Patienten reichen 11.000 Beschwerden über Behandlungsfehler ein
20.06.2012
Jährlich beschweren sich tausende Patienten über Behandlungsfehler und Fehldiagnosen. Rund 11.000 Patienten-Beschwerden sind bei den zuständigen Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Ärztekammern im vergangenen Jahr eingegangen. Bei 2.287 Fällen beschwerten sich die Patienten zu Recht über die Leistung der Mediziner, so die Angaben der ärztlichen Gutachterstellen. Behandlungen, Diagnosen oder Patientenaufklärungen waren hier fehlerhaft beziehungsweise entsprachen nicht den Vorgaben, berichtet die Ständige Konferenz der ärztlichen Schlichtungsstellen. An die Schlichtungsstelle können sich alle Patienten wenden, die sich von ihrem Arzt schlecht beraten oder therapiert fühlen.
1.900 Behandlungsfehler mit gesundheitlichen Folgen
Bei der Prüfung der 11.107 Patienten-Beschwerden stellten die ärztliche Schlichtungsstellen 2.287 Fälle fest, in denen tatsächlich Mängel bei der Beratung und Behandlung nachzuweisen waren. Bei mehr als 1.900 Fällen hatten die Ärztefehler Gesundheitsschäden der Patienten zur Folge. 721 Patienten erlitten durch die fehlerhafte Behandlung leichte bis schwere Dauerschäden, bei 99 Patienten endeten die Behandlungsfehler tödlich. Besonders häufig waren bei den tödlichen Behandlungsfehlern Blutvergiftungen nach chirurgischen Eingriffen, erklärte der Geschäftsführer der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern, Johann Neu. Dr. Andreas Crusius, Vorsitzender der Ständigen Konferenz der Gutachterkommission, ergänzte: "Überall wo Menschen arbeiten, passieren Fehler, auch in der Medizin.“ Zudem führe „der medizinische Fortschritt selbstverständlich auch zu einer höheren Fehlerträchtigkeit, weil Patienten heute behandelt werden mit schwerwiegenden Erkrankungen, die noch vor zehn Jahren nicht behandelt werden konnten“, so Crusius weiter. Doch eine Rechtfertigung für die Fehler der Ärzte sei dies keineswegs, denn es müsse alles dafür getan werden, das Risiko der Behandlungsfehler „so klein zu halten wie irgend möglich“, erklärte Dr. Crusius. Hier biete die Behandlungsfehlerstatistik auch eine gute Möglichkeit, um entsprechende Fehler in Zukunft zu vermeiden.
Schwieriger Nachweis von Behandlungsfehlern
Als Beispiele für häufigere Fehler der Ärzte nannten die Experten das Unterlassen eines Blutbildes trotz entsprechender Warnzeichen oder auch verschleppte Krebsdiagnosen. Den Anstieg der Behandlungsfehler über die letzten Jahre erklärte Dr. Andreas Crusius damit, dass heute auch „90, 95-jährige Patienten operiert“ werden, „wenn sie bei gutem Allgemeinbefinden sind.“ In solchen Fällen seien natürlich die Komplikationen, aber auch die in der Medizin selbst liegenden Risiken deutlich höher als bei 50-jährigen Patienten, die „eine gute allgemeine Körperfunktion“ haben, betonte der Vorsitzende der Ständigen Konferenz der Gutachterkommission.
Für die Patienten gestaltet sich der Nachweis eines Behandlungsfehlers meist äußerst schwierig, da während chirurgischer Eingriffe stets auch zu Komplikationen auftreten könne, die nicht zwangsweise auf einen Fehler der Ärzte zurückzuführen sind. Längst nicht jeder Patient, der sich falsch behandelt fühlt, wurde tatsächlich schlecht therapiert. In den 1.900 Fällen, bei denen die Schlichtungsstelle gesundheitliche Beeinträchtigungen aufgrund eines Behandlungsfehlers festgestellt hatte, war dies jedoch gegeben und entsprechend haben die Betroffenen Anspruch auf einen angemessenen Schadensersatz.
