Euro entwickelt, der Rückenschmerzen vorbeugen soll. Wenn eine Abweichung von einer „idealen“ Position länger als 60 Sekunden besteht, dann reagiert das am Rücken festgeklebte Gerät mit einem Alarm. Mediziner und Krankenkassen sollen nach einem Bericht von „Welt Online“ bereits Interesse bekundet haben. Auf die Idee brachte die Elektrotechnik- Studenten Ghaith Noman und Azam Mahmood nach eigenen Aussagen die Beobachtung eines Kommilitonen in einer Vorlesung. Der Betroffene saß nach Auffassung der beiden Studenten in „einer schlechten Sitzhaltung“ und klagte über Rückenschmerzen.
Im Anschluss entwickelten Mahmood und Noman ein kleines Gerät, welches „für die Muskeln und Knochen schädliche Haltungen“ mit einem Vibrationsalarm korrigiert. Nicht nur Mediziner und Krankenkassen sollen Interesse angemeldet haben: Auch Firmen aus der Orthopädiebranche könnten das Gerät weiter verbreiten.
Interessant ist, dass zwei Elektrotechniker damit geschafft haben, was seit Jahrhunderten kein Mediziner geschafft hat: Nämlich herauszufinden, was die „richtige“ oder „ideale“ Körperhaltung ist. Dass Menschen mit Skoliosen (seitlich „verbogenen“ Wirbelsäulen) oder in sitzenden Berufen oftmals beschwerdefreier sind als Menschen mit starker Muskulatur, von aussen als „gerade“ wahrnehmbarer Wirbelsäule oder als Sportler ist eine Tatsache, die jeder manuell tätige Praktiker berichten kann.
Technik versus Biologie attraktiv für Kassen?
„Biologisches Material“ wie den menschlichen Organismus aus elektrotechnischer Sicht mit einem Sensor in Radiergummigröße beurteilen zu können erscheint nach neuestem Stand der Wissenschaft mehr als absurd. Die Darmstädter wollen noch weiter gehen: Das Gerät soll auch durch einen GPS- Chip Langzeitdaten liefern, um so zeitliches und örtliches Auftreten von „Fehlhaltungen“ zu untersuchen.
Dass für die gesetzlichen Kassen ein kleines 20 Euro „teures“ Gerät, welches dauerhaft Rückenschmerzen Abhilfe schaffen soll, attraktiv erscheint, ist nachvollziehbar. Doch bei den vielfältigen Faktoren im menschlichen Körper sich nur auf die Körperhaltung zu fixieren und hier nach Jahrtausenden die „ideale“ Körperhaltung gefunden zu haben, ist eher unwahrscheinlich.
Anstatt in diesen Markt zu investieren, erscheint es aus Sicht von Medizinern zweckmässiger, effektive Therapien wie Osteopathie oder das Fasziendistorsionsmodell in ihren Leistungskatalog zu integrieren. Diese finden immer größeren Zuspruch gerade bei Menschen mit Rückenschmerzen, denen die unspezifischen Maßnahmen, deren Kosten die Kassen tragen, nicht geholfen haben. Bisher müssen gesetzlich Versicherte die Kosten für diese Behandlungen selbst tragen- nur Menschen mit Zusatzversicherungen oder einer Privaten Krankenversicherung bekommen in den meisten Fällen die Kosten erstattet. Mit etwa 60- 100 Euro pro Behandlung (die in der Regel 45 Minuten bis zu anderthalb Stunden dauert) nehmen sich die Kosten im Gegensatz beispielsweise zu bildgebenden Verfahren, die oftmals keine therapeutische Konsequenz haben, eher gering aus.
Daneben bekommen viele Menschen durch die Limitierung der Kassen bei den Ärzten nur schwerlich Rezepte für physiotherapeutische Maßnahmen wie Manuelle Therapie oder Mobilisation. Durch die geringere Vergütung sind die Physiotherapeuten mittlerweile bundesweit fast einheitlich bei einem 20 Minuten Rhythmus in der Behandlung angelangt.
Wie so eine individuelle effektive Therapie von Rückenschmerzen gewährleistet werden soll, erscheint fraglich und wird voraussichtlich auch nicht durch das Gerät der Darmstädter Studenten zu beheben sein. Daneben führt Mahmood gegenüber „Welt Online“ aus, dass eine durch den Sensor stets korrigierte Körperhaltung auch bei gesellschaftlichen Anlässen oder Bewerbungsgesprächen von Nutzen sein könnte. Es bleibt zu hoffen, dass solche Geräte, die richtig und falsch unterscheiden können, in naher Zukunft nicht auch neurowissenschaftlich eingesetzt werden. (tf, 25.02.2011)
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