Immer weniger Schlaf: Bei sozialem Jetlag droht Übergewicht
12.05.2012
Nicht nur Fernreisen über mehrere Zeitzonen können einen Jetlag auslösen. Wer ständig aufgrund von Schichtarbeit zu unterschiedlichen Zeiten arbeitet oder ein unregelmäßiges Freizeitverhalten aufweist, leidet ebenfalls unter den Folgen von Störungen der inneren Uhr. Laut einer Studie sollen bis zu 70 Prozent der Menschen in den westlichen Industrienationen vom „sozialen Jetlag“ betroffen sein. Forscher warnen vor den unkalkulierbaren Folgen für die Gesundheit.
Arbeitsleben verursacht Jetlag
Wer bereits eine Reise per Flugzeug von Deutschland in die Vereinigten Staaten unternahm, wird die Folgen eines Jetlags gespürt haben. Einschlafstörungen, Müdigkeit, Kopfschmerzen und sogar Migräne können deutlich hier wahrnehmbare Symptome sein. Doch Menschen leiden laut einer neuen wissenschaftlichen Studie nicht nur nach langen Flugreisen über zahlreiche Zeitzonen an einem Jetlag. Unterschiedliche Arbeits- oder Schulzeiten sowie unregelmäßige Freizeitunternehmungen können ebenfalls den Organismus und somit den Takt der inneren Uhr durcheinander bringen. Das jedenfalls berichten Wissenschaftler der Universität München um den Studienleiter Chronobiologen Till Roenneberg. Laut des Forscherteams seien sogar bis zu zwei Drittel der Menschen in den westlichen Industriestaaten von den gesundheitlichen Folgen, die damit einher gingen, betroffen.
Im Fachmagazin „Current Biology“ berichten die Forscher von einer Langzeitstudie, die über zehn Jahre andauerte. Hierzu haben rund 65.000 Probanden in zeitlichen Abständen online einen Fragebogen ausgefüllt. Die anschließende Datenauswertung habe ergeben, dass ein Leben gegen die innere Uhr das Risiko für Übergewicht und Adipositas steigere. Durch das erworbene Übergewicht drohen „schwere Folgeerkrankungen wie Stoffwechselstörungen wie etwa Diabetes“. Zudem habe „Fettleibigkeit ein Ausmaß einer Krise in industrialisierten Gesellschaften erreicht.“
Bei Übergewicht Neigung zur Adipositas
Bei näherer Betrachtungsweise der Daten zeigte sich aber, dass sich der Kontext als als eine Korrelation herausstellte. Nur Studienteilnehmer, die bereits den Body-Mass-Index (BMI) von 25 überschritten, zeigten im Verlauf eine Zunahme des Gewichts. Ab einem Wert von 25 wird bereits bei nicht übermäßig trainierten Menschen von Übergewicht gesprochen. Wer hingegen einen BMI-Wert unter 25 aufwies, zeigte mehrheitlich keine wesentlichen Gewichtszunahmen. Darüber hinaus ließ sich erkennen, dass der Effekt erst eintrat, wenn der Jetlag eine Zeitschwelle von zwei Stunden überschritt. Bei einem „kleinen Jetlag“ von weniger als einer Stunde, beobachteten die Forscher statistisch berechnet sogar eine Abnahme des Körpergewichts.
Unter Wissenschaftlern bleibt unbestritten, dass Schlafstörungen oder „schlechter Schlaf“ die Gesundheit gefährdet. Im Wesentlichen geht es dabei aber nicht nur um die Dauer des Schlafs, sondern auch um den Zeitpunkt des Schlafs. Mediziner vermuten, dass das Schlafverhalten auch genetisch bedingt ist. So existieren verschiedene „Chronotypen“, die sich in Spät- oder Frühaufsteher aufteilen. Schlafforscher sprechen in diesem Kontext auch von „Eulen“ oder „Lerchen“. Daneben unterscheide sich der Schlafbedarf des Menschen. Manche Menschen benötigen mehr und andere weniger Schlaf. Wer spät aufsteht und zu den „Eulen“ gehört, kann für seine gesellschaftlich weniger anerkannte Disposition nichts. Allerdings sind eben jene auch stärker anfällig für einen „sozialen Jetlag“.
Anhand der Datenermittlung sind rund 70 Prozent der Menschen in den westlichen Ländern von einem chronischen Jetlag betroffen, der mindestens eine Stunde beträgt. Etwa 35 Prozent zeigten sogar einen zwei Stunden oder mehr Jetlag. Zudem beobachteten die Forscher eine kontinuierliche Abnahme der Schlafdauer im letzten Jahrzehnt. Am stärksten sind Personen unter dem 20. Lebensjahr betroffen. Sie gehören übermäßig häufig zu den „Eulen“, wobei sie werktags meist aber früh zur Schule gehen müssen.
Wie viel Schlaf hierdurch fehlt, kann anhand der Schulfreien Tage erkannt werden. Teenager schlafen an einem Sonntag im Durchschnitt drei Stunden mehr, als in der Schulwoche. Lediglich bei kleinen Kindern und Senioren bleiben die Aufsteh- und Bettgehzeiten in der Woche und an den Wochenenden überdurchschnittlich gleich.
Immer weniger Zeit zum Schlafen
„Die Abnahme der Schlafdauer zeigt sich werktags im letzten Jahrzehnt verschärft“, schreiben die Autoren im Studienbericht. Das sei bedenklich, weil dadurch auch der soziale Jetlag verstärkt auftritt. In den Wochen nimmt die Schlafdauer kontinuierlich ab, während immer mehr Menschen eher zu den „Chronotypen“ (Eulen) neigen. Die Menschen sind zudem mehr statt dem natürlichen, künstlichem Licht ausgesetzt. Das schwache Licht in Wohnungen und Büros sei im Vergleich zum Sonnenlicht ein „nicht adäquater Taktgeber“. So verstelle sich dadurch zusätzlich die „innere Uhr“.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Leben gegen die Uhr ein Faktor für die Epidemie der Fettleibigkeit sein kann“, schreiben die Forscher in ihrem Resümee. Der Beobachtungen sollten auch in die Diskussion bei der Umsetzung der Sommerzeit eine Rolle spielen, weil die Zeitumstellung mit zum sozialen Jetlag beiträgt. „Unsere Daten legen nahe, dass eine Verbesserung der Korrespondenz zwischen biologischer und sozialer Uhr zur Behandlung von Fettleibigkeit beitragen kann.“ (sb)
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Bild: Berwis / pixelio.de
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