40.000 Beschwerden über vermeintliche Behandlungsfehler pro Jahr
Die Gutachterkommission der Bundesärztekammern überprüft bei Beschwerden die Behandlung der Patienten und eröffnet ihnen so die Möglichkeit im Zweifelsfall Schadensersatz geltend zu machen. Darüber hinaus bietet auch der Medizinischen Dienst der Krankenkassen eine Kontrolle der Behandlungen an, um den Ansprüchen der Patienten gerecht zu werden. Hinzu kommen die direkt vor Gericht behandelten Fälle, so dass laut Dr. Andreas Crusius insgesamt von rund 40.000 Patienten-Beschwerden pro Jahr auszugehen ist, zuzüglich der Fälle, in denen die Fehler der Ärzte gar nicht als solche erkannt werden. Der Vorteil bei einer Beschwerde direkt an die Gutachterkommission der Ärztekammer ist, dass hier durchschnittlich nach 13 Monaten eine abschließende Bewertung vorliegt, wohingegen die Gerichte und der Medizinische Dienst der Krankenkassen unter Umständen mehrere Jahre brauchen, bevor eine Entscheidung gefällt werden kann.
Ärztefehler bei Hüftgelenk- und Kniegelenkoperationen am häufigsten
Die Behandlungsfehlerstatistik 2011 der Bundesärztekammer zeigt, dass die meisten Fehler Ärzten bei Operationen in Kliniken vorgeworfen wurden. Vermeintlich fehlerhafte Hüftgelenk- und Kniegelenkoperationen waren wie in den Vorjahren erneut mit Abstand am häufigsten Anlass für Beschwerden der Patienten, aber auch Brüche des Unterarms, Unterschenkels und Sprunggelenks wurden vermehrt genannt. Bei den Gründen für die „Komplikationen oder unerwünschte Behandlungsergebnisse vermengen sich allerdings häufig die Ursachen, was die Beantwortung der Frage schwierig macht, ob ein Behandlungsfehler für eine Komplikation ursächlich ist oder nicht“, erläuterte Dr. Crusius. Daher sei es „umso wichtiger, dass die Patientinnen und Patienten bei einem vermuteten Schadensfall nicht allein gelassen werden.“ Die Unterstützung durch ärztliche Expertise, wie sie die Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen gewährleisten, sei daher dringend erforderlich.
Patientenrechtegesetz: Durchsetzungsmöglichkeiten der Patienten verbessern
Auch die Politik zeigte sich bei ihrem Beschluss zum Entwurf des Patientenrechtegesetz im Mai darum bemüht, die rechtlichen Möglichkeiten der Patienten nach einem Behandlungsfehler zu verbessern. Während die Bundesregierung im Anschluss an den Beschluss die Vorteil des neuen Gesetzes betonte, kritisierten jedoch Vertreter der Opposition ebenso wie die gesetzlichen Krankenkassen die fehlende generelle Beweislastumkehr. Zwar soll in bei Verdacht auf grobe Behandlungsfehler künftig die Beweislast beim Arzt liegen, der durch eine lückenlose Dokumentation sein korrektes Vorgehen belegen muss, doch bei weniger schwerwiegenden Fällen bleibt die Beweislast weiterhin beim Patienten.
Nach zehn Jahren politischem Ringens um das Patientenrechtegesetz, scheint der aktuelle Entwurf trotz der Kritik jedoch ein erfreulicher Schritt. So erklärte auch der Geschäftsführer der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern, Johann Neu, es sei „zu begrüßen, dass mit dem Gesetz die Patientensicherheit erhöht und die Fehlervermeidungskultur gefördert werden soll“ Doch bleibe zu bemängeln, „dass die Unterlagen von freiwilligen Fehlermeldesystemen, wie MERS (hier werden die Ergebnisse der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen seit zwölf Jahren erfasst), auch künftig nicht durch ein Beschlagnahmeverbot vor dem Zugriff in Strafverfahren geschützt werden.“ Dies beeinträchtige den offensiven Umgang mit der Meldung von Behandlungsfehlern. (fp)
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