Chronische Schmerzen bedingt durch das Gehirn
04.07.2012
Wenn Ärzte keine körperliche Ursache für chronische Rückenschmerzen finden, fühlen sich Betroffene allein gelassen. Die Odyssee von Praxis zu Praxis endet in vielen Fällen beim Schmerzmediziner, der zwar die Symptome lindern aber nicht die Ursache beheben kann. Wenn dann auch noch der Chef aufgrund der vielen Krankentage Druck macht, steigt die psychische Belastung enorm. US-amerikanische Forscher berichten nun im Fachmagazin „Nature Neuroscience", dass sie der Ursache für chronische Rückenschmerzen auf die Spur gekommen sind. Unterschiede im Gehirn sollen dafür verantwortlich sein, ob der Schmerz abklingt oder chronisch wird.
Chronische Schmerzen ohne erkennbare körperliche Ursache
Zunächst beginnt das Rückenleiden mit leichten bis heftigen Schmerzen. Während die meisten Betroffenen nach wenigen Wochen wieder schmerzfrei sind, leiden andere länger, zum Teil sogar dauerhaft darunter. Häufig finden Ärzte jedoch keine körperliche Ursache für die Schmerzen. Als bekannter Risikofaktor für chronische Schmerzen gilt die sofortige Einnahme einer Schonhaltung. Menschen, die zu psychosomatischen Symptomen neigen, sind zudem häufiger betroffen.
US-amerikanische Forscher gaben jüngst bekannt, dass sie im Rahmen einer Studie die Ursache für die Entstehung chronischer Schmerzen entdeckt hätten. „Zum ersten Mal können wir erklären, warum Menschen, die zu Beginn die gleichen Schmerzen haben, entweder wieder gesund werden oder chronische Schmerzen entwickeln", erklärt Vania Apakarian von der Northwestern University in Chicago, Illinois, der an der Studie beteiligt war. Laut Wissenschaftlern könnte diese Entdeckung die Entwicklung neue Therapien fördern.
Für die einjährige Studie wurden 39 Patienten untersucht, die zu Beginn bereits seit vier bis 16 Wochen unter Rückenschmerzen gelitten hatten. 17 weitere Probanden kamen hinzu, die gesund waren und als Kontrollgruppe fungierten. Während des Untersuchungszeitraumes wurde von jedem Studienteilnehmer viermal eine Aufnahme des Gehirns mittels Magnetresonanztomografen (MRT) gemacht. Nach Ablauf des Jahres hatten sich die Rückenschmerzen bei 20 Patienten gebessert. Bei den restlichen 19 Studienteilnehmen wurden die Schmerzen zum Teil schlimmer oder blieben unverändert.
Chronischer Schmerz durch übermäßige Kommunikation zweier Hirnregionen
Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass das Risiko für chronische Schmerzen umso größer war, je besser zwei bestimmte Hirnregionen – der sogenannte Nucleus accumbens und der präfrontale Cortex – miteinander verknüpft waren. Die Hirnbereiche sind an Lernprozessen beteiligt, wirken aber auch bei der Verarbeitung von Gefühlen mit. Laut Forschern erklärt sich dieser Zusammenhang wie folgt: Reagiert das Gehirn mit einer starken Emotion auf eine Verletzung beziehungsweise den anfänglichen akuten Schmerz, kann sich dieser leichter zu einem chronischen Leiden entwickeln, obwohl die körperliche Ursache längst geheilt ist. Der Schmerz wird als fehlgeleiteter Lernprozess im Gehirn abgespeichert.
Apakarian vermutet, dass die betroffenen Hirnregionen bei einigen Menschen von vornherein stärker angeregt sind. Die übermäßige Interaktion von Nucleus accumbens und präfrontalen Cortex bei Schmerzen könne genetisch oder auch durch Umwelteinflüssen bedingt sein. Die Wissenschaftler beobachtete bei den Patienten mit chronischen Schmerzen zudem eine starke Abnahme der grauen Substanz in einigen Hirnbereichen.
Die Studienergebnisse könnten Medizinern zukünftig Hinweise darauf geben, wer ein erhöhtes Risiko für chronische Schmerzen hat, um schnell Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Für Betroffene ist ist umso so schwerer, die Schmerzen wieder loszuwerden, je länger sie dauern.
Bei chronischen Schmerzen hilft oft nur der Schmerzmediziner
In Deutschland leiden zwischen 13 und 18 Millionen Menschen an chronischen Schmerzen wie Rückenschmerzen. Derzeit gibt es in Deutschland jedoch nur 2000 bis 3500 Ärzte, die eine spezielle Schmerzsprechstunde anbieten. Zudem findet in rund 150 regionalen Schmerzzentren eine entsprechende Versorgung statt. Kein Wunder, dass Schmerzmediziner bereits seit einiger Zeit Alarm schlagen. Es sei nicht gelungen, die Versorgung von Schmerzpatienten nachhaltig und flächendeckend sicherzustellen, so der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie, Dr. Gerhard Müller-Schwefe.
Viele Patienten haben eine regelrechte Odyssee von Arzt zu Arzt hinter sich bis sie von einem speziell dafür ausgebildeten Arzt, einem Schmerzmediziner, Hilfe bekommen. Durchschnittlich konsultieren Betroffene elf verschiedene Ärzte bevor sie in ein Schmerzzentrum kommen und der Beginn der Erkrankung liegt in der Regel schon Jahre zurück. Experten sehen die Ursache dafür in der Überforderung vieler Fachärzte auf diesem Gebiet. Sie fordern nun eine Überarbeitung der Approbationsordnung. (ag)
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Autoren- und Quelleninformationen
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