Zweitmeinungsportal: Der Dresdener Chefarzt Prof. Dr. Hans Zwipp steigt aus dem Projekt "Unnötige Operationen" aus
23.08.2011
In der letzten Woche eröffnete das Ferndiagnose Portal „Vorsicht Operationen“. Statt einer voreiligen Operation, können sich Patienten bei Experten eine Zweitmeinung einholen. In der Folge hagelte es allerdings deutliche Kritik von Seiten der fachärztlichen Berufsverbänden. Nach Informationen von „DNN-Online“ hat nun der Dresdener Universitätsarzt Prof. Dr. med. Hans Zwipp als erster beteiligter Mediziner seine Teilnahme an dem Ärzteportal abgesagt. Gegenüber dem Blatt bestätigte eine Sprecherin den Ausstieg.
Zunächst sah es so aus, als könnte das Portal gegen überflüssige Operationen ein grandioser Erfolg werden. Immerhin haben sich seit Bestehen bereits 150 Patienten an das Projekt gewandt und um Hilfe gefragt. Ziel des Angebots ist, unnötige und sogar schädliche Operationen an Rücken, Knien, Schultern oder Hüfte zu verhindern. Schließlich stiegen die medizinischen Eingriffe in den letzten Jahren massiv an. Doch schon nach der ersten Woche der Inbetriebnahme hagelte es deutliche Kritik (wir berichteten). So bezeichnete der Berufsverband der Niedergelassenen Chirurgen die Ferndiagnose als „hochgradig unseriös“. Schließlich müsste ein Arzt bei der Erstellung eines Zweitgutachtens den Patienten nicht nur mittels Unterlagen und Röntgenbilder betrachten, sondern auch persönlich in seiner Gesamtheit. Gerade die augenscheinliche Diagnostik ist entscheidend, wenn es um die Frage geht, einen medizinischen Eingriff durchzuführen oder nicht.
Insgesamt 16 Fachärzte wollen an der Online-Plattform teilnehmen. Einer von ihnen hat nun offiziell seine Teilnahme wieder abgesagt. Der Direktor der Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des Dresdener Universitätsklinikums, Prof. Dr. Hans Zwipp, hat seine Absage offiziell durch eine Sprecherin bestätigen lassen. Nach Angabe der Sprecherin ist der Grund für die Absage, die anhaltende Diskussion um die Seriosität des Portals. Patienten müssen Honorare zwischen 200, 400 und 600 Euro zahlen, damit ein Zweitgutachten erstellt wird. Weitere Angaben wollte der Chefarzt der Uniklinik nicht machen. Zwipp war als Experte speziell für Fuß-Eingriffe vorgesehen.
Damit Patienten eine fachärztliche Zweitmeinung erhalten, müssen sie einen mit 100 Fragen umfassenden Fragebogen ausfüllen. Darüber hinaus müssen Arztberichte, Röntgenaufnahmen und Laborbefunde zugesandt werden. Danach erstellt der zuständige Mediziner ein Angebot mit einer Kostennote. Wer den Kosten zustimmt, erhält nach vierzehn Tagen eine Diagnostik sowie eine Einschätzung, ob eine Operation sinnvoll ist.
Der Kniespezialist und Hochschullehrer Prof. Dr. med. Hans Pässler ist einer der Initiatoren des Portals. Er verteidigte die Idee, denn seiner Meinung nach werden in Deutschland zu viele Operationen durchgeführt. „Wir haben doppelt so viele Knieoperationen wie in Frankreich, Schweden und Australien“, erklärte der Heidelberger Mediziner gegenüber der Dresdener Zeitung. Der Arzt vermutet, dass finanzielle Interessen dahinter stecken. Statt den Chefärzten feste Löhne zu zahlen, werden Basisgehälter mit einem zusätzlichen Bonus gezahlt. „Je besser sie die Budgetierung ihrer Klinik erfüllen, desto mehr Geld in Form von Bonuszahlungen erhalten sie“, mahnte Pässler. Werden beispielsweise nur 80 statt der geplanten 100 Operationen durchgeführt, werden die Zuweisungen seitens der Krankenkassen herunter gestuft. Die Ärzte an den Kliniken sind dadurch vermeintlich gezwungen, operieren zu müssen, so Pässler.
Einzelne Verbände laufen jedoch Sturm gegen die Idee des Portals. Nach Meinung des Berufsverbandes Niedergelassener Chirurgen sowie des Berufsverbandes der Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU), reichen die Diagnostika nicht aus, wenn der Patient nicht einmal selbst begutachtet wird. Es werde eine ärztliche Zweitmeinung mit einer medizinischen Zweitlektüre verwechselt, heißt es von Seiten des BVOU. Ein Zweitgutachten könne nicht nur durch Vorlage der Patientenunterlagen erstellt werden.
Zwar signalisierte die Betriebskrankenkassen bereits Interesse, allerdings halten sich die positiven Signale der Krankenkassen in Grenzen. Die AOK verweist darauf, dass ein Zweitgutachten bereits zur medizinischen Praxis gehöre. Wer sich unsicher ist, könne ohne Kosten einen zweiten Arzt um seine Meinung befragen, wie ein Sprecher der Kasse hinwies. Die Techniker Krankenkasse (TK) verwies auf eigene Angebote. Dort können Patienten z.B. im Rahmen eines Rückenschmerzen-Zentrums nach unabhängigen Gutachten anfragen. Die TK bestätigte die hohe Zahl der unnötigen Operationen. In den Kasseneignen Zentren wurde eine Quote von über 80 Prozent ermittelt.
Fakt ist , dass in Deutschland die Zahl der Operationen zugenommen haben. Umso mehr Ärzte in einer Region angesiedelt sind, um so öfter wird auch zum Skalpell gegriffen. Alternativmodelle, die wesentlich weniger Kosten verursachen, aber laut zahlreicher Studien zum Teil effektiver sind, werden nicht budgetiert. Die Krankenkassen müssen sich zukünftig sehr wohl fragen lassen, ob sie Patienten vorschnell dem Operateur ausliefern. Das Portal könnte eine Hilfe bieten, doch ein fahler Nachgeschmack bleibt: Auf den zusätzlichen Kosten bleiben die Patienten sitzen, obwohl ein unabhängiges Zweitgutachten zur täglichen Praxis gehören müsste. (sb)
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Bild: Martin Büdenbender / pixelio.de
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